Das umkämpfte, herrliche Beten

Beitrag von meiner Frau

Betet mit aller Ausdauer, voll Dankbarkeit gegenüber Gott und ohne in eurer Wachsamkeit nachzulassen.” (Kolosser 4,2)

In diesem Artikel möchte ich darauf eingehen, wie es dazu kam, dass das Gebet für mich von einer verabscheuten und erzwungenen Pflichterfüllung um “ein guter Christ” zu sein zu einem überlebenswichtigen, immer wieder herrlichen Teil meines verborgenen Lebens in Christus geworden ist - und warum es trotzdem auch heute noch umkämpft ist.

Viele Jahre war Beten für mich ein “rotes Tuch”. Sowohl in der Gruppe als auch allein. Man könnte da jetzt natürlich viele psychologische Gründe anführen, was alles dahinter steht. Und es spielen sicher einige Dinge aus der Vergangenheit mit. Auch Erlebnisse aus Beziehungen und Gemeinden, die nicht hilfreich waren. Doch darauf möchte ich hier nicht eingehen.

Tatsache ist, dass ich regelmässig “abstürzte”, wenn ich betete. Denn mein Gebet bestand meistens aus einer von zwei Komponenten:

Entweder, ich erzählte Gott, was mich gerade so im Leben beschäftigte. Und da ich eher unsicher, ängstlich und selbstzweifelnd bin, führte das häufig zu emotionalen Abstürzen. Indem ich Gott meine Probleme sagte, verstrickte ich mich immer mehr in meinen eigenen, negativen Gedanken. Von ihm hörte ich nichts. Ich folgte meinen Gedankengängen und die waren allzu oft verzweifelt und pessimistisch. War ich fertig mit Beten, fühlte ich mich schlechter als vorher. Ja, es machte mich geradezu wütend, dass Gott einfach still war und keine Antwort gab. Ich redete ja doch nur an eine Wand. Da war es doch viel hilfreicher, mit einem Menschen zu reden!

Die andere Komponente waren die Bitten an Gott. “Könntest du bitte…?” Ich legte Gott einfach alles vor, was ich mir im Moment wünschte, und hoffte irgendwie, dass sich alles erfüllen würde. Gottes Antworten schienen denn auch wie ein Zufallsgenerator zu sein. Mal wurde eine Bitte erhört, mal nicht. Ich hatte absolut kein Vertrauen, dass Gott meine Bitten hört. Ja, es fehlte mir ganz grundsätzlich das Vertrauen, dass Gott sich überhaupt irgendwie für mich interessiert.

Aber dann erbarmte sich Gott.

2008, als das Gefühl den Höhepunkt erreichte, mein Glaubensleben bestehe nur aus meiner Seite (Ich lese in der Bibel, ich bete, ich versuche ein gerechtes Leben zu führen, von Gott merke ich nichts), zeigte Gott mir als erstes, dass er sehr wohl wahrnehmbar ist. Dass er ein Gegenüber ist, das liebenswert ist. Durch verschiedene Umstände und Bücher zeigte Gott mir und meinem Mann, dass

  • Jesus herrlich ist
  • Gott mich erwählt hat, nicht ich ihn (und dass ich ihm daher willkommen bin)
  • wir Gottes Stimme hören, seine Liebe erfahren und seine Gegenwart spüren können

Mein Mann und ich nennen diese Zeit unsere “Erweckung”, denn sie veränderte unser ganzes Glaubensleben. Ich las das Neue Testament durch und es erschien mir wie ein neues Buch. Was für herrliche Dinge entdeckten wir plötzlich! Wir konnten zum ersten Mal Gott von Herzen mit Liedern anbeten. Und das Gebet fing an, kostbar zu werden, weil wir Gottes Gegenwart immer wieder spürten und uns im Gebet häufig von ihm geleitet fühlten. Wir erlebten auch ganz klare Gebetserhörungen.

Kleine Nebenbemerkung: Zu dieser Zeit gaben wir auch das erste Mal etwas von unserem Besitz weg: unsere Bücher-, CD- und DVD-Sammlung, auf die wir ziemlich stolz gewesen waren (seht mal, wie belesen wir sind und was für einen guten Musik-Geschmack wir haben!) und die uns jetzt eher als Hindernis zu unserer Beziehung zu Gott erschien.

Wir erlebten zwei herrliche Jahre mit Gott. Eine Stelle im Hohelied beschreibt unser Empfinden für Jesus damals sehr gut:

Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes, so ist mein Geliebter unter den Söhnen! In seinem Schatten sass ich so gern, und seine Frucht war meinem Gaumen süss. (Hoheslied 2,3)

Wir hatten erkannt, dass Jesus herrlich ist und empfanden eine noch nie dagewesene Liebe für ihn. Das Gebet wurde kostbar, weil wir da unsere Liebe zu Jesus ausdrücken konnten und seine Liebe spürten.

Dann kamen schwierigere Zeiten, und obwohl das Gebet eine grosse Hilfe war, rückte es immer mehr in den Hintergrund. Schliesslich betete ich nur noch selten und las auch nicht mehr häufig in der Bibel. Meine eigenen Probleme und Wünsche, die Sorgen und Freuden der Welt, traten in den Vordergrund. Wir zogen von der Wohnung in der Stadt in ein Haus auf dem Land und richteten uns gemütlich ein.

Doch unsere Erlebnisse mit Gott waren nicht ganz vergessen. Ich wusste immer noch, dass Jesus herrlich ist und dass ich Gott dienen möchte. Hie und da drang etwas davon in mein Bewusstsein. Dann, im 2015, kamen mir Bücher von Missionaren und verfolgten Christen in die Hände und ich verschlang sie geradezu. Die lebten so, wie ich es mir wünschte. In diese Zeit fällt der Anfang der Veränderungen, die ich in meinem 9-teiligen Beitrag über Minimalismus beschrieben habe, mit allen Fragen, die wir uns stellten (wie können wir in der Schweiz so leben wie es in diesen Büchern beschrieben ist?).

Ich fing wieder an, in der Bibel zu lesen, aber das Beten blieb schwierig. In dieser Zeit war ein Muster erkennbar: Immer, wenn ich ein Buch am lesen war über einen Menschen, der mit Gott wandelte, loderte das Feuer in mir auf und ich dachte: So will ich auch leben! Ich will mein ganzes Leben für Gott hingeben und nicht mehr für mich selber leben!

Wenn das Buch fertig war (und ich nicht gerade ein neues lesen konnte) fiel ich nach und nach wieder in einen geistlichen Schlaf und meine Gedanken und Wünsche drehten sich wieder um die Welt.

Irgendwann fiel mir etwas auf: Jeder meiner Glaubenshelden betete sehr viel. Alle betonten, wie überlebenswichtig es war, jeden Tag viel Zeit im Gebet zu verbringen. Ja, dass sie ihren Dienst unmöglich tun konnten, ohne täglich lange vor Gott zu kommen. Einige beteten mehrere Stunden am Tag. Sie standen früh auf, um in Ruhe Zeit mit Gott haben zu können (denn sie waren ja alle von früh bis spät für Gott unterwegs). In mir wurde der Wunsch, jeden Tag lange zu beten, immer grösser.

Eines Abends im Bett spürte ich, wie Gott mich “rief”, jeden Tag zu ihm zu beten. Einige Tage später fing ich damit an. Und das hat ziemlich viel verändert.

Am Anfang war es allerdings ein grosser Kampf. Ich glaube, dass Satan sehr wohl weiss, was für eine Kraft im Beten liegt, und dass er mich entmutigen wollte (und immer noch will). Ich stürzte häufig emotional ab, hatte “Blackouts”, wo mir kein Wort mehr in den Sinn kam und manchmal war es, wie wenn eine grosse, schwarze Last auf mir liegen würde. Aber ich gab nicht auf. Und Gott half mir im Gebet, so dass ich meistens nach einer gewissen Zeit den Zugang zu ihm fand. Dass ich sah, wie herrlich er ist und ihn anbeten konnte.

Beim Durchlesen von meinen “Tagebüchern”, wo ich seit 2008 aufschreibe, was ich mit Gott erlebe, sah ich, dass zwischen meinen Aufzeichnungen immer wieder grosse Lücken waren. Mehrere Monate, ja sogar bis zu einem Jahr. Doch ab dem Zeitpunkt, wo ich anfing, regelmässig zu beten, gab es keine grossen Lücken mehr in den Einträgen. Im Gegenteil, die Einträge wurden von zusammenhanglosen Erlebnissen mit Gott zu Einträgen, die immer mehr auf ein Ziel ausgerichtet waren: Nicht mehr für mich selbst zu leben, sondern nur noch für Gott zu leben.

Das war es auch, was mein Gebet im Unterschied zu früher so grundsätzlich anders machte. Hatte ich früher beim Beten vor allem über mich selbst nachgedacht und Gott um die Erfüllung meiner Wünsche gebeten, so fing ich jetzt immer so an: “Jesus, ich will nicht mehr für mich selber leben, ich will nur noch für dich leben! Ich will keine Ziele mehr ausserhalb von dir haben.”

Das mache ich bis heute so. Ich fange jedes Gebet damit an, dass ich Gott sage, dass ich nur noch für Ihn leben will. Dass ich nicht mehr mir selber gehöre. Dass ich seine Sklavin bin, die auf Seine Befehle wartet. Und ich danke Jesus, dass Er so herrlich ist. Und dass Er das Opfer erbracht hat und mich vom Tod errettet hat.

Die Erkenntnis, dass mein verbleibendes Leben hier auf der Erde zu 100% Gott gehört und nicht mir, hat meine Gebete völlig verändert.

Früher hatte ich für die Erfüllung meiner eigenen Wünsche gebetet. Deshalb wurden meine Bitten auch nicht erhört, wie es in Jakobus 4,3 steht:

Und selbst wenn ihr euch an (Gott) wendet, werden eure Bitten nicht erhört, weil ihr in verwerflicher Absicht bittet: Das Erbetene soll dazu beitragen, eure selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen!

Jetzt möchte ich nach Matthäus 6,33 leben:

Es soll euch zuerst um Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit gehen, dann wird euch das Übrige alles dazugegeben.

Ich stelle es mir so vor: Meine Aufgabe ist es, Gottes Willen zu tun, nur noch für Ihn zu leben und das Evangelium zu verkünden. Gottes Aufgabe ist es, mich mit allem zu versorgen, was ich nötig habe. Also möchte ich meine eigenen Bedürfnisse so klein wie möglich halten und keine Ansprüche stellen. Und wenn ich ein Bedürfnis habe, will ich die Erfüllung davon von Gott erwarten (und nicht selber dafür kämpfen oder andere dafür verantwortlich machen). Ja, einerseits bin ich Gottes Sklavin, die keine Rechte hat und deren Auftrag es ist, widerspruchslos Seinen Willen zu tun (oder anzunehmen). Gleichzeitig ist aber Gott mein Vater, der sich um mich kümmert und meine Bedürfnisse stillt. Die beiden Bilder gehen Hand in Hand.

Seit ich so denke, ist die Last meiner Sorgen viel kleiner geworden (sie ist immer noch nicht so klein, wie ich sie gerne hätte). Wenn ich nämlich nicht mehr für mich selber lebe, ist es ganz in Gottes Verantwortung, was geschieht. Sollte Er nicht fähig sein, Seine Pläne in meinem Leben zu verwirklichen? Die Last, das erreichen zu müssen, was ich selber für mein Leben will, ist weggefallen. Gottes Wille soll geschehen. Es ist auch einfacher geworden zu vergeben oder Enttäuschungen zu ertragen.

Ja, ich erlebe es auch immer wieder, wenn ich mich körperlich schlecht fühle (ja, sogar, wenn ich in depressiver Stimmung bin), dass ich sagen kann: “ Jesus, du bist immer noch gleich herrlich! Gesundheit ist nicht mein höchstes Gut, sondern DU. Wenn es mir schlecht geht, dann ist es halt so. Ich lebe schliesslich nicht für mich selber. Verherrliche du dich durch mein Leben, ob es mir schlecht geht oder gut.” Und es ist, wie wenn dann der Bann gebrochen würde und die schlechten Gefühle keine Macht mehr über mich haben. Dann kann Satan mich plötzlich nicht mehr angreifen mit Angst und depressiven Gedanken. Und Jesu Herrlichkeit wird sichtbar.

Noch etwas anderes zieht der Grundsatz, dass ich nicht mehr für mich lebe, mit sich: Ich drehe mich im Gebet nicht mehr um mich selber, sondern bete mehr für andere. Für unsere Gemeinde. Für unsere Familien (die keine Christen sind), für unsere Nachbarn und Freunde. Für die Missionare, die wir in den letzten Jahren kennengelernt haben und die Völker, unter denen sie arbeiten. Für die verfolgten Christen, die wir mit unserem Geld unterstützen. Und mir ist aufgefallen, dass ich die Menschen, für die ich bete, mehr liebe.

Und noch etwas habe ich entdeckt: Dass das Gebet eine grosse Kraft ist. Dass Gott Situationen und Menschen verändert, für die ich bete, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort zu jemandem sage. Ist das nicht herrlich?

Um ganz ehrlich zu sein, befinde ich mich gerade wieder in einer Zeit, wo es schwierig ist, regelmässig zu beten. Aber ich will auf keinen Fall aufgeben. Denn ohne das Gebet kann ich nicht überleben.

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