Addiction by design – Was Glücksspielautomaten mit Smartphones gemeinsam haben

Es gibt kein Buch über Smartphones.

Ja, doch. Natürlich gibt es Bücher über Smartphones, aber ich suchte eines, das die zugrundeliegende Psychologie dahinter erklärt, wie auch wie die Smartphone-Industrie funktioniert, oder was es mit der Gesellschaft macht. Und das fand ich nicht.

Irgendwie komisch, denn es gibt Bücher über die dümmsten Themen. Darm mit Charme zum Beispiel. Nicht, dass jetzt alle meine Freunde über Darm-Probleme reden würden. Aber trotzdem kommt das auf die Bestenliste.

Addiction by Design

Bei meiner Internet-Recherche stiess ich durch einen Smartphone-Artikel auf das Buch “Addiction by Design”. Das Buch behandelt die Glücksspielautomaten, die zugehörige Industrie und vor allem: wieso sie süchtig machen.

Auf den ersten Blick scheint der Vergleich Glücksspielautomaten - Smartphones etwas weit hergeholt: Die Automaten sind Gaming, die Smartphones bieten viel mehr als nur Gaming. Automaten trägt man nicht rum, Smartphones schon. Automaten versprechen Geld, Smartphones nicht.

Doch beim Lesen des Buchs fällt immer wieder die schiere Ähnlichkeit mit der Smartphone-Welt auf. Eine Ähnlichkeit vorneweg: beim Design von Automaten wird, wie auch bei Smartphone-Apps auf “time spent” optimiert: Seitdem die Automaten-Hersteller entdeckten, dass sie mehr Profit machen können, je länger ein Spieler am Automat hängen bleibt, optimieren sie hauptsächlich darauf, eine Session möglichst lange hinzuziehen. Genauso bei Apps: ist eine App werbefinanziert (wie Youtube, Facebook, Twitter, Instagram) so heisst es: je mehr Werbe-Einblendungen, desto mehr Profit. Und je länger die “time spent” eines Users, desto mehr Werbe-Einblendungen, desto mehr Profit.

Dieses Ziel macht alles aus. Ob die Hersteller nun absichtlich oder unabsichtlich Features bauen, welche die “time spent” erhöhen, ist egal. Schlussendlich wollen die Firmen Profit und werden immer die Features bevorzugen, welche ihrem Ziel zuträglich sind.

Doch zuerst zum Buch: Die Autorin, Natasha Dow Schüll, ist Anthropologin und hat während fünfzehn Jahren Feldstudie betrieben - vor allem in Las Vegas. Herausgekommen ist ein gut 400 seitiges Werk, das auch für den Laien gut zugänglich ist. Das Buch ist eine Mischung aus Einzelschicksalen, Interviews mit Casino-Betreibern/Glücksspielautomaten-Herstellern und psychologischen Hintergrundinformationen.

In diesem Post habe ich versucht, die wichtigsten Parallelen zur Smartphone-Problematik herauszuschälen. Doch eine kleine “word of warning” vorneweg: Das Thema ist düster. Das schwingt im ganzen Buch mit. Der Grund ist, dass es Ungerechtigkeit aufdeckt, ohne dafür Lösungen aufzuzeigen. Und dies ist eine treffende Beschreibung der Smartphone-Welt: es ist nicht recht, dass mehr und mehr Zeit in das Starren eines Bildschirms verschwendet wird, zum Profit von ein paar Wenigen.

Geschichte der “Slot Machines”

Glücksspielautomaten (Englisch: “slot machines”) sind rund ein Jahrhundert länger auf dem Markt als Smartphones. Daher sind die psychologischen Effekte, Suchtsymptome und Therapiemöglichkeiten viel ausgereifter als die von Smartphones.

Anfangs waren die slot machines ausschliesslich mechanisch und ziemlich primitiv. Doch über die Jahre optimierten die Hersteller die Geräte sukzessive nach Gewinn. Parallel bemerkten Casinos, dass die Umgebung um die Slot Machines den Umsatz stark beeinflusst. Es gibt “Innenarchitekten”, welche sowohl die Anordnung der Glücksspielautomaten, den Teppich, die Belüftung wie auch die Musik und das Licht optimieren. Es wurden Geld-Automaten in die Nähe gestellt, so dass, wenn einem Spieler das Geld ausgeht, er schnell neues besorgen kann. Idealerweise werden keine Getränke serviert, damit Toiletten-Besuche die Sessions nicht unterbrechen.

Die Maschinen waren anfangs auf grosse Gewinne konzipiert, bis die Hersteller herausfanden, dass den Spielern die lange Spieldauer wichtiger war als grosse Gewinne. Sie änderten die Slot Machines so, dass mit demselben Einsatz länger gespielt werden kann. Dies verhinderte, dass neue Spieler durch grosse Verluste frustriert wurden, band die Spieler länger an die Geräte und unter dem Strich sprangen grössere Gewinne heraus.

“Addiction by Design” beschreibt die wahre Geschichte von Darlene, welche süchtig wird und auf einem Forum fragt, was der Sucht-Faktor der Glücksspiele ausmacht. “Ja, machen sie halt”, waren im Grunde die ersten Antworten auf ihre Frage. Bis später jemand erklärt: der psychologische Effekt basiert auf einem Experiment, der “Skinner Box”:

Die Skinner Box

Skinner Box

Im Skinner-Box-Experiment wird eine Taube in eine Box gesteckt. An der Wand der Box befindet sich eine Taste. Pickt die Taube auf die Taste, so werden in die Box Körner ausgeschüttet. B. F. Skinner hat analysiert, wie lange die Taube am Spiel teilnimmt, je nach dem wie oft die Körner ausgeschüttet werden. Das überraschende: die Taube liess sich länger auf dieses Spiel ein, wenn nicht jedes Mal Gewinn ausgeschüttet wurde. Der Zufall machte das Spiel spannender, da der Ausgang nicht zum Vornherein klar war.

Diese Logik nannte Skinner “the schedule of reinforcement” (“Zeitplan der Verstärkung”). In einem Interview erklärt Skinner, wie sich die Gambling-Sucht durch sein Experiment erklären lässt:

The human subject […] doesn’t gamble because it feels exciting when it does so, […] but people gamble because of the schedule of the reinforcement that follows. And this is true of all gambling machines because they all have winning ratios built into them.

Vergleich zum Smartphone: Bei vielen Apps gibt es denselben Effekt: Um bei Twitter auf neue Beiträge zu checken, nutzt man das “Swipe-Down”, das Wischen nach unten. Das erinnert überraschend an die Urform der Slot Machines, den einarmigen Banditen. Und wie bei der Slot Machine kommt bei Twitter manchmal ein Gewinn (ein Like, ein Retweet), manchmal nicht. Bei der Mail-App ist es dasselbe, bei Facebook auch, bei den News ebenfalls.

Sind sich die Entwickler dabei eigentlich bewusst, was sie da machen? In “Addicted by Design” scheint die Antwort: Nein. Ein Zitat aus dem Buch:

“Our game designers don’t even think about addiction,” IGT’s Connie Jones told us in the introduction, “they think about beating Bally and other competitors. They’re creative folks who want machines to create the most revenue”

Ja, und das Management? Das scheint sich ganz auf auf die Friedman Doktrin zu berufen, welche besagt, dass eine Firma allein seinen Shareholdern verpflichtet ist. Ausserdem appellieren sie an die Verantwortung der Spieler:

Unsurprisingly, the gambling industry aggressively dismisses the possibility that technology is part of the problem, or that adjusting its design might be part of the solution. “The problem is not in the products they abuse, but within the individuals,”

Dieselben Mechanismen spielen auch bei der Internet-Industrie: Tristan Harris, der heute bezeichnet wird als “the closest thing Silicon Valley has to a conscience”, hatte als Google-Mitarbeiter bei Google die Skinner-Box-Effekte angeprangert mit dem Appell an Google, etwas zu ändern. Prompt erhielt er innerhalb Google eine neue Funktion, die es ihm erlaubte, sich Vollzeit für sein Anliegen einzusetzen. Leider hatte er in dieser Funktion keine Befehlsgewalt, und so konnte er nichts bewegen. War ja auch klar, denn auch Google ist nur seinen Shareholdern verpflichtet. Das musste Harris schmerzlich erfahren und hat darauf die Firma verlassen.

Ludocapitalism

Das “Spielgeschäft” wird im Fachjargon “Ludocapitalism” genannt. Addiction by Design formuliert dies ziemlich bissig:

Ludocapitalism: Textbook capitalist exploitation thrives in peaceful and productive coexistence with the play-drive of the exploited. […] gamblers become collaborators in the optimization of industry profits.

Während der Industrialisierung motivierte man die Massen mit Zwang (“Coercion”). Doch Zwang funktioniert nur, wenn der Mensch keine Ausweichmöglichkeiten hat. In der nachindustriellen Zeit wurde das Angebot so breit, dass es andere Motivations-Methoden brauchte. Dies wurde durch “Collusion” möglich, einem trügerisches Einverständnis zwischen Produzent und Nutzer:

Der Nutzer geht auf Etwas ein, ohne rational erklären zu können, wieso er das tut. Ist der Nutzer erst einmal aufgesprungen, versucht ihn der Produzent in einen “Flow” zu kriegen, einem Zustand in der menschlichen Psyche, der als positiv empfunden wird. Dieser Flow ist eine ganz tolle Sache, wenn man sich zum Beispiel in seinem Hobby oder Beruf “verliert”, also einen produktiven Fokus erzeugt, aus dem man nicht mehr raus will. Csikszentmihalyi beschreibt das in seinem Buch “Flow” und hat gerade in der Motivationsforschung eine kleine Revolution ausgelöst. Aber derselbe Mechanismus lässt sich natürlich auch nutzen, um Profit zu schlagen, bei den “Slot Machines” kommt das sehr deutlich zum Ausdruck: Hat ein Spieler erst einmal durch einen unterbewussten Entscheid angefangen zu spielen, lässt der Automat keine Pause mehr offen, wo der Spieler seinen unbewussten Entscheid hinterfragen könnte, und erzeugt so einen “Flow”, welcher für den Spieler als sehr positiv empfunden wird.

Aber: der Spieler verliert dabei viel Geld. Eigentlich sollte ihn das kurieren, so dass er sich auf die nächste Spiele-Session nicht mehr einlässt. Das Überraschende: Was süchtig macht ist nicht primär die Aussicht auf Gewinn, sondern vielmehr der Zustand des Flows, der alles andere in der Welt ausschliesst. Es entsteht eine Welt, welche vom Spieler kontrollierbar ist. In diese einzutreten ist einfach. Davon auszutreten praktisch unmöglich.

Die Ähnlichkeiten zum Smartphone sind zu frappierend! Viele lassen sich mit dem Smartphone wecken, und um den Wecker abzustellen sind sie schon “drin”: Noch schnell Notifications checken, Mail und Facebook. Und der ganze Tag ist irgendwie von diesem “always on” durchtränkt; denn für die Meisten - behaupte ich mal - wäre das Weglegen des Smartphones für ein paar Tage ein enormer Willensakt.

Was nun beim Smartphone auf den ersten Blick nicht klar ist: vordergründig scheint der Nutzer nichts verlieren zu können, denn de facto sind die Dienste ja gratis. Da sind die Verhältnisse etwas komplizierter als beim Glücksspiel, wo auf den ersten Blick klar ist, wie das Business-Modell aussieht. Beim Smartphone wird nun indirekt die Zeit des Nutzers ausgenutzt, damit die App die Werbezeit einem Dritten verkaufen kann. Dass diese Konstellation nicht durchsichtig ist, macht es aber nicht besser, sondern nur schlechter.

Im Endeffekt haben wir einen Apparat, wo am längerem Hebel Technologie-Giganten wie Google, Facebook und co. stecken, am kürzeren der Nutzer, welcher nicht versteht, was da gespielt wird und mehr und mehr seiner Zeit opfert, und damit ein paar wenige grosse Firmen noch reicher macht.

Regulation

Government agents smash slot machines in Chicago, 1910

Die Slot Machines kamen um ca. 1900 auf. Schon bald wurden sie attackiert (auch physisch, siehe Bild), es wurden Gesetze aufgestellt, welche aber immer wieder umgangen wurden.

Als dann nach dem 2. Weltkrieg die Slot Machines stark zunahmen, wurden sie überall verboten, ausser im Bundesstaat Nevada, wo auch Las Vegas liegt.

Nach und nach wurden die Regulationen aber wieder aufgehoben, und jetzt sind sie in den meisten Bundesstaaten erlaubt, allerdings mit Einschränkungen, wie z.B. dass in die Maschine kein Geldautomat eingebaut werden darf.

In der Schweiz sind die Casinos dazu “verpflichtet, eine Sperre an­zuordnen, wenn sie wissen oder annehmen müssen, dass ein Gast über seinen finanziellen Verhältnissen spielt”. Ebenso in Deutschland.

Bei Smartphones sind solche Regulationen noch in weiter Ferne. Nichts deutet darauf hin, den Konsumenten zu schützen, zu viel seiner Zeit in dieses Gerät zu stecken. Der Konsens: Der Konsument hat sich ja freiwillig dafür entschieden, wieso soll nun eine übergeordnete Stelle entscheiden, was davon gut sein soll und was nicht?

Klar, das sind die Mechanismen der freien Marktwirtschaft. Der Kunde konsumiert was er will. Und doch müssen auf Zigaretten-Päckchen die Folgen eines übermässigen Konsums sehr plakativ aufgezeigt werden.

Doch hier nimmt niemand Verantwortung an. Die Produzenten nicht. Der Staat nicht. Bleibt die persönliche Verantwortung, welche ich für mich und für meine Kinder treffen muss und will.

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