Minimalismus praktisch: der Wasserkocher

Unser Wasserkocher. 2004-2020

Vor ein paar Wochen gab unser Wasserkocher seinen Geist auf. Ich versuchte ihn zu reparieren, aber keine Chance. Mit seinen 16 Jahren war er deutlich über der mittleren Lebenserwartung eines Wasserkochers gestorben.

Ich muss zugeben, dass wir schon früher überlegt haben, ihn zu ersetzen. Denn man sah ihm die Jahre an, und das Design gefiel uns schon lange nicht mehr. Ich wollte einen neuen. Meine Frau nicht. So blieb er. Bis er nun eben kaputt ging.

Unsere erste Reaktion war: Ersetzen. Klar, was kaputt geht, kauft man neu. Das ist ein Automatismus. Es ist ein unbewusster Kauf-Reflex.

Diesen Reflex hat Dieter Meier (“Yello”-Günder) hier exzellent mit dem Lachsfang verglichen:

Im atlantischen Ozean bis hinunter zu den Küsten Feuerlands jagt der Lachs seine Beute und findet dann nach Jahren zurück zum kleinen Fluss, wo er in einem Bergsee das Licht des Wassers erblickte. Wenn er sich gegen den Strom hochkämpft zum Tümpel seiner Herkunft, nimmt er keine Nahrung mehr auf, weil er für die beschwerliche Reise zu seiner Reproduktion sich im großen Ozean so stark und fett gefressen hat, dass er sich durch keine Beute verführen und ablenken lässt vom Kampf gegen Wasserfälle und Stromschnellen, zum einzigen Ziel seines Daseins, der Erhaltung seiner Art. So ist es denn die große Kunst des Fischers, seine Fliege so geschickt tanzen zu lassen, dass der satte und futterabstinente Fisch einzig aus schierem Fressreflex zuschnappt, wenn ihm die Beute virtuos vors Maul gehalten wird.

Dieter Meiers Behauptung: In der Wirtschaft herrscht Überproduktion, und nun muss die Ware dem Kunden “vors Maul” gehalten werden, damit er zuschnappt, bevor er überlegen kann. Also sei es schon längst nicht mehr so, dass wir Waren kaufen würden, die wir bräuchten (so wie der Lachs nichts mehr zu Essen braucht, sich sogar “vorgenommen” hat, nichts mehr zu essen), sondern solche, welche uns in einem unbedachten Moment angeboten werden und die wir reflexartig kaufen würden.

Das ist nun vielleicht etwas zu schwarz. So gesellschaftskritisch wollte ich in diesem Beitrag gar nicht werden. Trotzdem merke ich bei mir folgendes: Ist der Abstand zwischen “ich will” zum Kauf-Akt zu kurz, dann bleibt das neue Teil häufig als “Clutter” in unserem Haushalt. Lasse ich dem “Wunsch zu kaufen” eine Woche Zeit, dann verflüchtigt er sich oft, und ich habe etwas weniger gekauft.

Aber das ist gar nicht so einfach, denn ein Wasserkocher ist innert Minuten im Internet bestellt. Wir haben uns nie zu den Impuls-Käufern gezählt, aber auch nach mehreren Jahren Minimalismus hätte uns dieser Reflex fast erwischt.

Im Hebräer 13,5 heisst es: “Begnügt euch mit dem, was vorhanden ist”. Das wollten wir glauben. Also besprachen wir die Alternative zum Wasserkocher: Wasser erhitzen in der Pfanne. Geht aber länger. Nervt uns das? Vielleicht! Am Morgen mache ich mir zum Aufwachen einen Schwarztee. Am Abend trinken wir einen Tee auf dem Sofa. Wir würden Morgens und Abends ein paar Minuten warten, bis das Wasser kocht. Wir gaben uns einen Monat Zeit. Danach würden wir uns einen Wasserkocher kaufen, wenn es uns zu sehr nervt.

Was passierte mit meiner Morgenroutine? Früher war es so: Ich fülle das Wasser in den Wasserkocher. Stelle ihn an. Bereite meinen Tee vor. Und dann kocht das Wasser auch schon. Neu ist es so, dass nach der Vorbereitung des Tees und dem Kochen des Wassers eine ganze Minute verstreicht. Ich nutze die Zeit, indem ich eine kurze Dehnübung mache. Kein wirklicher Verlust also.

Fazit nach einem Monat: der Wasserkocher wird nicht gekauft. Mit der Pfanne geht’s zwar langsamer, richtig eingeplant ist es aber kein Problem und es wurde zur Gewohnheit, das Wasser morgens und abends früher ob zu stellen. Und das Positive: Das Entkalken des Wasserkochers entfällt, und auf der Küchenablage steht weniger rum. Die Küche gewinnt an Ästhetik.

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