Sieg über das Smartphone – Vergebliche Versuche

Nach etwas Theorie zum Smartphone-Konsum nun zum eigentlichen Kernstück dieser Reihe: meine – zunächst vergeblichen – Versuche, meine Smartphone-Sucht in den Griff zu kriegen.

Was hier folgt ist eine Rückblende von 8 Jahren Selbst-Versuch zu “mein Handy und ich”.

Versuch 1: das Problem wird sich auswachsen irgendwann

Die Faszination des Smartphones wächst sich irgendwann aus, nicht?

Wenn man alles mal gemacht hat, dann sollte sich irgendwann Langeweile einstellen, oder?

So dachte ich, würde es verlaufen mit dem Smartphone. Denn mit allem anderen Frisch-Gekauften verhält es sich doch so.

So versuchte ich alles zu nutzen, was dieses neue Ding bietet: Ich nutzte Tripadvisor, um gute Restaurants zu finden und Google Maps als Navi, um zu Fuss dahin zu finden. Ich versuchte mich in ständiger Kommunikation über Twitter/Facebook/Mail. Ich nutzte meine Zeit im Zug zur Arbeit mit Hören von Podcasts. Zu Hause wurden alle CDs in MP3s verwandelt, so dass ich mittels Sonos-App die digitale Musik in irgendeinem Zimmer abspielen konnte.

Dazu habe ich zig Accounts eröffnet und Apps installiert.

Bis ich bei 637 Apps war.

Ja, ich hab’s gezählt. Und ja: einige dieser Apps hatte ich gleich wieder gelöscht. (Peinliche Im-Nachhinein-Statistik: wenn ich pro App nur mal 3 Minuten Ausprobier-Zeit zähle, dann war ich damit über 30 Stunden beschäftigt…)

Doch die Faszination liess nicht nach. Ich versuchte, das Ding noch effizienter zu machen, denn es tat noch nicht genau das, was ich wollte.

Also habe ich das Gerät gerootet und andere Betriebssysteme darauf installiert. Und das frass richtig viel Zeit weg. Ich verbrachte Wochenenden damit.

Es dämmerte mir: die übertriebene Faszination nach dem Smartphone würde sich nicht von selbst lösen. Aus dem hohlen Bauch heraus kamen mir zwei Möglichkeiten in den Sinn: Notifications deaktivieren und Apps deinstallieren.

Versuch 2: Notifications deaktivieren

Dass Notifications aus dem Alltag rausreissen, ist ein No-Brainer. Das war mir auch ziemlich schnell klar. Die schlimmsten Notifications waren Mails von der Arbeit: darüber kann ich mich ordentlich aufregen und das kann auch gut einen Abend lang hinhalten.

Die Lösung schien einfach: Zum Glück lassen sich praktisch alle Notifications abschalten.

Doch das funktionierte nicht.

Denn die Neugier im Hirn war stärker: Als die Notifications ausblieben, meldete sich das Verlangen nach neuen Mails. Ich öffnete die Mail-App alle paar Minuten und checkte neue Mails per Swipe-Down. Nun war ich also noch öfter abgelenkt als zuvor, denn auch wenn nichts reinkam, griff ich zum Smartphone. Und noch schlimmer: jede Ablenkung dauerte nun länger, denn falls kein neues Mail da war, stöberte ich kurzerhand durch Altes.

Das war also ein Schritt zurück. Nächster Versuch: Apps deinstallieren.

Versuch 3: Apps deinstallieren

Die Hürde, Mails zu checken ist einfach zu klein, dachte ich. Man müsste die Hürde höher stellen. Falls dann der Wunsch nach neuen Mails aufkommt, dann würde die zu hohe Hürde den Wunsch ersticken.

Also habe ich die schlimmsten Apps deinstalliert. Apps wie “Mail” liessen sich nicht deinstallieren. Da entfernte ich das Konto auf dem Smartphone.

Und: Ja, das funktionierte. Jedenfalls zum Teil.

Es funktionierte genau da, wo der Wunsch genügend klein war. Zum Beispiel beim Checken von Tweets. Oder Facebook.

Es funktionierte zum Beispiel auch auf der Toilette. Oh, das ist nochmals ein Thema für sich: Smartphone-Nutzung auf dem WC. Ich find’s etwas zu unschicklich, um gross darauf einzugehen, doch die Zahlen beweisen, dass mehr als 50% ihr Smartphone auf der Toilette benutzen und ein Arbeitskollege bestätigte mir unlängst, dass seine WC-Besuche erheblich kürzer wären, wenn er sein Smartphone nicht mit sich tragen würde.

Smartphone konsumieren auf der Toilette fällt in die Kategorie “ich-will-jederzeit-unterhalten-werden”. Wie auch das Zücken des Handys beim Warten auf den Bus. Fehlt in solchen Momenten die App, dann ist die Hürde zu gross, um zu einem kleinen digitalen Snack zu gelangen und das Smartphone bleibt in der Hosentasche. Ja, für diese Momente funktioniert das Deinstallieren von Apps.

Nun gab es aber Situationen, wo der Wunsch zu gross wurde. Zum Beispiel nach dem Verschicken eines wichtigen (oder etwas zu emotionalen) Mails. Die Neugierde meldete sich. Sie wollte wissen, wie die Reaktion ausfällt, ob schon ein neues Mail im Posteingang wäre. Anfangs blieb das Smartphone brav in der Hosentasche. Doch der Wunsch meldete sich wiederholt zurück. Und statt durch die hohe Hürde erstickt zu werden, meldete er sich jedes Mal stärker.

Irgendwann gab ich dem Wunsch nach.

Entweder nahm ich dann den Umweg über den Browser. Denn Mail, Twitter, Facebook, etc. lassen sich alle gut über den Browser bedienen, oft ist das Erlebnis sogar ziemlich dasselbe wie über die App. Oder ich installierte die App einfach wieder.

Und meist passierte es dann, dass mit der einen “wieder-installierten” App auch die anderen Apps wieder zurück kamen.

Und so war es dann nur für eine kurze Zeit besser, doch unter dem Strich änderte sich bei meinem Smartphone-Konsum nicht viel.

Versuch 4: Quality-Time

Quality Time

Über einen Zeitschriftenartikel bin ich auf die App “Quality-Time” gestossen.

Damit lässt sich der eigene Smartphone-Konsum gut analysieren: Wie oft greife ich zum Smartphone? Wieviel Zeit verbringe ich in welcher App?

Anfangs war das spannend. Und auch beschämend: “Oh, so viel Zeit wollte ich nicht auf Facebook verbringen, heute versuche ich das besser zu machen”. Es lassen sich auch Alarme konfigurieren.

Doch ausser einem schlechtes Gewissen entwickelte sich bei mir nichts. Denn Alarme kann man einfach wegklicken. Und nach ein paar Mal bleibt dann auch das schlechte Gewissen aus.

Im nächsten Beitrag

Nun, so viel dazu… Was ich eben beschrieben habe, ist so ziemlich alles, was mir das Internet und meine Freunde an Tipps bieten konnten. Und nichts davon hat funktioniert. Nicht mal ansatzweise. Ich war schon einigermassen verwundert.

Und doch fand ich keine Ruhe.

Im nächsten Beitrag meine darauffolgenden – etwas drastischeren – Versuche, welche endlich erste Anzeichen von Besserung zeigten.

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