Beitrag von meiner Frau:

Vor eineinhalb Jahren habe ich damit angefangen, kurze Briefe des Neuen Testaments auswendig zu lernen. Die Idee dazu bekam ich aus Büchern über Christen, die wegen ihres Glaubens ins Gefängnis kamen und keine Bibel mitnehmen konnten. Das war z.B. in kommunistischen Staaten nach dem 2. Weltkrieg der Fall. Alles, was ihnen blieb, war das Gebet, christliche Lieder, an die sie sich erinnern konnten (und die sie z.T. laut sangen, was ihnen Strafen einbrachte) und auswendig gelernte Teile der Bibel. Damit konnten sie geistlich überleben. Eigentlich sind diese drei Komponenten - Gebet, Anbetung und das Wort Gottes - die Grundsteine eines Gottesdienstes. Auch in Ländern mit Verfolgung, wo Christen sich heimlich in kleinen Gruppen treffen müssen, findet man diese drei Elemente (wobei es an gewissen Orten nötig ist, den Gesang flüsternd abzuhalten).

Heute scheint es nicht nötig zu sein, grössere Passagen aus der Bibel auswendig zu lernen. Schliesslich haben wir ja alle eine Bibel zu Hause, vielleicht sogar mehrere. Und es sieht auch nicht so aus, als ob in der nächsten Zeit Bibeln bei uns verboten würden. Ganz anders war es z.B. nach dem 2. Weltkrieg in den kommunistischen Staaten. Da war es verboten, eine Bibel zu besitzen. Wer noch eine hatte, musste sie verstecken. Und eine neue kaufen konnte man nirgends. Deshalb nahmen es Leute wie Brother Andrew auf sich, Bibeln unter grossen Gefahren in diese Länder zu schmuggeln.

Ich las in einem Buch, dass eine Bibel, die eine Gemeinde bekommen hatte, zerrissen und in einzelne Bücher aufgeteilt wurde. Die Bücher wurden verteilt mit der Anweisung, sie auswendig zu lernen und dann weiterzugeben. Das tönt ziemlich mühsam. Aber etwas Gutes hat es doch: der Wert des Wortes Gottes wurde dadurch viel klarer erfasst als bei uns.

Im Buch “The Heavenly Man“, einem Bericht über Christen in China unter der kommunistischen Regierung, betete Yun, ein junger Mann, mehrere Monate um eine Bibel, nachdem ihm seine Mutter das wenige, was sie vom Glauben noch wusste, erzählt hatte (alle Missionare hatten das Land verlassen müssen und eine Bibel zu besitzen war unter harter Strafe verboten). Als er schliesslich eine bekam, lernte er so viel wie möglich davon auswendig. Später ging er in ein anderes Dorf, um den Menschen dort von Gott zu erzählen. Seine “Predigt” bestand darin, das Matthäus-Evangelium auswendig aufzusagen. Und obwohl er es ganz schnell herunterratterte, aus Angst, plötzlich nicht mehr weiter zu kommen, waren die Menschen von Gott erfasst und wurden Christen.

Als ich all das las, zog es mich irgendwie, auch einige Bücher, zumindest des Neuen Testaments, auswendig zu lernen. Ich rechne zwar nicht damit, in nächster Zeit nicht mehr an eine Bibel heranzukommen oder ins Gefängnis zu müssen, aber wer weiss, ob bis zu meinem Lebensende alles so einfach bleiben wird? Ausserdem: auch wenn ich immer eine Bibel besitzen werde und frei darin lesen kann, ist es etwas anderes, ob ich etwas nur lese oder es auch auswendig kann. Mir geht es häufig so, dass ich etwas in der Bibel lese, weglaufe, und es sofort wieder vergesse. Ausserdem finde ich es schwierig, mich zu erinnern, wo etwas in der Bibel steht. Wenn ich eine Stelle suche, muss ich ständig in der Konkordanz nachschlagen.

Ja, ich wusste schon einige Bibelstellen auswendig, wie:

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.

Oder

Siehe, ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.

Und ja, es gab schon eine andere Zeit, wo ich einige Stellen des Neuen Testaments auswendig lernte: Mein Mann und ich stiessen vor etwa zehn Jahren auf eine englische CD, wo Verse aus dem Galater- und Philipperbrief vertont waren. Die hörten wir uns stundenlang an (v.a. weil sie für uns damals sehr wichtige neue Erkenntnisse enthielten: Wir sind nicht gerecht wegen unseren Werken, sondern aus Glauben und: Jesus ist unsere Freude, im Vergleich zu ihm ist alles andere Müll). Und selbst heute, zehn Jahre später, kann ich die meisten Lieder (und damit Bibelverse) immer noch auswendig und sie kommen mir in den Sinn, wenn ich sie brauche. Sie sind ein Schatz, den mir niemand wegnehmen kann.

Im Sommer 2019 wagte ich mich schliesslich, angespornt durch die erwähnten Bücher, daran, einen ganzen Brief des Neuen Testaments auswendig zu lernen. Ich hatte zwar einigen Respekt davor, redete mir aber Mut zu, indem ich mir sagte, wenn dieser Yun aus dem Buch das ganze Matthäus-Evangelium auswendig lernen konnte, muss es doch möglich sein, einen kurzen Brief zu schaffen.

Ich entschied mich für den 1. Petrus-Brief, da in unserer Gemeinde gerade eine Predigt-Reihe darüber geplant war. Ich las den Brief einmal durch, um zu schauen, ob er mir etwas sagte. Schon beim Lesen wollte ich am liebsten alles auswendig können, so herrliche Dinge standen dort!

Ich ging folgendermassen vor:

Ich las den ersten Abschnitt, wiederholte ihn und versuchte ihn auswendig aufzusagen. Am nächsten Tag repetierte ich diesen Abschnitt und ging einige Verse weiter. Am übernächsten Tag wiederholte ich alles von Anfang an und ging wiederum ein bisschen weiter. Schliesslich war ich so weit gekommen, dass es zu lange dauerte, jeden Tag alles zu repetieren. Also wiederholte ich nur den letzten Teil und versuchte alle paar Tage, den ganzen Text aufzusagen. Das klappte erstaunlich gut. Allerdings dauerte es eine ganze Weile, bis ich mit dem Brief, der nur fünf Kapitel hat, fertig war. Wenn ich mich recht erinnere, waren es drei bis vier Monate.

Aber es hat sich gelohnt! Eine ganze Reihe von “Gewinnen” hat sich daraus ergeben, sodass auch jetzt, eineinhalb Jahre später, noch kein Ende in Sicht ist. Wenn ich gegen den Schluss eines Briefes komme, weiss ich schon zwei weitere, die ich unbedingt auswendig lernen will!

Welche positiven Auswirkungen hat also das Auswendiglernen?

  1. Ich bin gezwungen, jedes einzelne Wort wichtig zu nehmen. Es ist unmöglich, etwas zu überlesen. Das und das endlose Repetieren der gleichen Sätze bewirken, dass es sich - wie mein Mann in seinem Beitrag übers Bibelstellen auswendig lernen sagt - anfühlt, als ob man die Worte gegessen hat. Es ist wirklich so! Man hat sie gekaut und hinuntergeschluckt. Nicht nur daran geschnuppert. Oder, anders gesagt: Man hat sie kennengelernt. Nicht nur schnell angeschaut, wie man einen Passanten kurz mustert, sondern kennengelernt wie eine Person, die ein Freund wird.
  2. Nachdem ich vier Briefe auswendig gelernt habe (1. Petrus, Kolosser, 2. Timotheus, Philipper), ist für mich plötzlich viel klarer, welche Themen (zumindest in den Briefen) zentral sind. Das sind die, denen in jedem Brief ein Abschnitt gewidmet ist. Einige werden sogar drei mal im gleichen Brief erwähnt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier einige Beispiele:
    • Im 2. Timotheus fordert Paulus Timotheus drei mal auf, zum Leiden bereit zu sein. Ausserdem erwähnt er vier mal, dass er wegen des Evangeliums im Gefängnis ist und sagt darüber hinaus, dass jeder, der zu Christus gehört und entschlossen ist, so zu leben, dass Gott geehrt wird, mit Verfolgung rechnen muss. Auch in den anderen Briefen ist Leiden ein Thema, das immer wiederkehrt.
    • In allen vier Briefen ist über längere Abschnitte hinweg die Rede von Menschen, die das Evangelium verfälschen. Vor ihnen wird immer wieder gewarnt. Man erkennt sie daran, dass sie nur irdische Interessen haben, dass sie geldgierig sind und Ansehen wollen, dass sie aber gleichzeitig einen frommen Anschein machen und den Menschen Lasten auflegen, die nicht nötig sind und an die sie sich selber nicht halten.
    • Ebenfalls findet man fast in jedem Brief längere Abschnitte über Jesus und sein Erlösungswerk, die wie Gedichte daherkommen. Das sind immer herrliche Stellen, Loblieder auf Jesus, unseren Erlöser, der uns durch Seinen Tod gerechtfertigt hat.
    • Weiter gibt es immer Abschnitte über das Verhalten als Christ. Dass man die alte Natur mit ihren sündigen Begierden ablegen soll und wie man als Christ das Gute tun kann. Oft werden auch konkrete Beispiele aufgezeigt (wie im 1. Petrus und Kolosser), etwa wie sich Sklaven, Herren, Männer, Frauen und Kinder einander gegenüber verhalten sollen. Listen mit Sünden oder guten Eigenschaften finden sich auch immer wieder.
  3. Scheinbar unwichtige Teile der Briefe wie Begrüssungen, Mitteilungen, verschiedene persönliche Anweisungen und abschliessende Grüsse enthielten unerwarteterweise interessante Informationen. So entdeckte ich z.B. im Philipper 4 einen langen Abschnitt übers Geben, der mich sehr ermutigte und den ich bisher immer überlesen hatte. Auch die ersten Sätze eines Briefes, wo sich der Schreiber vorstellt und eine Kurzzusammenfassung des Evangeliums macht, zeigen, worauf das Gewicht gelegt wird.
    Ausserdem musste ich lachen, als ich nach wochenlangem Auswendiglernen zu der Stelle kam, wo es heisst: “Mit der Hilfe von Silvanus (…) habe ich euch diesen kurzen Brief geschrieben.” (1. Petrus 5,12)
  4. Ich habe in jedem Brief kostbare Schätze entdeckt, die jetzt in meinem Herz sind und die ich immer wieder hervorholen kann.
  5. Es passiert jetzt häufig, dass mir zu einem Thema oder einer Frage eine Bibelstelle in den Sinn kommt. Und das ist dann nicht nur ein Satz, sondern gleich einen ganzen Abschnitt zu diesem Thema. So bin ich um einiges mehr vorbereitet, mit Menschen über den Glauben zu sprechen. Ich fühle mich nicht mehr so im “leeren Raum” wie vorher, denn ich habe handfeste Aussagen bereit, die einfach da sind, ohne dass ich sie nachschlagen muss.
  6. Ich weiss, wo die Bibelstellen stehen. Zwar nicht auf den Vers genau, aber in welchem Brief und in welchem Kapitel. So finde ich sie auch viel schneller, wenn ich sie jemandem zeigen will.

Zum Schluss: ich möchte diese Briefe natürlich auf keinen Fall wieder verlernen! Deshalb repetiere ich sie meistens ein Mal pro Woche. Da ich jeden Mittwoch mit dem Velo einkaufen fahre, was eine Stunde hin und eine Stunde zurück dauert, sage ich einen Teil davon auf dem Weg auf. Wenn mich also mal jemand laut vor mich hinredend auf dem Velo antrifft, bin ich vielleicht gerade den Kolosserbrief am rezitieren…

Vor einem Monat trieben mich zwei Gedanken um:

  1. Ich hatte Etwas zu sagen. Etwas, von dem ich wollte, dass meine Mitmenschen es hören würden. Doch es boten sich nicht genügend Gelegenheiten, das Gelernte weiterzugeben.
  2. Von verschiedenen Bloggern habe ich gehört, wie wertvoll für sie tägliches Bloggen geworden ist. Dies konnte ich nicht nachvollziehen, ich wollte wissen: was passiert, wenn ich dreissig Tage lang jeden Tag einen Blog-Beitrag schreiben würde?

Die Idee schien verrückt: Weder wusste ich, woher ich die Zeit dazu hernehmen würde, noch, ob ich genügend Gedanken hatte, um dreissig Tage am Stück Beiträge zu verfassen.

Auf der anderen Seite hatte ich diesen Blog. Er lag zwar seit gut zwei Jahren brach, doch konnte ich ihn ohne grossen Aufwand wiederbeleben. Und dann war Weihnachtszeit, und Pandemie-Bedingt war unser festtägliches Besuchs-Volumen auf einen einzigen Besuch geschrumpft und ich hatte unverhofft sehr viel Zeit.

Ich stöberte bei ein paar jeden-Tag-Bloggern. Hanniel schreibt, warum er seit neun Jahren täglich bloggt. Oder Tim Challies schreibt, wie er seinen Blog vor sieben Jahren anfing.

Also legte ich los. Ich setzte mir zum Ziel, dreissig Tage am Stück durchzuhalten. Die Weihnachtszeit hindurch war es noch relativ einfach. Ich setzte mich jeden Morgen hin, schrieb gut eine Stunde und publizierte den Artikel. Dann, ab dem vierten Januar wurde es schwerer, da meine Arbeit wieder begann. Ich versuchte, mein tägliches Schreiben auf 30 Minuten zu reduzieren, dies schien mir das Minimum von Zeit zu sein, um auf einen anständigen Artikel zu kommen. Und siehe da, vor ein paar Tagen, am 23. Januar habe ich die dreissig-Tage-Marke geschafft.

Zu meiner Freude hat meine Frau nach ein paar Tagen auch Lust bekommen zu schreiben. “He”, sagte sie, “das sind auch meine Themen!” und verfasste während dem vergangenen Monat zehn Beiträge.

Wie lange ich noch täglich weiter blogge, weiss ich nicht. Eine halbe Stunde pro Tag ist knapp. Manche Artikel sind zäher, und nach 30 Minuten ist noch nichts publizierbares geschrieben. Auf der anderen Seite machen mir emotionale Tiefs manchmal zu schaffen. Wenn ich am Morgen aufstehe und zu nichts Lust habe, dann fällt es mir nicht leicht, mich zum Schreiben aufzuraffen.

Aber: das tägliche Bloggen hat etwas ausgelöst. Sowohl bei mir, in der Familie, wie auch in Gesprächen mit Leuten, die den Blog gelesen habe. Darum werde ich sicher noch eine gewisse Zeit damit fortfahren.

Ab und zu stolpere ich über Spannendes im Netz, das ich gerne teilen würde. Dafür ist die neue Kategorie “Lesenswichtig”. Heute zum ersten Mal.

Artikel 1: Keine Verpflichtungen/No strings attached (EN)

Das Vorbild: der Grossvater, der am Schenken Freude hat. Das Nicht-So-Vorbild: Die Hochzeitsgeschenk-Geber, die bei ausbleibender Dankeskarte üble Nachrede verbreiten.

Tolle Geschichte.

2: Something profound about in our generation (EN)

Es geht über Francis Schaeffer, ein begeisterter Evangelist, der es verstand, das Evangelium relevant zu erklären. Hier seine Antwort, was denn heute die dringendste Aufgabe von Christen sei:

His sermon was unforgettable. Schaeffer asked the question, What is the Christian’s task in the world today? A clearly focusing question. And his answer was not evangelism. Evangelism can seem canned and mechanical, he said, like a sales pitch. But when evangelism is pursued as part of something larger, something beautifully humane, it will be convincing, even captivating.

Ein kurzer Artikel. Ich habe mir vorgenommen, mal endlich was von Schaeffer zu lesen.

3: Ministry Network Podcast (EN)

Seit Juli 2020 produziert “Ministry Network” Podcast-Folgen mit Timothy Keller, Paul Washer, Marvin Olasky (World). Spannende Episoden und viele Pointers auf gute Quellen, Bücher und Autoren. Ich habe mir bereits 6 Folgen angehört.

Am ersten Arbeitstag dieses Jahrs kam ein Email von unserer Geschäftsleitung. Die Details und Auswirkungen der neuesten Reorganisation wurden darin erklärt. Innerhalb von Minuten wurde mir klar, dass damit gerade meine Arbeit vom letzten Jahr zunichte gemacht wurde. Das Einarbeiten in ein neues Thema. Das Aufbauen eines Teams. Die geleisteten Überstunden zulasten der Familie. Der versprühte Enthusiasmus in die Projekte. Alles dahin. In Theorie sah ich die Vorteile dieser Reorganisation aber in der Praxis merkte ich, dass ich dabei das Bauernopfer wurde.

In diesen Momenten wird für mich der Glaube real. Es gibt keine Vorbereitungs-Zeit, das Unheil trifft zur unerwarteten Stunde. Diese Situation bringt zutage, welcher Glaube in mir steckt. Ob er hält, oder ob ich flüchte, mich verkrieche, Ablenkung suche oder dergleichen. Es ist das läuternde Feuer, welche das goldhaltige Gestein läutert. Kommt Gold raus oder nicht? Meine Überzeugung ist, das Gott diese Momente nicht nur zur Läuterung einsetzt, sondern auch zum Zeugnis. Er will uns zu Vorbildern machen. Denn geduldig leiden, das ist fürwahr eine Seltenheit und lässt Mitmenschen aufmerken.

Ein solches Vorbild ist mir eine christliche Familie, die seit zwölf Jahren im Nahen Osten lebt. Ihre Mission: der Aufbau eines Ausbildungszentrums. Sie nehmen viele Entbehrungen auf sich: ihre Kinder wachsen in einem fremden Land auf ohne normale Schulbildung. Wasser und Strom sind rationiert und gibt es nur zu gewissen Tageszeiten. Sie müssen eine fremde Kultur und Sprache kennenlernen, sind fern von den Eltern, welche in der Schweiz Pflege bräuchten etc.

Nach elf Jahren sah es so aus, als dass das Projekt nicht zustande kommt, weil es durch ein staatliches Vorhaben ersetzt und damit überflüssig wird. Enttäuscht kommt die Familie zum Heimat-Urlaub in die Schweiz. Ohne Perspektive, denn ihr Vorhaben scheint gescheitert. Nachdem sie nach dem Urlaub wieder in den Nahen Osten fahren, wird die Regierung auf ihr Projekt aufmerksam und beginnt es zu fördern. Es wird offiziell als Ausbildungsstätte anerkannt. Die ersten Lehrlinge treffen ein. Die Ausbildung beginnt. Die elf Jahre Arbeit zeigt endlich Früchte. Stolz erzählen sie in Rundbriefen vom positiven Ausgang.

Dann, ein halbes Jahr später kommt Corona. Die Regierung braucht die Räumlichkeiten der Ausbildungstätte. Zunächst ist nicht klar, für wie lange, doch nach ein paar Monaten wird der Familie klar: Die Lehrlinge können ihre begonnene Ausbildung nicht abschliessen. Das Projekt ist auf unbestimmt pausiert.

Wir treffen die Familie auf einem erneuten Heimaturlaub. Ich frage sie, wie es für sie sei, da das Projekt gerade endlich angelaufen ist, es so aussah als würde Gott die lange Zeit segnen, und nach nur einem halben Jahr zu einem abrupten Halt kommt, so als wäre “alles für Nichts” gewesen. Ihre Antwort: Gott weiss, was er macht. Er hat einen Plan. Er zeigt ihnen seinen Plan zwar nicht, aber er zeigt ihnen immer den nächsten Schritt. Sie haben gelernt, sich daran zu genügen.

Das Vertrauen in Gottes weise Führung strahlt aus ihren Gesichtern. Es sind keine frommen Worte, sondern ein ehrliches Vertrauen. Ein Vertrauen darauf, dass sie Teil von Gottes Plan sind, der halt für sie momentan keinen Sinn ergibt, der aber aus Gottes Sicht sehr wohl Sinn macht.

Mir kommt 1. Petrus 4,1-2 in den Sinn:

Da nun Christus für uns im Fleisch gelitten hat, so wappnet auch ihr euch mit derselben Gesinnung; denn wer im Fleisch gelitten hat, der hat mit der Sünde abgeschlossen, um die noch verbleibende Zeit im Fleisch nicht mehr den Lüsten der Menschen zu leben, sondern dem Willen Gottes.

Ihr Beispiel ist ein helles Licht. Wie oft treffe ich auf Menschen, deren Vorhaben gerade gelingt. Ihr Herz scheint aufrichtig und selbstlos. Dann scheitert das Vorhaben und das wahre Herz kommt zum Vorschein: sie werden bitter und zynisch, weil “ihr” Projekt nicht den von ihnen gewünschten Ausgang genommen hat. Sie zeigen mit dem Finger auf Schuldige. Die Schuldigen waren am Anfang ihre Freunde, ihre Mitstreiter, doch durch den Misserfolg wurden sie in ihren Augen zu boykottierenden Verrätern.

Ein anderes Vorbild ist Tim Challies. Für die ihn nicht kennen: Er hat einen populären christlichen Blog. Vor ein paar Monaten starb sein Sohn. Er war 20 Jahre alt und seit ein paar Monaten verlobt. Er starb plötzlich beim Sport. Tim Challies schrieb über den tragischen Tod, wie auch über seine Trauer, sein Ringen mit Gott und seinen Glauben. Es ist schwierig, so etwas auf einem öffentlichen Blog zu tun und fremde Menschen teilhaben zu lassen an einer Tragödie. Und es ist mir auch bewusst, dass einiges was er jetzt schreibt, nur ein paar Wochen nach dem Tod, noch unabgeschlossen ist, dass es noch nicht die Quintessenz ist. Und doch würde ich mir hoffen, ich würde bei einem solch tragischen Moment so reagieren, würde mein Glauben solche Worte hervorbringen:

Es fühlte sich an wie eine Prüfung - eine Prüfung meines Glaubens, eine Prüfung meiner Überzeugungen, eine Prüfung meiner Liebe für Gott.

Haben wir uns nicht alle gefragt, ob unser Glauben einen erschütternden Schlag aushält wie den plötzlichen, unerklärbaren Tod eines Kindes? Ich bestimmt.
In diesem Moment hatte ich die Wahl, ob mein Glauben mich mehr zu Gott treiben wird oder von ihm weg. Ich musste mich entscheiden ob ich mich unterwerfe oder rebelliere.

Oft habe ich die Herrlichkeit von Gottes Güte und Souveränität verkündigt, doch das war einfach, da sie sich konstant mit meinen eigenen Wünschen deckten.

In diesem Moment hatte ich die Wahl: würde ich in der Dunkelheit dasselbe verkünden, was ich im Licht zelebrierte? Oder würde ich stattdessen erlauben, dass meine Umstände meinen Glauben umstossen? Ich musste wählen, ob meine Glaubenssätze mich zu Gottes Trost ziehen würden, oder ob sie mich von ihm im Zorn entfremdeten.

(Aus: “Would it be okay for me to be angry with God?“)

Als Timothy Keller 1989 seine Gemeinde in New York gründete, kamen zum Anfang 30 neubekehrte Christen in den Gottesdienst, die meisten davon Singles. Sie brachten ihre Freunde mit und so stand Timothy Keller sonntagmorgens vor 50-60 Neubekehrten und Atheisten. Er überlegte, wie er das angehen soll. Wie gestaltet er eine Predigt, wenn die Hälfte der Zuhörer Christen und die andere Hälfte Nichtchristen sind? Er könnte “seeker-friendly” predigen: auf ihre Probleme eingehen, sozusagen ein praktischer Vortrag, nicht zu viel Theologie, und auf Jesus erst am Schluss der Predigt richtig eingehen. Diesen Weg verwarf er von Anfang an.

Auf der anderen Seite könnte er die Predigt “aus der Bibel heraus” machen, Vers-für-Vers, dabei nicht mit Theologie sparen. Doch das würde Nichtchristen zu sehr ausser acht lassen.

Er entschied sich für eine Art Mittelweg: bibelzentrierte Predigt, aber mit Einschüben wie “ich weiss, viele von euch denken nun…” und “ihr müsst beachten…”. So würde sich auch ein Nichtchrist bei ihm wohlfühlen, würde merken, dass er sich mit ihm beschäftigt und nicht bloss zu Eingeweihten spricht. Er entschied sich dafür, dass er Verständnis zeigen will mit Nichtchristen. Ihnen die Bibel zugänglich machen. Sie zu überzeugen.

So fing er seine Gemeinde an. Atheisten wurden bei seinen Predigten gedanklich angeregt. Nach der Predigt bot er eine Zeit für “Fragen und Antworten” an. Kam jemand regelmässig zu dieser Zeit, dann bot er ihm einen Kurs an über die Glaubhaftigkeit des Christentums. Und, nachdem sie Christen geworden sind, bot er ihnen einen Kurs über “Basis des christlichen Glaubens an. Das Resultat? Innerhalb von vier Jahren wurden 200-300 der Gottesdienstbesucher Christen.

Was mir an Timothy Keller gefällt

Timothy Keller kommt aus der wissenschaftlichen Ecke. Er schaffte es, im säkulären New York eine Gemeinde zu gründen, welche die Fragen des durchschnittlichen New Yorkers beantwortet. Und diese sind wissenschaftlich geprägt: Er behandelt Themen wie “wie passt Evolution und Schöpfung zusammen?” oder “es gibt viele Religionen, wieso soll gerade das Christentum wahr sein?” oder “haben wir mit unserer Technologie Gott nicht überflüssig gemacht?”. Seine Antworten kommen aus vielen ehrlichen Diskussionen mit Nichtchristen. Er hat ihre Argumente angehört und hat sie verstanden. Und er hat darauf gute Antworten gefunden.

Zur Predigt

Nun, was ich von Timothy Keller ausgewählt habe, ist keine Predigt, sondern ein Talk bei Google. Durch Umstände, die mir leider nicht bekannt sind, landete er einen Talk bei Google.

Google. Die Hochburg der Intellektualität. Alles Nerds. Leute mit Uni-Abschluss. Ich kann mich sehr gut mit dieser Kultur und ihre Art zu denken identifizieren. Ich hatte mich vor Jahren bei Google beworben, die Stelle leider aber nicht bekommen. Es scheint mir, als würde Keller in meine Situation hineinsprechen. Seine Gedanken sind für mich sehr relevant, denn sie beantworten auch meine Fragen.

Sein Talk bei Google war apologetisch. Er zeigte, wieso es vernünftig ist, an Gott zu glauben. Und er machte das so meisterlich, dass klar wird: wenn jemand das Christentum einem Atheisten nahe bringen kann, dann ist es Timothy Keller.

Charles Simeon ist einer meiner Glaubenshelden. Während seine Gemeinde ihn jahrzehntelang ablehnte, hat er ihnen geduldig das Evangelium erklärt und schaffte einen “Turn-Around”. Er wurde für die Verkündigung der Gnade Gottes bekannt. Sein Einfluss beschränkte sich nicht nur auf seine Gemeinde, sondern auf auf alle Gemeinden von ganz England.

Er hatte alles andere als einen ausgeglichener Charakter, besonders sein Jähzorn war gefürchtet. Seinetwegen wurden einige Beschwerden eingereicht und dies lässt die anfängliche Ablehnung seiner Gemeinde erklären.

Die Heiligung seines Charakters und seine effektive Art zu predigen hatte eine klar auszumachende Quelle: Sein Gebet. Simeon stand jeden Morgen um vier Uhr auf - auch im Winter - und, nachdem er Feuer gemacht hatte, widmete er die ersten vier Stunden (!) seines Tages dem Gebet und dem Studieren der Bibel.

Aus der Biographie:

Hier war das Geheimnis seiner grossen Gnade und seiner geistlichen Stärke. Seine Lebensführung schöpfte von dieser Quelle, die er mit grossem Fleiss aufsuchte. Er wurde in all seinen Leiden getröstet und wurde für jede Pflicht gerüstet.

Charles Simeon sagt selber über das Gebet:

Ich merke, dass eine ausgesprochene Nähe im Wandel mit Gott eine Notwendigkeit ist, damit mein Gebet leidenschaftlich bleibt. Manchmal hilft das Verspüren unseres irdischen Mangel um Gott leidenschaftlich zu Etwas zu erbeten, oder eine spezielle Gnade wird uns plötzlich bewusst und dies regt unsere Dankbarkeit an; aber ein leidenschaftliches Gebet wird fast ausschliesslich nur denen zuteil, welche eine ständige Nähe zu Gott geniessen

Ein Freund berichtet davon, wie er Charles Simeon nach einem Gebet erlebte:

Er betrat Simeons Raum und fand ihn so versunken in die Betrachtung des Sohnes Gottes, und so überwältigt bei der Wahrnehmung seiner Gnade, die er ihm hat zuteil werden lassen, dass er unfähig war nur ein einzelnes Wort hervorzubringen. Bis, nach einer Weile, in einem Tonfall von eigenartiger Bedeutsamkeit, Simeon hervorstiess: “Herrlichkeit, Herrlichkeit!”.

Dann, ein paar Tage später, an einem Samstag Abend, fand derselbe Freund Charles Simeon…

kaum zu einem Gespräch fähig, überwältig durch ein Gefühl der Demut und Reue

Diese Zitate wirken vielleicht etwas abgehoben oder unwirklich, wer mehr über den Kontext lernen will; über sein Wirken und wie er zum Glauben gekommen ist, dem empfehle ich die Biographie-Predigt von John Piper (Englisch).

Beitrag von meiner Frau:

Ich habe zwar nicht tonnenweise Reaktionen auf meine Beiträge erhalten, aber doch ein paar. Auf eine möchte ich hier kurz eingehen:

Eine Leserin schrieb:

Mir fällt auf, […] dass euch trotz allem “Downsizing” doch ein gewisser Wohlstand zur Verfügung steht, wenn ihr euch zwischen Kaffeekapseln und Biokaffee entscheiden könnt.

Deshalb hier eine “Erklärung” zu unserem immer noch vorhandenen “gewissen Wohlstand”:

Ich war mir nicht ganz sicher, ob beim “Bio-Kaffee” eher das “Bio” als Edelprodukt gemeint war oder der Kaffee als nicht nötiges Genussmittel. Vielleicht auch beides? Die kurze Antwort heisst: Wir kaufen Kaffee, weil wir immer noch Kaffee trinken, Bio, weil uns Nachhaltigkeit wichtig ist und offen wegen der Verpackung. Dafür trinken wir ihn auch nicht literweise.

Die längere Antwort kommt hier:

Zum “Bio”: Ich glaube, es gibt, überspitzt gesagt, zwei verschiedene Herangehensweisen, die man nicht unbedingt gegeneinander ausspielen kann. Der eine sagt: Ich kaufe nur die billigsten Produkte ein, damit ich so wenig wie möglich für mich selbst ausgebe. Er kann es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, teure (Bio-)Produkte für sich selbst zu kaufen. Der andere sagt: Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, Billig-Produkte zu kaufen, die Menschen unter schlechten Bedingungen hergestellt haben und der Umwelt schaden. Deshalb gibt er in diesem Bereich mehr Geld (für sich) aus. Wer hat nun recht? Ich glaube, da muss jeder so handeln, wie er es vor Gott verantworten kann, und das wird nicht bei allen gleich aussehen.

Ich persönlich kann mir, solange ich genügend Geld verdiene, um eine Wahlmöglichkeit zu haben, nicht vorstellen, Billig-Produkte zu kaufen. Ich würde mich schuldig fühlen. Aber eben, ich glaube, dass beide Ansichten ihre Berechtigung haben.

Abgesehen davon spare ich ja bei den meisten anderen Ausgaben Geld ein, da ich vieles entweder gar nicht kaufe, oder es gebraucht kaufe. Nur kann man aufs Essen leider nicht verzichten noch es gebraucht kaufen, also gebe ich hier gezwungenermassen mehr Geld aus. Nahrungsmittel sind teuer. Deshalb kaufe ich mir ja auch beim Essen nicht alles, was das Herz begehrt, sondern generell eher einfache Nahrung. Damit gebe ich etwa so viel Geld aus wie der Durchschnitts-Verdienende, der keine Bio-Produkte kauft. Ich kann jetzt da keine Studie vorweisen, aber es wäre ein interessanter Versuch, einmal zu schauen, wie viel (bzw. wie wenig) Geld ich ausgebe, wenn ich nachhaltig hergestellte Produkte kaufe, gleichzeitig aber konsequent von diesen möglichst billige und einfache und mehr oder weniger nur das Nötige. Vielleicht gibts dann irgendwann mal einen Artikel von mir über einen Selbstversuch…

Irgendwie meine ich schon, ein bisschen herauszuhören, dass Bio nur für Reiche ist, die sich selbst etwas Gutes tun wollen. Oder die von der Esoterik-Ecke kommen. Ja, im Bioladen gehen manche Leute einkaufen, deren Ansichten ich überhaupt nicht teile. Das ist aber in jedem Laden so.

Ob im Grossverteiler oder im Bioladen: an beiden Orten tummeln sich die verschiedensten Leute. Im Billig-Laden diejenigen, die nichts anderes vermögen genauso wie Leute, die aus Gier für noch mehr nur das Billigste kaufen. Im Bioladen die egozentrischen Gesundheitsfanatiker, die nur an sich und ihre Gesundheit denken, genauso wie Leute, die für faire und umweltverträgliche Produktion bereit sind, mehr Geld auszugeben. Und selbst wenn ich nicht zu beiden Extremen gehöre und, sagen wir, im Coop einkaufe, stehe ich am Schluss an der Kasse und habe mich entweder für Prix Garantie oder Naturaplan entschieden. Oder für die gängigen Mittelweg-Produkte. So oder so muss ich mich entscheiden, was zu kaufen ich vertreten kann. Es ist nun mal nicht so, dass es nur den einen Laden gibt, wo es nur die nötigsten Grundnahrungsmittel hat, so dass wir keine Wahl hätten. Und ich glaube, die meisten von uns sind finanziell nicht so schlecht dran, dass sie keine andere Wahl haben, als nur das Allerbilligste zu kaufen. Und selbst dann muss man immer noch entscheiden, was und wieviel von was man kaufen will. Jeder ist gezwungen, bei jedem Einkauf zu entscheiden, was er kauft, was nicht, von was nur wenig, was notwendig ist und was er sich dazu noch gönnen will oder kann. Und bei jedem von uns sind die Entscheidungen ein buntes Gemisch an rationalen Überlegungen, Überzeugungen, Vorlieben und momentanen Gelüsten.

Kommen wir zum Kaffee als Genussmittel. Niemand muss ja Kaffee kaufen. Dasselbe gilt für unzählige andere Nahrungsmittel (Wie ist es z.B. mit Süssigkeiten?). Ich könnte ja alles abschaffen, was nicht zum Überleben notwendig ist (das hat übrigens Hudson Taylor eine Zeit lang gemacht, als er das erste Mal von zu Hause weg war. Er lebte nur noch von Schwarzbrot, Äpfeln und Wasser). Das ist gar keine so einfache Frage. Vielleicht sage ich Folgendes dazu bzw. zu unserem “gewissen Wohlstand”:

  1. Ich möchte weder einen Nachhaltigkeits- noch einen Armuts-Preis gewinnen. Es war uns immer wichtig, nur das aufzugeben, was wir von Herzen tun können (ausser, Gott nimmt uns unerwarteterweise etwas weg, was auch schon vorgekommen ist). Sonst kommt es bald so heraus, dass wir eifersüchtig auf die schauen, die sich mehr gönnen als wir. Oder dass wir die Aufmerksamkeit auf unsere Selbstkasteiung lenken wollen.
  2. Man könnte uns natürlich vorhalten, dass wir mit unserem Akademiker-Lohn keine Ahnung haben vom Sparen. Ich hoffe, dass das nicht (mehr ganz) der Fall ist…
    Trotzdem ist es so, dass wir nie in der Situation waren, wo wir von einem Minimal-Lohn leben mussten. Alles, was wir nicht mehr kaufen, haben wir freiwillig weggelassen. Wir kommen also von “oben”, vom Überfluss her, nicht von “unten”, von finanzieller Not. Und deshalb haben wir auch nicht flächendeckend alles in unserem Leben aufs äusserste Minimum reduziert. Auch hier: es ist eine Momentaufnahme. Wir sind noch lange nicht am Ende. Aber da wir nicht gezwungen sind, müssen wir auch nicht alles von heute auf morgen verändern. Vielleicht werden wir eines Tages bei einer Missionsgesellschaft angestellt sein und von Spenden leben. Dann werden unsere Überlegungen und Entscheidungen wieder ganz anders aussehen.
  3. Wir sind weit davon entfernt, alles “richtig” zu machen. Das werden wir auch gar nie können. Erstens sehen wir immer nur einen Teil vom Ganzen, und zweitens betrügen auch uns unsere Herzen immer wieder. Aber Gott leitet uns trotzdem immer weiter. Und gerecht sind wir sowieso nicht wegen unseren Taten.

Vielleicht noch zum Schluss:

Ich glaube nicht, dass es so ist, dass nur die mit einem grossen Lohn von einer gewissen Gier oder von Egoismus betroffen sind, was das Geld anbelangt. Dass die gut Verdienenden zu viel für sich nehmen und zu wenig weggeben, während diejenigen mit einem knappen Einkommen halt nicht anders können, als nur für sich zu schauen und deshalb ein reines Herz haben. Ich sehe in viele Haushalte und interessanterweise häufen sich bei denen, die aufs Geld schauen müssen, genau so viele Dinge wie bei denen, die viel Geld zur Verfügung haben. Auch bei den Nahrungsmitteln tummelt sich vieles, was man nicht kaufen müsste, oder was nur auf den ersten Blick billig aussieht. Viele Leute, ob Viel- oder Wenigverdiener, machen sich herzlich wenig bis gar keine Gedanken darüber, ob sie einige Nahrungsmittel weglassen könnten oder ob z.B. selber kochen billiger sein könnte als Fertigprodukte zu kaufen. Ob sie auch mit wenig Geld noch etwas einsparen könnten, um andere zu unterstützen, die noch weniger haben als sie. Und die gibt es!

Es geht ja schlussendlich auch nicht darum, welchen tatsächlichen Geldbetrag wir spenden können oder wie viel Prozent von unserem Einkommen das ist. Es geht darum, dass wir genügsam sind und uns darüber freuen, wenn wir anderen mit unserem Geld helfen können.

Im Beitrag von letzter Woche übers Gebet ging es darum: Jesus rät uns mit dem Vater unser mit dem Wort Gottes anzufangen. Ebenso sind die Psalmen konkrete Gebete, welche wir nachsprechen können.

Das Wort Gottes soll also nicht nur gelesen, sondern auch gebetet werden. Ich kann die Bibel offen vor mir liegen haben und sie betend lesen. Das geht aber nicht immer. Ich liebe es, draussen zu beten. Beim Spaziergang durch die Natur. Dabei ein offenes Buch vor mir zu haben ist schlicht nicht praktisch.

Einfacher ist es, wenn ich Bibelverse auswendig aufsagen kann. So kann meinen ewig kreisenden Gedanken entkommen. Ebenso kann ich meinen Gefühlen entfliehen, die ehrlich gesagt am Anfang des Gebets üblicherweise relativ kalt sind gegenüber Gott.

Nun ist Bibelverse auswendig lernen so eine Sache: Es gibt keinen Moment, wo ich so richtig Lust habe, Bibelverse auswendig zu lernen. Wenn ich dann aber angefangen habe, ist es das süsseste auf der Welt. Und ich übertreibe nicht. Der Moment, wenn sich mir beim Auswendiglernen der Sinn eines Bibelverses erschliesst, der ist als würde es in meinen Gedanken eine kleine Explosion geben, ein Feuerwerk. Es ist als würde ich eine neue Facette von Gott kennenlernen. Das passiert mir nicht bei jedem Bibelvers, aber doch genügend oft.

Was sich auch einstellt: wenn ich die Bibelstelle auswendig kann, fühlt es sich so an, als hätte ich die Bibelstelle “gegessen”. Ich habe sie verinnerlicht. Niemand kann sie mir wieder wegnehmen. Ich habe einige Berichte von Christen gelesen, die ins Gefängnis kamen und das einzige was ihnen blieb, waren auswendig gelernte Bibelverse, die sie in weiser Voraussicht vorher gelernt haben. Sie konnten sich Teile der Bibel aufsagen und nicht selten konnten sie genau deswegen überhaupt geistlich überleben.

Ganz praktisch nutze ich das Programm “Anki“. Ich nutze es auf meinem Mac, es gibt es aber auch für Handies (iOS und Android) wie auch für Windows. Es ist ein Lernkartensystem. Ich gebe einen Bibelvers ein, lerne ihn kurz und dann mache ich tägliche Repetitionen von 5-10 Minuten. Verse die ich nicht kann, kommen bei der nächsten Repetition wieder. Kann ich Verse mehrere Male nacheinander, so kommen sie erst in mehrere Tage oder Woche für die nächster Repetition. So kann ich jeden Tag einen Vers auswendig lernen und so kommt über die Zeit ein gutes Repertoire von Bibelversen zusammen.

Und so muss ich beim Gebet im Freien kein Buch vor mir hertragen, sondern kann die Bibelverse auswendig vorsagen, welche ich die vergangenen Tage “gegessen” habe.

Vor einer Woche fiel unserem Sohn (13) sein Handy runter: Es fiel aus einem Meter Höhe auf die Holztreppe, schlitterte ein paar Stufen runter und fiel auf einen Steinboden. Kein spektakulärer Sturz, aber das Display zeigte danach nur noch wenige Pixel an.

Das Handy war erst ein halbes Jahr alt. Für 170CHF hatten wir es gebraucht ersteigert. Die Enttäuschung war riesig. Nachdem mein Sohn sich beruhigt hatte und ich mich auch («wie kann man ein Handy fallen lassen, das ist mir noch nie passiert!») haben wir uns hingesetzt, um zu entscheiden, was wir nun machen.

Meine Grundsätze:

  1. mein Sohn soll Verantwortung für seine Taten tragen. Das heisst ich werde ihm den Ersatz nicht vollumfänglich zahlen
  2. Dinge reparieren, wenn möglich, statt sie zu ersetzen. Dadurch hält man mehr Sorge und entlastet dabei die Umwelt
  3. mein Sohn soll mitentscheiden können, insbesondere, da er dabei mit eigenem Geld bezahlt

Diese Momente sind spannend, weil ich dabei merke, wie sich meine Grundsätze teilweise widersprechen und andererseits weil sich mir hier eine Möglichkeit bietet, meinen Sohn etwas zu lehren.

Zugegeben, ich habe mich auf die Diskussion vorbereitet und im Netz ein paar Optionen rausgesucht. Zudem habe ich ihm eröffnet, dass ich die Hälfte der Kosten übernehmen werde.

Besprochen haben wir dann:

  • kein Handy mehr (für meinen Sohn natürlich keine Option)
  • ein schlechteres Handy, das nur das kann, was er braucht (geht für ihn auch gar nicht)
  • ein “neues” gebrauchtes Handy kaufen (Kostenpunkt: ca 170CHF)
  • das Handy zur Reparatur bringen (kostet ca. 150CHF fast so viel wie ein “neues” gebrauchtes Handy und mit Risiko dass es nach der Reparatur immer noch nicht geht)
  • das Handy selbst reparieren (Kostenpunkt: 80CHF)

Also: “Neues” gebrauchtes Handy kaufen oder selber reparieren. Auf Youtube befand sich glücklicherweise eine gute Anleitung, wie sich der Handy-Screen meines Sohnes reparieren lässt. Nach dem Video sah ich meinen Sohn an: “Denkst du wir schaffen das?”. Er: “Ich denke schon”. Der Deal: Wir teilen uns die Kosten von 80CHF eines neuen Displays.

Uns beiden war allerdings klar, dass die Sache riskant war: Beim Reparieren könnte uns ein Fehler unterlaufen. Ausserdem könnte es sein, dass der Sturz nicht nur der Screen beschädigt hat, sondern auch andere Teile.

Ich schlug ihm vor, eine Versicherung für 5CHF abzuschliessen. Gelingt die Reparatur, so zahlt er 45CHF (5CHF mehr als die Hälfte) für die Reparatur. Gelingt es nicht, zahlt er nur 5CHF. Mein Sohn willigte ein und wir bestellten den Screen.

Oben das alte, kaputte Display. Unten das Neue, nachdem wir schon alle Teile transferiert hatten

Die Reparatur hatte es in sich. Das Handy war geklebt. So mussten wir das Handy zuerst auf unserem Ofenbänkchen erwärmen und dann mithilfe von Rasierklinge und Gitarren-Plektron auftrennen. Weiter befanden sich in unserem Handy ein paar Extrateile, die im Video auf Youtube nicht vorkamen. Nach drei bis vier Stunden Arbeit aber war der neue Screen eingebaut und das Handy funktionierte tatsächlich wieder, inklusive aller Features wie Fingerprint, Kameras, Vibration etc.

Fazit:

  • mein Sohn und ich verbrachten Zeit zusammen (es hat Spass gemacht! Obwohl Dinge reparieren, insbesondere elektronische, nicht gerade zu meinen Stärken gehören)
  • wir lernten dabei, wie ein Handy aufgebaut ist (Akku, Kameras, Display, Motherboard, …)
  • wir lernten, dass man auch elektronische Geräte reparieren kann und bei Defekt nicht alles in den Müll wandern muss

Allerdings, und das will ich fairerweise einfügen, habe ich für die Reparatur unter anderem eine spezielle Elektro-Zange für 28CHF gekauft, die wir dann gar nicht gebraucht haben. Es lief also nicht alles perfekt bei unserem kleinen Projekt.

Schlussendlich war es aber doch ein voller Erfolg. Und das Erlebnis bestätigte meine Erfahrung, dass, wenn man Minimalismus lebt und nicht einfach alles im Supermarkt kauft, sich auf spannende Herausforderungen einlässt. Es gibt so viele spannende Dinge im Leben zu lernen, die wir verpassen würden, wenn wir reflexartig einen Ersatz kaufen, ohne dabei andere Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen.

Unser Wasserkocher. 2004-2020

Vor ein paar Wochen gab unser Wasserkocher seinen Geist auf. Ich versuchte ihn zu reparieren, aber keine Chance. Mit seinen 16 Jahren war er deutlich über der mittleren Lebenserwartung eines Wasserkochers gestorben.

Ich muss zugeben, dass wir schon früher überlegt haben, ihn zu ersetzen. Denn man sah ihm die Jahre an, und das Design gefiel uns schon lange nicht mehr. Ich wollte einen neuen. Meine Frau nicht. So blieb er. Bis er nun eben kaputt ging.

Unsere erste Reaktion war: Ersetzen. Klar, was kaputt geht, kauft man neu. Das ist ein Automatismus. Es ist ein unbewusster Kauf-Reflex.

Diesen Reflex hat Dieter Meier (“Yello”-Günder) hier exzellent mit dem Lachsfang verglichen:

Im atlantischen Ozean bis hinunter zu den Küsten Feuerlands jagt der Lachs seine Beute und findet dann nach Jahren zurück zum kleinen Fluss, wo er in einem Bergsee das Licht des Wassers erblickte. Wenn er sich gegen den Strom hochkämpft zum Tümpel seiner Herkunft, nimmt er keine Nahrung mehr auf, weil er für die beschwerliche Reise zu seiner Reproduktion sich im großen Ozean so stark und fett gefressen hat, dass er sich durch keine Beute verführen und ablenken lässt vom Kampf gegen Wasserfälle und Stromschnellen, zum einzigen Ziel seines Daseins, der Erhaltung seiner Art. So ist es denn die große Kunst des Fischers, seine Fliege so geschickt tanzen zu lassen, dass der satte und futterabstinente Fisch einzig aus schierem Fressreflex zuschnappt, wenn ihm die Beute virtuos vors Maul gehalten wird.

Dieter Meiers Behauptung: In der Wirtschaft herrscht Überproduktion, und nun muss die Ware dem Kunden “vors Maul” gehalten werden, damit er zuschnappt, bevor er überlegen kann. Also sei es schon längst nicht mehr so, dass wir Waren kaufen würden, die wir bräuchten (so wie der Lachs nichts mehr zu Essen braucht, sich sogar “vorgenommen” hat, nichts mehr zu essen), sondern solche, welche uns in einem unbedachten Moment angeboten werden und die wir reflexartig kaufen würden.

Das ist nun vielleicht etwas zu schwarz. So gesellschaftskritisch wollte ich in diesem Beitrag gar nicht werden. Trotzdem merke ich bei mir folgendes: Ist der Abstand zwischen “ich will” zum Kauf-Akt zu kurz, dann bleibt das neue Teil häufig als “Clutter” in unserem Haushalt. Lasse ich dem “Wunsch zu kaufen” eine Woche Zeit, dann verflüchtigt er sich oft, und ich habe etwas weniger gekauft.

Aber das ist gar nicht so einfach, denn ein Wasserkocher ist innert Minuten im Internet bestellt. Wir haben uns nie zu den Impuls-Käufern gezählt, aber auch nach mehreren Jahren Minimalismus hätte uns dieser Reflex fast erwischt.

Im Hebräer 13,5 heisst es: “Begnügt euch mit dem, was vorhanden ist”. Das wollten wir glauben. Also besprachen wir die Alternative zum Wasserkocher: Wasser erhitzen in der Pfanne. Geht aber länger. Nervt uns das? Vielleicht! Am Morgen mache ich mir zum Aufwachen einen Schwarztee. Am Abend trinken wir einen Tee auf dem Sofa. Wir würden Morgens und Abends ein paar Minuten warten, bis das Wasser kocht. Wir gaben uns einen Monat Zeit. Danach würden wir uns einen Wasserkocher kaufen, wenn es uns zu sehr nervt.

Was passierte mit meiner Morgenroutine? Früher war es so: Ich fülle das Wasser in den Wasserkocher. Stelle ihn an. Bereite meinen Tee vor. Und dann kocht das Wasser auch schon. Neu ist es so, dass nach der Vorbereitung des Tees und dem Kochen des Wassers eine ganze Minute verstreicht. Ich nutze die Zeit, indem ich eine kurze Dehnübung mache. Kein wirklicher Verlust also.

Fazit nach einem Monat: der Wasserkocher wird nicht gekauft. Mit der Pfanne geht’s zwar langsamer, richtig eingeplant ist es aber kein Problem und es wurde zur Gewohnheit, das Wasser morgens und abends früher ob zu stellen. Und das Positive: Das Entkalken des Wasserkochers entfällt, und auf der Küchenablage steht weniger rum. Die Küche gewinnt an Ästhetik.

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