#Smartphone

Mein Sohn (13) bekam dieses Jahr sein erstes Handy. Mir war klar, dass damit grosse Herausforderungen auf uns zukommen würden. Der Umgang mit elektronischen Medien empfinde ich als eines der schwierigsten Aspekte der Erziehung.

Ich bin noch am Ringen nach dem richtigen Umgang damit. Hier ein paar unserer Erfahrungen und Gedanken.

die Abmachung

Unser Sohn sehnte sich nach seinem ersten Handy. Vor der Anschaffung wollte ich von ihm wissen, was er sich vom Handy erhoffte: welche Apps er darauf installieren wolle und welche nicht, mit wem er kommunizieren wolle, …. Er hat dies auf einem Blatt Papier festgehalten. Auf einem anderen Blatt Papier habe ich als Vater festgehalten was mir wichtig ist. Dabei war mir wichtig, nicht bloss die Gefahren, sondern auch die Chancen des Handys festzuhalten. Nachdem wir festgestellt haben, dass unsere Vorstellungen miteinander kompatibel sind, haben wir das Handy zusammen bestellt.

Fazit: es war wertvoll, diese Abmachungen vor dem Kauf, mit einem “kühlen Kopf” zu besprechen

tägliche Rückschau

Meinem Sohn wie mir war klar, dass ein Handy ein potentieller Zeitfresser ist. Er sah an meinem Beispiel, dass ich Mühe damit habe, und verstand, dass auch sein Umgang damit nicht ohne Probleme sein wird.

Auf seinem Handy haben wir Family Link installiert. Unter anderem sammelt die App Statistiken: wieviel Zeit verbringe er pro Tag total und wieviel pro App? Jeden Abend nahmen wir uns 2-3 Minuten Zeit und mein Sohn kommentierte die Zahlen, sagte wo er sich verbessern will und wo er zufrieden war. Seine tägliche Nutzdauer war bei weniger als einer Stunde.

Fazit: die tägliche Rückschau war gut, denn sie erlaubte meinem Sohn, seinen eigenen Umgang zu reflektieren und half mir, Vertrauen zu ihm aufzubauen.

Limiten

Dann wurde es stressig zu Hause. Wir kamen nicht mehr zur täglichen Rückschau, die Nutzungszeiten meines Sohnes überbordeten. Wir haben ihm daher eine tägliche Zeit-Limite eingestellt. Es war eine Entscheidung aus der Not heraus, weil wir uns einfach nicht täglich darum kümmern konnten, und es für unseren Sohn zu schwer war, selber damit klar zu kommen.

Family Link funktioniert gut beim Setzen von Limiten. Es gibt keine Wege, die Limiten auszuhebeln. Deshalb gingen wir davon aus, dass das Problem damit behoben ist.

War es aber nicht. Denn nach Ablauf der Limite kam unser Sohn und sagte, dass er nochmals Zeit brauche, und konnte einen guten Grund dafür nennen. Er begann, die Limiten gut auszunutzen, etwa nach Verschicken des WhatsApp den Bildschirm abzuschalten, damit die Zeit nicht weiter zählt.

Es begann ein stetiges Zerren: er wollte mehr Zeit am Handy, ich wollte, dass er weniger Zeit am Handy hat, es bildete sich eine Front. Nachdem wir uns am Anfang über den Handy-Umgang einig waren, schien es, dass wir es nun nicht mehr waren.

Fazit: Handy-Limiten helfen zwar kurzfristig, langfristig bilden sich Fronten. Sie sind nicht optimal, scheinen aber pragmatisch. Wir haben sie noch nicht verworfen, suchen aber nach einer besseren Lösung.

Konzentrations-Zeit

Hausaufgaben. Dieses Thema löst bei uns in der Familie viel Gefühle aus und wäre ein Beitrag eine ganze Beitrags-Reihe wert.

Trotzdem müssen sie gemacht werden. Und auf Prüfungen muss man sich vorbereiten. Und es hilft nicht, wenn das Handy nebenan liegt und bei jeder Nachricht vibriert.

Spreche ich ihn darauf an, dann bestätigt er, dass er ohne Handy besser lernen kann, und gibt freiwillig das Handy ab, damit ich es in ein anderes Zimmer legen kann.

Fazit: Handy in ein anderes Zimmer legen hilft der Konzentration, ohne dass sich dabei Fronten zwischen meinem Sohn und mir einstellen.

Zwischen-Fazit

Limiten sind kurzfristiges Pflaster, die Charakter und Gewohnheiten nicht formen. Mit 13 ist mein Sohn noch zu jung, dies selbständig zu tun. Wir versuchen unseren weiteren Weg mehr über Dialog zu führen als über Limiten.

Handy-Garage des Vaters in der Youtube-Sendung

Auf Youtube haben wir die Sendung Endlich Offline gefunden. Es geht um Menschen, welche zu viel Zeit am Handy verbringen. Ein Coach besucht eine Familie und schlägt ihnen einige Techniken vor, um die Zeit am Handy zu reduzieren, eine davon ist die “Handy-Garage”:

Alle Smartphones des Hauses werden an diesem Ort “geparkt”. Im Film hat der Vater eine Kiste mit Deckel gebastelt, in welcher die Handys am Strom angeschlossen sind.

Von der Sendung motiviert, haben wir das sofort ausprobiert. So funktioniert die Garage bei uns:

  • das Handy bleibt in der Garage, ausser ich brauche es gerade. Das heisst, ich trage es nicht mit mir rum und wenn ich aus dem Haus gehe kommt es “by default” nicht mit, ausser ich brauche es, dann muss ich es aktiv aus der Garage holen.
  • in der Nacht bleibt es in der Garage (darum heisst es auch “Garage” weil Autos die Nacht über ebenfalls in der Garage bleiben). Zum Wecken haben wir uns einen Wecker angeschafft. Damit bin ich nicht gleich am Handy, wenn ich morgens aufstehe und starte “by default” den Tag handyfrei.
  • Notifications sind auf Stumm geschaltet (weder Ton noch Vibration), das Blinken/Licht ist deaktiviert. Das heisst das Handy spricht nicht mit mir, sondern ich muss aktiv hingehen um zu schauen, ob ich was neues gekriegt habe. Leute, die mir schreiben, müssen länger mit einer Antwort warten, sie werden es überleben :)
  • einzig wenn jemand anruft, klingelt das Handy, damit bin ich für Notfälle erreichbar

Fazit nach ca. 3 Wochen: ich trage das Handy wesentlich weniger auf mir, für wichtige Aufgaben (Adresse nachschauen, auf Sonos Musik einstellen) gehe ich zur Garage. Da das Handy dort eingesteckt ist, und ich es ausstecken müsste um es mitzunehmen, lasse ich es meistens dort.

Ein paar Dinge sind aber auch etwas komplizierter: für “2 Factor Authentication” (Ebanking und im Geschäft) muss ich aufstehen, um das Login am Handy zu bestätigen. Aber der Zeitverlust, der dadurch entsteht, ist um ein vielfaches kleiner als wenn ich das Handy die ganze Zeit auf mir trage.

Also: absolut empfehlenswert!

Ich will - knapp 2 Jahre nach meinem letzten Beitrag, ui! - damit weiterfahren, was mir denn konkret half, um weniger Zeit am Smartphone zu verbringen.

An einem Samstag Morgen sassen meine Frau, meine zwei Kinder und ich am Frühstückstisch. Ich eröffnete feierlich, dass ich dieses Wochenende ohne Handy und - was für mich noch um einiges schwieriger ist - ohne Computer verbringen werde. Computer und Handy sperrte ich danach in unseren Kleiderschrank und übergab den Schlüssel meiner Frau.

Weil es schlechtes Wetter war, blieben wir Samstag und Sonntag zu Hause, räumten auf und minimierten Gegenstände (mehr dazu in einem anderen Beitrag). Es war schwierig, bei Langeweile nicht einfach an ein Gerät zu gehen, schmerzlich musste ich erfahren, wie schnell ich bei Schwierigkeiten oder bei kurzer “toter Zeit” zu einem Gerät griff.

Es stellte sich Langeweile ein. Momente, als ich einfach dasass und wartete.

Dafür konnte ich mich viel besser fokussieren, war gedanklich weniger abgelenkt, konnte besser auf meine Kinder eingehen. Ich hatte Zeit, wenn jemand mich um einen Gefallen bat, hatte ich weniger Mühe, Ja zu sagen.

Als ich am Montag an der Arbeit davon erzählte, wurde ich mit fragenden Augen angeschaut, insbesondere als ich erzählte, dass ich ebenfalls auf Musik und Filme verzichtete.

Fazit: Ein gerätefreies Wochenende ist zwar schmerzhaft, aber empfehlenswert. Es durchbricht Gewohnheiten (bei Langeweile zu Medien greifen, bei Müdigkeit mich berieseln lassen). Nach dem Wochenende konnte ich mich bewusst entscheiden, welche Gewohnheiten ich wieder aufnehmen will oder nicht. Da sich bald schlechte Gewohnheiten nach und nach wieder einschleichen, lohnt es sich, ein solches Wochenende ab und an zu wiederholen.

Es gibt kein Buch über Smartphones.

Ja, doch. Natürlich gibt es Bücher über Smartphones, aber ich suchte eines, das die zugrundeliegende Psychologie dahinter erklärt, wie auch wie die Smartphone-Industrie funktioniert, oder was es mit der Gesellschaft macht. Und das fand ich nicht.

Irgendwie komisch, denn es gibt Bücher über die dümmsten Themen. Darm mit Charme zum Beispiel. Nicht, dass jetzt alle meine Freunde über Darm-Probleme reden würden. Aber trotzdem kommt das auf die Bestenliste.

Addiction by Design

Bei meiner Internet-Recherche stiess ich durch einen Smartphone-Artikel auf das Buch “Addiction by Design”. Das Buch behandelt die Glücksspielautomaten, die zugehörige Industrie und vor allem: wieso sie süchtig machen.

Auf den ersten Blick scheint der Vergleich Glücksspielautomaten - Smartphones etwas weit hergeholt: Die Automaten sind Gaming, die Smartphones bieten viel mehr als nur Gaming. Automaten trägt man nicht rum, Smartphones schon. Automaten versprechen Geld, Smartphones nicht.

Doch beim Lesen des Buchs fällt immer wieder die schiere Ähnlichkeit mit der Smartphone-Welt auf. Eine Ähnlichkeit vorneweg: beim Design von Automaten wird, wie auch bei Smartphone-Apps auf “time spent” optimiert: Seitdem die Automaten-Hersteller entdeckten, dass sie mehr Profit machen können, je länger ein Spieler am Automat hängen bleibt, optimieren sie hauptsächlich darauf, eine Session möglichst lange hinzuziehen. Genauso bei Apps: ist eine App werbefinanziert (wie Youtube, Facebook, Twitter, Instagram) so heisst es: je mehr Werbe-Einblendungen, desto mehr Profit. Und je länger die “time spent” eines Users, desto mehr Werbe-Einblendungen, desto mehr Profit.

Dieses Ziel macht alles aus. Ob die Hersteller nun absichtlich oder unabsichtlich Features bauen, welche die “time spent” erhöhen, ist egal. Schlussendlich wollen die Firmen Profit und werden immer die Features bevorzugen, welche ihrem Ziel zuträglich sind.

Doch zuerst zum Buch: Die Autorin, Natasha Dow Schüll, ist Anthropologin und hat während fünfzehn Jahren Feldstudie betrieben - vor allem in Las Vegas. Herausgekommen ist ein gut 400 seitiges Werk, das auch für den Laien gut zugänglich ist. Das Buch ist eine Mischung aus Einzelschicksalen, Interviews mit Casino-Betreibern/Glücksspielautomaten-Herstellern und psychologischen Hintergrundinformationen.

In diesem Post habe ich versucht, die wichtigsten Parallelen zur Smartphone-Problematik herauszuschälen. Doch eine kleine “word of warning” vorneweg: Das Thema ist düster. Das schwingt im ganzen Buch mit. Der Grund ist, dass es Ungerechtigkeit aufdeckt, ohne dafür Lösungen aufzuzeigen. Und dies ist eine treffende Beschreibung der Smartphone-Welt: es ist nicht recht, dass mehr und mehr Zeit in das Starren eines Bildschirms verschwendet wird, zum Profit von ein paar Wenigen.

Geschichte der “Slot Machines”

Glücksspielautomaten (Englisch: “slot machines”) sind rund ein Jahrhundert länger auf dem Markt als Smartphones. Daher sind die psychologischen Effekte, Suchtsymptome und Therapiemöglichkeiten viel ausgereifter als die von Smartphones.

Anfangs waren die slot machines ausschliesslich mechanisch und ziemlich primitiv. Doch über die Jahre optimierten die Hersteller die Geräte sukzessive nach Gewinn. Parallel bemerkten Casinos, dass die Umgebung um die Slot Machines den Umsatz stark beeinflusst. Es gibt “Innenarchitekten”, welche sowohl die Anordnung der Glücksspielautomaten, den Teppich, die Belüftung wie auch die Musik und das Licht optimieren. Es wurden Geld-Automaten in die Nähe gestellt, so dass, wenn einem Spieler das Geld ausgeht, er schnell neues besorgen kann. Idealerweise werden keine Getränke serviert, damit Toiletten-Besuche die Sessions nicht unterbrechen.

Die Maschinen waren anfangs auf grosse Gewinne konzipiert, bis die Hersteller herausfanden, dass den Spielern die lange Spieldauer wichtiger war als grosse Gewinne. Sie änderten die Slot Machines so, dass mit demselben Einsatz länger gespielt werden kann. Dies verhinderte, dass neue Spieler durch grosse Verluste frustriert wurden, band die Spieler länger an die Geräte und unter dem Strich sprangen grössere Gewinne heraus.

“Addiction by Design” beschreibt die wahre Geschichte von Darlene, welche süchtig wird und auf einem Forum fragt, was der Sucht-Faktor der Glücksspiele ausmacht. “Ja, machen sie halt”, waren im Grunde die ersten Antworten auf ihre Frage. Bis später jemand erklärt: der psychologische Effekt basiert auf einem Experiment, der “Skinner Box”:

Die Skinner Box

Skinner Box

Im Skinner-Box-Experiment wird eine Taube in eine Box gesteckt. An der Wand der Box befindet sich eine Taste. Pickt die Taube auf die Taste, so werden in die Box Körner ausgeschüttet. B. F. Skinner hat analysiert, wie lange die Taube am Spiel teilnimmt, je nach dem wie oft die Körner ausgeschüttet werden. Das überraschende: die Taube liess sich länger auf dieses Spiel ein, wenn nicht jedes Mal Gewinn ausgeschüttet wurde. Der Zufall machte das Spiel spannender, da der Ausgang nicht zum Vornherein klar war.

Diese Logik nannte Skinner “the schedule of reinforcement” (“Zeitplan der Verstärkung”). In einem Interview erklärt Skinner, wie sich die Gambling-Sucht durch sein Experiment erklären lässt:

The human subject […] doesn’t gamble because it feels exciting when it does so, […] but people gamble because of the schedule of the reinforcement that follows. And this is true of all gambling machines because they all have winning ratios built into them.

Vergleich zum Smartphone: Bei vielen Apps gibt es denselben Effekt: Um bei Twitter auf neue Beiträge zu checken, nutzt man das “Swipe-Down”, das Wischen nach unten. Das erinnert überraschend an die Urform der Slot Machines, den einarmigen Banditen. Und wie bei der Slot Machine kommt bei Twitter manchmal ein Gewinn (ein Like, ein Retweet), manchmal nicht. Bei der Mail-App ist es dasselbe, bei Facebook auch, bei den News ebenfalls.

Sind sich die Entwickler dabei eigentlich bewusst, was sie da machen? In “Addicted by Design” scheint die Antwort: Nein. Ein Zitat aus dem Buch:

“Our game designers don’t even think about addiction,” IGT’s Connie Jones told us in the introduction, “they think about beating Bally and other competitors. They’re creative folks who want machines to create the most revenue”

Ja, und das Management? Das scheint sich ganz auf auf die Friedman Doktrin zu berufen, welche besagt, dass eine Firma allein seinen Shareholdern verpflichtet ist. Ausserdem appellieren sie an die Verantwortung der Spieler:

Unsurprisingly, the gambling industry aggressively dismisses the possibility that technology is part of the problem, or that adjusting its design might be part of the solution. “The problem is not in the products they abuse, but within the individuals,”

Dieselben Mechanismen spielen auch bei der Internet-Industrie: Tristan Harris, der heute bezeichnet wird als “the closest thing Silicon Valley has to a conscience”, hatte als Google-Mitarbeiter bei Google die Skinner-Box-Effekte angeprangert mit dem Appell an Google, etwas zu ändern. Prompt erhielt er innerhalb Google eine neue Funktion, die es ihm erlaubte, sich Vollzeit für sein Anliegen einzusetzen. Leider hatte er in dieser Funktion keine Befehlsgewalt, und so konnte er nichts bewegen. War ja auch klar, denn auch Google ist nur seinen Shareholdern verpflichtet. Das musste Harris schmerzlich erfahren und hat darauf die Firma verlassen.

Ludocapitalism

Das “Spielgeschäft” wird im Fachjargon “Ludocapitalism” genannt. Addiction by Design formuliert dies ziemlich bissig:

Ludocapitalism: Textbook capitalist exploitation thrives in peaceful and productive coexistence with the play-drive of the exploited. […] gamblers become collaborators in the optimization of industry profits.

Während der Industrialisierung motivierte man die Massen mit Zwang (“Coercion”). Doch Zwang funktioniert nur, wenn der Mensch keine Ausweichmöglichkeiten hat. In der nachindustriellen Zeit wurde das Angebot so breit, dass es andere Motivations-Methoden brauchte. Dies wurde durch “Collusion” möglich, einem trügerisches Einverständnis zwischen Produzent und Nutzer:

Der Nutzer geht auf Etwas ein, ohne rational erklären zu können, wieso er das tut. Ist der Nutzer erst einmal aufgesprungen, versucht ihn der Produzent in einen “Flow” zu kriegen, einem Zustand in der menschlichen Psyche, der als positiv empfunden wird. Dieser Flow ist eine ganz tolle Sache, wenn man sich zum Beispiel in seinem Hobby oder Beruf “verliert”, also einen produktiven Fokus erzeugt, aus dem man nicht mehr raus will. Csikszentmihalyi beschreibt das in seinem Buch “Flow” und hat gerade in der Motivationsforschung eine kleine Revolution ausgelöst. Aber derselbe Mechanismus lässt sich natürlich auch nutzen, um Profit zu schlagen, bei den “Slot Machines” kommt das sehr deutlich zum Ausdruck: Hat ein Spieler erst einmal durch einen unterbewussten Entscheid angefangen zu spielen, lässt der Automat keine Pause mehr offen, wo der Spieler seinen unbewussten Entscheid hinterfragen könnte, und erzeugt so einen “Flow”, welcher für den Spieler als sehr positiv empfunden wird.

Aber: der Spieler verliert dabei viel Geld. Eigentlich sollte ihn das kurieren, so dass er sich auf die nächste Spiele-Session nicht mehr einlässt. Das Überraschende: Was süchtig macht ist nicht primär die Aussicht auf Gewinn, sondern vielmehr der Zustand des Flows, der alles andere in der Welt ausschliesst. Es entsteht eine Welt, welche vom Spieler kontrollierbar ist. In diese einzutreten ist einfach. Davon auszutreten praktisch unmöglich.

Die Ähnlichkeiten zum Smartphone sind zu frappierend! Viele lassen sich mit dem Smartphone wecken, und um den Wecker abzustellen sind sie schon “drin”: Noch schnell Notifications checken, Mail und Facebook. Und der ganze Tag ist irgendwie von diesem “always on” durchtränkt; denn für die Meisten - behaupte ich mal - wäre das Weglegen des Smartphones für ein paar Tage ein enormer Willensakt.

Was nun beim Smartphone auf den ersten Blick nicht klar ist: vordergründig scheint der Nutzer nichts verlieren zu können, denn de facto sind die Dienste ja gratis. Da sind die Verhältnisse etwas komplizierter als beim Glücksspiel, wo auf den ersten Blick klar ist, wie das Business-Modell aussieht. Beim Smartphone wird nun indirekt die Zeit des Nutzers ausgenutzt, damit die App die Werbezeit einem Dritten verkaufen kann. Dass diese Konstellation nicht durchsichtig ist, macht es aber nicht besser, sondern nur schlechter.

Im Endeffekt haben wir einen Apparat, wo am längerem Hebel Technologie-Giganten wie Google, Facebook und co. stecken, am kürzeren der Nutzer, welcher nicht versteht, was da gespielt wird und mehr und mehr seiner Zeit opfert, und damit ein paar wenige grosse Firmen noch reicher macht.

Regulation

Government agents smash slot machines in Chicago, 1910

Die Slot Machines kamen um ca. 1900 auf. Schon bald wurden sie attackiert (auch physisch, siehe Bild), es wurden Gesetze aufgestellt, welche aber immer wieder umgangen wurden.

Als dann nach dem 2. Weltkrieg die Slot Machines stark zunahmen, wurden sie überall verboten, ausser im Bundesstaat Nevada, wo auch Las Vegas liegt.

Nach und nach wurden die Regulationen aber wieder aufgehoben, und jetzt sind sie in den meisten Bundesstaaten erlaubt, allerdings mit Einschränkungen, wie z.B. dass in die Maschine kein Geldautomat eingebaut werden darf.

In der Schweiz sind die Casinos dazu “verpflichtet, eine Sperre an­zuordnen, wenn sie wissen oder annehmen müssen, dass ein Gast über seinen finanziellen Verhältnissen spielt”. Ebenso in Deutschland.

Bei Smartphones sind solche Regulationen noch in weiter Ferne. Nichts deutet darauf hin, den Konsumenten zu schützen, zu viel seiner Zeit in dieses Gerät zu stecken. Der Konsens: Der Konsument hat sich ja freiwillig dafür entschieden, wieso soll nun eine übergeordnete Stelle entscheiden, was davon gut sein soll und was nicht?

Klar, das sind die Mechanismen der freien Marktwirtschaft. Der Kunde konsumiert was er will. Und doch müssen auf Zigaretten-Päckchen die Folgen eines übermässigen Konsums sehr plakativ aufgezeigt werden.

Doch hier nimmt niemand Verantwortung an. Die Produzenten nicht. Der Staat nicht. Bleibt die persönliche Verantwortung, welche ich für mich und für meine Kinder treffen muss und will.

Die Smartphone-Debatte ist tot. Tot-langweilig. Sowohl in christlichen wie auch in nichtchristlichen Kreisen wird das Thema viel zu zahm behandelt.

Wo bleibt der Neil Postman der heutigen Zeit? So wie Neil Postman in den 80igern mit “Wir amüsieren uns zu Tode” vor dem Fernseher gewarnt hat, hätte ich nun erwartet, dass ein paar Mutige aufstehen und uns das Problem vor Augen malen würden.

Aber nein, alles was ich lese ist “Digital Detox”, ein bisschen Apps deinstallieren, das Handy auf lautlos stellen und vielleicht mal einen Tag weglegen. Ist es denn nicht klar, dass es so nicht getan ist?

Ist das Problem das Smartphone per se? Nein, natürlich nicht, doch es ist, was es mit uns macht, Neil Postman formuliert es in “Amusing ourselves to Death” treffend:

there is nothing wrong with entertainment. As some psychiatrist once put it, we all build castles in the air. The problems come when we try to live in them.

Auf das Smartphone übertragen: als reines Tool ist es ja total nützlich. Nur verwandelt es sich ganz schnell zur ewigen Ablenkung und zum Zeitfresser. Diese Tatsachen lassen sich nicht verweigern. Es geht nicht anders: es muss einen Weg geben, den Smartphone-Konsum einzudämmen.

Das Problem: Als Smartphone-Gegner landet man in der Ecke der Technologie-Verweigerer. “Du musst halt mit der Zeit gehen!”.

Nun, als leidenschaftlicher Programmierer habe ich dieses Argument relativ schnell entkräftet. Die meisten Dinge lassen sich auch ohne Smartphone auch vom Computer aus machen, ohne so einen permanenten Fokus-Zerstäuber in der Hosentasche zu haben.

Ich habe mein Smartphone vor ein paar Jahren aufgegeben und bin wieder bei einem alten Nokia. Natürlich kann ich nun einige Dinge nicht mehr “hier und jetzt” tun, sondern muss warten, bis ich wieder zu Hause bin.

Doch wie heisst es so schön: “Wenn dein rechtes Auge zum Abfall verführt, dann reiss’ es aus!”. Ist das so schwer? Wer merkt, dass er seine Zeit nur noch vor dem Fernseher verbringt, stellt ihn raus. Wieso passiert nicht dasselbe mit dem Smartphone?

Ja, es gibt viele Leute, die können gut einen Fernseher im Wohnzimmer stehen haben, ohne sich die ganze Zeit davon angezogen zu fühlen. So gibt es auch viele, bei welchen das Smartphone die meiste Zeit auf dem Tisch liegt.

Doch es gibt auch sehr sehr viele, die es nicht können. Gut sieht man, wenn man sich ansieht, wieviel Geld mit Smartphones und Services verdient wird. In der Liste der wertvollsten Firmen der Welt sind die ersten fünf Firmen Technologie-Konzerne. Ja. Alle fünf. Apple, Amazon, Alphabet (Google), Microsoft und Facebook.

Ich glaube die richtige Antwort muss um einiges radikaler sein, als was ich im Netz lese. Sie muss so sein, dass unsere Kinder aufhorchen.

Also: wo sind die radikalen Antworten auf die Smartphone-Krise? Wo sind die, welche weiter gehen als nur ein schlechtes Gewissen zu haben? Wo sind die, welche ihre Smartphones umtauschen zu alten Nokias?

Nach etwas Theorie zum Smartphone-Konsum nun zum eigentlichen Kernstück dieser Reihe: meine – zunächst vergeblichen – Versuche, meine Smartphone-Sucht in den Griff zu kriegen.

Was hier folgt ist eine Rückblende von 8 Jahren Selbst-Versuch zu “mein Handy und ich”.

Versuch 1: das Problem wird sich auswachsen irgendwann

Die Faszination des Smartphones wächst sich irgendwann aus, nicht?

Wenn man alles mal gemacht hat, dann sollte sich irgendwann Langeweile einstellen, oder?

So dachte ich, würde es verlaufen mit dem Smartphone. Denn mit allem anderen Frisch-Gekauften verhält es sich doch so.

So versuchte ich alles zu nutzen, was dieses neue Ding bietet: Ich nutzte Tripadvisor, um gute Restaurants zu finden und Google Maps als Navi, um zu Fuss dahin zu finden. Ich versuchte mich in ständiger Kommunikation über Twitter/Facebook/Mail. Ich nutzte meine Zeit im Zug zur Arbeit mit Hören von Podcasts. Zu Hause wurden alle CDs in MP3s verwandelt, so dass ich mittels Sonos-App die digitale Musik in irgendeinem Zimmer abspielen konnte.

Dazu habe ich zig Accounts eröffnet und Apps installiert.

Bis ich bei 637 Apps war.

Ja, ich hab’s gezählt. Und ja: einige dieser Apps hatte ich gleich wieder gelöscht. (Peinliche Im-Nachhinein-Statistik: wenn ich pro App nur mal 3 Minuten Ausprobier-Zeit zähle, dann war ich damit über 30 Stunden beschäftigt…)

Doch die Faszination liess nicht nach. Ich versuchte, das Ding noch effizienter zu machen, denn es tat noch nicht genau das, was ich wollte.

Also habe ich das Gerät gerootet und andere Betriebssysteme darauf installiert. Und das frass richtig viel Zeit weg. Ich verbrachte Wochenenden damit.

Es dämmerte mir: die übertriebene Faszination nach dem Smartphone würde sich nicht von selbst lösen. Aus dem hohlen Bauch heraus kamen mir zwei Möglichkeiten in den Sinn: Notifications deaktivieren und Apps deinstallieren.

Versuch 2: Notifications deaktivieren

Dass Notifications aus dem Alltag rausreissen, ist ein No-Brainer. Das war mir auch ziemlich schnell klar. Die schlimmsten Notifications waren Mails von der Arbeit: darüber kann ich mich ordentlich aufregen und das kann auch gut einen Abend lang hinhalten.

Die Lösung schien einfach: Zum Glück lassen sich praktisch alle Notifications abschalten.

Doch das funktionierte nicht.

Denn die Neugier im Hirn war stärker: Als die Notifications ausblieben, meldete sich das Verlangen nach neuen Mails. Ich öffnete die Mail-App alle paar Minuten und checkte neue Mails per Swipe-Down. Nun war ich also noch öfter abgelenkt als zuvor, denn auch wenn nichts reinkam, griff ich zum Smartphone. Und noch schlimmer: jede Ablenkung dauerte nun länger, denn falls kein neues Mail da war, stöberte ich kurzerhand durch Altes.

Das war also ein Schritt zurück. Nächster Versuch: Apps deinstallieren.

Versuch 3: Apps deinstallieren

Die Hürde, Mails zu checken ist einfach zu klein, dachte ich. Man müsste die Hürde höher stellen. Falls dann der Wunsch nach neuen Mails aufkommt, dann würde die zu hohe Hürde den Wunsch ersticken.

Also habe ich die schlimmsten Apps deinstalliert. Apps wie “Mail” liessen sich nicht deinstallieren. Da entfernte ich das Konto auf dem Smartphone.

Und: Ja, das funktionierte. Jedenfalls zum Teil.

Es funktionierte genau da, wo der Wunsch genügend klein war. Zum Beispiel beim Checken von Tweets. Oder Facebook.

Es funktionierte zum Beispiel auch auf der Toilette. Oh, das ist nochmals ein Thema für sich: Smartphone-Nutzung auf dem WC. Ich find’s etwas zu unschicklich, um gross darauf einzugehen, doch die Zahlen beweisen, dass mehr als 50% ihr Smartphone auf der Toilette benutzen und ein Arbeitskollege bestätigte mir unlängst, dass seine WC-Besuche erheblich kürzer wären, wenn er sein Smartphone nicht mit sich tragen würde.

Smartphone konsumieren auf der Toilette fällt in die Kategorie “ich-will-jederzeit-unterhalten-werden”. Wie auch das Zücken des Handys beim Warten auf den Bus. Fehlt in solchen Momenten die App, dann ist die Hürde zu gross, um zu einem kleinen digitalen Snack zu gelangen und das Smartphone bleibt in der Hosentasche. Ja, für diese Momente funktioniert das Deinstallieren von Apps.

Nun gab es aber Situationen, wo der Wunsch zu gross wurde. Zum Beispiel nach dem Verschicken eines wichtigen (oder etwas zu emotionalen) Mails. Die Neugierde meldete sich. Sie wollte wissen, wie die Reaktion ausfällt, ob schon ein neues Mail im Posteingang wäre. Anfangs blieb das Smartphone brav in der Hosentasche. Doch der Wunsch meldete sich wiederholt zurück. Und statt durch die hohe Hürde erstickt zu werden, meldete er sich jedes Mal stärker.

Irgendwann gab ich dem Wunsch nach.

Entweder nahm ich dann den Umweg über den Browser. Denn Mail, Twitter, Facebook, etc. lassen sich alle gut über den Browser bedienen, oft ist das Erlebnis sogar ziemlich dasselbe wie über die App. Oder ich installierte die App einfach wieder.

Und meist passierte es dann, dass mit der einen “wieder-installierten” App auch die anderen Apps wieder zurück kamen.

Und so war es dann nur für eine kurze Zeit besser, doch unter dem Strich änderte sich bei meinem Smartphone-Konsum nicht viel.

Versuch 4: Quality-Time

Quality Time

Über einen Zeitschriftenartikel bin ich auf die App “Quality-Time” gestossen.

Damit lässt sich der eigene Smartphone-Konsum gut analysieren: Wie oft greife ich zum Smartphone? Wieviel Zeit verbringe ich in welcher App?

Anfangs war das spannend. Und auch beschämend: “Oh, so viel Zeit wollte ich nicht auf Facebook verbringen, heute versuche ich das besser zu machen”. Es lassen sich auch Alarme konfigurieren.

Doch ausser einem schlechtes Gewissen entwickelte sich bei mir nichts. Denn Alarme kann man einfach wegklicken. Und nach ein paar Mal bleibt dann auch das schlechte Gewissen aus.

Im nächsten Beitrag

Nun, so viel dazu… Was ich eben beschrieben habe, ist so ziemlich alles, was mir das Internet und meine Freunde an Tipps bieten konnten. Und nichts davon hat funktioniert. Nicht mal ansatzweise. Ich war schon einigermassen verwundert.

Und doch fand ich keine Ruhe.

Im nächsten Beitrag meine darauffolgenden – etwas drastischeren – Versuche, welche endlich erste Anzeichen von Besserung zeigten.

Justin Rosenstein – Erfinder des Facebook-Like-Buttons – blockierte auf seinem Laptop Reddit und Snapchat und limitierte Facebook. Doch das genügte nicht. Schlussendlich kaufte er sich ein neues iPhone und beauftragte seine Sekretärin, ihm darauf eine Kindersicherung einzurichten, damit er keine Apps mehr installieren kann.

Leah Pearlman – ehemalige Team-Kollegin von Rosenstein – schloss sich per Browser-Plugin von ihrem Facebook-Newsfeed aus und stellte jemanden ein, der nun ihren Facebook-Feed beobachtet, so dass sie das nicht mehr selbst tun muss.

Es ist natürlich schön zu sehen, dass ich mit meinem Geständnis von letzter Woche nicht alleine bin. Oder auch beängstigend. Doch warum verhält es sich so? Wieso machen Smartphones so abhängig?

Der vermutlich beste Advokat gegen Smartphone-Sucht ist Tristan Harris, ehemaliger Produktmanager bei Google. Er hat bei Google ein Memo verfasst, das aufzeigt, wie Google-Apps unbeabsichtigt süchtig machen, und wie man das ändern könne. Denn immerhin hat Googles Android einen 50% Marktanteil. Er erreichte damit etwa 5’000 Google-Mitarbeiter und hatte damit eine interne Diskussion ausgelöst.

Die Bottom-Line: Smartphone-Apps bringen Nutzer dazu, Dinge zu tun, welche sie aus freien Stücken gar nicht bereit wären zu tun. Sprich: sie nutzen psychische Schwachstellen aus. Der Clou ist, dass der Nutzer das nicht merkt sondern denkt: “Quatsch! Schwachstellen! Ich doch nicht!”.

Hier drei der fünf Punkte aus seinem Memo – angereichert mit weiteren Facts aus seinem TEDx-Talk und einem ausgezeichneten Guardian-Artikel.

Schwachstelle 1: Zeitprognosen sind schwierig

Auch schon mal passiert? Du nimmst das Smartphone um etwas nachzuschauen. Oh. Eine Notification. Draufgeklickt und eine Viertelstunde später: »was wollte ich eigentlich ursprünglich tun?«.

Schwachstelle: die menschliche Psyche ist schlecht, die Dauer einer Handlung vorherzusehen. Insbesondere am Smartphone.
“Nur noch schnell…”. Mit dieser Phrase nimmt mich schon meine Frau hoch.

Wenn es im Voraus möglich wäre zu wissen, wieviel Zeit der Klick auf die Notification auffressen wird, würde ich mich vermutlich anders entscheiden. Doch genau diesen Schwachpunkt nutzen Apps mit Notifications aus, um den Nutzer “reinzusaugen” und “in der App zu behalten” (mehr dazu bei “Schwachstelle 3” unten).

Schwachstelle 2: Periodische Belohnungen machen süchtig

“Swipe-Down” etwas ehrlicher

Bei Langeweile oder bei Enttäuschungen oder bei Anstrengungen sucht das Hirn einen Ausweg: ein kurzer Snack! Vielleicht ist ein neues Mail reingekommen? Oder ein Tweet? Oder lass mich die News checken um zu sehen, was Trump jetzt schon wieder angestellt hat.

Und jetzt kommts: um neue Mails oder Tweets zu schecken, haben die Entwickler das “Swipe-Down” erfunden: Man streicht mit dem Finger von oben nach unten um zu sehen, ob was neues reingekommen ist. Die Ähnlichkeit zu einem Spielautomat (“Slot Machine” oder “Einarmiger Bandit”) ist verblüffend. Jedes Mal wenn man “zieht”, kommt was raus. Ein neues Mail, eine News, oder vielleicht nichts. Wie am Automat.

Loren Brichter, der dieses Feature erfunden hat (per Zufall, denn es gab einfach keinen Platz für einen “Refresh-Button”) meint dazu, er sei verwirrt, dass dieses Feature so lange überlebt habe. Denn Apps könnten auch gut ganz automatisch updaten. Aber auch Slot-Machines könnten automatisch spielen. Tun sie aber nicht.

Dazu Brichter:

Smartphones sind nützliche Tools, aber sie machen süchtig. Swipe-Down zum Refreshen macht süchtig. Twitter macht süchtig. Dies sind keine guten Dinge. Als ich daran arbeitete, war ich nicht genügend reif um darüber nachzudenken. Ich sage nicht, dass ich jetzt reif wäre, aber ein bisschen mehr schon, und ich bedaure die Kehrseite dieser Medaille.

Schwachstelle: die menschliche Psyche verlangt nach Linderung bei Langeweile, Enttäuschungen, Anstrengnungen, etc. Und wenn man sich daran gewöhnt hat, dieses Bedürfnis mit dem Smartphone zu befriedigen, so vertiefen sich diese neurologischen Pfade, so dass dieser Reflex immer stärker wird. »Dies sind die gleichen neurologischen Schaltkreise, welche Menschen dazu veranlasst, nach Essen, Komfort, Wärme oder Sex zu streben« meint Chris Marcellino, ehemaliger Apple-Engineer und nun Neurochirurgist.

Schwachstelle 3: Der Weg des geringsten Widerstandes

Hat es eine App geschafft, einen Nutzer zu triggern, so versucht sie ihn dann möglichst lange zu halten. Bei Youtube kommt das nächste Video automatisch. Bei Netflix auch. Bei Facebook kommen kontroverse Beiträge zuoberst, denn dies behält den Nutzer erwiesenermassen länger in der App.

Doch wie kommen die Apps zu diesen Kniffs? Sind das gezielte psychologische Manipulationen?

Nein. Im Software-Engineering gibt’s ein Konzept das heisst A/B-Testing: Ein neues Feature – z.B. ein neuer Sortier-Algorithmus bei Facebook – zeigt man erst mal einer Test-Gruppe A, die Gruppe B merkt noch nichts davon. Und nun vergleicht man, welche Gruppe besser abschneidet. Apps wie Facebook und Youtube optimieren auf möglichst lange Verweildauer. Und so kommt es, dass ein Entwickler-Team plötzlich über ein Feature stolpert, das die Performance signifikant erhöht. Und “zufällig” spricht das genau eine Schwachstelle der menschlichen Psyche an.

Und da das Internet eine “Schlacht um die Nutzer-Aufmerksamkeit” ist, müssen die anderen Apps nachziehen: Nachdem Youtube das Autoplay eingeführt hat, ist auch Facebook nachgezogen. Sonst ist man ziemlich schnell weg vom Fenster.

Schwachstelle: die menschliche Psyche funktioniert nach “Reflexen” (vergleiche schnelles Denken im “schnelles Denken, langsames Denken”). Spricht eine App diese Reflexe an, kommt der Mensch nicht mehr dazu, zu reflektieren und aus der App auszusteigen (“wie lange will ich hier eigentlich noch weiterschauen?”) und bleibt im Sog der App gefangen.

Wie reagierte Google auf das Memo?

Soviel zum Inhalt des Memos von Tristan Harris. Das Echo darauf war bei Google positiv: Bis in die Chefetagen fanden die Argumente Gehör. Harris wurde zum “Design-Ethiker” befördert. Das Problem war, dass er da keine Entscheidungsgewalt hatte und nur weiter vor sich hin grübeln konnte. Sprich, die Sache ist im Sand verlaufen.

Denn – und nun kommt der wichtigste Gedanke dieses Beitrags –

Google ist Werbefinanziert.

Je mehr Werbung Google anzeigen kann, desto mehr Geld verdient sie.

Sprich je häufiger und je länger Nutzer auf der App sind, desto mehr Geld.

Und Google ist Börsen-Kotiert. Und die Aktionäre wollen Geld. Da kann man lange lieb sein wollen mit dem Nutzer. Schlussendlich macht man die App, welche am meisten Geld reinbringt.

Google und Facebook verdienen mächtig viel Geld. In der Liste der wertvollsten Firmen der Welt (nach Marktwert) ist Google auf Platz 3 und Facebook auf Platz 5.

Wird sich etwas ändern?

Als Tristan Harris merkte, dass sich bei Google nichts ändern wird, hat er gekündigt und die Organisation “Time Well Spent” ins Leben gerufen. Damit versucht er, an Firmen wie Facebook zu appellieren sowie den Nutzer aufzuklären.

Harris meint:

Ich glaube, dass sich etwas ändern wird – die Frage ist nur: woher kommt der Wandel?

Und verweist darauf, dass auch die Bio-Lebensmittel mit kleinen Produzenten angefangen haben.

Doch ich erwarte von solchen Initiativen eher wenig. Denn diese Mechanismen sind Markt-Getrieben und das Business-Modell von News und Social Media ist nunmal Online-Werbung. Und dass sie sich von diesem Business-Modell verabschieden ist sehr unrealistisch. Oder kann sich jemand vorstellen, für Facebook oder Youtube Geld zu zahlen?

Was für mich bleibt ist persönlich Verantwortung anzunehmen.

Was bleibt, ist zuzugeben, dass ich anfällig bin auf Smartphone-Sucht. Dass ich nicht so handle, wie ich eigentlich will.

Persönlich fing ich an, Schritte zu gehen. Und nicht nur ich für mich, sondern auch für meine Kinder. Dazu nun – wie letztes mal versprochen – einige Beiträge ab nächster Woche.

 
 


 

Weiterführende Artikel

Wen es interessiert, mehr über dieses Thema zu lesen: Bester “Primer” für dieses Thema finde ich den Guardian Artikel: “Our minds can be hijacked”. Des weiteren kann ich diese Autoren empfehlen:

__Tristan Harris__: Ex-Google-Employee, jetzt Initiator von "Time Well Spent". Fragt sich (wie ich auch), wieso dieses Thema nicht die Titelseiten von allen Magazinen füllt. Lohnenswert sind sein [TED-Talk](https://www.ted.com/talks/tristan_harris_the_manipulative_tricks_tech_companies_use_to_capture_your_attention) wie auch seine [Posts und Notizen auf Medium](https://medium.com/@tristanharris)  __Anitra Eggler__: Journalistin und Rednerin. Setzt sich im deutschsprachigen Raum für "weniger digitalen Stress ein". Auf ihrer (etwas wirren…) [Homepage](http://www.anitra-eggler.com/) finden sich Artikel und Videos
__Dr. Natasha Schüll__: Kulturanthropologin und Dozentin für Medien, Kultur und Kommunikation. Ihr Buch: [Addiction By Design: Machine Gambling in Las Vegas](https://press.princeton.edu/titles/9156.html) (bin ich gerade am lesen) beschreibt die Spielsucht an Spielautomaten. Der Vergleich zu Smartphones ist geradezu frappierend. Das macht es zum vermutlich besten psychologischen Grundlagenbuch zur Smartphone-Sucht. __Roger McNamee__: Venture Capitalist. Arbeitet mit Tristan Harris an "Time Well Spent". Hat einige [spannende Artikel auf The Guardian](https://www.theguardian.com/profile/roger-mcnamee). z.B. diesen: [Why not regulate social media like tobacco or alcohol?](https://www.theguardian.com/media/2018/jan/29/social-media-tobacco-facebook-google).

Vor ein paar Jahren sass ich mit meinen beiden Kindern (damals 8 und 5 Jahre) beim Brettspiel. Plötzlich fing eines der Kinder an, unter dem Tisch wie wild auf einem alten Handy rumzudrücken.

Ich: »Was in aller Welt machst Du da unter dem Tisch mit meinem alten, kaputten Handy?«
Antwort: »Ich spiele Papi!«

Spätestens da wusste ich: Ich habe ein Problem mit Smartphones.

Bis dahin dachte ich: Smartphone-Sucht ist ein Problem der anderen Leute.

Einmal im Zug konnten wir beinahe nicht aussteigen, weil der vorderste Mann bei der Türe zu sehr mit seinem Handy beschäftigt war um zu merken, dass der Zug längst angehalten hatte und er den Türknopf hätte drücken sollen. Einmal ertappte ich unsere Babysitterin dabei, wie sie Notifications gecheckt hat, um die tote Zeit beim Treppensteigen zu überbrücken (es war nur ein Stock!). Und dann all die Meldungen aus den Zeitungen: Vor Konzerten werden Handys eingsammelt, weil sonst niemand zuhört sondern nur filmt. Bei Rettungsarbeiten stehen Handy-Fotografierer im Weg.

Also bildete ich mir ein, das sei ein “other people’s problem”. Doch da half mir meine Familie zur besseren Einsicht: Nicht nur meine Kinder meinten, ich hätte ein Problem (»Papi, du hast gesagt, du kommst!«), sondern auch meine Frau. Die meiste Zeit über war ich nicht wirklich anwesend.

Wie es soweit kam

Lasst mich mal eine – ziemlich schüchterne – These aufstellen: Wirkliche Probleme mit Smartphones haben Leute, welche…

a) mit Smartphones aufgewachsen sind
b) von Smartphone-besessenen Leuten umgeben sind

Kurzer Check: meine Eltern haben wohl Smartphones, auf die trifft aber weder a) noch b) zu. Wenn ich bei ihnen auf Besuch bin, checken sie nie Notifications auf ihrem Handy. Lasst uns diese These als bewiesen betrachten.

Ich, an meinem 486er, ca. 1999

Nun zu mir: Nein, ich bin nicht mit Smartphones aufgewachsen. Aber mit Computern. Und zwar mit einer ziemlich zünftigen Dosis.

Mit 14 Jahren (1991) kaufte mein Vater unseren ersten Computer. Sofort fing ich an darauf zu gamen und - was mich weit mehr packte - zu programmieren. Dann kaufte ich mir mit 17 Jahren meinen eigenen Computer, mit 19 Jahren (1996) hatte ich meinen ersten Internetzugang (meine Eltern verstanden noch nicht, was ich überhaupt mit der Telefonleitung anstellte).

Ab dann begann ich immer mehr über elektronischen Weg zu kommunizieren. Zuerst über Foren, dann per Mail. Ich war praktisch meine gesamte freie Zeit am Computer. Als ich einmal meinen Computer für 1 Woche zur Reparatur schicken musste, wusste ich nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte (also hängte ich mich vor den Fernseher…).

Somit wäre a) abgehakt, kommen wir zu b), meinem Smartphone-getränkten Umfeld:

Ich, 2. v.l., 2008, beim Abgeben des Armee-Materials, stand ich mit meinem Smartphone-Konsum noch ziemlich allein

Mit 20 Jahren drängten mich meine Freunde ein Handy zu kaufen, damit ich endlich auch immer und überall erreichbar sein könne (remember: damals trugen die meisten ihr Handy noch am Gürtel - schauder!). Auch einen Palm Pilot habe ich mir zugetan, weil… ja, die meisten meiner Freunde hatten einen.

Nach weiteren Handys kaufte ich dann 2007 das erste iPhone. Damals hatte ich eben meine Arbeitsstelle bei der Internet-Plattform local.ch angefangen und alle (ja, alle!) meine Arbeitskollegen kauften sich auch so ein Ding.

Ich installierte Twitter, Facebook, Skype und Mail. Jede Nachricht las und beantwortete ich innerhalb von Minuten. Und das frass immer mehr meiner Aufmerksamkeit weg, was vor allem die Familie zu spüren kriegte. Und es wurde nicht besser. Im Gegenteil. Also musste ich etwas tun.

Und was ich dagegen versucht habe zu tun, was funktionierte und was nicht: Dazu im nächsten Beitrag…

Obwohl: Halt, zuvor noch etwas Theorie um den Smartphone-Konsum. Denn Thesen aufstellen ohne Quellen-Angaben usw. bringe ich als Engineer nicht recht übers Herz…

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