#Gebet

Probleme löst man durch Arbeit und Geld.

Stockt die Karriere? Dann mach eine Weiterbildung.
Bist du zu dick? Dann nimm ab.
Ist dein Auto defekt? Dann lass es reparieren oder kaufe dir ein neues.
Hast du Eheprobleme? Dann gehe in die Paarberatung.

Alles hat seine Antwort entweder in Arbeit oder Geld. Hoch der Fortschritt! Hoch die Entwicklung und der Wohlstand!

In einer solchen Welt wirkt Gebet weltfremd. Aber sowas von. «Beten für die Karriere? Wofür soll denn das gut sein? Für Beziehungen? Ich kenne dieses gute Buch, diese tolle Beratungsstelle. Beten für dein Auto, für deine Diät? Wieso beten, wenn du es auch selber machen kannst? Sei ein Self-Made-Man!».

Der Satz, den Jakobus so beginnt: “Ihr habt nicht, weil…”. Würde der Westen weiterführen mit “Weil du dich zu wenig angestrengt hast.”. Doch Jakobus beendet ihn mit “Weil ihr nicht bittet.”

«Ernsthaft? Gebet? Wieso soll ich beten, wenn ich gut auch selber weiss, wie ich das Problem lösen kann? Lass mich lieber das Gebet auslassen und die Zeit nutzen, das Problem zu lösen!»

Gebet scheint mir dann sinnlos, wenn ich glaube zu wissen, wie ich es angehen soll. Und darin liegt das Problem: Denn mit meinen gut vierzig Lebensjahren dämmert es mir langsam, dass ich bei vielen Problemen die Lösung nicht kenne. Zugegeben, diese Demut ist mir nicht allezeit zuvorderst, aber in ehrlichen Momenten komme ich zu diesem Schluss.

Und genau diese Haltung liegt dem wahren Gebet zugrunde. Wenn ich denn schon weiss was die Lösung ist, wieso soll ich noch beten gehen?

Eine Story aus Paul E. Millers Buch “A Praying Life”: (Ich bin das Buch nun zum zweiten mal nacheinander am lesen. Wer diesen Blog aufmerksam liest merkt, dass ich schon oft über das Buch geschrieben habe und werde das wohl noch einige mal tun).

Paul Miller hat eine autistische Tochter. Eine Zeit lang stand sie jeden Morgen um halb fünf auf und begann in ihrem Zimmer zu laufen (im autistischen Vokabular nennt man das “Perseveration“). Alles Bitten, in ihr Bett zurück zu kehren fruchteten nicht. Die Situation spitzte sich zu, bis Paul sie jeweils angeschrien hat. Obwohl er mit ihr oft gebetet hat, ist es ihm nie in den Sinn gekommen, über dieses Umherlaufen mit ihr zu beten. Warum?

Weil ich die Lösung bereits kannte: “Kim muss aufhören zu laufen. Ich werde ihr sagen, dass sie aufhören soll zu laufen”. Mit anderen Worten: Ich fühlte mich nicht hilflos. Ich wusste, was zu tun war. Ich nenne das die idiotische Einstellung zum Leben. Mit anderen Worten: “Du Idiot, wenn du einfach aufhören würdest…”

Warum geht es so lange, bis wir uns eingestehen, dass wir Gottes Hilfe brauchen? Paul Miller schreibt über sich selber:

Ich bin allergisch gegen Hilflosigkeit. Ich mag sie nicht. Ich will einen Plan, eine Idee oder vielleicht einen Freund, der sich mein Problem anhört. So gehe ich instinktiv an alles heran, weil ich Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten habe. Das gilt sogar für meine Arbeit, Menschen über das Gebet zu unterrichten. Obwohl ich Gebetsseminare leite und eine Studie über Gebet geschrieben habe, kam es mir bis vor einem Jahr nie in den Sinn, systematisch und regelmässig für unseren Gebetsdienst zu beten. Warum nicht? Weil ich nicht hilflos war. Ich könnte unseren Gebetsdienst auch allein bewältigen. Ich habe das nie gesagt oder auch nur gedacht, aber ich habe es gelebt.

Mit der Einsicht, dass er öfter hilflos war, als er sich eingestehen kann, begann Paul Miller vermehrt für seine Kinder zu beten. Er beschreibt das so:

Ich habe siebzehn Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass ich meine Kinder nicht ohne Gottes Hilfe erziehen kann. Das war keine grossartige geistliche Erkenntnis, sondern nur eine realistische Beobachtung. Wenn ich nicht jeden Morgen ganz bewusst und nachdenklich für die Mitglieder meiner Familie betete, würden sie sich gegenseitig umbringen. Ich war nicht in der Lage, in ihre Herzen zu gelangen. Ich war verzweifelt.

Er schreibt davon, wie er für seinen Sohn gebetet hat, dass sein Herz demütiger werde. Ein halbes Jahr später kam sein Sohn zu ihm und sagte: «Dad, ich habe in letzter Zeit viel über Demut nachgedacht und darüber, dass sie mir fehlt.» Paul Millers Reaktion darauf:

Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass ich meine Kinder am besten durch Gebet erziehen konnte. Ich begann, weniger mit den Kindern und mehr mit Gott zu sprechen. Das war eigentlich ganz entspannend.

Wie ging es weiter in der Geschichte mit seiner autistischen Tochter? Eines Morgens war sie wieder am Umherlaufen. Paul stand auf und seine Frau fragte, ob er die Tochter nun wieder anschreien würde. Nein, meinte er. Das würde ja seit zehn Jahren nicht funktionieren, er würde mit ihr beten. Seine Frau: “Wie? Seit zehn Jahren? Das waren eher zwanzig!”. Daraufhin…

ging ich hinauf in das Schlafzimmer meiner Tochter, wohl wissend, dass nichts, was ich sagen konnte, sie davon abhalten würde, auf und ab zu laufen. Ich ging leise zu ihrem Bett hinüber, legte meine Hand auf ihre Decke (sie tat so, als schliefe sie) und bat den Heiligen Geist, sie zur Ruhe zu bringen. Gott erhörte unser Gebet. Sie schlief ein und fing an diesem Morgen nicht wieder an, herumzulaufen.

Das Problem war daraufhin noch nicht gelöst. Das Umherlaufen der Tochter war immer noch ein Problem. Nach einiger Zeit von weiterem Gebet sind sie umgezogen, und siehe da, das Umherlaufen der Tochter hörte auf. Es war der Strassenlärm, den sie am Morgen geweckt hatte. Als autistische Person war sie viel empfindlicher auf Lärm. Gott hatte das Gebet erhört, allerdings auf eine unerwartete Art und Weise. Paul Miller erzählt noch von unzähligen anderen Episoden mit seiner Tochter, wo er nicht mehr weiter wusste und Gott dann einen Ausweg schuf.

Die Geschichte von Paul Miller hat mich ermutigt, mir meine Unfähigkeit zuzugestehen. In der Arbeit, aber noch mehr in meiner Familie. Der Ausdruck “ich kann nicht ins Herzen meiner Kinder gelangen” spricht mich sehr an. Mein Sohn wird vierzehn in einem Monat und seine Selbstständigkeit nimmt stets zu. Er beginnt mehr Zeit mit seinen Freunden zu verbringen als mit der Familie. Die Berufswahl steht an. Mit diesen Themen vor Augen kann ich nichts anderes als ins Gebet gehen.

Und so wird das Gebet für mich nicht zur Pflicht, sondern zur Notwendigkeit. Und wendet sich es zum Guten, so steigt in mir Dankbarkeit hoch, und nicht mehr Stolz.

Wir waren in den Sommerferien. 2 Wochen im Zelt auf dem Campingplatz. Diese Art von Ferien ist für mich immer die Möglichkeit, den Alltag hinter mir zu lassen. Kein Computer, (fast) kein Handy, keine Musik, keine News.

Doch da der Tagesablauf total anders war, fiel meine Gebetszeit am Morgen ins Wasser. Sprich ich habe 2 Wochen lang nicht mehr gebetet.

Richtig bewusst wurde mir das aber erst, als ich wieder zu Hause war und ich am ersten Arbeitstag aufstand. Soll ich nun wieder beten gehen? Wirklich Lust habe ich nicht. Doch, was solls, schaden kanns ja auch nicht wirklich.

Und so machte ich mich parat auf meinen ersten Gebetsspaziergang nach den Ferien. Im geistigen Auge laufe ich durch die Kornfelder, spreche mit Gott, rezitiere vielleicht ein bis zwei Bibelverse und komme dann mit fröhlichem Herzen wieder nach Hause. So weit meine Vorstellung vom Gebetsspaziergang.

Was aber tatsächlich passiert ist: Ich spreche Gott an, bete vielleicht ein bis zwei Sätze, und verfalle in ein Grübeln über die Arbeit und die Familie. Gedankenverloren spaziere ich durch die Felder und merke erst auf halben Weg, dass ich ja gar nicht am Beten bin.

Das passiert mir nicht zum ersten Mal, und ist jedes Mal beschämend. Doch ich erinnere mich an das erste Kapitel aus Paul Millers Buch “A Praying Life - Connecting with God in a Distracting World“:

Wir halten etwa fünfzehn Sekunden durch, und dann taucht wie aus dem Nichts die Todoliste des Tages auf und unsere Gedanken schweifen ab. Wir merken es und kehren mit schierer Willenskraft zum Gebet zurück. Ehe wir uns versehen, ist es schon wieder passiert. Statt zu beten, treiben wir in einer verwirrenden Mischung aus Umherschweifen und Grübeln umher. Dann setzen die Schuldgefühle ein. Irgendetwas muss mit mir falsch sein. Andere Christen scheinen diese Probleme mit dem Beten nicht zu haben. Nach fünf Minuten geben wir auf und sagen: “Ich bin nicht gut darin. Ich könnte genauso gut etwas arbeiten”.

Ich finde es immer erfrischend, wenn Christen ehrlich über ihre Schwachheit sprechen. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich diesen Blog schreibe und nicht davor zurückschrecke, Dinge aus meinem Leben zu erzählen, die eben vom “Christlichen Soll” abweichen.

Paul Miller schreibt danach:

Richtig, irgendetwas stimmt nicht mit uns. Unser natürlicher Wunsch zu beten kommt von der Schöpfung. Wir sind nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Unsere Unfähigkeit zu beten kommt vom Sündenfall. Das Böse hat uns verunstaltet. Wir wollen mit Gott sprechen, können es aber nicht. Die Spannung zwischen unserem Wunsch zu beten und unseren stark beschädigten Gebetsantennen, führt zu ständiger Frustration.

Was ich in solchen Situationen immer zu Gott sage ist: “Gott, lehre mich zu beten”. Er war es, der in mir überhaupt den Glauben erschaffen hat, er wird es auch zustande bringen, dass ich in meinem unfähigen Zustand zu einem ehrlichen, erbaulichen Gebet finde.

Und so habe ich wieder angefangen zu beten. Jeden Tag, obwohl es sich nicht danach angefühlt hat. Nach ein paar Tagen hatte ich einen schweren Abend. Es war nach einem anstrengenden Arbeitstag und in der Familie hatten wir Streit. Ein Gedanke meldete sich: “Morgen kannst du das Gebet gut auslassen und es dir mal etwas gut gehen lassen, das musst du jetzt nicht auch noch machen!”. Doch schnell wurde mir klar: Oha, das Gebet ist unbewusst zur Pflichtübung geworden. Ein Todo, das ich auslassen kann, wenn es gerade zu stressig wird. Zum Glück meldete sich Sekunden danach ein ganz anderer Gedanke: “Gerade jetzt brauchst du das Gebet! An der Arbeit läuft es nicht gut, in der Familie ist Streit, wie genau soll sich das verbessern, indem du es dir einmal gut gehen lässt?”.

Es kam mir das Gleichnis des Pharisäers und des Zöllners in der Synagoge in den Sinn wo der eine betete: “wie gut bin ich, Herr, dass ich hier täglich bete” - Genau das hat sich bei mir eingestellt, ich suchte das Gebet, damit ich mich von den anderen abheben kann, damit ich von Gott mehr Segen bekam. Der andere aber betete in der Verzweiflung: Gott, sei mir Sünder gnädig - bei mir: Es läuft nicht gut in Arbeit und Familie. Schau nicht auf meine erbärmlichen Gebete und erhöre mich trotzdem!

Es ist mir bewusst geworden, dass ich meine Gebete als “geistliche Übungen” sah, die nicht viel mit meinem Leben zu tun haben. Denn wenn sie tatsächlich helfen würden, dann hätte ich keinen Reflex sie auszulassen, wenn es mir mal nicht gut geht.

Und zum Schluss wurde mir auch klar, wieso meine Gedanken immer wieder vom Gebet “abwanderten”: weil sie nicht mit meinen wahren Anliegen übereinstimmten. Denn meine Gedanken gingen dahin, wo meine Sorgen waren, doch mit meinem Gebet versuchte eher, Gott zu beeindrucken und fromme Worte hervorzubringen.

Dies beschreibt Paul E. Miller in “A Praying Life” so:

Der einzige Weg, zu Gott zu kommen, ist das Ablegen jeder spirituellen Maske. Dein wahres Ich muss den wahren Gott treffen. Er ist eine Person.

Anstatt Dich darüber zu sorgen, dass deine Gedanken sich nur um dich selber drehen, sprich mit Gott über deine Sorgen. Sag ihm, wo du müde bist. Wenn du nicht damit beginnst, wo du bist, dann wird sich das, wo du bist, durch die Hintertür hineinschleichen. Dein Geist wird dorthin wandern, wo du müde bist.

Wir sind oft so beschäftigt und überwältigt, dass wir, wenn wir uns zum Beten zurückziehen, nicht wissen, wo unser Herz ist. Wir wissen nicht, was uns bedrückt. Also müssen wir uns seltsamerweise vielleicht Sorgen machen, bevor wir beten. Dann werden unsere Gebete einen Sinn haben. Sie werden von unserem wahren Leben handeln.

Und so ging ich am nächsten Morgen doch beten. Und rief zu Gott, er solle sich doch meiner Situation erbarmen. Und das Gebet wurde so viel realer, und schon bald merkte ich die ersten Gebetserhörungen.

Meine Frau ist für mehrere Wochen verreist. Ich bin alleine mit den Kindern zu Hause. Diese Situation ist oft herausfordernd, ich komme schneller an meine Grenzen und merke meine Abhängigkeit zu Gott umso mehr.

Beim lesen hören von Paul E. Millers Buch “A Praying Life” wurde mir klar, dass genau dieser Mangel die Voraussetzung ist, zu Gott zu kommen. Ein paar Stellen, die mich besonders angeregt haben:

Kleine Kinder verstehen, was Hilflosigkeit bedeutet. Das ist, wo sie am besten sind. Aber als Erwachsene vergessen wir schnell, wie wichtig Hilflosigkeit ist. Ich für meinen Teil bin allergisch gegen Hilflosigkeit. Ich mag sie nicht. Ich will einen Plan, eine Idee, oder vielleicht einen Freund, der sich mein Problem anhört. So gehe ich instinktiv an alles heran, weil ich Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten habe. Das gilt sogar für meine Arbeit, Menschen über das Gebet zu unterrichten. Obwohl ich Gebetsseminare leite und eine Studie über Gebet geschrieben habe, kam es mir bis vor einem Jahr nie in den Sinn, systematisch und regelmässig für unseren Gebetsdienst zu beten. Warum nicht? Weil ich nicht hilflos war. Ich konnte unseren Gebetsdienst allein managen. Ich habe das nie gesagt oder auch nur gedacht, aber ich habe es gelebt. Ironischerweise ist die Hilflosigkeit eines der zentralen Themen in unserem Gebetsseminar. Ich war nicht hilflos gegenüber dem Dienst, Hilflosigkeit zu lehren! So ist das menschliche Herz. Ich fing erst an, regelmäßig über unseren Seminardienst zu beten, als er nicht vorankam - als ich hilflos wurde.

Jemand von Millers Gebetsseminar schreibt:

Ich fange an zu erkennen, dass es einen Unterschied gibt zwischen “Gebete sagen” und ehrlichem Beten. Beides kann äusserlich gleich klingen, aber Ersteres ist zu oft von einem Gefühl der Verpflichtung und Schuld motiviert; wohingegen Letzteres von der Überzeugung motiviert ist, dass ich völlig hilflos bin, das “Leben” allein zu schaffen. Oder im Fall des Betens für andere, dass ich völlig hilflos bin, anderen ohne die Gnade und Kraft Gottes zu helfen.

In der Bibel erleben genau die Hilflosen, Mangel leidenden die Hilfe von Jesus. Er wies gerade die, «die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet» an, zu ihm zu kommen.

Im ganzen Buch Johannes sehen wir Menschen, die wegen ihrer Hilflosigkeit zu Jesus kommen. Die samaritanische Frau hat kein Wasser (Joh 4). Später in demselben Kapitel hat der Sohn des Beamten keine Gesundheit. Der verkrüppelte Mann am Teich von Bethesda hat keine Hilfe, um ins Wasser zu kommen (Joh 5). Die Menschenmenge hat kein Brot (Joh 6). Der blinde Mann hat kein Augenlicht (Joh 9). Und schliesslich hat Lazarus kein Leben (Joh 11).

Wir sagen uns: “Starke Christen beten viel. Wenn ich ein starker Christ wäre, würde ich mehr beten.” Starke Christen beten tatsächlich mehr, aber sie beten mehr, weil sie erkennen, wie schwach sie sind. Sie versuchen nicht, das vor sich selbst zu verbergen. Schwachheit ist der Kanal, der ihnen den Zugang zur Gnade ermöglicht.


Aus Paul E. Millers Buch “A Praying Life: Connecting with God in a Distracting World“. Ich höre mir das Buch gerade als Audiobuch an.

Ich bin nun seit mehr als zwanzig Jahre Christ, und meine Gebete sind noch immer erbärmlich. “Herr, lehre mich beten”, ist ein häufiges Gebet von mir. Mein Unvermögen ist mir stets peinlich vor Augen.

Meine Strategie war jeweils, mit Gott anzufangen statt mit meinen eigenen Gedanken. Denn wenn ich das nicht tue, verbringe ich meine Gebetszeit mit Nachdenken über mein eigenes Leben; mit Philosophieren, oder führe imaginären Streitgesprächen mit den Leuten, welche mich erst gerade aufgeregt haben und mit denen ich nicht einverstanden bin.

“Mit Gottes Wort beginnen” war stets ein Segen für mein Gebet. Und doch merkte ich, dass ein solches Gebet Gefahr läuft, ein kaltes, abgeschaltetes Aufsagen von Gottes Eigenschaften zu werden.

Das Gebet ist ein Gespräch von zwei Personen: Von mir, abgelenkter, von Sorgen umgetriebener, von der Welt eingelullter Mensch mit dem gerechten, liebenden, allwissenden Gott. Damit diese Konversation lebendig ist, müssen beide Personen zum Zug kommen. Weder bringt es etwas, nur über meine eigene Probleme zu palavern, noch, nur Gottes Eigenschaften aufzusagen.

Ich lese gerade Paul E. Millers Buch “A Praying Life”. Darin beschreibt er, wie wir Gebet angehen sollen: Nach der Art der Kinder, die ohne schöne Anreden direkt zur Sache kommen:

Jesus möchte, dass ohne uns zu verstellen im Gebet zu ihm kommen. Stattdessen versuchen wir oft, etwas zu sein, was wir nicht sind. Wir beginnen damit, uns auf Gott zu konzentrieren, aber fast sofort wandern unsere Gedanken in ein Dutzend verschiedener Richtungen ab. Die Probleme des Tages verdrängen unsere gut gemeinte Entschlossenheit, geistlich zu sein. Wir geben uns einen geistlichen Tritt in den Hintern und versuchen es erneut, aber unsere Geschäftigkeit verdrängt das Gebet. Wir wissen, dass das Gebet nicht so sein sollte, also geben wir verzweifelt auf. Wir könnten genauso gut jetzt den Tag anfangen und etwas erledigen.

Wo liegt das Problem? Wir versuchen, geistlich zu sein, es richtig zu machen. … Wir versuchen, wie Erwachsene, uns selbst in Ordnung zu bringen. Im Gegensatz dazu möchte Jesus, dass wir wie kleine Kinder zu ihm kommen, so wie wir sind. Die Schwierigkeit, so zu kommen, wie wir sind, ist, dass wir unordentlich sind. Und das Gebet macht es noch schlimmer. Wenn wir langsam beten, werden wir sofort damit konfrontiert, wie ungeistlich wir sind, wie schwierig es ist, sich auf Gott zu konzentrieren … Nichts entlarvt unsere Selbstsucht und geistliche Ohnmacht so wie das Gebet.

Und dann zum Schluss ein Zitat, das mich als unkonzentrierter, abschweifender Mensch sehr ermutigt hat:

Jesus sagt nicht: “Kommt alle zu mir, die ihr gelernt habt, euch im Gebet zu konzentrieren, deren Gedanken nicht mehr abschweifen, und ich werde euch Ruhe geben.” Nein, Jesus öffnet seine Arme für seine bedürftigen Kinder und sagt: “Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken” (Mt 11,28). Das Kriterium, um zu Jesus zu kommen, ist Mühseligkeit. Komme überfordert mit deinem Leben. Komme mit deinen wandernden Gedanken. Komme unordentlich.”


Aus Paul E. Millers Buch “A Praying Life: Connecting with God in a Distracting World“. Ich höre mir das Buch gerade als Audiobuch an.

Oft, wenn ich am Morgen aufstehe, habe ich keine Lust zum Beten. Wenn ich am Beten bin, sind meine Gedanken schon bei der Arbeit.

Was soll ich tun? Verzweifeln, weil mein Herz sich nicht zu Gott hingezogen fühlt? Nur dann beten, wenn ich auch Lust dazu habe? Oder mit lustlosem Herz das Gebet bestreiten?

Nein, sagt Jakobus, sondern…

Naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch! […] heiligt eure Herzen, die ihr geteilten Herzens seid!

Ist dein Herz geteilt - es hat sowohl ein bisschen Lust an Gott, aber ebenso oder noch mehr Lust an der Welt - dann verzweifle nicht, sondern nähere dich Gott indem du dein Herz heiligst.

Wie geht das? Luther schreibt an seinen Freund Peter der Barbier Folgendes:

Lieber Meister Peter. Ich sage Euch, so gut ich es vermag, wie ich es selbst mit dem Beten halte. Unser Herr und Gott gebe es Euch und allen anderen, es besser zu machen. Amen.

Wenn ich fühle, dass ich durch fremde Geschäfte oder Gedanken kalt und unlustig zum Beten geworden bin, weil ja das Fleisch und der Teufel immerzu dem Gebet widerstehen und es verhindern, so nehme ich mein Psalterbüchlein und laufe damit in meine Kammer. Wenn es Tag und Zeit ist, gehe ich in die Kirche und unter das Volk. Dann fange ich an mit den Zehn Geboten und dem Glaubensbekenntnis, und wenn ich Zeit habe, sage ich mir etliche Sprüche Christi oder des Paulus oder Psalmen auf, so wie es die Kinder tun.

Es ermutigt mich zu sehen, dass Leute wie Luther damit zu kämpfen hatten, dass ihr Herz kalt geworden ist. Denn dann befremdet mich mein eigenes kaltes Herz nicht, sondern lässt mich hoffen, dass es wieder erwärmt werden kann.

Zum Aufwärmen am Morgen hilft mir das Vaterunser, auswendig gelernte Bibelverse oder eine Seite aus Luthers “Aus der Tiefe, rufe ich Herr zu dir“.

“Geheiligt werde dein Name” - der zweite Teil des Vater-Unsers fand ich schwer zu verstehen. “Dein Reich komme” ist einfacher, und “Dein Wille geschehe” noch mehr. Aber wozu soll ich beten, dass sein Name geheiligt werde? Hat das mit meinem Leben überhaupt etwas zu tun? Ist das nicht Gottes Sache, dass er seinen Namen verherrlicht?

Beim Ringen über diese Worte bin ich über folgende zwei Zitate gestolpert:

»Dein Name werde geheiligt.« Darum habe ich auch gesagt, dass diese Worte nicht allein eine Bitte, sondern auch eine heilsame Lehre und Offenbarung für unser elendes und verdammungswürdiges Leben auf dieser Erde sind und uns mitsamt unserer Erkenntnis tief demütigen. Denn wenn wir bitten, sein Name möge in uns geheiligt werden, dann folgt daraus, dass er noch nicht geheiligt wird, denn wenn er geheiligt würde, brauchten wir nicht darum zu bitten. (Martin Luther, Auslegung des Vaterunsers für die einfältigen Laien, Zitat von “Aus der Tiefe, Herr, rufe ich aus zu dir“)

Wie lautet die erste Bitte des Vaterunsers? Jesus sagte: “Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel!” (Mt. 6,9). Die erste Zeile des Gebets ist keine Bittschrift. Es ist eine Form der persönlichen Anrede. Das Gebet geht weiter: “Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme” (Mt 6,9-10). Wir verwechseln oft die Worte “Dein Name werde geheiligt” mit einem Teil der Anrede, als ob die Worte “Dein Name ist geheiligt” lauten würden. In diesem Fall wären die Worte lediglich eine Zuschreibung des Lobes an Gott. Aber so hat Jesus es nicht gesagt. Er sprach es als eine Bitte aus, als die erste Bitte. Wir sollten darum beten, dass Gottes Name geheiligt wird, dass Gott als heilig angesehen wird. Es gibt eine Art von Reihenfolge innerhalb des Gebetes. Gottes Reich wird niemals kommen, wo sein Name nicht als heilig angesehen wird. Sein Wille wird auf Erden nicht ebenso befolgt wie im Himmel, wenn sein Name hier entheiligt wird. Im Himmel ist der Name Gottes heilig. Er wird von den Engeln in einer heiligen Stille gehaucht. Der Himmel ist ein Ort, an dem die Ehrfurcht vor Gott absolut ist. Es ist töricht, das Reich Gottes irgendwo zu suchen, wo Gott nicht verehrt wird. Wie wir die Person und den Charakter von Gott, dem Vater, verstehen, beeinflusst jeden Aspekt unseres Lebens. (R.C. Sproul, aus “The Holiness of God“)

Martin Luther, aus den Vorlesungen über 1. Mose:

Wenn wir deutlich aufzeigen wollen, was unser Gebet ist, so stellt sich heraus, dass es in Wahrheit nichts weiter als das Stammeln eines Kindes ist, das am Tisch steht und nicht weiß, ob es um Brot oder um Fleisch bittet. Denn wir wissen nicht, wie wir beten sollen. Die Dinge und Güter, um die wir bitten, sind größer als unsere Vernunft und unser Verstand, und der sie gibt, ist noch viel größer; und daher sind auch seine Güter und Gaben größer, als dass wir sie mit unseren Herzen erfassen könnten.

All das sage ich, damit ich euch und mich dadurch erwecke, nicht zu verzweifeln, weil wir Gottes Majestät gegenüber so unwürdig sind. Wie ich schon sagte, können wir die Dinge, um die wir bitten, wegen ihrer Größe mit unserem Verstand nicht begreifen. Abraham hat wahrlich mehr empfangen, als er erbeten hatte. Das sollte uns zum Vorbild dienen, damit wir nicht vom Gebet ablassen oder meinen, es sei ohne Nutzen oder Frucht. Denn Gott sieht das Innerste unseres Herzens und versteht das unaussprechliche Seufzen, das in uns ist. Wir sind wie Kinder, die am Tisch stehen und stammeln und sich noch nicht auszudrücken verstehen.


Zitat entnommen aus: “Aus der Tiefe rufe ich HERR, zu dir”, erschienen im CLV-Verlag.

Bild: Franz von Defregger - Grace Before Meal

Martin Luther ist bekannt für die 95 Thesen, für seinen Kampf mit der katholischen Kirche, für seine Bibel-Übersetzung.

Weniger bekannt ist er für sein Gebet. Er hat sein Leben lang gerungen, ein Mann des Gebets zu werden und dazu auch einige Schriften veröffentlicht. Ich kann dazu das Buch “Aus der Tiefe rufe ich Herr, zu dir“ sehr empfehlen. Es ist ein Andachtsbuch, es enthält 365 Anregungen für das Gebet.

Aus der Einleitung:

Im Jahr 1522 erschien in Wittenberg das Betbüchlein, an dem Luther selbst schon eine geraume Zeit gearbeitet haben musste. Schon in den Jahren zuvor hatte er nämlich eine Menge übers Beten und Nachsinnen veröffentlicht: vor allem die kurze Erklärung zum Vaterunser, zu den Zehn Geboten und dem Glauben […] Damit wollte Luther endlich gegen die damals üblichen Gebetbücher vorgehen. Der Einfluss jener mittelalterlichen Gebetbücher war offensichtlich sehr groß. […] Luther wollte damit nicht erreichen, dass diese Gebete zu festgelegten Zeiten als gottesdienstliche Pflicht gedankenlos heruntergelesen oder nachgebetet wurden. Vielmehr wollte er dem »evangelischen Volk« Anregungen und Vorbilder für eigene Andachten geben und die Leute lehren, wie sie auf eigenständige Weise beten und mit ihren eigenen Worten freiheraus mit Gott reden könnten.

Die Andachten in “Aus der Tiefe” wurden nicht nur aus Luthers Gebetsbuch, sondern auch aus anderen Publikationen Luthers zusammengestellt.

Hier eine Kostprobe, aus einer Vorlesung über 1. Mose zum Text: “Ach siehe, ich habe mich unterwunden zu reden mit dem HERRN, wiewohl ich Erde und Asche bin.” (1. Mose 18,27)

Was mir gefällt ist, wie Luther ringt im Gebet, weil das Gebet schwer ist. Das erlebe ich auch, und gerade deshalb ist mir jede Ermutigung teuer.

Beten ist eine sehr schwierige Sache und eine schwere Arbeit und viel anstrengender als die Predigt des Wortes oder andere Aufgaben in der Gemeinde […] Beten ist das allerschwerste Werk, und darum ist es auch so selten. Es ist tatsächlich eine große Sache, wenn ein Mensch seine Augen und Hände zu Gott, der höchsten Majestät, aufzuheben wagt, um bei ihm zu bitten und zu suchen und anzuklopfen.

Es ist wohl auch eine große Sache, wenn Gott mit uns redet, aber mit ihm zu sprechen, ist schwerer, weil uns unsere Schwachheit und Unwürdigkeit aufhält und zurückzieht, sodass wir denken: ›Wer bin ich, dass ich meine Augen und Hände zu der göttlichen Majestät aufheben darf, vor der die Engel stehen und vor deren Wink die ganze Welt erzittert? Darf ich armer Mensch dann vor ihn treten und sagen, dass ich dies haben will, und ihn bitten, es mir zu geben?‹


“Aus der Tiefe rufe ich HERR, zu dir” ist erschienen im CLV-Verlag.
Es gibt auch eine PDF-Version gratis zum Download.
Ich habe mir die PDF-Version für private Zwecke zu einem Ebook umformatiert und hatte es ein Jahr lang benutzt als Anregung vor meinem Gebet.

Weiterführende Lektüre:

Ich vergesse Gott oft. Lese ich den Vers “betet ohne Unterlass”, dann denke ich “es wäre schon schön, wenn ich täglich zwei, drei Mal zu Gott beten könnte”. Mein Gebetsleben ist für mich ein dauerndes Ringen, und daher ist mir zurzeit jeder Input sehr willkommen.

Dies ist Teil 1 der Reihe über Rick Warrens Buch “The Purpose Driven Life”.
Hier gehts zur Rezension des Buches.
Heute aus dem Tag 11: “Becoming best friends with God”

Input Rick Warren:

Wie lässt sich der Vers “Betet ohne Unterlass” in 1. Thessalonicher 5,17 in die Tat umsetzen? Ist damit gemeint, dass wir den ganzen Tag alleine mit Gott verbringen? Das ist nicht durchführbar. Was aber geht, ist, dass wir uns mit Gott unterhalten in den alltäglichen Situationen. Alles, was du tust, kann “mit Gott Zeit verbringen” sein, wenn du ihn mit dazu nimmst und dich seiner Gegenwart bewusst bist.

Warren empfiehlt dann das Buch “All meine Gedanken sind bei dir“ von Bruder Lorenz, ein Mönch aus dem siebzehnten Jahrhundert, der es sich zur Gewohnheit gemacht hat, mit Gott immer zu sprechen. Er war Koch im Kloster. Die Arbeit hat ihm nicht sonderlich Spass gemacht, aber seine Freude kam daraus, dass er seiner Arbeit so nachgegangen ist, dass er alles in Christus im Gebet gemacht hat.

Danach rät Warren, sich stündlich einen Alarm zu stellen, um sich regelmässig Gott zu erinnern. Als erster Schritt Richtung “dauerndes Gebet”, um dem Leben von Bruder Lorenz näher zu kommen.

Das Üben der Gegenwart Gottes ist eine Fähigkeit, eine Gewohnheit, die sich entwickeln lässt. So wie Musiker jeden Tag Tonleitern üben, um mit Leichtigkeit schöne Musik zu spielen, kann man seinen Geist dazu trainieren, sich an Gott zu erinnern.

Philipps Gedanken dazu:

Ich habe mir das Buch von Bruder Lorenz gekauft, weil mir die Idee der dauernden Konversation mit Gott sehr angesprochen hat. Ich habe das Buch aber nach zwei Kapiteln auf die Seite gelegt. Die Situation von Bruder Lorenz im Kloster im siebzehnten Jahrhundert war zu weit weg von meinem Alltag, der Abstand unüberbrückbar.

Ausserdem schien es, als würde Bruder Lorenz sich absichtlich die Arbeit ausgesucht zu haben, welche ihm am wenigsten gefällt, um dabei möglichst oft mit Gott sprechen zu können. Sollte Gott wollen, dass ich extra einer Arbeit nachgehe, die mir nicht gefällt, sodass ich all meine Freude aus Gott hole? Das deckt sich nicht mit meiner Vorstellung von Gott. Ich liebe meine Arbeit. Ich muss ja irgendeinen Sinn in meiner Arbeit sehen, damit ich darin auch mein Bestes gebe.

Die Sache mit dem Wecker stellen jede Stunde habe ich nicht probiert. Ehrlich gesagt klingt das nach einem Ritual, das mir das Gebet eher als Pflichtübung auferlegt, statt dass es meinem Wunsch entspringt, mit Gott zu sprechen. (Dieser Tip ist übrigens eine Ausnahme, normalerweise macht Rick Warren keine solchen konkreten Tipps, doch in diesem Fall tat er es und er hätte besser davon abgelassen).

Über was ich in vor ein paar Wochen stolperte, war ein Zitat von Paul Miller. Er versteht den Vers “betet ohne Unterlass” nicht als ein Gebot, das wir befolgen sollen, sondern um ein Eingeständnis unserer Schwachheit. So wie ein kleines Kind stets sagt “Mama! Mama! Mama!” weil es noch nicht gelernt hat, in seinem Leben auf eigenen Füssen zu stehen, sollen auch wir “Abba! Abba! Abba!” beten. Dauerndes Gebet ist kein Ausdruck von geistlicher Reife, sondern von geistlicher Armut.

Das Zitat:

Je näher ich zum Büro kam, desto mehr wurde ich überwältigt - ich hatte nicht die Weisheit, die Situation zu meistern, die sich mir stellte. Die Bibelstelle “Führe du mich auf den Felsen, der mir zu hoch ist!” (Psalm 61,3) kam mir in den Sinn, und ich betete ein einfaches Gebet. Ich brauchte einen Felsen, der höher war als ich selbst. Diese momentane Armut des Geistes war die Tür zum Gebet. Wir brauchen keine Selbstdisziplin, um ständig zu beten; wir müssen nur arm im Geist sein. Armut des Geistes schafft Platz für seinen Geist.
A praying life, Connecting with God in a distracting world, S. 54


Wieso empfehle ich also den Input von Tag 11 “Becoming best friends with God” überhaupt, wenn ich ihn doch nicht so umgesetzt habe?

Für mich war dieser Input wie ein Freund, der auf mich zukommt und sagt: “Philipp, ich denke, du kannst mit Gott ein fortwährendes Gebet führen. Wenn Paulus davon spricht im ersten Thessalonicher, dann wird es auch dir möglich sein”. Und dann kam der konkrete Tipp des Freundes, wie er denkt, dass dies möglich sei.

Den Tipp des Freundes habe ich zwar verworfen, aber was geblieben ist, ist der Glaube daran, dass es möglich ist und das Streben danach dahin zu kommen. Wie es möglich ist, weiss ich noch nicht, doch mein nächster Wegpunkt wird eher Paul Miller sein als Bruder Lorenz.

Beitrag von meiner Frau

Betet mit aller Ausdauer, voll Dankbarkeit gegenüber Gott und ohne in eurer Wachsamkeit nachzulassen.” (Kolosser 4,2)

In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, wie es dazu kam, dass das Gebet für mich von einer verabscheuten und erzwungenen Pflichterfüllung um “ein guter Christ” zu sein zu einem überlebenswichtigen, immer wieder herrlichen Teil meines verborgenen Lebens in Christus geworden ist - und warum es trotzdem auch heute noch umkämpft ist.

Viele Jahre war Beten für mich ein “rotes Tuch”. Sowohl in der Gruppe als auch allein. Man könnte da jetzt natürlich viele psychologische Gründe anführen, was alles dahinter steht. Und es spielen sicher einige Dinge aus der Vergangenheit mit. Auch Erlebnisse aus Beziehungen und Gemeinden, die nicht hilfreich waren. Doch darauf möchte ich hier nicht eingehen.

Tatsache ist, dass ich regelmässig “abstürzte”, wenn ich betete. Denn mein Gebet bestand meistens aus einer von zwei Komponenten:

Entweder, ich erzählte Gott, was mich gerade so im Leben beschäftigte. Und da ich eher unsicher, ängstlich und selbstzweifelnd bin, führte das häufig zu emotionalen Abstürzen. Indem ich Gott meine Probleme sagte, verstrickte ich mich immer mehr in meinen eigenen, negativen Gedanken. Von ihm hörte ich nichts. Ich folgte meinen Gedankengängen und die waren allzu oft verzweifelt und pessimistisch. War ich fertig mit Beten, fühlte ich mich schlechter als vorher. Ja, es machte mich geradezu wütend, dass Gott einfach still war und keine Antwort gab. Ich redete ja doch nur an eine Wand. Da war es doch viel hilfreicher, mit einem Menschen zu reden!

Die andere Komponente waren die Bitten an Gott. “Könntest du bitte…?” Ich legte Gott einfach alles vor, was ich mir im Moment wünschte, und hoffte irgendwie, dass sich alles erfüllen würde. Gottes Antworten schienen denn auch wie ein Zufallsgenerator zu sein. Mal wurde eine Bitte erhört, mal nicht. Ich hatte absolut kein Vertrauen, dass Gott meine Bitten hört. Ja, es fehlte mir ganz grundsätzlich das Vertrauen, dass Gott sich überhaupt irgendwie für mich interessiert.

Aber dann erbarmte sich Gott.

2008, als das Gefühl den Höhepunkt erreichte, mein Glaubensleben bestehe nur aus meiner Seite (Ich lese in der Bibel, ich bete, ich versuche ein gerechtes Leben zu führen, von Gott merke ich nichts), zeigte Gott mir als erstes, dass er sehr wohl wahrnehmbar ist. Dass er ein Gegenüber ist, das liebenswert ist. Durch verschiedene Umstände und Bücher zeigte Gott mir und meinem Mann, dass

  • Jesus herrlich ist
  • Gott mich erwählt hat, nicht ich ihn (und dass ich ihm daher willkommen bin)
  • wir Gottes Stimme hören, seine Liebe erfahren und seine Gegenwart spüren können

Mein Mann und ich nennen diese Zeit unsere “Erweckung”, denn sie veränderte unser ganzes Glaubensleben. Ich las das Neue Testament durch und es erschien mir wie ein neues Buch. Was für herrliche Dinge entdeckten wir plötzlich! Wir konnten zum ersten Mal Gott von Herzen mit Liedern anbeten. Und das Gebet fing an, kostbar zu werden, weil wir Gottes Gegenwart immer wieder spürten und uns im Gebet häufig von ihm geleitet fühlten. Wir erlebten auch ganz klare Gebetserhörungen.

Kleine Nebenbemerkung: Zu dieser Zeit gaben wir auch das erste Mal etwas von unserem Besitz weg: unsere Bücher-, CD- und DVD-Sammlung, auf die wir ziemlich stolz gewesen waren (seht mal, wie belesen wir sind und was für einen guten Musik-Geschmack wir haben!) und die uns jetzt eher als Hindernis zu unserer Beziehung zu Gott erschien.

Wir erlebten zwei herrliche Jahre mit Gott. Eine Stelle im Hohelied beschreibt unser Empfinden für Jesus damals sehr gut:

Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter unter den Söhnen! In seinem Schatten sass ich so gern, und seine Frucht war meinem Gaumen süss. (Hoheslied 2,3)

Wir hatten erkannt, dass Jesus herrlich ist und empfanden eine noch nie dagewesene Liebe für ihn. Das Gebet wurde kostbar, weil wir da unsere Liebe zu Jesus ausdrücken konnten und seine Liebe spürten.

Dann kamen schwierigere Zeiten, und obwohl das Gebet eine grosse Hilfe war, rückte es immer mehr in den Hintergrund. Schliesslich betete ich nur noch selten und las auch nicht mehr häufig in der Bibel. Meine eigenen Probleme und Wünsche, die Sorgen und Freuden der Welt, traten in den Vordergrund. Wir zogen von der Wohnung in der Stadt in ein Haus auf dem Land und richteten uns gemütlich ein.

Doch unsere Erlebnisse mit Gott waren nicht ganz vergessen. Ich wusste immer noch, dass Jesus herrlich ist und dass ich Gott dienen möchte. Hie und da drang etwas davon in mein Bewusstsein. Dann, im 2015, kamen mir Bücher von Missionaren und verfolgten Christen in die Hände und ich verschlang sie geradezu. Die lebten so, wie ich es mir wünschte. In diese Zeit fällt der Anfang der Veränderungen, die ich in meinem 9-teiligen Beitrag über Minimalismus beschrieben habe, mit allen Fragen, die wir uns stellten (wie können wir in der Schweiz so leben wie es in diesen Büchern beschrieben ist?).

Ich fing wieder an, in der Bibel zu lesen, aber das Beten blieb schwierig. In dieser Zeit war ein Muster erkennbar: Immer, wenn ich ein Buch am lesen war über einen Menschen, der mit Gott wandelte, loderte das Feuer in mir auf und ich dachte: So will ich auch leben! Ich will mein ganzes Leben für Gott hingeben und nicht mehr für mich selber leben!

Wenn das Buch fertig war (und ich nicht gerade ein neues lesen konnte) fiel ich nach und nach wieder in einen geistlichen Schlaf und meine Gedanken und Wünsche drehten sich wieder um die Welt.

Irgendwann fiel mir etwas auf: Jeder meiner Glaubenshelden betete sehr viel. Alle betonten, wie überlebenswichtig es war, jeden Tag viel Zeit im Gebet zu verbringen. Ja, dass sie ihren Dienst unmöglich tun konnten, ohne täglich lange vor Gott zu kommen. Einige beteten mehrere Stunden am Tag. Sie standen früh auf, um in Ruhe Zeit mit Gott haben zu können (denn sie waren ja alle von früh bis spät für Gott unterwegs). In mir wurde der Wunsch, jeden Tag lange zu beten, immer grösser.

Eines Abends im Bett spürte ich, wie Gott mich “rief”, jeden Tag zu ihm zu beten. Einige Tage später fing ich damit an. Und das hat ziemlich viel verändert.

Am Anfang war es allerdings ein grosser Kampf. Ich glaube, dass Satan sehr wohl weiss, was für eine Kraft im Beten liegt, und dass er mich entmutigen wollte (und immer noch will). Ich stürzte häufig emotional ab, hatte “Blackouts”, wo mir kein Wort mehr in den Sinn kam und manchmal war es, wie wenn eine grosse, schwarze Last auf mir liegen würde. Aber ich gab nicht auf. Und Gott half mir im Gebet, so dass ich meistens nach einer gewissen Zeit den Zugang zu ihm fand. Dass ich sah, wie herrlich er ist und ihn anbeten konnte.

Beim Durchlesen von meinen “Tagebüchern”, wo ich seit 2008 aufschreibe, was ich mit Gott erlebe, sah ich, dass zwischen meinen Aufzeichnungen immer wieder grosse Lücken waren. Mehrere Monate, ja sogar bis zu einem Jahr. Doch ab dem Zeitpunkt, wo ich anfing, regelmässig zu beten, gab es keine grossen Lücken mehr in den Einträgen. Im Gegenteil, die Einträge wurden von zusammenhanglosen Erlebnissen mit Gott zu Einträgen, die immer mehr auf ein Ziel ausgerichtet waren: Nicht mehr für mich selbst zu leben, sondern nur noch für Gott zu leben.

Das war es auch, was mein Gebet im Unterschied zu früher so grundsätzlich anders machte. Hatte ich früher beim Beten vor allem über mich selbst nachgedacht und Gott um die Erfüllung meiner Wünsche gebeten, so fing ich jetzt immer so an: “Jesus, ich will nicht mehr für mich selber leben, ich will nur noch für dich leben! Ich will keine Ziele mehr ausserhalb von dir haben.”

Das mache ich bis heute so. Ich fange jedes Gebet damit an, dass ich Gott sage, dass ich nur noch für Ihn leben will. Dass ich nicht mehr mir selber gehöre. Dass ich seine Sklavin bin, die auf Seine Befehle wartet. Und ich danke Jesus, dass Er so herrlich ist. Und dass Er das Opfer erbracht hat und mich vom Tod errettet hat.

Die Erkenntnis, dass mein verbleibendes Leben hier auf der Erde zu 100% Gott gehört und nicht mir, hat meine Gebete völlig verändert.

Früher hatte ich für die Erfüllung meiner eigenen Wünsche gebetet. Deshalb wurden meine Bitten auch nicht erhört, wie es in Jakobus 4,3 steht:

Und selbst wenn ihr euch an (Gott) wendet, werden eure Bitten nicht erhört, weil ihr in verwerflicher Absicht bittet: Das Erbetene soll dazu beitragen, eure selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen!

Jetzt möchte ich nach Matthäus 6,33 leben:

Es soll euch zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen, dann wird euch das Übrige alles dazugegeben.

Ich stelle es mir so vor: Meine Aufgabe ist es, Gottes Willen zu tun, nur noch für Ihn zu leben und das Evangelium zu verkünden. Gottes Aufgabe ist es, mich mit allem zu versorgen, was ich nötig habe. Also möchte ich meine eigenen Bedürfnisse so klein wie möglich halten und keine Ansprüche stellen. Und wenn ich ein Bedürfnis habe, will ich die Erfüllung davon von Gott erwarten (und nicht selber dafür kämpfen oder andere dafür verantwortlich machen). Ja, einerseits bin ich Gottes Sklavin, die keine Rechte hat und deren Auftrag es ist, widerspruchslos Seinen Willen zu tun (oder anzunehmen). Gleichzeitig ist aber Gott mein Vater, der sich um mich kümmert und meine Bedürfnisse stillt. Die beiden Bilder gehen Hand in Hand.

Seit ich so denke, ist die Last meiner Sorgen viel kleiner geworden (sie ist immer noch nicht so klein, wie ich sie gerne hätte). Wenn ich nämlich nicht mehr für mich selber lebe, ist es ganz in Gottes Verantwortung, was geschieht. Sollte Er nicht fähig sein, Seine Pläne in meinem Leben zu verwirklichen? Die Last, das erreichen zu müssen, was ich selber für mein Leben will, ist weggefallen. Gottes Wille soll geschehen. Es ist auch einfacher geworden zu vergeben oder Enttäuschungen zu ertragen.

Ja, ich erlebe es auch immer wieder, wenn ich mich körperlich schlecht fühle (ja, sogar, wenn ich in depressiver Stimmung bin), dass ich sagen kann: “ Jesus, du bist immer noch gleich herrlich! Gesundheit ist nicht mein höchstes Gut, sondern DU. Wenn es mir schlecht geht, dann ist es halt so. Ich lebe schliesslich nicht für mich selber. Verherrliche du dich durch mein Leben, ob es mir schlecht geht oder gut.” Und es ist, wie wenn dann der Bann gebrochen würde und die schlechten Gefühle keine Macht mehr über mich haben. Dann kann Satan mich plötzlich nicht mehr angreifen mit Angst und depressiven Gedanken. Und Jesu Herrlichkeit wird sichtbar.

Noch etwas anderes zieht der Grundsatz, dass ich nicht mehr für mich lebe, mit sich: Ich drehe mich im Gebet nicht mehr um mich selber, sondern bete mehr für andere. Für unsere Gemeinde. Für unsere Familien (die keine Christen sind), für unsere Nachbarn und Freunde. Für die Missionare, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und die Völker, unter denen sie arbeiten. Für die verfolgten Christen, die wir mit unserem Geld unterstützen. Und mir ist aufgefallen, dass ich die Menschen, für die ich bete, mehr liebe.

Und noch etwas habe ich entdeckt: Dass das Gebet eine grosse Kraft ist. Dass Gott Situationen und Menschen verändert, für die ich bete, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort zu jemandem sage. Ist das nicht herrlich?

Um ganz ehrlich zu sein, befinde ich mich gerade wieder in einer Zeit, wo es schwierig ist, regelmässig zu beten. Aber ich will auf keinen Fall aufgeben. Denn ohne das Gebet kann ich nicht überleben.

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