#Gebet

Beitrag von meiner Frau

Betet mit aller Ausdauer, voll Dankbarkeit gegenüber Gott und ohne in eurer Wachsamkeit nachzulassen.” (Kolosser 4,2)

In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, wie es dazu kam, dass das Gebet für mich von einer verabscheuten und erzwungenen Pflichterfüllung um “ein guter Christ” zu sein zu einem überlebenswichtigen, immer wieder herrlichen Teil meines verborgenen Lebens in Christus geworden ist - und warum es trotzdem auch heute noch umkämpft ist.

Viele Jahre war Beten für mich ein “rotes Tuch”. Sowohl in der Gruppe als auch allein. Man könnte da jetzt natürlich viele psychologische Gründe anführen, was alles dahinter steht. Und es spielen sicher einige Dinge aus der Vergangenheit mit. Auch Erlebnisse aus Beziehungen und Gemeinden, die nicht hilfreich waren. Doch darauf möchte ich hier nicht eingehen.

Tatsache ist, dass ich regelmässig “abstürzte”, wenn ich betete. Denn mein Gebet bestand meistens aus einer von zwei Komponenten:

Entweder, ich erzählte Gott, was mich gerade so im Leben beschäftigte. Und da ich eher unsicher, ängstlich und selbstzweifelnd bin, führte das häufig zu emotionalen Abstürzen. Indem ich Gott meine Probleme sagte, verstrickte ich mich immer mehr in meinen eigenen, negativen Gedanken. Von ihm hörte ich nichts. Ich folgte meinen Gedankengängen und die waren allzu oft verzweifelt und pessimistisch. War ich fertig mit Beten, fühlte ich mich schlechter als vorher. Ja, es machte mich geradezu wütend, dass Gott einfach still war und keine Antwort gab. Ich redete ja doch nur an eine Wand. Da war es doch viel hilfreicher, mit einem Menschen zu reden!

Die andere Komponente waren die Bitten an Gott. “Könntest du bitte…?” Ich legte Gott einfach alles vor, was ich mir im Moment wünschte, und hoffte irgendwie, dass sich alles erfüllen würde. Gottes Antworten schienen denn auch wie ein Zufallsgenerator zu sein. Mal wurde eine Bitte erhört, mal nicht. Ich hatte absolut kein Vertrauen, dass Gott meine Bitten hört. Ja, es fehlte mir ganz grundsätzlich das Vertrauen, dass Gott sich überhaupt irgendwie für mich interessiert.

Aber dann erbarmte sich Gott.

2008, als das Gefühl den Höhepunkt erreichte, mein Glaubensleben bestehe nur aus meiner Seite (Ich lese in der Bibel, ich bete, ich versuche ein gerechtes Leben zu führen, von Gott merke ich nichts), zeigte Gott mir als erstes, dass er sehr wohl wahrnehmbar ist. Dass er ein Gegenüber ist, das liebenswert ist. Durch verschiedene Umstände und Bücher zeigte Gott mir und meinem Mann, dass

  • Jesus herrlich ist
  • Gott mich erwählt hat, nicht ich ihn (und dass ich ihm daher willkommen bin)
  • wir Gottes Stimme hören, seine Liebe erfahren und seine Gegenwart spüren können

Mein Mann und ich nennen diese Zeit unsere “Erweckung”, denn sie veränderte unser ganzes Glaubensleben. Ich las das Neue Testament durch und es erschien mir wie ein neues Buch. Was für herrliche Dinge entdeckten wir plötzlich! Wir konnten zum ersten Mal Gott von Herzen mit Liedern anbeten. Und das Gebet fing an, kostbar zu werden, weil wir Gottes Gegenwart immer wieder spürten und uns im Gebet häufig von ihm geleitet fühlten. Wir erlebten auch ganz klare Gebetserhörungen.

Kleine Nebenbemerkung: Zu dieser Zeit gaben wir auch das erste Mal etwas von unserem Besitz weg: unsere Bücher-, CD- und DVD-Sammlung, auf die wir ziemlich stolz gewesen waren (seht mal, wie belesen wir sind und was für einen guten Musik-Geschmack wir haben!) und die uns jetzt eher als Hindernis zu unserer Beziehung zu Gott erschien.

Wir erlebten zwei herrliche Jahre mit Gott. Eine Stelle im Hohelied beschreibt unser Empfinden für Jesus damals sehr gut:

Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter unter den Söhnen! In seinem Schatten sass ich so gern, und seine Frucht war meinem Gaumen süss. (Hoheslied 2,3)

Wir hatten erkannt, dass Jesus herrlich ist und empfanden eine noch nie dagewesene Liebe für ihn. Das Gebet wurde kostbar, weil wir da unsere Liebe zu Jesus ausdrücken konnten und seine Liebe spürten.

Dann kamen schwierigere Zeiten, und obwohl das Gebet eine grosse Hilfe war, rückte es immer mehr in den Hintergrund. Schliesslich betete ich nur noch selten und las auch nicht mehr häufig in der Bibel. Meine eigenen Probleme und Wünsche, die Sorgen und Freuden der Welt, traten in den Vordergrund. Wir zogen von der Wohnung in der Stadt in ein Haus auf dem Land und richteten uns gemütlich ein.

Doch unsere Erlebnisse mit Gott waren nicht ganz vergessen. Ich wusste immer noch, dass Jesus herrlich ist und dass ich Gott dienen möchte. Hie und da drang etwas davon in mein Bewusstsein. Dann, im 2015, kamen mir Bücher von Missionaren und verfolgten Christen in die Hände und ich verschlang sie geradezu. Die lebten so, wie ich es mir wünschte. In diese Zeit fällt der Anfang der Veränderungen, die ich in meinem 9-teiligen Beitrag über Minimalismus beschrieben habe, mit allen Fragen, die wir uns stellten (wie können wir in der Schweiz so leben wie es in diesen Büchern beschrieben ist?).

Ich fing wieder an, in der Bibel zu lesen, aber das Beten blieb schwierig. In dieser Zeit war ein Muster erkennbar: Immer, wenn ich ein Buch am lesen war über einen Menschen, der mit Gott wandelte, loderte das Feuer in mir auf und ich dachte: So will ich auch leben! Ich will mein ganzes Leben für Gott hingeben und nicht mehr für mich selber leben!

Wenn das Buch fertig war (und ich nicht gerade ein neues lesen konnte) fiel ich nach und nach wieder in einen geistlichen Schlaf und meine Gedanken und Wünsche drehten sich wieder um die Welt.

Irgendwann fiel mir etwas auf: Jeder meiner Glaubenshelden betete sehr viel. Alle betonten, wie überlebenswichtig es war, jeden Tag viel Zeit im Gebet zu verbringen. Ja, dass sie ihren Dienst unmöglich tun konnten, ohne täglich lange vor Gott zu kommen. Einige beteten mehrere Stunden am Tag. Sie standen früh auf, um in Ruhe Zeit mit Gott haben zu können (denn sie waren ja alle von früh bis spät für Gott unterwegs). In mir wurde der Wunsch, jeden Tag lange zu beten, immer grösser.

Eines Abends im Bett spürte ich, wie Gott mich “rief”, jeden Tag zu ihm zu beten. Einige Tage später fing ich damit an. Und das hat ziemlich viel verändert.

Am Anfang war es allerdings ein grosser Kampf. Ich glaube, dass Satan sehr wohl weiss, was für eine Kraft im Beten liegt, und dass er mich entmutigen wollte (und immer noch will). Ich stürzte häufig emotional ab, hatte “Blackouts”, wo mir kein Wort mehr in den Sinn kam und manchmal war es, wie wenn eine grosse, schwarze Last auf mir liegen würde. Aber ich gab nicht auf. Und Gott half mir im Gebet, so dass ich meistens nach einer gewissen Zeit den Zugang zu ihm fand. Dass ich sah, wie herrlich er ist und ihn anbeten konnte.

Beim Durchlesen von meinen “Tagebüchern”, wo ich seit 2008 aufschreibe, was ich mit Gott erlebe, sah ich, dass zwischen meinen Aufzeichnungen immer wieder grosse Lücken waren. Mehrere Monate, ja sogar bis zu einem Jahr. Doch ab dem Zeitpunkt, wo ich anfing, regelmässig zu beten, gab es keine grossen Lücken mehr in den Einträgen. Im Gegenteil, die Einträge wurden von zusammenhanglosen Erlebnissen mit Gott zu Einträgen, die immer mehr auf ein Ziel ausgerichtet waren: Nicht mehr für mich selbst zu leben, sondern nur noch für Gott zu leben.

Das war es auch, was mein Gebet im Unterschied zu früher so grundsätzlich anders machte. Hatte ich früher beim Beten vor allem über mich selbst nachgedacht und Gott um die Erfüllung meiner Wünsche gebeten, so fing ich jetzt immer so an: “Jesus, ich will nicht mehr für mich selber leben, ich will nur noch für dich leben! Ich will keine Ziele mehr ausserhalb von dir haben.”

Das mache ich bis heute so. Ich fange jedes Gebet damit an, dass ich Gott sage, dass ich nur noch für Ihn leben will. Dass ich nicht mehr mir selber gehöre. Dass ich seine Sklavin bin, die auf Seine Befehle wartet. Und ich danke Jesus, dass Er so herrlich ist. Und dass Er das Opfer erbracht hat und mich vom Tod errettet hat.

Die Erkenntnis, dass mein verbleibendes Leben hier auf der Erde zu 100% Gott gehört und nicht mir, hat meine Gebete völlig verändert.

Früher hatte ich für die Erfüllung meiner eigenen Wünsche gebetet. Deshalb wurden meine Bitten auch nicht erhört, wie es in Jakobus 4,3 steht:

Und selbst wenn ihr euch an (Gott) wendet, werden eure Bitten nicht erhört, weil ihr in verwerflicher Absicht bittet: Das Erbetene soll dazu beitragen, eure selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen!

Jetzt möchte ich nach Matthäus 6,33 leben:

Es soll euch zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen, dann wird euch das Übrige alles dazugegeben.

Ich stelle es mir so vor: Meine Aufgabe ist es, Gottes Willen zu tun, nur noch für Ihn zu leben und das Evangelium zu verkünden. Gottes Aufgabe ist es, mich mit allem zu versorgen, was ich nötig habe. Also möchte ich meine eigenen Bedürfnisse so klein wie möglich halten und keine Ansprüche stellen. Und wenn ich ein Bedürfnis habe, will ich die Erfüllung davon von Gott erwarten (und nicht selber dafür kämpfen oder andere dafür verantwortlich machen). Ja, einerseits bin ich Gottes Sklavin, die keine Rechte hat und deren Auftrag es ist, widerspruchslos Seinen Willen zu tun (oder anzunehmen). Gleichzeitig ist aber Gott mein Vater, der sich um mich kümmert und meine Bedürfnisse stillt. Die beiden Bilder gehen Hand in Hand.

Seit ich so denke, ist die Last meiner Sorgen viel kleiner geworden (sie ist immer noch nicht so klein, wie ich sie gerne hätte). Wenn ich nämlich nicht mehr für mich selber lebe, ist es ganz in Gottes Verantwortung, was geschieht. Sollte Er nicht fähig sein, Seine Pläne in meinem Leben zu verwirklichen? Die Last, das erreichen zu müssen, was ich selber für mein Leben will, ist weggefallen. Gottes Wille soll geschehen. Es ist auch einfacher geworden zu vergeben oder Enttäuschungen zu ertragen.

Ja, ich erlebe es auch immer wieder, wenn ich mich körperlich schlecht fühle (ja, sogar, wenn ich in depressiver Stimmung bin), dass ich sagen kann: “ Jesus, du bist immer noch gleich herrlich! Gesundheit ist nicht mein höchstes Gut, sondern DU. Wenn es mir schlecht geht, dann ist es halt so. Ich lebe schliesslich nicht für mich selber. Verherrliche du dich durch mein Leben, ob es mir schlecht geht oder gut.” Und es ist, wie wenn dann der Bann gebrochen würde und die schlechten Gefühle keine Macht mehr über mich haben. Dann kann Satan mich plötzlich nicht mehr angreifen mit Angst und depressiven Gedanken. Und Jesu Herrlichkeit wird sichtbar.

Noch etwas anderes zieht der Grundsatz, dass ich nicht mehr für mich lebe, mit sich: Ich drehe mich im Gebet nicht mehr um mich selber, sondern bete mehr für andere. Für unsere Gemeinde. Für unsere Familien (die keine Christen sind), für unsere Nachbarn und Freunde. Für die Missionare, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und die Völker, unter denen sie arbeiten. Für die verfolgten Christen, die wir mit unserem Geld unterstützen. Und mir ist aufgefallen, dass ich die Menschen, für die ich bete, mehr liebe.

Und noch etwas habe ich entdeckt: Dass das Gebet eine grosse Kraft ist. Dass Gott Situationen und Menschen verändert, für die ich bete, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort zu jemandem sage. Ist das nicht herrlich?

Um ganz ehrlich zu sein, befinde ich mich gerade wieder in einer Zeit, wo es schwierig ist, regelmässig zu beten. Aber ich will auf keinen Fall aufgeben. Denn ohne das Gebet kann ich nicht überleben.

Charles Simeon ist einer meiner Glaubenshelden. Während seine Gemeinde ihn jahrzehntelang ablehnte, hat er ihnen geduldig das Evangelium erklärt und schaffte einen “Turn-Around”. Er wurde für die Verkündigung der Gnade Gottes bekannt. Sein Einfluss beschränkte sich nicht nur auf seine Gemeinde, sondern auf auf alle Gemeinden von ganz England.

Er hatte alles andere als einen ausgeglichener Charakter, besonders sein Jähzorn war gefürchtet. Seinetwegen wurden einige Beschwerden eingereicht und dies lässt die anfängliche Ablehnung seiner Gemeinde erklären.

Die Heiligung seines Charakters und seine effektive Art zu predigen hatte eine klar auszumachende Quelle: Sein Gebet. Simeon stand jeden Morgen um vier Uhr auf - auch im Winter - und, nachdem er Feuer gemacht hatte, widmete er die ersten vier Stunden (!) seines Tages dem Gebet und dem Studieren der Bibel.

Aus der Biographie:

Hier war das Geheimnis seiner grossen Gnade und seiner geistlichen Stärke. Seine Lebensführung schöpfte von dieser Quelle, die er mit grossem Fleiss aufsuchte. Er wurde in all seinen Leiden getröstet und wurde für jede Pflicht gerüstet.

Charles Simeon sagt selber über das Gebet:

Ich merke, dass eine ausgesprochene Nähe im Wandel mit Gott eine Notwendigkeit ist, damit mein Gebet leidenschaftlich bleibt. Manchmal hilft das Verspüren unseres irdischen Mangel um Gott leidenschaftlich zu Etwas zu erbeten, oder eine spezielle Gnade wird uns plötzlich bewusst und dies regt unsere Dankbarkeit an; aber ein leidenschaftliches Gebet wird fast ausschliesslich nur denen zuteil, welche eine ständige Nähe zu Gott geniessen

Ein Freund berichtet davon, wie er Charles Simeon nach einem Gebet erlebte:

Er betrat Simeons Raum und fand ihn so versunken in die Betrachtung des Sohnes Gottes, und so überwältigt bei der Wahrnehmung seiner Gnade, die er ihm hat zuteil werden lassen, dass er unfähig war nur ein einzelnes Wort hervorzubringen. Bis, nach einer Weile, in einem Tonfall von eigenartiger Bedeutsamkeit, Simeon hervorstiess: “Herrlichkeit, Herrlichkeit!”.

Dann, ein paar Tage später, an einem Samstag Abend, fand derselbe Freund Charles Simeon…

kaum zu einem Gespräch fähig, überwältig durch ein Gefühl der Demut und Reue

Diese Zitate wirken vielleicht etwas abgehoben oder unwirklich, wer mehr über den Kontext lernen will; über sein Wirken und wie er zum Glauben gekommen ist, dem empfehle ich die Biographie-Predigt von John Piper (Englisch).

Im Beitrag von letzter Woche übers Gebet ging es darum: Jesus rät uns mit dem Vater unser mit dem Wort Gottes anzufangen. Ebenso sind die Psalmen konkrete Gebete, welche wir nachsprechen können.

Das Wort Gottes soll also nicht nur gelesen, sondern auch gebetet werden. Ich kann die Bibel offen vor mir liegen haben und sie betend lesen. Das geht aber nicht immer. Ich liebe es, draussen zu beten. Beim Spaziergang durch die Natur. Dabei ein offenes Buch vor mir zu haben ist schlicht nicht praktisch.

Einfacher ist es, wenn ich Bibelverse auswendig aufsagen kann. So kann meinen ewig kreisenden Gedanken entkommen. Ebenso kann ich meinen Gefühlen entfliehen, die ehrlich gesagt am Anfang des Gebets üblicherweise relativ kalt sind gegenüber Gott.

Nun ist Bibelverse auswendig lernen so eine Sache: Es gibt keinen Moment, wo ich so richtig Lust habe, Bibelverse auswendig zu lernen. Wenn ich dann aber angefangen habe, ist es das süsseste auf der Welt. Und ich übertreibe nicht. Der Moment, wenn sich mir beim Auswendiglernen der Sinn eines Bibelverses erschliesst, der ist als würde es in meinen Gedanken eine kleine Explosion geben, ein Feuerwerk. Es ist als würde ich eine neue Facette von Gott kennenlernen. Das passiert mir nicht bei jedem Bibelvers, aber doch genügend oft.

Was sich auch einstellt: wenn ich die Bibelstelle auswendig kann, fühlt es sich so an, als hätte ich die Bibelstelle “gegessen”. Ich habe sie verinnerlicht. Niemand kann sie mir wieder wegnehmen. Ich habe einige Berichte von Christen gelesen, die ins Gefängnis kamen und das einzige was ihnen blieb, waren auswendig gelernte Bibelverse, die sie in weiser Voraussicht vorher gelernt haben. Sie konnten sich Teile der Bibel aufsagen und nicht selten konnten sie genau deswegen überhaupt geistlich überleben.

Ganz praktisch nutze ich das Programm “Anki“. Ich nutze es auf meinem Mac, es gibt es aber auch für Handies (iOS und Android) wie auch für Windows. Es ist ein Lernkartensystem. Ich gebe einen Bibelvers ein, lerne ihn kurz und dann mache ich tägliche Repetitionen von 5-10 Minuten. Verse die ich nicht kann, kommen bei der nächsten Repetition wieder. Kann ich Verse mehrere Male nacheinander, so kommen sie erst in mehrere Tage oder Woche für die nächster Repetition. So kann ich jeden Tag einen Vers auswendig lernen und so kommt über die Zeit ein gutes Repertoire von Bibelversen zusammen.

Und so muss ich beim Gebet im Freien kein Buch vor mir hertragen, sondern kann die Bibelverse auswendig vorsagen, welche ich die vergangenen Tage “gegessen” habe.

Ein regelmässiges Gebet von mir lautet: “Herr, lehre mich beten”. Immer mehr werde ich mir meiner Unfähigkeit bewusst: Meine Gedanken schweifen ab. Oder ich ertappe mich, wie ich Phrasen bete, die ich nicht ernst meine.

Das Gute: ich merke, wie Gott mein Gebet “lehre mich beten” erhört, und mir nach und nach Erkenntnisse schenkt. Hier ein erster Beitrag dazu.

Joe Novenson über Gebet

Die Podcast Episode “Joe Novenson on the Power of Prayer“ war für mich die erste Gebetserhörung.

Hier ein paar Gedanken daraus:

  • Jesus Antwort auf die Frage “wie sollen wir beten?” war das “Vater unser”, ein konkretes Gebet. Das hat mich immer gestört. Die Frage der Jünger war “Wie sollen wir beten?”, Jesus antwortet mit “Was sollen wir sprechen?”. Er gab ihnen Worte zu sprechen. Wieso denn? Konkrete Worte wirken mechanisch, unspontan, unaufrichtig.
  • Soll ich das “Vater unser” 1:1 nachsprechen? Falls ja, dann wäre das ein sehr kurzes Gebet! Und falls ich es wiederholen würde, wäre ich nicht wie die “plappernden Heiden” die meinen, durch viele Worte würden die Gebete erhört?
  • Dieses konkrete Gebet ist eine Hilfe für die geistlich Schwachen. Ehrlicherweise muss ich mich dazu zählen. Ist nicht peinlich, denn Jesus hat seine Jünger mit dazu gezählt.
  • Gebete wie Apg 4,23-33 oder Off 15,3-4 sind Zitate aus der Bibel. Also schienen Jünger im Neuen Testament und sogar Engel in ihren Gebete Bibelstellen zu zitieren
  • Schätzungsweise 10% von allen Aussagen von Jesus sind Zitate aus dem Alten Testament. Jeder zehnte Satz!
  • Von Natur aus sind wir unabhängig, wir denken, wir wissen schon, wie wir beten sollen, aber unsere Einstellung soll demütig sein: Ich brauche Belehrung.
  • Wenn ich eine Bibelstelle bete, dann beginne ich das Gebet “von Gott her” und nicht “von mir her”. Denn ich weiss oft gar nicht, wo ich anfangen soll, denn ich bete “aus der Tiefe”, bin durchtränkt von weltlichen Gedanken. Wenn ich mit Gottes Wort anfange, dann kann ich mich hinauskatapultieren aus der Welt, hin zu Gottes Gedanken
  • Die Psalmen sind konkrete Gebete. Es ist das längste Buch der Bibel. Und das aus einem Grund: weil wir genügend Nahrung für unser Gebet brauchen. Es gibt kein Buch, das uns lehrt, wie wir evangelisieren, aber eines, das uns lehrt, was wir beten sollen.

Auch John Piper empfiehlt das Beten von Psalmen. Darüber habe ich vor ein paar Jahren schon einmal geschrieben.

Fortsetzung folgt!

Über knapp 2 Wochen haben 9 Autoren erzählt, wie sie ihr Bibellesen und Gebet gestalten. Dabei kamen sehr unterschiedliche Beiträge zusammen, und das hat mich sehr gefreut. Denn in der Bibel steht nicht, wann und wie lange Bibel lesen und beten soll. (Ben Misja hat anhand Ps 1,2 erklärt, wie weit die Bibel in diesem Thema geht).

Es ist eine reichhaltige Anzahl Anregungen zusammengekommen:

Autor Lebenssituation Praktiken / Empfehlungen
Ruth Metzger alleinstehend, berufstätig Regelmässiges Lesen, Beziehungs-Gebet, Fürbitte, Austausch in Kleingruppe
Hansruedi Stutz alleinstehend, pensioniert regelmässiges Lesen
Hanniel Strebel Vater von 5 Kindern, 70% berufstätig regelmässiges Lesen und kämpfen um die Sehnsucht nach Gott
Dave Jäggi Vater von 3 Kindern, 50% berufstätig, 50% im Gemeindedienst Eigenen Stil finden, verschiedene Orte und Symbole, Schöpfung
Sebastian Walter In Ausbildung zum katholischen Priester Stossgebet, Lieblingsgebete (bekannte Gebete), Zeitungsbeten
Jonas Erne Frischgebackener Vater, berufstätig, im Predigtdienst Regelmässiges Lesen, Lobpreis, Zungengebet
Ben Misja Vater von 4 kleinen Kindern, Theologe Bibelexegese bei Predigtvorbereitung, Dankgebet, Nachdenken (Bibel-Meditation)
Hans-Jörg Ronsdorf Vater von 5 fast erwachsenen Kindern, Selbständig, Bücher-Autor Bewusste Suche nach Begegnung mit Gott (statt Leseplan)
Eddi Klassen Vater von 3 Kindern, Berufstätig bei christlichem Verlag Bibelleseplan, Gebet als Antwort auf Lesen, Andachts- Bücher, Lesebibeln, Gemeinsames Lesen

Nochmals vielen herzlichen Dank allen Autoren für das offene Erzählen. Es ist mein Gebet, dass es einigen Christen neue Ideen für ihre Stille Zeit gegeben hat. Was mich selbst überrascht hat, ist dass fast alle Gebet und Bibellesen miteinander vermischen (ich hatte das früher voneinander getrennt).

Noch was: wie man die Bibel lesen kann ohne die Bibel zu lesen

Ich würde gerne noch zwei Tipps hinzufügen. Manchmal ist es wirklich schwer, Zeit zu finden um die Bibel zu lesen. Ich merkte das vor allem mit kleinen Kindern – manchmal klappt es schlicht nicht, zusammenhängende Zeit zu finden. Aber es gibt Alternativen!

Die Bibel, vorgelesen

Die App "Bible" auf iOS und Android liest die Bibel vor – von einem menschlichen Sprecher vorgelesen

In der App “Bible” (auf iOS und Android verfügbar) gibt es einige Übersetzungen, welche eine echte, gesprochene Version anbieten (Deutsch leider nur die Lut1912, Englisch gibt es z.B. die ESV). Damit konnte ich unterwegs im Zug die Bibel hören und dabei erst noch nach Bibelleseplan. Damit hatte ich vor 2 Jahren das erste Mal die Bibel in einem Jahr durchgehört.

Wem der Bibelleseplan egal ist, für den gibt es viele Hörbibeln, welche als CD oder mp3 verfügbar sind.

Die Bibel, gesungen

Galatians & Philippians, gesungen von "Covenant Life Church"

Manchmal, beim Abwaschen höre ich gesungene Bibelverse. Nach ein paar Wiederholungen singe ich sie mit und dann sind sie “drin”. Ich habe oft erlebt, dass ich Untertags das Lied vor mir hergesungen hatte, und es mich plötzlich “getroffen” hat: Ähnlich wie beim Bibelverse auswendig lernen, fühlt es sich für mich so an, als würde ich das Wort Gottes “essen” und die Verse kommen einem so nahe wie sonst nie.

Ich habe einige “Scripture Song”-Alben durchprobiert (habe nur englische gefunden). Empfehlen kann ich Matt Papas “Scripture Songs And Hymns 2“ (vor allem “1 (His Delight)”), doch was meiner Frau und mir besonders gefallen hat, sind folgende Lieder aus Galater und Philipper. Die Lieder sind ruhig und eignen sich hervorragend zum Mitsingen. Die Lieder sind von Christen der “Covenant-Life”-Gemeinde gesungen, und wurden gratis zum Downloaden publiziert. Leider sind die Files auf ihrer Website nicht mehr verfügbar, darum habe ich sie hier online gestellt: (hier alle mp3s in einem zip-File)

Galatians

Grace To You Galatians 1:3-5
As We Have Said Galatians 1:9
For I Would Have You Know Galatians 1:11-12
Yet Because Of False Brothers Galatians 2:4-5
Yet We Know That A Person Galatians 2:16
For Through The Law Galatians 2:19-20
O Foolish Galatians Galatians 3:1-2
Christ Redeemed Us Galatians 3:13-14
Now Before Faith Came Galatians 3:23-24
But When The Fullness Galatians 4:4-6
For Freedom Galatians 5:1
For You Were Called To Freedom Galatians 5:13
But I Say Walk Galatians 5:16
But The Fruit Of The Spirit Galatians 5:22-24
For The One Who Sows Galatians 6:8-9
But Far Be It From Me Galatians 6:14

Philippians

I Thank My God Philippians 1:3-6
And It Is My Prayer Philippians 1:9-11
I Want You To Know Brothers Philippians 1:12
For To Me Philippians 1:21
Only Let Your Manner Of Life Philippians 1:27
Do Nothing From Rivalry Philippians 2:3-4
Have This Mind Philippians 2:5-8
Therefore God Has Highly Exalted Him Philippians 2:9-11
Work Out Your Own Salvation Philippians 2:12b-13
Do All Things Philippians 2:14-15a
For I Have No One Like Him Philippians 2:20-21
But Whatever Gain I Had Philippians 3:7-11
I Press On Philippians 3:14
But Our Citizenship Philippians 3:20
Therefore My Brothers Philippians 4:1
Rejoice In The Lord Philippians 4:4
Do Not Be Anxious Philippians 4:6
Finally Brothers Philippians 4:8-9
I Can Do Philippians 4:13
And My God Will Supply Philippians 4:19-20
The Grace Of The Lord Jesus Christ Philippians 4:23

Dies ist Gastbeitrag Nr. 9 in der Reihe, wo Christen erzählen, wie sie ihr Bibellesen und Beten gestalten. Hier geht’s zur Übersicht.


Eddi Klassen

Eddi, erzähle kurz über Dich: Wie lange bist Du schon Christ? In welcher christlichen Tradition lebst Du? Was machst Du beruflich? Hast Du Familie?

Ich habe gläubige Eltern und wusste schon mit 9 Jahren, dass ich ohne Glauben an Jesus verloren gehe. Nach einer Kinderstunde habe ich mich bekehrt. Aber erst mit 15 oder 16 Jahren kam die große Sündenerkenntnis. Dies führte mich zum Kreuz. Dort fand ich Gnade und ließ mich danach taufen. Meinen Glauben finde ich wunderbar zusammengefasst im Glaubensbekenntnis der Mennoniten-Brüdergemeinde vom Jahr 2000 und dem Baptistischen Glaubensbekenntnis von 1689. Seit einigen Wochen arbeite ich beim Betanien Verlag. Ich bin verheiratet und wir haben drei Söhne.

Welches sind die Herausforderungen, um Zeit zu finden für das persönliche Gebet/Bibellesen?

Die Herausforderungen ändern sich mit den Lebensumständen. Zur Zeit habe ich wieder einen regelmäßigen Tagesablauf und die Zeit für Gott nimmt wieder größeren Raum ein.

Nutzt Du einen Bibelleseplan? Wenn ja, welchen?

Ich habe im Laufe der Jahre verschiedene Lesepläne verwendet. Erwähnen möchte ich nur einen, mit dem man in 90 Tagen die Bibel durchliest. Das schafft man, wenn man ca. 1 Stunde pro Tag in der Bibel liest. Das ist einfacher als man denkt. Weitere Infos gibt es hier

Ich habe in meinem Elternhaus gelernt, regelmäßig die Bibel zu lesen. Familienandachten und ermutigende Worte der Eltern haben mich dabei unterstützt. Das versuchen wir jetzt auch bei unseren Kindern. Unser Ältester verwendet seit diesem Jahr das Andachtsbuch Die Spur 2015. Im Laufe des Jahres hat er so zahlreiche Kapitel aus der Bibel selbstständig durchgelesen.

Wie teilst Du Gebet und Bibellesen auf?

Mein erster Jugendleiter erklärte den Zusammenhang zwischen Bibellesen und Gebet folgendermaßen: Wenn dein Vater mit dir redet, dann hörst du ihm zu und reagierst darauf. Du sprichst mit ihm. Und wenn dein himmlischer Vater durch sein Wort zu dir redet, dann solltest du erst recht antworten. Rede mit ihm im Gebet über das, was er dir mittels der Schrift gesagt hat. So handhabe ich das auch seit Jahren.

Führst Du eine Liste mit Anliegen, für die Du regelmässig betest?

Nein. Aber die Anliegen nehmen zu und eine Liste wäre da sicher hilfreich.

Wie schaffst Du es, dass deine Zeiten mit Gott “frisch” bleiben und nicht einschlafen?

Ich habe im Laufe des Tages verschiedene Zugänge zum Wort Gottes. Morgens nach dem Aufwachen lese ich in der Logos App. Am Frühstückstisch eine Andacht mit der ganzen Familie. Abends lese ich zusammen mit meiner Frau. Und zwischendurch und unterwegs lese ich gerne auf meinem eBook-Reader die Lesebibel in der Menge-Übersetzung. Diese Bibel verzichtet auf Versnummerierungen und Überschriften. So lasse ich den Text auf mich zusammenhängend wirken und kann zügig einige Kapitel am Stück lesen. An dieser Stelle möchte ich Philipp danken, für seine Mithilfe an der Erstellung der Lesebibel.

Was rätst Du jemandem, dem sein Bibellesen/Gebet “eingeschlafen” ist?

Aufzuwachen! Dazu wird aber oft Hilfe von außen notwendig sein. Frage deine Geschwister in der Gemeinde, wie sie die Bibel lesen. Hilf dort, wo Schläfrigkeit sichtbar wird. Biete anderen an, zusammen nach einem Bibelleseplan vorzugehen. Frage deinen Ehepartner, wie es mit dem Bibellesen und Gebet steht. Lest gemeinsam in der Bibel.

Dies ist Gastbeitrag Nr. 8 in der Reihe, wo Christen erzählen, wie sie ihr Bibellesen und Beten gestalten. Hier geht’s zur Übersicht


Hans-Jörg Ronsdorf

Hans-Jörg, erzähle kurz über Dich: Wie lange bist Du schon Christ? In welcher christlichen Tradition lebst Du? Was machst Du beruflich? Hast Du Familie?

Ich bin in christlichem Elternhaus aufgewachsen, habe mich mit 14 Jahren bekehren dürfen. Ich komme aus einer sehr konservativen Richtung, die auf persönliche Bibellese und Gebet sehr viel Wert gelegt hat. Jetzt bin ich 51 Jahre alt, Vater von 5 fast erwachsenen Kindern. Ich bin selbstständig und teils viel unterwegs im In- und Ausland.

Welches sind die Herausforderungen um Zeit zu finden für das persönliche Gebet/Bibellesen?

Für mich ist die Herausforderung, die Bibel nicht nur als Predigtvorbereitung zu lesen, und als „Material“ ein Buch zu schreiben, sondern das Wort als persönliche Botschaft für mein Leben Raum zu geben. Das ist meine Anstrengung, die Stille vor Gott etwas sehr persönliches werden zu lassen ohne in theologische Kategorien oder eine mögliche Predigt abzugleiten.

Manchmal lese ich die Bibel 2 oder 3 Tage gar nicht. Nicht mit Absicht, sondern weil auf Reisen manchmal bei mir so etwas nicht klappt. Das weckt ganz neuen Hunger nach dem Wort in mir und läßt mich das Wort tatsächlich manchmal erleben, als würde ich es das erste Mal lesen.

Einerseits bewundere ich jene mit eiserner Disziplin zur täglichen Bibellese. Doch mir ist eine Pflicht nicht so wichtig wie das echte Erlebnis, dem Herrn in seinem Wort zu begegnen.
Ich denke dann auch an die Sklaven, die Christen wurden und nie weder das AT noch das NT in den Händen hielten. Wie sah ihr geistliches Leben aus? An der Bibellese alleine hängt das nicht. Und Beten kann man im Gegensatz zur Bibellese oft, sehr oft auch ohne gesprochene Worte.

Nutzt Du einen Bibelleseplan? Wenn ja, welchen?

Ich nutze keinen Bibelleseplan, weil mir das nie geholfen hat. Es gibt eben Zeiten, wo es nicht klappt und dann hilft kein Plan mehr.

Wie teilst Du Gebet und Bibellesen auf?

Die Lesezeit ist immer länger als die Gebetszeit. Dabei empfinde ich oft, dass ich länger und intensiver beten könnte.

Führst Du eine Liste mit Anliegen, für die Du regelmässig betest?

Manchmal tue ich das und zwar dann, wenn ich merke, dass mir die Gebetsanliegen „aus dem Kopf“ ausgehen und ich dann instinktiv merke, es wäre besser, sie schriftlich notiert zu haben. Ich benutze manchmal eine Liste, weil es hilfreich ist.

Wie schaffst Du es, dass deine Zeiten mit Gott “frisch” bleiben und nicht einschlafen?

Das Wort weckt mich immer wieder auf. Selten lese ich die Bibel, ohne dass mich etwas angesprochen hat. Auch bei Texten, die ich schon oft gelesen habe.
Diese Texte begleiten mich selten durch den Tag, es sind vielmehr Begegnungen die mich prägen für den Tag.

Was rätst Du jemandem, dem sein Bibellesen/Gebet “eingeschlafen” ist?

Ich empfehle einen Neustart mit der konkreten Bitte an Gott den Vater durch seinen Geist das Wort lebendig zu machen, aktuell, ermutigend, erleuchtend, korrigierend und spannend.


Hans-Jörg Ronsdorf ist Autor von 2 Büchern, welche im CLV-Verlag erschienen sind: »Gottes Lamm, Golgota und die Ewigkeit« sowie »Entrückung - Himmel - Ewigkeit«


Dies ist Gastbeitrag Nr. 7 in der Reihe, wo Christen erzählen, wie sie ihr Bibellesen und Beten gestalten. Hier geht’s zur Übersicht


Benjamin Misja

Ben, erzähle kurz über Dich: Wie lange bist Du schon Christ? In welcher christlichen Tradition lebst Du? Was machst Du beruflich? Hast Du Familie?

Ich bin in einer freikirchlichen Familie aufgewachsen und als Jugendlicher langsam aktiver Christ geworden. Momentan gehöre ich einer kleinen Baptistendenomination in den Vereinigten Staaten an. Ich habe vier Kinder und bin von Beruf zurzeit selbstständiger Theologe. Aber nicht von der Sorte, die sich für Beerdigungen mieten lässt oder Bücher schreibt. Meine Tätigkeit besteht darin, dass ich für eine Bibelsoftwarefirma digitale Inhalte zur Bibel in deutscher Sprache erstelle.

Welches sind die Herausforderungen, um Zeit zu finden für das persönliche Gebet/Bibellesen?

Für mich ist das relativ schwer. Ich arbeite zuhause und meine Kinder sind noch sehr klein. Davon kommt man kaum weg. Wenn ich z.B. früher aufstehen will, schlafen sie nicht einfach weiter…

Lass mich versuchen zu beschreiben, wie mein geistliches Leben aussieht. Ich merke zunehmend: Mein Weg mit Gott funktioniert (zumindest zurzeit) anders. Meine Beziehung zu Gott sucht sich sozusagen andere Wege.

Ich habe das Glück, dass ich fast jeden Tag mehrere Stunden mit dem Bibeltext verbringe - sei es bei meiner Arbeit, bei Internetdiskussionen oder beim Bloggen. Dazu kommen der Hauskreis und das wöchentliche Treffen mit meinem Pastor, dem ich bei der Predigtexegese und -meditation helfe. Nicht immer kann ich die Bibel dabei sozusagen für mich persönlich lesen. Aber Gott versorgt mich jede Woche mit neuen geistlichen Impulsen und einem oder zwei Texten, die mein Verständnis des Evangeliums vergrößern oder mein Gewissen treffen.

Ich habe über Jahre mit dem Problem gekämpft, trotz der Belastung Gelegenheiten für die Stille Zeit zu finden. Es hat nicht geklappt. Ich habe irgendwann angenommen, dass das eine normale Phase im Leben von Eltern sein kann, die aber auch nur das ist: Eine Phase. Als Christ muss ich ja nicht perfekte Angewohnheiten entwickeln. Frei nach Paulus: Ich lebe aufgrund der Gnade, nicht aufgrund von Werken. Was dann zählt, ist, wie ich mein Leben ausrichte, nicht, wie gut ich dabei bin.

Nutzt Du einen Bibelleseplan? Wenn ja, welchen?

Nein. Gelegentlich lese ich Andachten. Manchmal kehre ich zu einer Stelle zurück, die ein gerade relevantes Thema behandelt. Bei der Predigtvorbereitung geht es fortlaufend durch ein bestimmtes Buch. Für mich selbst lese ich sonst einfach ein Bibelbuch am Stück.

Führst Du eine Liste mit Anliegen, für die Du regelmässig betest?

Dazu fehlt mir leider doch die Struktur des regelmäßigen Gebets. Es gibt Christen, die Stunden im Gebet verbringen können. Mir fällt das schwer - vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Stille Zeit bei mir etwas kurz kommt. Wenn ich ein Anliegen habe, vertraue ich darauf, dass ich es vor Gott nicht wiederholen muss, weil er ohnehin Bescheid weiß (Mt 6,7-8). Ich vertraue auch im Gebet in meiner Schwachheit auf Gottes Gnade und überlasse es dem Heiligen Geist, mir die Dinge aufs Herz zu legen, für die ich beten soll (nach Röm 8,26).

Ich merke jedoch, wie das Beten einfacher wird, wenn man viel Zeit in Gottes Wort verbringt. Ein Effekt davon ist für mich, dass sich in mir Dankbarkeit für Gottes Wohltaten in meinem Leben formt. Ich kann Gott jeden Tag für mein täglich Brot und seine treue Versorgung danken. Ich danke ihm oft für ganz Alltägliches - die Familie, das Essen, ein Quentchen Glück, usw. Ich denke da immer an Paulus, der sagt: “Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so wollen wir uns daran genügen lassen.” (1Tim 6,8) Alles, was ich sonst habe, ist ein Segen, den mir Gott zum umsichtigen Gebrauch anvertraut hat und für den ich dankbar bin. Für solches Beten brauche ich dann auch keine Stille Zeit mehr.

Wie schaffst Du es, dass deine Zeiten mit Gott “frisch” bleiben und nicht einschlafen?

Das klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich hole immer dann am meisten aus einem Bibeltext, wenn ich ihn richtig gründlich exegesiere. Das ist mein Zugang zum Text. Da entdecke ich Nuancen und Zusammenhänge, die sonst verborgen blieben. Zudem prägen sich der Text und seine Wahrheiten bei der längeren Beschäftigung auf Dauer ein. Besonders schön ist es bei einer Predigtexegese, weil man dabei gezielt darüber nachdenkt, wie man Bibeltexte im Rahmen der Heilsgeschichte erklären und dann aufs Leben anwenden kann. Es sind die Abschnitte, die ich exegesiert habe, die meine Theologie prägen; die in den Momenten da sind, wenn es drauf ankommt.

Was rätst Du jemandem, dem seine Stille Zeit “eingeschlafen” ist?

Ein wichtiger Vers für mein geistliches Leben ist Ps 1,2: 'Glücklich zu preisen ist', wer Verlangen hat nach dem Gesetz des Herrn und darüber nachdenkt Tag und Nacht. (NGÜ) Ich finde einige Erkenntnisse zu dieser Frage beim Nachdenken *über diesen Vers. Ohne jetzt eine volle Auslegung durchziehen zu wollen, finde ich hier drei bemerkenswerte Aspekte: 1. Das *Verlangen *nach Gottes Wort, 2. die Zeitangabe *Tag und Nacht, 3. das Wort nachdenken.

  1. Ich glaube nicht, dass man die Qualität des geistlichen Lebens (das Verlangen, die “Lust”, wie es bei Luther heißt) immer selbst beeinflussen kann. Viele Christen haben einmal eine geistliche Dürrephase, in der Gott überhaupt nicht mehr zu spüren ist und für die es keine Erklärung gibt. Doch manch anderer hat vielleicht einfach nur den geistlichen Faden verloren und ist aus dem Tritt gekommen. Meine Beobachtung ist, dass sich das Verlangen gerne selbst einstellt, wenn ich nur wieder die Angewohnheit aufnehme, über Gottes Wort wirklich nachzudenken. Und dazu finde ich Impulse in der zweiten Vershälfte.
  2. Tag und Nacht kann hier schlecht wörtlich gemeint sein. Der Psalmenschreiber benutzt es als Stilmittel, das die beabsichtigte Aussage überzeichnet. Die Bibel ist eben nicht nur für den Sonntag, sondern für jeden Moment des Lebens. Wer die Bibel so in das Leben sprechen lässt, der wird automatisch darüber nachdenken und, zumindest in meinem Fall, schließlich auch zurück zum Gebet kommen. Worauf ich hinaus will: Stille Zeit ist nach Ps 1,2 offenbar etwas, das man jederzeit im Kopf tun kann. Ich sehe da Paulus als Vorbild. Der schreibt in jedem zweiten Brief noch im ersten Kapitel, dass er “allezeit” (Luther) betet. Aber natürlich trifft es den Sinn des Verses genauso gut, wenn man sich dafür regelmäßig Zeit reserviert.
  3. Nachdenken wird in englischen Übersetzungen interessanterweise mit dem Wort “meditieren” wiedergegeben. Der Psalm lässt jedoch offen, wie dieses Nachdenken oder Meditieren zu geschehen hat. Gedanken sind ja auch kein Prozess, den man reglementieren müsste. Entscheidend scheint zu sein, dass man Gottes Wort im Kopf hat und es im Nachdenken besser versteht.

Ich will das einfach mal frei auf die Praxis der Zeit mit Gott übertragen: Christen haben viele verschiedene Wege entwickelt, wie sie sich Gottes Wort ins Bewusstsein einprägen oder viel aus dem Gebet herausholen können. Die regelmäßige Stille Zeit ist die bekannteste Methode, aber die Frage ging ja von dem Problem aus, dass die Stille Zeit als “Zugang” eingeschlafen ist. Dave, Sebastian und Jonas haben uns schon einen Eindruck von weiteren Möglichkeiten gegeben. Und ich habe in Frage 6 beschrieben, dass ich meinen Zugang zur Bibel häufig in gründlicher Exegese finde. All das sind für mich Beispiele, wie Ps 1,2 ganz praktisch aussehen kann. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten:

  • in besonderer Umgebung Bibel lesen
  • Bibelverse auswendig lernen (Anm. von Philipp: dazu habe ich hier etwas geschrieben)
  • Lobpreismusik hören oder machen
  • Bibelszenen malen. Ich erinnere mich an einen Artikel in “Faszination Bibel”, der genau das beschrieb.
  • Bibelarbeit mit anderen

Zusammenfassend

Nach meiner Erfahrung kommt das Verlangen nach Bibel und Gebet häufig dann, wenn ich mich ernsthaft damit beschäftige. Das Verlangen nach dem Wort stellt sich mit der wachsenden Faszination dafür quasi selbst ein. Wem das fehlt, dem hilft vielleicht ein neuer Zugang zu Gottes Wort, um wieder neu davon fasziniert zu werden.


Benjamin Misja bloggt auf biblio-blog


Dies ist Gastbeitrag Nr. 6 in der Reihe, wo Christen erzählen, wie sie ihr Bibellesen und Beten gestalten. Hier geht’s zur Übersicht


Jonas Erne

Jonas, erzähle kurz über Dich: Wie lange bist Du schon Christ? In welcher christlichen Tradition lebst Du? Was machst Du beruflich? Hast Du Familie?

Es sind jetzt 13 Jahre, seit der Herr Jesus mich bezwungen und der Heilige Geist mich zu Ihm gezogen hat. Ich bin ein Pfingstler, der gerne über den Tellerrand hinausblickt, und habe deshalb Freude an der Vielfalt der Gemeinden, die sich zum Herrn Jesus und zur unbeschränkten Zuverlässigkeit der Bibel bekennen. Seit 6 Jahren bin ich verheiratet und im Mai dieses Jahres ist unser erstes Kind, ein Sohn, zur Welt gekommen. Nachdem ich Theologie studiert habe, arbeite ich jetzt in der Kunststoffproduktion und helfe natürlich auch in unserer Gemeinde mit. Ab und zu werde ich auch von verschiedenen befreundeten Gemeinden eingeladen, um dort als Gast zu predigen.

Welches sind die Herausforderungen um Zeit zu finden für das persönliche Gebet/Bibellesen?

Zeit haben wir eigentlich alle genug, nämlich 24 Stunden am Tag. Das Zeit haben ist somit nicht das Problem. Das Zeit zu finden ist dann eher eine Frage der Prioritäten. Was mir wichtig ist, das setze ich an den Anfang des Tages, dann kann mir nichts anderes dazwischen kommen.

Nutzt Du einen Bibelleseplan?

Ich habe schon viele solcher Pläne ausprobiert. Die ersten 12 Jahre meines Lebens als neuer Mensch habe ich darauf geachtet, dass ich jedes Jahr die Bibel einmal ganz durchgelesen habe. Seit gut einem Jahr lese ich sie jetzt nach der Methode, die James Gray empfiehlt. Hier habe ich darüber gebloggt. Kurz gesagt geht es darum, dass man beim ersten Buch der Bibel anfängt, aber erst dann zum zweiten geht, wenn man das erste 20 Mal gelesen hat. Und so weiter. Das ist ein Projekt, das zwischen 15 und 20 Jahren dauern wird. Bei vier Kapiteln pro Tag bin ich nach 15 Monaten beim achten Durchgang des zweiten Mosebuchs angelangt. Das ist herausfordernd, aber auch sehr lohnenswert. Man vertieft sich so sehr in ein bestimmtes Bibelbuch, dass man anfängt zu denken wie der Autor des jeweiligen Buchs. Aber es ist auch für mich als Gern- und Vielleser oft eine harte Nuss, wenn man „schon wieder“ vorne anfangen muss. Besonders zwischen dem vierten und dem zwölften Durchgang braucht es immer viel Überwindung. Deshalb würde ich das nicht empfehlen, wenn jemand frisch anfängt, die Bibel zu lesen. Lieber erst zwei oder drei Jahre lang die Bibel einmal pro Jahr von vorne bis hinten durchlesen.

Wie teilst Du Gebet und Bibellesen auf?

Bei mir kommt noch Lobpreis dazu. Ich habe meine Gitarre immer neben mir. Und unser Sohn freut sich immer, wenn der Papa zu seiner Klampfe greift. Aber ich habe da kein fixes Schema, und ich glaube auch, dass mir das hilft, dran zu bleiben. Wenn ich das immer nach Schema F machen müsste, hätte ich viel größere Motivationsprobleme. Ich fange so an, wie ich mich gerade fühle. An einzelnen Tagen kommt auch nur eins, zum Beispiel nur Gebet, wenn ich dafür eine besondere „Last“ spüre, oder auch mal nur Lobpreis. Häufig greife ich dann aber zu anderen Zeiten des Tages zur Bibel und hole nach, was ich am Morgen ausgelassen habe.

Führst Du eine Liste mit Anliegen, für die Du regelmässig betest?

Ja, ich habe ein kleines liniertes Heft (A7), das ich bei meinem Geldbeutel immer bei mir dabei habe. Da stehen Menschen und Anliegen drin, für die ich bete. Oft wird etwas ergänzt. Aber ich bete diese Liste nicht herunter, sondern meist sehr gezielt für bestimmte Anliegen (selten mehr als fünf pro Tag, meist drei bis vier).

Wie schaffst Du es, dass deine Zeiten mit Gott “frisch” bleiben und nicht einschlafen?

Wie schon geschrieben, versuche ich, möglichst viel Leben und Abwechslung reinzubringen. Was mir auch häufig hilft, ist das Gebet in „neuen Sprachen“ oder „Zungen“. Diese Gabe ist ein total geniales Geschenk vom Herrn Jesus und ich kann nur jedem empfehlen, den Herrn darum zu bitten.

Was rätst Du jemandem, dem sein Bibellesen oder Gebet “eingeschlafen” ist?

Aller Anfang ist schwer. Deshalb empfehle ich da, erst mal ein kurzes Buch im NT auszusuchen. Der Brief an die Epheser zum Beispiel. Oder den Brief von Jakobus. Oder den ersten Johannes- oder Petrusbrief. Diese haben alle nur 5 – 6 Kapitel. Und dann erst mal nur ein Kapitel pro Tag. Nach zwei Wochen kann man auf zwei Kapitel pro Tag erhöhen. Nach weiteren zwei Wochen dann auf drei Kapitel. Damit hat man eine Geschwindigkeit erreicht, mit der man die Bibel in einem Jahr komplett lesen kann. Nun eignen sich auch längere Bücher, etwa der Römerbrief, ein Evangelium oder die Apostelgeschichte gut. Wer sich mit drei Kapiteln pro Tag einigermaßen sicher fühlt, sollte möglichst bald mit dem 1. Mosebuch anfangen. Und dann eins nach dem anderen. Merke: Ein Tag ohne ist nicht schlimm, das passiert wohl jedem ab und zu. Nach einer Woche ohne ist eine Menge Übung und Motivation dahin. Nach einem Monat ohne kann man wieder vorne anfangen. Versuche Dich selbst gut kennenzulernen. Experimentiere mit Bibelleseplänen. Versuche herauszufinden, ob Du Routine oder Abwechslung brauchst. Wir sind alle verschieden, und das ist gut so. Ich liebe diese Vielfalt, die Gott geschaffen hat und die auf die Größe und Vielfältigkeit unseres Gottes hinweist.

Sebastian Walter hat die Serie über Bibellesen/Gebet hier auf dem Blog gesehen und hat mir spontan seine Gedanken zum Thema Gebet geschickt, welche ich und bereichernd empfand und - obwohl in leicht anderer Form - in diese Reihe als Nummer 5 einreihe.


Sebastian Walter

Ich bin katholischer Priesterseminarist. Katholische Kleriker sind dazu verpflichtet, das “Stundengebet” zu pflegen, also täglich mehrmals eine vorgegebene Abfolge von Hymnen, biblischen Gedichten und Fürbitten zu beten (Wer sich das gerne einmal anschauen möchte: Hier findet man die Texte). Ein wichtiger Bestandteil der Priesterausbildung in Würzburg ist es deshalb, dass wir uns mindestens zweimal am Tag zum gemeinsamen Stundengebet versammeln.

Die Tücken des Psalmengebets

Ich bin kein guter Psalmenbeter. Ich liebe zwar die Psalmen, aber ich bin oft nicht in der Lage, die Psalmen auch wirklich zu beten - weil die meisten ursprünglich für eine bestimmte Situation geschrieben worden sind, die mit meiner überhaupt nichts zu tun hat. Ich will nunmal sehr selten, dass Gott meinen Feinden “Kiefer und Zähne zertrümmert”, dass er dem König Gesundheit verleiht oder dass Gott mich auf meiner Wallfahrt zum Jerusalemer Tempel behütet. Wie soll ich also solche Psalmen ernsthaft nachbeten können? Und auch bei den übrigen Psalmen: Dass ich mir nicht selbst aussuchen kann, welche Psalmen ich wann beten möchte, ist ein großes Problem für mich. Wie soll ich zum Beispiel Psalm 23 beten, wenn ich mich mal sehr “unschäflich” fühle, weil ich gerade mit Gott hadere? Oder wie Psalm 130, wenn ich aber doch gerade sehr fröhlich bin?

Bei mir persönlich kommt noch erschwerend hinzu, dass wir die Laudes (Anm: Teil des kath. Stundengebets, Beschreibung hier) noch vor dem Frühstück beten. Das heißt auch: Vor dem Morgenkaffee, und das ist für mich oft wirklich völlig unmöglich.

Als ich meinem geistlichen Mentor von diesen Problemen erzählt habe, hat er mich bestärkt: Es gibt viele Menschen, die ganz ähnliche Probleme mit dem Psalmengebet haben. Manche hören daher einfach mit dem Beten auf - und das ist nicht gut. Andere finden erst nach langer Übung ins Psalmengebet hinein, und das würde er mir durchaus empfehlen - es ist ja doch nie so, dass mir ein Psalm wirklich überhaupt nichts sagt. Und wieder andere suchen stattdessen nach anderen Gebetsweisen, die ihnen besser entsprechen.

Nach längerem Suchen habe ich drei alternative Gebetsweisen entdeckt, die mir persönlich sehr gut liegen. Vielleicht ist darunter ja auch eine, die euch anspricht, daher will ich sie hier kurz vorstellen:

Alternative 1: Das Stoßgebet

Stoßgebete sind wohl etwas im Verruf als spirituell wenig anspruchsvolle “Gebete light”: Himmelhilf! Gottseidank! -
Das muss durchaus nicht so sein. Zwei meiner Vorbilder haben ihren Schülern ganz besonders das Stoßgebet ans Herz gelegt und auch selbst viele Stoßgebete verfasst, weil diese zwei Sekunden Beten Gott immer wieder “mitten ins Leben hineinholen” können:

“Ich werde Dich niemals lieben, wenn Du mir nicht hilfst, mein Jesus!” (Philipp Neri)

“O Herr, du weißt, dass ich dich ehren will. Ich gehöre ganz dir.” (Franz von Sales)

Egal, was ich nun tue - ob ich eine Hausarbeit schreibe, Formulare ausfülle, durch den Wald spaziere, … - immer mal wieder wende ich mich dabei ganz kurz an Gott und spreche ein solches spontanes Stoßgebet, und, schwups!, ist Gott wieder geerdet und ich als Beter bin wieder “gehimmelt”.

Alternative 2: Lieblingsgebete

Loccumer Brevier

Der Loccumer Arbeitskreis für Meditation hat zwei ganz wundervolle Bücher herausgegeben: “Das Loccumer Brevier 1 und 2“. Beide Bücher sind Sammlungen von zeitlosen oder modernen Gebeten, die anders als das katholische Brevier verwendet werden wollen:

Dies ist kein Brevier üblicher Art. Die Texte sind nicht einzelnen Tages des Jahres zugeordnet; unsere Idee ist vielmehr die:
Sie blättern in dem Brevier und schauen, ob vielleicht dieser oder jener Text Sie trifft, anrührt, bewegt. Sie selbst finden also heraus, was für Sie hilfreich und nützlich ist, an diesem Tag, zu dieser Stunde.” (Aus dem Vorwort)

Als ich vor einiger Zeit im Krankenhaus lag, hatte ich diese beiden Bücher bei mir und sie waren mir durchweg ein großer Trost, denn die Gebetsauswahl ist wirklich gut. Und das schönste: Man kann sich eine solche Art von Brevier sehr leicht selbst zusammenstellen. Ich zum Beispiel habe mir in der Handy-App “Evernote” ein Notizbuch “Lieblingsgebete” angelegt. Erstens aus Faulheit: Wenn ich im Internet ein schönes Gebet finde, kann ich dieses Gebet mit nur einem Klick in mein Notizbuch übernehmen. Aber auch, weil ich mit Evernote diese Gebete “taggen” kann: Finde ich z.B. ein Gebet, dass besonders zu einer bestimmten Stimmung oder in eine bestimmte Zeit des Jahres passt, kann ich diese Stimmung oder Jahreszeit als “Schlagwort” zum Gebet hinzufügen. Wenn ich nun z.B. morgens Muße habe und beten möchte (dieses “möchte” ist sehr wichtig!), öffne ich die App, suche nach “Morgengebet” und bekomme alle Gebete angezeigt, die ich als “Morgengebet” getaggt habe. Ein Beispiel:

Das will ich mir sagen lassen
an diesem heutigen Morgen,
damit ich es auch im Laufe eines noch
so anstrengenden Tages nicht vergesse:

“Gottes Lieb und Gottes Treu
sind an jedem Morgen neu!”

Davon will ich ausgehen und
darauf zurückkommen im Verlauf
dieses heutigen Tages, was er auch
bringen oder fordern mag:

“Gottes Lieb und Gottes Treu
sind an jedem Morgen neu!”

Das will ich mir zu Herzen nehmen,
damit mein Leben in der Wahrheit
dieses Wortes tief verwurzelt,
gut verankert und fest gegründet sei:

“Gottes Lieb und Gottes Treu
sind an jedem Morgen neu!”

Daran will ich mich halten,
wenn Sorgen mich bedrängen,
wenn Ängste mich lähmen,
wenn der Mut mich verlässt.

Kleiner Werbeblock: Das Gebet ist von Paul Weismantel, einem unserer Ausbilder am Seminar. Er schreibt viele solcher Gebete und ich mag sie sehr gern, weil sie so einfach und ehrlich sind. Tipp: Er gibt jedes Jahr einen Fastenkalender und einen Adventskalender heraus, in dem solche Gebete gesammelt sind - eine schöne Quelle für Lieblingsgebete.

Alternative 3: Zeitungsbeten

Jörg Zink hat mal einen schönen Text verfasst:

Ich lese in einer und derselben Ausgabe: “Rentenerhöhung wieder abgelehnt.” “Milch wird teurer.” Und ich denke an die Menschen, die in unserem reicher werdenden Land ärmer werden, weil die Preise steigen, nicht aber die Renten. In den kurzen Nachrichten verbergen sich Schicksale.

Ich lese: “Suche Zimmer mit Kochgelegenheit. Miete bis DM 200,-. Eskitaski Halide.” Und ich denke an die Fremden in unserem Land, die keine Chance haben, sich der brutalen Ausbeutung durch ihre Gastgeber zu erwehren.

Ich lese: “Rentner lag drei Tage hilflos in der Küche”, und denke an die Verlassenen, denen niemand antwortet, wenn sie rufen.

Ich lese: “In der Nacht zum Donnerstag wurde in einem Elektrogeschäft in der Wilhelmstraße eingebrochen. Zwei junge Burschen…” Und ich denke an die Erfahrungen, die die beiden im Laufe ihres jungen Lebens mit der Welt der Erwachsenen gemacht haben müssen, ehe sie die Scheibe einschlugen.

Ich lese: “Geld wie Heu verdienen viele, die sich von uns beraten ließen.” Und ich denke an die Träume der Millionen vom großen Geldsegen. An die Enttäuschungen. An die Ehen, die an den Schulden zerbrechen. An die Lügen, die nötig sind, um an denen zu verdienen, die der Annonce Glauben schenken.

Ich lese: “Bei Zusammenstößen zwischen der Polizei und Arbeitern sind vier Personen getötet worden.” Und ich denke an alles Unrecht, das vorangegangen sein muß, ehe die Arbeiter und die Polizisten zusammenstießen.

Wer nicht weiß, was er beten soll, lese die Zeitung.

Das ist die mir liebste Gebetsform. Zeitung, Radio, Fernseher und Internet borden über vor gebetswürdigen Dingen. Man braucht überhaupt keine Worte: Man liest die Zeitung, stößt auf eine solche Meldung, hält kurz inne und legt Gott das, was man gerade gelesen hat, ans Herz.

Mein geistlicher Mentor hat mir auch eine Variante dieser Gebetsweise empfohlen: Spazierbeten. Auch hierfür braucht man keine Worte. Man geht durch die Stadt und sieht eine schwangere Frau, einen Bettler, einen gestressten Mann im Anzug. Es ist egal, ob es ihnen gut geht oder nicht: Jeder hat ja Gott nötig. Also hält man kurz inne und legt Gott diese Menschen ans Herz. Als Varianten sind auch vorstellbar: Café-Beten, Wartezimmer-Beten, Schwimmbad-Beten, …

Wunderbarer Nebeneffekt: Man geht mit sehr offenen Augen durch die Welt; jede Zeitungsmeldung und alles was du siehst, kann wichtig sein; jeder Mensch und jedes Ding kann dein Gebet nötig haben. Warum also nicht beten, wenn es dich keine Zeit und Mühe kostet, aber deine Beziehung zu Gott vertieft?

Ich glaube: Es gibt nicht die eine Gebetsweise für alle Menschen. Aber jeder hat mindestens eine Gebetsweise, die ihm liegt, und er muss nur für sich selbst herausfinden, welche das ist. Wenn ihr sie noch nicht gefunden habt: Nur Mut und Geduld, und mit Gottes Hilfe werdet ihr sie finden - und die Mühe wird sich lohnen.

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