Oft habe ich das Gefühl, die Bibel zu lesen, mich mit Jesus’ Weg zu identifizieren, aber nur wenig schafft es in meinen Alltag. Die Bergpredigt endet mit der Aufforderung, Jesu Worte zu tun und nicht bloss zu hören, denn nur so kann ich mein Leben auf Fels bauen.

Das drängt mich, stets neue Wege zu suchen um das Gelernte im Alltag umzusetzen. Beim Lesen von Charlotte Masons Homeschooling-Reihe sind mir “Habits” (Deutsch: Gewohnheiten) immer wichtiger geworden. Daher bin bezüglich Habits hellhörig geworden. “Atomic Habits” (Deutsch: “die 1% Methode”) wurde mir von verschiedenen Seiten empfohlen (es ist auch auf so vielen Bestenlisten, das lässt sich derzeit schwerlich übersehen).

Zur Kritik am Buch (und generell an Self-Help-Bücher)

Am Anfang will ich etwas loswerden, dass mich super gestört hat. Keine Angst, das Buch ist gut, und ich empfehle es trotz meiner Kritik.

Atomic Habits ist ein typisches Self-Help-Buch. Der Grundton ist Selbst-Verwirklichung: Finde dein Potential und setze es konsequent um, so wirst du garantiert Erfolg sehen. Ich habe über die Jahre zu viele Bücher gelesen (leider auch viele christliche), welche versprechen, dass wenn ich ihre Methode konsequent anwende, sich immer Erfolg einstellt.

Genau so verspricht es auch Atomic Habits: Englische Radrennfahrer waren seit Jahren Schlusslicht. Dann, nur wenige Jahre konsequentes Anwenden dieser Methode und schon gewinnen sie die Tour de France in Serie. Der Autor fängt ein Blog an und schreibt innerhalb weniger Jahre für die New York Times.

Mein Rat: Falle nicht auf diese Versprechen rein. So viel habe ich in meinem Leben schon herausgefunden: In der Welt verhält es sich nicht so. Es widerspricht ausserdem einer der Grundaussagen der Bibel: die Welt ist gefallen. Seit dem Sündenfall ist Arbeit mühsam und wirft nicht die erhofften Früchte ab. Und zudem nimmt der Tod am Ende alles weg.

Was James Clear auslässt: wie gehe ich mit Frust um, wenn es nicht funktioniert? Wann lohnt es sich, aufzugeben? Seine einzige Antwort: “try harder”. Das stimmt aber einfach nicht. Aufgeben ist durchaus eine Option, wenn auch eine schmerzhafte.

Jedes Buch kommt in einer “Philosophischen Verpackung”, bei Atomic Habits ist es der “American Dream”: wer hart arbeitet, der wird es zu etwas bringen. Mein Rat daher: trenne die Verpackung vom Inhalt, dann lässt sich daraus einiges lernen

Was habe ich davon gelernt?

Jetzt, da ich die Kritik losgeworden bin, kann ich sagen: das Buch hat viel bei mir ausgelöst. Die Schreib-Produktivität auf meinem Blog ist direkt darauf zurück zu führen. Hier eine lose Liste von guten Ideen aus dem Buch:

  • Bewertung von Habits: Schritt Eins: Betrachte dich, auf welche Situationen reagierst du wie? Fange an die Reaktionen zu bewerten (ohne sie gleich zu verändern)
  • Konkreter Umsetzungs-Plan: Überlege, wo und wann du damit beginnen willst. Das ist die effektivste Methode
  • Selbstbeherrschung wirkt nur kurzfristig und braucht viel Energie. Längerfristig funktioniert ein Wechsel der Umgebung. Beispiel aus dem Buch: Drogen-Abhängige kommen nach dem Entzug in ihre gewohnte Umgebung zurück und die Selbstbeherrschung ist zu klein, so dass sie zurück in die Sucht fallen. Wird die Umgebung auf lange Sicht gewechselt, so ist der Erfolg wahrscheinlicher. Persönliches Beispiel: im Zug Lesen, wenn Leute nebenan schwatzen: funktioniert zwar, braucht aber sehr viel Energie, besser ist die Kopfhörer aufzusetzen und Musik zu hören
  • Umgebe Dich mich Vorbildern: «One of the most effective things you can do to build better habits is to join a culture where your desired behaviour is the normal behaviour» dafür hat uns Gott die Gemeinde gegeben. Und Biographien.
  • Wiederholung ist wichtiger als Recherche: das Wichtigste der Habits ist “to show up”, auch wenn du nur 2 Minuten dran bist: «the point is to master the habit of showing up» Persönliches Beispiel: beim Blogschreiben ist es wichtig, täglich zu schreiben. Mindestens ein Satz. Vor allem wenn die Habit schwierig erscheint: sage Dir, dass es nur für 2 Minuten ist, dann ist es Einfacher zu beginnen. Danach macht du es sowieso mehr als 2 Minuten, weil der Mensch von Natur aus eine angefangene Tätigkeit weitermachen will. «If you want to master a habit, the key is to start with repetition, not perfection»
  • Langeweile aushalten: die Regelmässigkeit stellt sich nur ein, wenn du Habits an guten wie schlechten Tagen verfolgst. Habits lassen sich auslassen (Krankheit, besondere Umstände), lass eine Habit aber nicht mehr als einmal aus

Und zum Schluss eine Warnung und Zitat von Paul Graham: «keep your identity small». Die Gefahr ist, dass ich Habits zu strikt verfolge (und da ist James Clear erfrischend ehrlich!), dass ich darüber definiere und plötzlich das Ego im Zentrum steht. Ursprünglich war das Habit Weg zum Ziel, plötzlich wird es zum Ziel selbst.

Ich will mir klarmachen, dass es nicht um mich geht. So hoffe ich, dass die Optimiererei sich nicht in einen Rausch verwandelt. Und sonst wird meine Familie mir das schon vorhalten, zumindest ist das meine Erfahrung.

Meine Frau und ich sind grosse England-Fans. Vor gut zehn Jahren haben wir uns ernsthaft überlegt, nach England auszuwandern. Allem voran der Englische Akzent hat es uns angetan. Mag seltsam erklingen, aber wir verfallen beinahe in Trance beim Hören dieses Akzents.

Aber es kam anders und wir blieben in der Schweiz. Und so begnügen wir uns nun mit Hören von BBC Radio oder Schauen von BBC Verfilmungen.

Nun, beim Suchen nach guten Audio-Bibeln bin ich auf David Suchets Lesung gestossen. Ich kannte Suchet nicht. Er ist Schauspieler und bekannt für seine Rolle als Inspector Poirot in Agatha Christie Krimis.

Mit 40 Jahren wurde er Christ (vor gut 30 Jahren) und bald erwuchs in ihm der Wunsch, die Bibel zu vertonen. Mit den Aufnahmen begann er zwischen den Agatha Christie-Drehs. Das Vorhaben dauerte 27 Jahre und wurde 2014 fertig.

Wieso hat mich diese Vertonung begeistert?

Zugegeben, Am Anfang war es der Akzent. Dann merkte ich, dass Suchet in bester Schauspieler-Manier, sich in den Text hineinversetzt - in den Autor des Buchs, oder in Gott - und den Text so spricht, wie er gemeint ist.

Im Dialog zwischen Gott und Habakuk erhält Gott eine tiefe, kräftige Stimme, die streckenweise zornig klingt. Habakuk erhält eine höhere Stimme (ohne zu übertreiben). Habakuk spielend flüstert er beinahe (aus Verzweiflung), oder spricht laut und fordernd an anderen Stellen.

Kostprobe gefällig? Hier Kapitel 2 aus Habakuk:

Wie kann ich mir das anhören?

  • in der YouVersion Bible App (siehe Screenshot rechts) auf die NIV-Übersetzung wechseln, oben rechts auf Lautsprecher-Icon klicken, dann “Hörbibel wechseln” und Anglicised Version auswählen
  • Auf Biblegateway
  • Auf Amazon ist die Lesung als MP3-CDs erschienen

wo ich gerade stehe im Bibellese-Plan

Seit einigen Jahren lese ich die Bibel systematisch durch. Zuerst habe ich dazu “Bibel in einem Jahr” Pläne benutzt (z.B. M’Cheyne Bibelleseplan), dieses Jahr habe ich etwas Neues versucht.

Die Idee:

  • ich lese jedes Buch der Bibel 3x durch
  • beim ersten Durchgang nehme ich eine einfache Übersetzung (Gute Nachricht) um eine Übersicht zu gewinnen
  • beim zweiten und dritten Durchgang nehme ich andere Übersetzungen (ESV und Schlachter) um zu vertiefen

Challies hat gerade einen Artikel übers Bibellesen publiziert:

In general, there are two approaches to daily Bible-reading: reading for intimacy or reading for familiarity. Intimacy with the Bible comes through slow, meditative reading that focuses on small portions—deep study of key books, chapters, and verses. Familiarity with the Bible comes through faster reading of much larger portions—the entire sweep of the biblical narrative.

Das “3 Mal durchlesen pro Buch” ist ein Zwischending zwischen Vertrautheit und Intimität.

Meine Erfahrungen nach einem Jahr:

  • ich bin etwa zur Hälfte durch, sprich ich werde die Bibel in zwei Jahren durchgelesen haben
  • beim ersten Durchgang schaffe ich pro Tag 5-6 Kapitel
  • einige längere Bücher teile ich auf, z.B. die Psalmen habe ich nach Psalm-Buch aufgeteilt. So habe ich am Ende des ersten Durchgangs nicht vergessen was am Anfang war
  • die verschiedenen Übersetzungen vermeiden den: “ah, das kenn ich schon”-Effekt, der bei mir auslöst, dass ich den Text nur noch überlese, ohne dass er etwas auslöst
  • einige Bücher (z.B. Prediger, Habakuk) habe ich neu entdeckt, mit einem Einjahresplan habe ich über diese Bücher hinweggelesen und war froh, dass sie vorbei sind, mit drei Mal durchlesen zwinge ich mich, mich auf jedes Buch einzulassen
  • bei Durststrecken habe ich vorübergehend auf Audio-Bibeln gewechselt (in der Bible App von YouVersion kann ich die alte Luther und NIV von David Suchet empfehlen) oder habe andere Übersetzungen genommen
  • dass ich kein strikter Tagesplan habe, hilft mir, streckenweise langsamer zu lesen und vermeidet die “Abhaken-Mentalität” die mich verleitet den Erfolg darin zu sehen, dass ich “durch” bin
  • die Reihenfolge der Bücher habe ich selber gestaltet, jeweils abwechselnd Altes und dann Neues Testament, angefangen von Hinten nach Vorne (Maleachi/Offenbarung zuerst), damit kommen die mir unbekannteren Bücher zuerst
  • bei einigen Büchern habe ich vor dem ersten Lesen das entsprechende Video von Bible Project angeschaut oder Hanniels Vogelflüge angehört

Richard Wurmbrand war ein Missionar in Russland zur Zeit der schweren Christenverfolgung. Er hat für seinen Glauben in Gefängnissen gelitten. Lieber wollte er für Jesus leiden, als seinen Mund zu halten und ein angepasstes Christentum zu leben.

Als er nach vielen Jahren freikam und Christen in Europa besuchte, erwartete er Gemeinden, die florieren, denn ohne Verfolgung würden sie gutes Wachstum erleben. Weit gefehlt. Stattdessen traf er auf schwache Gemeinden. Er sehnte sich zu seiner verfolgten Gemeinde in Russland zurück:

Ich leide im Westen mehr, als ich in kommunistischen Ländern gelitten habe. Mein Leiden besteht vor allem in der Sehnsucht nach der unaussprechlichen Schönheit der unterdrückten Kirche. (aus: Gefoltert für Christus)

Wurmbrand war nicht der Einzige, der so denkt. Ähnliches (und um einiges bissiger) las ich in Brother Yuns The Heavenly Man.

Ein weiteres Beispiel: Letztes Jahr, in einem Treffen der Missionsgesellschaft WEC berichtete jemand, dass er unter den Missionaren in Afrika und Asien eine nicht repräsentative Umfrage gemacht hat, welche Länder am meisten das Evangelium bräuchten. Die erwartete, richtige Antwort: die unerreichten Völker. Die tatsächliche Antwort: Europa und Amerika, denn ihr Glaube sei lau und weltlich geworden.

Ist das nicht spannend? Das gleiche Christentum aus der gleichen Bibel gedeiht im einen Kontinent und im anderen stagniert es. Woher kommt das?

Das Gleichnis von den vier Böden in Matthäus 13 bietet eine exzellente Erklärung:

Beim ersten Boden kann das Evangelium keinen Fuss fassen, wird nicht gehört oder sofort vergessen. Passiert überall, nicht nur in Europa. Beim zweiten Boden geht es um “Bedrängnis oder Verfolgung”: Bei uns in Europa nicht ein Problem aber in Asien und Afrika eine riesengrosse Sache: ein Konvertit in einem islamischen Land muss davon ausgehen, dass er von der Familie ausgestossen, verfolgt und eventuell getötet wird. Gehört er dem zweiten Boden an, hört sein Glaube in diesem Moment auf, oder wird zum verborgenen oder nominellen Glauben, der sich den Umständen anpasst. Gehört er dem vierten Boden an, bringt er viel Frucht.

Der dritte Boden nun beschreibt unser westliches Christentum:

Unter die Dornen gesät aber ist es bei dem, der das Wort hört, aber die Sorge dieser Weltzeit und der Betrug des Reichtums ersticken das Wort, und es wird unfruchtbar. (Mt 13,22)

Der Glaube geht zwar auf - es entsteht eine Pflanze - aber die Pflanze wächst unter Dornen! Sie erhält zu wenig Licht, zu wenig Nährstoffe aus dem Boden und bleibt klein, sie wirft keine Samen ab. Wieso? Weil der “Betrug des Reichtums” das Wachstum erstickt.

Nach der Stelle des reichen Jünglings, über die ich gestern geschrieben habe, hat mich diese Stelle über den dritten Boden lang beschäftigt (ich habe bereits vor 5 Jahren darüber geschrieben).

Ich merkte bei mir selber, dass das Evangelium bei mir nicht richtig gedieh. Damit bin ich nicht allein, in unseren Gemeinden merke ich die gleiche Lauheit. Der Reichtum betrügt uns. Betrug merkt man nicht. Man steckt drin und ist zufrieden obwohl der Gewinn ausbleibt.

Dem Betrug des Reichtums war ebenfalls die Gemeinde in Laodizea verfallen:

Denn du sprichst: Ich bin reich und habe Überfluss, und mir mangelt es an nichts! — und du erkennst nicht, dass du elend und erbärmlich bist, arm, blind und entblößt. (Off. 3,17)

Ich fragte mich, wie ich dem Betrug entgehen kann. Wie kann ich ihn aufdecken? Ist es in Europa überhaupt möglich? Falls ja, wieso sind in unseren Gemeinden so viele lau und gleichen eher dem dritten Boden als dem vierten?

Christentum muss in Europa möglich sein, doch es braucht eine radikalere Abkehr vom Reichtum, dem Besitz, der Bequemlichkeit. Dieses Ringen dauert schon ein paar Jahre an, und wir sind als Familie Schritte gegangen, von denen ich in weiteren Beiträgen erzählen werde.

© Judith Ganter https://www.amazon.de/dp/B007NIFEZI

Vor ein paar Jahren bin ich über das Gleichnis des reichen Jünglings in Matthäus 19 gestolpert: Jesus sagt, dass es unwahrscheinlich ist, dass Reiche in den Himmel kommen.

Halt. Ich bin reich. Oder nicht? Oder wen meint Jesus? Ich lebe in der Schweiz, eines der reichsten Länder der Welt. Ich habe einen gut bezahlten Job. Daher muss Jesus damit mich meinen.

Was mich beunruhigt hat an der Stelle in Matthäus 19: Jesus sagt, dass jeder der reich ist, es schwer hat. Nicht nur ein paar Ausnahmen. Reichtum ist der Ballast, der mich zum Kamel macht, das nicht durchs Nadelöhr kann.

Das ist krass. Die Sprengkraft dieser Stelle allein ist enorm! (und davon gibt es in den Evangelien viele). Wieso ist das bei uns nur kaum ein Thema? Und: ah, darum sind in der Schweiz nur Wenige bereit, das Evangelium anzunehmen. Warum? Weil Jesus vom Reichen verlangt, dass er alles verkauft. Und wieso ist er nicht bereit dazu? Weil sein Besitz von ihm selbst Besitz ergriffen hat.

Hier ein kleiner Einschub: wer hier einwirft, Jesus meint, dass jeden etwas von Jesus trennt, und dies beim reichen Jüngling einfach das Geld war, aber dass nicht alle sich dieselbe Frage stellen sollen, der übersieht den Kern: «ein Reicher (=jeder Reiche!) hat es schwer, in den Himmel zu kommen», darum waren die Jünger danach entsetzt und fragten: «Wer kann dann überhaupt gerettet werden?». Und ein paar Verse weiter fügt Jesus hinzu: «jeder, der Häuser… oder Äcker verlassen hat um meines Namens willen, der wird … das ewige Leben erben.». Es sind alle Reiche gemeint!

Die Stelle lässt sich daher nicht weg-argumentieren: Mein Reichtum scheint ein Problem zu sein. Es war ja schon mal sehr unwahrscheinlich, dass ich überhaupt Christ geworden bin, aber auch jetzt als Christ scheint es, dass der Reichtum mich hindert, in der Nachfolge Jesu zu sein und von seinen viel grösseren Reichtum zu geniessen.

Was mache ich damit? Verkaufe ich alles und gebe das Geld den Armen? Mit meinem Lohn wird sich mein Besitz bald wieder angehäuft haben. Soll ich nach Afrika gehen? Es muss einen Weg geben, hier in Europa als Christ zu leben!

Dieses Ringen war vor ein paar Jahren, und wir sind als Familie Schritte gegangen, von denen ich in weiteren Beiträgen erzählen werde.

Mein Sohn (13) bekam dieses Jahr sein erstes Handy. Mir war klar, dass damit grosse Herausforderungen auf uns zukommen würden. Der Umgang mit elektronischen Medien empfinde ich als eines der schwierigsten Aspekte der Erziehung.

Ich bin noch am Ringen nach dem richtigen Umgang damit. Hier ein paar unserer Erfahrungen und Gedanken.

die Abmachung

Unser Sohn sehnte sich nach seinem ersten Handy. Vor der Anschaffung wollte ich von ihm wissen, was er sich vom Handy erhoffte: welche Apps er darauf installieren wolle und welche nicht, mit wem er kommunizieren wolle, …. Er hat dies auf einem Blatt Papier festgehalten. Auf einem anderen Blatt Papier habe ich als Vater festgehalten was mir wichtig ist. Dabei war mir wichtig, nicht bloss die Gefahren, sondern auch die Chancen des Handys festzuhalten. Nachdem wir festgestellt haben, dass unsere Vorstellungen miteinander kompatibel sind, haben wir das Handy zusammen bestellt.

Fazit: es war wertvoll, diese Abmachungen vor dem Kauf, mit einem “kühlen Kopf” zu besprechen

tägliche Rückschau

Meinem Sohn wie mir war klar, dass ein Handy ein potentieller Zeitfresser ist. Er sah an meinem Beispiel, dass ich Mühe damit habe, und verstand, dass auch sein Umgang damit nicht ohne Probleme sein wird.

Auf seinem Handy haben wir Family Link installiert. Unter anderem sammelt die App Statistiken: wieviel Zeit verbringe er pro Tag total und wieviel pro App? Jeden Abend nahmen wir uns 2-3 Minuten Zeit und mein Sohn kommentierte die Zahlen, sagte wo er sich verbessern will und wo er zufrieden war. Seine tägliche Nutzdauer war bei weniger als einer Stunde.

Fazit: die tägliche Rückschau war gut, denn sie erlaubte meinem Sohn, seinen eigenen Umgang zu reflektieren und half mir, Vertrauen zu ihm aufzubauen.

Limiten

Dann wurde es stressig zu Hause. Wir kamen nicht mehr zur täglichen Rückschau, die Nutzungszeiten meines Sohnes überbordeten. Wir haben ihm daher eine tägliche Zeit-Limite eingestellt. Es war eine Entscheidung aus der Not heraus, weil wir uns einfach nicht täglich darum kümmern konnten, und es für unseren Sohn zu schwer war, selber damit klar zu kommen.

Family Link funktioniert gut beim Setzen von Limiten. Es gibt keine Wege, die Limiten auszuhebeln. Deshalb gingen wir davon aus, dass das Problem damit behoben ist.

War es aber nicht. Denn nach Ablauf der Limite kam unser Sohn und sagte, dass er nochmals Zeit brauche, und konnte einen guten Grund dafür nennen. Er begann, die Limiten gut auszunutzen, etwa nach Verschicken des WhatsApp den Bildschirm abzuschalten, damit die Zeit nicht weiter zählt.

Es begann ein stetiges Zerren: er wollte mehr Zeit am Handy, ich wollte, dass er weniger Zeit am Handy hat, es bildete sich eine Front. Nachdem wir uns am Anfang über den Handy-Umgang einig waren, schien es, dass wir es nun nicht mehr waren.

Fazit: Handy-Limiten helfen zwar kurzfristig, langfristig bilden sich Fronten. Sie sind nicht optimal, scheinen aber pragmatisch. Wir haben sie noch nicht verworfen, suchen aber nach einer besseren Lösung.

Konzentrations-Zeit

Hausaufgaben. Dieses Thema löst bei uns in der Familie viel Gefühle aus und wäre ein Beitrag eine ganze Beitrags-Reihe wert.

Trotzdem müssen sie gemacht werden. Und auf Prüfungen muss man sich vorbereiten. Und es hilft nicht, wenn das Handy nebenan liegt und bei jeder Nachricht vibriert.

Spreche ich ihn darauf an, dann bestätigt er, dass er ohne Handy besser lernen kann, und gibt freiwillig das Handy ab, damit ich es in ein anderes Zimmer legen kann.

Fazit: Handy in ein anderes Zimmer legen hilft der Konzentration, ohne dass sich dabei Fronten zwischen meinem Sohn und mir einstellen.

Zwischen-Fazit

Limiten sind kurzfristiges Pflaster, die Charakter und Gewohnheiten nicht formen. Mit 13 ist mein Sohn noch zu jung, dies selbständig zu tun. Wir versuchen unseren weiteren Weg mehr über Dialog zu führen als über Limiten.

Handy-Garage des Vaters in der Youtube-Sendung

Auf Youtube haben wir die Sendung Endlich Offline gefunden. Es geht um Menschen, welche zu viel Zeit am Handy verbringen. Ein Coach besucht eine Familie und schlägt ihnen einige Techniken vor, um die Zeit am Handy zu reduzieren, eine davon ist die “Handy-Garage”:

Alle Smartphones des Hauses werden an diesem Ort “geparkt”. Im Film hat der Vater eine Kiste mit Deckel gebastelt, in welcher die Handys am Strom angeschlossen sind.

Von der Sendung motiviert, haben wir das sofort ausprobiert. So funktioniert die Garage bei uns:

  • das Handy bleibt in der Garage, ausser ich brauche es gerade. Das heisst, ich trage es nicht mit mir rum und wenn ich aus dem Haus gehe kommt es “by default” nicht mit, ausser ich brauche es, dann muss ich es aktiv aus der Garage holen.
  • in der Nacht bleibt es in der Garage (darum heisst es auch “Garage” weil Autos die Nacht über ebenfalls in der Garage bleiben). Zum Wecken haben wir uns einen Wecker angeschafft. Damit bin ich nicht gleich am Handy, wenn ich morgens aufstehe und starte “by default” den Tag handyfrei.
  • Notifications sind auf Stumm geschaltet (weder Ton noch Vibration), das Blinken/Licht ist deaktiviert. Das heisst das Handy spricht nicht mit mir, sondern ich muss aktiv hingehen um zu schauen, ob ich was neues gekriegt habe. Leute, die mir schreiben, müssen länger mit einer Antwort warten, sie werden es überleben :)
  • einzig wenn jemand anruft, klingelt das Handy, damit bin ich für Notfälle erreichbar

Fazit nach ca. 3 Wochen: ich trage das Handy wesentlich weniger auf mir, für wichtige Aufgaben (Adresse nachschauen, auf Sonos Musik einstellen) gehe ich zur Garage. Da das Handy dort eingesteckt ist, und ich es ausstecken müsste um es mitzunehmen, lasse ich es meistens dort.

Ein paar Dinge sind aber auch etwas komplizierter: für “2 Factor Authentication” (Ebanking und im Geschäft) muss ich aufstehen, um das Login am Handy zu bestätigen. Aber der Zeitverlust, der dadurch entsteht, ist um ein vielfaches kleiner als wenn ich das Handy die ganze Zeit auf mir trage.

Also: absolut empfehlenswert!

Ich will - knapp 2 Jahre nach meinem letzten Beitrag, ui! - damit weiterfahren, was mir denn konkret half, um weniger Zeit am Smartphone zu verbringen.

An einem Samstag Morgen sassen meine Frau, meine zwei Kinder und ich am Frühstückstisch. Ich eröffnete feierlich, dass ich dieses Wochenende ohne Handy und - was für mich noch um einiges schwieriger ist - ohne Computer verbringen werde. Computer und Handy sperrte ich danach in unseren Kleiderschrank und übergab den Schlüssel meiner Frau.

Weil es schlechtes Wetter war, blieben wir Samstag und Sonntag zu Hause, räumten auf und minimierten Gegenstände (mehr dazu in einem anderen Beitrag). Es war schwierig, bei Langeweile nicht einfach an ein Gerät zu gehen, schmerzlich musste ich erfahren, wie schnell ich bei Schwierigkeiten oder bei kurzer “toter Zeit” zu einem Gerät griff.

Es stellte sich Langeweile ein. Momente, als ich einfach dasass und wartete.

Dafür konnte ich mich viel besser fokussieren, war gedanklich weniger abgelenkt, konnte besser auf meine Kinder eingehen. Ich hatte Zeit, wenn jemand mich um einen Gefallen bat, hatte ich weniger Mühe, Ja zu sagen.

Als ich am Montag an der Arbeit davon erzählte, wurde ich mit fragenden Augen angeschaut, insbesondere als ich erzählte, dass ich ebenfalls auf Musik und Filme verzichtete.

Fazit: Ein gerätefreies Wochenende ist zwar schmerzhaft, aber empfehlenswert. Es durchbricht Gewohnheiten (bei Langeweile zu Medien greifen, bei Müdigkeit mich berieseln lassen). Nach dem Wochenende konnte ich mich bewusst entscheiden, welche Gewohnheiten ich wieder aufnehmen will oder nicht. Da sich bald schlechte Gewohnheiten nach und nach wieder einschleichen, lohnt es sich, ein solches Wochenende ab und an zu wiederholen.

Es gibt kein Buch über Smartphones.

Ja, doch. Natürlich gibt es Bücher über Smartphones, aber ich suchte eines, das die zugrundeliegende Psychologie dahinter erklärt, wie auch wie die Smartphone-Industrie funktioniert, oder was es mit der Gesellschaft macht. Und das fand ich nicht.

Irgendwie komisch, denn es gibt Bücher über die dümmsten Themen. Darm mit Charme zum Beispiel. Nicht, dass jetzt alle meine Freunde über Darm-Probleme reden würden. Aber trotzdem kommt das auf die Bestenliste.

Addiction by Design

Bei meiner Internet-Recherche stiess ich durch einen Smartphone-Artikel auf das Buch “Addiction by Design”. Das Buch behandelt die Glücksspielautomaten, die zugehörige Industrie und vor allem: wieso sie süchtig machen.

Auf den ersten Blick scheint der Vergleich Glücksspielautomaten - Smartphones etwas weit hergeholt: Die Automaten sind Gaming, die Smartphones bieten viel mehr als nur Gaming. Automaten trägt man nicht rum, Smartphones schon. Automaten versprechen Geld, Smartphones nicht.

Doch beim Lesen des Buchs fällt immer wieder die schiere Ähnlichkeit mit der Smartphone-Welt auf. Eine Ähnlichkeit vorneweg: beim Design von Automaten wird, wie auch bei Smartphone-Apps auf “time spent” optimiert: Seitdem die Automaten-Hersteller entdeckten, dass sie mehr Profit machen können, je länger ein Spieler am Automat hängen bleibt, optimieren sie hauptsächlich darauf, eine Session möglichst lange hinzuziehen. Genauso bei Apps: ist eine App werbefinanziert (wie Youtube, Facebook, Twitter, Instagram) so heisst es: je mehr Werbe-Einblendungen, desto mehr Profit. Und je länger die “time spent” eines Users, desto mehr Werbe-Einblendungen, desto mehr Profit.

Dieses Ziel macht alles aus. Ob die Hersteller nun absichtlich oder unabsichtlich Features bauen, welche die “time spent” erhöhen, ist egal. Schlussendlich wollen die Firmen Profit und werden immer die Features bevorzugen, welche ihrem Ziel zuträglich sind.

Doch zuerst zum Buch: Die Autorin, Natasha Dow Schüll, ist Anthropologin und hat während fünfzehn Jahren Feldstudie betrieben - vor allem in Las Vegas. Herausgekommen ist ein gut 400 seitiges Werk, das auch für den Laien gut zugänglich ist. Das Buch ist eine Mischung aus Einzelschicksalen, Interviews mit Casino-Betreibern/Glücksspielautomaten-Herstellern und psychologischen Hintergrundinformationen.

In diesem Post habe ich versucht, die wichtigsten Parallelen zur Smartphone-Problematik herauszuschälen. Doch eine kleine “word of warning” vorneweg: Das Thema ist düster. Das schwingt im ganzen Buch mit. Der Grund ist, dass es Ungerechtigkeit aufdeckt, ohne dafür Lösungen aufzuzeigen. Und dies ist eine treffende Beschreibung der Smartphone-Welt: es ist nicht recht, dass mehr und mehr Zeit in das Starren eines Bildschirms verschwendet wird, zum Profit von ein paar Wenigen.

Geschichte der “Slot Machines”

Glücksspielautomaten (Englisch: “slot machines”) sind rund ein Jahrhundert länger auf dem Markt als Smartphones. Daher sind die psychologischen Effekte, Suchtsymptome und Therapiemöglichkeiten viel ausgereifter als die von Smartphones.

Anfangs waren die slot machines ausschliesslich mechanisch und ziemlich primitiv. Doch über die Jahre optimierten die Hersteller die Geräte sukzessive nach Gewinn. Parallel bemerkten Casinos, dass die Umgebung um die Slot Machines den Umsatz stark beeinflusst. Es gibt “Innenarchitekten”, welche sowohl die Anordnung der Glücksspielautomaten, den Teppich, die Belüftung wie auch die Musik und das Licht optimieren. Es wurden Geld-Automaten in die Nähe gestellt, so dass, wenn einem Spieler das Geld ausgeht, er schnell neues besorgen kann. Idealerweise werden keine Getränke serviert, damit Toiletten-Besuche die Sessions nicht unterbrechen.

Die Maschinen waren anfangs auf grosse Gewinne konzipiert, bis die Hersteller herausfanden, dass den Spielern die lange Spieldauer wichtiger war als grosse Gewinne. Sie änderten die Slot Machines so, dass mit demselben Einsatz länger gespielt werden kann. Dies verhinderte, dass neue Spieler durch grosse Verluste frustriert wurden, band die Spieler länger an die Geräte und unter dem Strich sprangen grössere Gewinne heraus.

“Addiction by Design” beschreibt die wahre Geschichte von Darlene, welche süchtig wird und auf einem Forum fragt, was der Sucht-Faktor der Glücksspiele ausmacht. “Ja, machen sie halt”, waren im Grunde die ersten Antworten auf ihre Frage. Bis später jemand erklärt: der psychologische Effekt basiert auf einem Experiment, der “Skinner Box”:

Die Skinner Box

Skinner Box

Im Skinner-Box-Experiment wird eine Taube in eine Box gesteckt. An der Wand der Box befindet sich eine Taste. Pickt die Taube auf die Taste, so werden in die Box Körner ausgeschüttet. B. F. Skinner hat analysiert, wie lange die Taube am Spiel teilnimmt, je nach dem wie oft die Körner ausgeschüttet werden. Das überraschende: die Taube liess sich länger auf dieses Spiel ein, wenn nicht jedes Mal Gewinn ausgeschüttet wurde. Der Zufall machte das Spiel spannender, da der Ausgang nicht zum Vornherein klar war.

Diese Logik nannte Skinner “the schedule of reinforcement” (“Zeitplan der Verstärkung”). In einem Interview erklärt Skinner, wie sich die Gambling-Sucht durch sein Experiment erklären lässt:

The human subject […] doesn’t gamble because it feels exciting when it does so, […] but people gamble because of the schedule of the reinforcement that follows. And this is true of all gambling machines because they all have winning ratios built into them.

Vergleich zum Smartphone: Bei vielen Apps gibt es denselben Effekt: Um bei Twitter auf neue Beiträge zu checken, nutzt man das “Swipe-Down”, das Wischen nach unten. Das erinnert überraschend an die Urform der Slot Machines, den einarmigen Banditen. Und wie bei der Slot Machine kommt bei Twitter manchmal ein Gewinn (ein Like, ein Retweet), manchmal nicht. Bei der Mail-App ist es dasselbe, bei Facebook auch, bei den News ebenfalls.

Sind sich die Entwickler dabei eigentlich bewusst, was sie da machen? In “Addicted by Design” scheint die Antwort: Nein. Ein Zitat aus dem Buch:

“Our game designers don’t even think about addiction,” IGT’s Connie Jones told us in the introduction, “they think about beating Bally and other competitors. They’re creative folks who want machines to create the most revenue”

Ja, und das Management? Das scheint sich ganz auf auf die Friedman Doktrin zu berufen, welche besagt, dass eine Firma allein seinen Shareholdern verpflichtet ist. Ausserdem appellieren sie an die Verantwortung der Spieler:

Unsurprisingly, the gambling industry aggressively dismisses the possibility that technology is part of the problem, or that adjusting its design might be part of the solution. “The problem is not in the products they abuse, but within the individuals,”

Dieselben Mechanismen spielen auch bei der Internet-Industrie: Tristan Harris, der heute bezeichnet wird als “the closest thing Silicon Valley has to a conscience”, hatte als Google-Mitarbeiter bei Google die Skinner-Box-Effekte angeprangert mit dem Appell an Google, etwas zu ändern. Prompt erhielt er innerhalb Google eine neue Funktion, die es ihm erlaubte, sich Vollzeit für sein Anliegen einzusetzen. Leider hatte er in dieser Funktion keine Befehlsgewalt, und so konnte er nichts bewegen. War ja auch klar, denn auch Google ist nur seinen Shareholdern verpflichtet. Das musste Harris schmerzlich erfahren und hat darauf die Firma verlassen.

Ludocapitalism

Das “Spielgeschäft” wird im Fachjargon “Ludocapitalism” genannt. Addiction by Design formuliert dies ziemlich bissig:

Ludocapitalism: Textbook capitalist exploitation thrives in peaceful and productive coexistence with the play-drive of the exploited. […] gamblers become collaborators in the optimization of industry profits.

Während der Industrialisierung motivierte man die Massen mit Zwang (“Coercion”). Doch Zwang funktioniert nur, wenn der Mensch keine Ausweichmöglichkeiten hat. In der nachindustriellen Zeit wurde das Angebot so breit, dass es andere Motivations-Methoden brauchte. Dies wurde durch “Collusion” möglich, einem trügerisches Einverständnis zwischen Produzent und Nutzer:

Der Nutzer geht auf Etwas ein, ohne rational erklären zu können, wieso er das tut. Ist der Nutzer erst einmal aufgesprungen, versucht ihn der Produzent in einen “Flow” zu kriegen, einem Zustand in der menschlichen Psyche, der als positiv empfunden wird. Dieser Flow ist eine ganz tolle Sache, wenn man sich zum Beispiel in seinem Hobby oder Beruf “verliert”, also einen produktiven Fokus erzeugt, aus dem man nicht mehr raus will. Csikszentmihalyi beschreibt das in seinem Buch “Flow” und hat gerade in der Motivationsforschung eine kleine Revolution ausgelöst. Aber derselbe Mechanismus lässt sich natürlich auch nutzen, um Profit zu schlagen, bei den “Slot Machines” kommt das sehr deutlich zum Ausdruck: Hat ein Spieler erst einmal durch einen unterbewussten Entscheid angefangen zu spielen, lässt der Automat keine Pause mehr offen, wo der Spieler seinen unbewussten Entscheid hinterfragen könnte, und erzeugt so einen “Flow”, welcher für den Spieler als sehr positiv empfunden wird.

Aber: der Spieler verliert dabei viel Geld. Eigentlich sollte ihn das kurieren, so dass er sich auf die nächste Spiele-Session nicht mehr einlässt. Das Überraschende: Was süchtig macht ist nicht primär die Aussicht auf Gewinn, sondern vielmehr der Zustand des Flows, der alles andere in der Welt ausschliesst. Es entsteht eine Welt, welche vom Spieler kontrollierbar ist. In diese einzutreten ist einfach. Davon auszutreten praktisch unmöglich.

Die Ähnlichkeiten zum Smartphone sind zu frappierend! Viele lassen sich mit dem Smartphone wecken, und um den Wecker abzustellen sind sie schon “drin”: Noch schnell Notifications checken, Mail und Facebook. Und der ganze Tag ist irgendwie von diesem “always on” durchtränkt; denn für die Meisten - behaupte ich mal - wäre das Weglegen des Smartphones für ein paar Tage ein enormer Willensakt.

Was nun beim Smartphone auf den ersten Blick nicht klar ist: vordergründig scheint der Nutzer nichts verlieren zu können, denn de facto sind die Dienste ja gratis. Da sind die Verhältnisse etwas komplizierter als beim Glücksspiel, wo auf den ersten Blick klar ist, wie das Business-Modell aussieht. Beim Smartphone wird nun indirekt die Zeit des Nutzers ausgenutzt, damit die App die Werbezeit einem Dritten verkaufen kann. Dass diese Konstellation nicht durchsichtig ist, macht es aber nicht besser, sondern nur schlechter.

Im Endeffekt haben wir einen Apparat, wo am längerem Hebel Technologie-Giganten wie Google, Facebook und co. stecken, am kürzeren der Nutzer, welcher nicht versteht, was da gespielt wird und mehr und mehr seiner Zeit opfert, und damit ein paar wenige grosse Firmen noch reicher macht.

Regulation

Government agents smash slot machines in Chicago, 1910

Die Slot Machines kamen um ca. 1900 auf. Schon bald wurden sie attackiert (auch physisch, siehe Bild), es wurden Gesetze aufgestellt, welche aber immer wieder umgangen wurden.

Als dann nach dem 2. Weltkrieg die Slot Machines stark zunahmen, wurden sie überall verboten, ausser im Bundesstaat Nevada, wo auch Las Vegas liegt.

Nach und nach wurden die Regulationen aber wieder aufgehoben, und jetzt sind sie in den meisten Bundesstaaten erlaubt, allerdings mit Einschränkungen, wie z.B. dass in die Maschine kein Geldautomat eingebaut werden darf.

In der Schweiz sind die Casinos dazu “verpflichtet, eine Sperre an­zuordnen, wenn sie wissen oder annehmen müssen, dass ein Gast über seinen finanziellen Verhältnissen spielt”. Ebenso in Deutschland.

Bei Smartphones sind solche Regulationen noch in weiter Ferne. Nichts deutet darauf hin, den Konsumenten zu schützen, zu viel seiner Zeit in dieses Gerät zu stecken. Der Konsens: Der Konsument hat sich ja freiwillig dafür entschieden, wieso soll nun eine übergeordnete Stelle entscheiden, was davon gut sein soll und was nicht?

Klar, das sind die Mechanismen der freien Marktwirtschaft. Der Kunde konsumiert was er will. Und doch müssen auf Zigaretten-Päckchen die Folgen eines übermässigen Konsums sehr plakativ aufgezeigt werden.

Doch hier nimmt niemand Verantwortung an. Die Produzenten nicht. Der Staat nicht. Bleibt die persönliche Verantwortung, welche ich für mich und für meine Kinder treffen muss und will.

Die Smartphone-Debatte ist tot. Tot-langweilig. Sowohl in christlichen wie auch in nichtchristlichen Kreisen wird das Thema viel zu zahm behandelt.

Wo bleibt der Neil Postman der heutigen Zeit? So wie Neil Postman in den 80igern mit “Wir amüsieren uns zu Tode” vor dem Fernseher gewarnt hat, hätte ich nun erwartet, dass ein paar Mutige aufstehen und uns das Problem vor Augen malen würden.

Aber nein, alles was ich lese ist “Digital Detox”, ein bisschen Apps deinstallieren, das Handy auf lautlos stellen und vielleicht mal einen Tag weglegen. Ist es denn nicht klar, dass es so nicht getan ist?

Ist das Problem das Smartphone per se? Nein, natürlich nicht, doch es ist, was es mit uns macht, Neil Postman formuliert es in “Amusing ourselves to Death” treffend:

there is nothing wrong with entertainment. As some psychiatrist once put it, we all build castles in the air. The problems come when we try to live in them.

Auf das Smartphone übertragen: als reines Tool ist es ja total nützlich. Nur verwandelt es sich ganz schnell zur ewigen Ablenkung und zum Zeitfresser. Diese Tatsachen lassen sich nicht verweigern. Es geht nicht anders: es muss einen Weg geben, den Smartphone-Konsum einzudämmen.

Das Problem: Als Smartphone-Gegner landet man in der Ecke der Technologie-Verweigerer. “Du musst halt mit der Zeit gehen!”.

Nun, als leidenschaftlicher Programmierer habe ich dieses Argument relativ schnell entkräftet. Die meisten Dinge lassen sich auch ohne Smartphone auch vom Computer aus machen, ohne so einen permanenten Fokus-Zerstäuber in der Hosentasche zu haben.

Ich habe mein Smartphone vor ein paar Jahren aufgegeben und bin wieder bei einem alten Nokia. Natürlich kann ich nun einige Dinge nicht mehr “hier und jetzt” tun, sondern muss warten, bis ich wieder zu Hause bin.

Doch wie heisst es so schön: “Wenn dein rechtes Auge zum Abfall verführt, dann reiss’ es aus!”. Ist das so schwer? Wer merkt, dass er seine Zeit nur noch vor dem Fernseher verbringt, stellt ihn raus. Wieso passiert nicht dasselbe mit dem Smartphone?

Ja, es gibt viele Leute, die können gut einen Fernseher im Wohnzimmer stehen haben, ohne sich die ganze Zeit davon angezogen zu fühlen. So gibt es auch viele, bei welchen das Smartphone die meiste Zeit auf dem Tisch liegt.

Doch es gibt auch sehr sehr viele, die es nicht können. Gut sieht man, wenn man sich ansieht, wieviel Geld mit Smartphones und Services verdient wird. In der Liste der wertvollsten Firmen der Welt sind die ersten fünf Firmen Technologie-Konzerne. Ja. Alle fünf. Apple, Amazon, Alphabet (Google), Microsoft und Facebook.

Ich glaube die richtige Antwort muss um einiges radikaler sein, als was ich im Netz lese. Sie muss so sein, dass unsere Kinder aufhorchen.

Also: wo sind die radikalen Antworten auf die Smartphone-Krise? Wo sind die, welche weiter gehen als nur ein schlechtes Gewissen zu haben? Wo sind die, welche ihre Smartphones umtauschen zu alten Nokias?

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