Folge 19 von “Lesenswichtig”, einer Liste von christlichen Artikeln, die mich diese Woche bewegt haben.

Wilhelm Busch über die Anfänge seiner Predigerarbeit

Sergej Pauli über ein paar interessant-amüsante Zitate von Wilhelm Busch:

Sergej meint dazu:

Ich glaube, das was Busch in den Zwanzigern des 20ten Jahrhunderts beobachten hat, wird durch Twitter, Hashtag & Co in den Zwanzigern des 21ten Jahrhunderts multipliziert.

Zwei Zitate von Wilhelm Busch (aus dem Buch “Plaudereien in meinem Studierzimmer”):

Ich habe damals zum ers­ten Mal erlebt, wie die Men­schen weit­hin das eige­ne Den­ken auf­ge­ge­ben haben zuguns­ten von Denk­sche­ma­ta und Schlag­wor­ten. Es war ermü­dend, immer und immer die­sel­ben Phra­sen zu hören von “Ver­elen­dung der Mas­sen”, von der “Schuld der Kir­chen”, die “die Waf­fen geseg­net haben” und “geschwie­gen haben zu der Aus­beu­tung” oder “wie die Kirch­gän­ger schlech­ter sind als alle ande­ren.” Mein Herz schrie danach, end­lich ein­mal ein eige­nes, aus dem eige­nen Den­ken oder aus dem Her­zen ent­sprun­ge­nes Wort zu hören.

Die Men­schen kom­men mir oft vor, als wenn man ihnen das Gehirn weg­ge­nom­men und dafür Schall­plat­ten in den Kopf gesetzt hät­te, die nun auf bestimm­te Stich­wor­te hin ablaufen.

Zum Beitrag: Wilhelm Busch berichtet über seinen Dienst als Prediger in Bielefeld

Mein zwiespältiges Verhältnis zum Stichwort “unterordnen”

Rebecca McLaughlin tat sich schwer mit dem Bibelvers: “Ihr Frauen, ordnet euch euren eigenen Männern unter wie dem Herrn.”. In einem bewegendem, persönlichem Beitrag, berichtet sie über ihr Ringen über diesen Vers, wie auch was einige Christen damit fälschlicherweise angestellt haben. Ein paar Auszüge:

Ich verkündete meinen ungläubigen Freunden ein radikales Narrativ der Machtumkehr, in dem der Schöpfergott sein Leben gab, in dem Arme den Reichen überlegen sind und Ausgegrenzte Teil der Familie werden. … Doch da war dieser schreckliche Vers, der die Unterdrückung von Frauen zu propagieren schien. Jesus hatte Frauen auf die gleiche Ebene wie Männer gehoben. Und es sah für mich so aus, als hätte Paulus sie wieder heruntergestossen. Ich befürchtete, dass dieser Vers mein ganzes Zeugnis zunichtemachen würde.

Und dann fiel der Groschen endlich. Frauen, ordnet euch euren eigenen Männern unter wie dem Herrn. Männer, liebt eure Frauen, gleichwie auch Christus die Gemeinde geliebt hat. Das eigentliche Thema, das in diesem Modell seine Abbildung findet, ist nicht das individuelle Ehepaar. Es ist Jesus und die Gemeinde. Gott erschuf Sex und Ehe, um uns einen kleinen Eindruck von seiner Vertrautheit mit uns zu vermitteln.

Zum falschen Verständnis von diesem Vers schreibt sie:

Die komplementäre Ehe wird oft wie folgt beschrieben: “Frauen ordnen sich unter, Männer leiten”. Aber diese Simplifizierung gibt nicht die biblischen Gebote wieder. Ehefrauen sind sehr wohl dazu aufgerufen, sich unterzuordnen. Aber die primäre Aufforderung an die Männer lautet, zu lieben.

Tatsächlich ist Epheser 5 eine deutliche Kritik an den traditionellen Geschlechterrollen, sowohl in seinem damaligen Kontext als auch heute. In der Thematisierung der Ehe stehen die Bedürfnisse der Frau stets an erster Stelle, wohingegen die Tendenz des Ehemannes, sich selbst in den Vordergrund zu stellen, vom Evangelium wie mit einer Axt in Stücke gehauen wird.

Zurück zur eigentlichen Aussage des Verses:

In meiner Ehe geht es letztendlich nicht um mich und meinen Mann, zumindest nicht mehr, als es in Romeo und Julia um die Schauspieler geht, die die Hauptrollen verkörpern. In meiner Ehe geht es darum, Jesus und seine Gemeinde widerzuspiegeln.

Zum Beitrag: Mein zwiespältiges Verhältnis zum Stichwort “unterordnen”

Goldene Farben, lange Schatten

Der Sommer war kurz. Ängstlich schaue ich dem Herbst und dem danach kommenden Winter entgegen (wir hoffen, als Familie in den Herbstferien nochmals in den Süden fahren zu können, um den “verpassten Sommer” etwas nachholen zu können).

Daniel Vullriede hat einen Artikel publiziert, der hat mich fasziniert. Er geht das Thema Herbst poetisch an, führt Dichter wie Rilke auf. Ein paar Auszüge aus seinen Gedanken zur herbstlichen Melancholie:

Der berühmte Lyriker Rainer Maria Rilke (1875-1926) fasst im Gedicht “Herbsttag” seine Beobachtungen in Worte. … Er schreibt er in der dritten und letzten Strophe:

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Er fasst das Gedicht von Rilke so zusammen:

Verpasste Chancen, die klare Aussicht auf düstere Einsamkeit, der Wunsch nach echter Begegnung, die Grübelei und Ruhelosigkeit inmitten kahler werdender Bäume. Alles ist irgendwie eingetrübt. Was uns bleibt, sind wir selbst…

Als Gegenüberstellung ein Gedicht von Karl Gerok (1815-1890), aus seinem Gedicht “Herbstgefühl”. Die zweite Strophe endet so:

An der letzten Rose
Löset lebenssatt
Sich der letzte lose,
Bleiche Blumenblatt!

Daniel Vullriede dazu:

Seine zweite Strophe wirkt (verglichen mit Rilkes Wortwahl) vielleicht nicht ganz so elegant. Doch wenn von der letzten Rose das letzte, lose Blumenblatt lebenssatt abfällt, so ist der Kontrast der Bilder jedem klar: Alles noch so Schöne da draussen vergeht und niemand kann es festhalten.

Zur dritte Strophe…

Goldenes Entfärben
Schleicht sich durch den Hain!
Auch Vergehn’n und Sterben
Deucht mir süß zu sein.

schreibt er:

Einen Moment! Wie kann der Niedergang des Lebens etwas Positives, ja, sogar etwas “Süsses” bereithalten?

Anstatt den Menschen grausam auf sich selbst zurückgeworfen oder hineingeworfen in einen trostlosen Naturkreislauf zu sehen, versteht Gerok ihn als Teil der Schöpfung. Anstatt die trübe Einsamkeit hinzunehmen, weitet der den Blick über die Vergänglichkeit hinaus. Der Herbst macht ihn melancholisch, aber nicht mürbe.

Gerok macht es richtig! Er verfolgt die herbstliche Melancholie bis auf ihren Ursprung zurück, um sie dann Gottes Offenbarung gegenüberzustellen. Ja, die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist dem Untergang geweiht. Das ist eine nüchterne Wahrheit, die über blosse Melancholie weit hinaus geht.

Zum Beitrag: Goldene Farben, lange Schatten

Ratschläge zur Diskussionskultur in den Sozialen Medien

Bezüglich Sozialen Medien bin ich schon länger hin und her gerissen.

Zwar schätze ich die oft wertvollen Impulse, gerade von Andersdenkenden, aber die Diskussionskultur ist oft so angriffig, dass ich häufig emotional aufgewühlt das Browserfenster wieder schliesse.

In einem Video führt Ron Kubsch sieben Ratschläge auf, wie wir damit umgehen können. Ein paar Auszüge:

Ein Pastor … hat einmal gesagt: “Ich lese nur noch das, was mich in meiner Meinung bestätigt”. Ich glaube nicht, dass das unser geistliches Wachstum unbedingt fördert.

Es ist natürlich keine Lösung, dass wir aufhören miteinander zu reden, nur aus der Angst davor, dass wir die Gefühle des anderen verletzen.

Eine gelingende Kommunikation lebt davon, dass einer anfängt, mal zuzuhören. … dass wir auch selbstkritisch sein sollen. Denn es kann auch durchaus sein, dass der andere, der sich mit mir streitet, recht hat, und ich derjenige bin, der falschliegt.

Wir als Christen, wir haben eine lebendige Hoffnung, wir müssen nicht mehr perfekt erscheinen, wir müssen nicht ständig an unserem Imagedesign arbeiten, wir können es auch zugeben, wenn wir Fehler machen … es würde sehr viel toxisches Material aus der Gesprächskultur nehmen, wenn wir bereit sind dort, wo wir uns mal verrannt haben … um Vergebung zu bitten.

Zum Beitrag: Ratschläge zur Diskussionskultur in den Sozialen Medien

Vor vier Jahren kam unsere Tochter in die erste Klasse. Den Kindergarten hat sie geliebt: Es waren zwei Jahre unbeschwertes Spielen. Selbst die Kindergartenlehrerinnen waren lustig und man durfte ihnen beim Abschied “Auf Wiedersehen Frau Kochtopf” sagen. Lesen und schreiben konnte sie bereits. Das hat sie sich selbst beigebracht. Kein Wunder: die ganze Welt um sie herum war voller Buchstaben.

Dann kam sie eben in die erste Klasse. Von einem Tag zum anderen musste sie lesen und schreiben. Was als spannende Nebenbeschäftigung begann, wurde zur Pflicht. An einem der ersten Schultage teilte die Lehrerin eine Aufgabe aus. Nachdem unsere Tochter die Aufgabe abgeschlossen hatte, streckte sie auf: “Kann ich jetzt in die Spielecke?”. Nein, meinte die Lehrerin. “Ich gebe dir ein Blatt mit weiteren Aufgaben.” Unserer Tochter wurde schmerzlich bewusst, dass die Schule kein Ort des Spiels war.

Und so blieb es. Frage ich meine Tochter am Abend nach den Highlights des Tages, erzählt sie vom Nachmittag nach der Schule. Frage ich sie, ob denn nicht auch in der Schule etwas lässig war, nennt sie höchstens die Pause. Oder das Turnen. Oder: Moment. Es gibt ein Fach, das sie gerne besucht: Das nennt sich “Deutsch-Lernforum”.

Das Lernforum ist freiwillig. Da gehen nur vier bis acht Kinder hin, die Klasse ist also gut viermal kleiner als ihre normale Schulklasse. Die Lehrerin fragt die Schüler, worauf sie Lust hätten. Handlettering, schlägt meine Tochter vor. Ok, hat zwar nur begrenzt etwas mit Deutsch zu tun, aber der Vorschlag wird aufgenommen. Andere Unterrichtsteile gibt die Lehrerin vor, aber auch diese werden spielerisch durchgeführt. Ein Beispiel: Sie bekamen den Auftrag, zu zweit eine Geschichte zu erfinden und aufzuschreiben. Danach haben sie die Geschichten in ein Hörspiel vertont. Das war das Highlight des letzten Schuljahres meiner Tochter.

Als unser Sohn noch in der Mittelstufe war, besuchte er das Mathe-Lernforum. Mein Eindruck: Er hat da um ein Vielfaches mehr schneller gelernt als in der normalen Mathestunde. Ich habe mich ein paarmal mit ihm hingesetzt und mit ihm durch Lernforum-Heft geblättert. Dabei habe ich gemerkt: Da wurde ihm das Interesse an der Mathematik geweckt. Da ging es um alltägliche, spielerische Probleme. Um Kuriositäten. Die Theorie war Mittel zum Zweck. Im Zentrum standen spannende Fragestellungen und die konnte man nur mittels Theorie lösen, daher wurde auch die Theorie spannend.

Wieso schreibe ich das alles auf? Ist es ein Aufruf zu Homeschooling? Nein. Weil ich weiss, wie man es besser machen könnte? Nein.

Ich schreibe dies, weil ich beobachte, dass Lernen vor allem da passiert, wo es Freiräume gibt. Wo das Spiel im Vordergrund steht. Die Neugier. Die Eigenmotivation.

Ich wollte schon lange über das Lernen und die Schule schreiben. Getriggered zu diesem Artikel wurde ich durch einen Beitrag aus der “Homeschooling-Ecke”. Ein paar Auszüge:

Einige von uns geben sich nicht mit kulturellen Normen zufrieden. Einige von uns, die sich an der Forschung und der kindlichen Entwicklung orientieren, wissen, dass Spiel für kleine Kinder keine Ergänzung zum Lernen ist, sondern dass Spiel Lernen ist.

Was die Autorin als “Spiel” versteht:

Spielen ist eine Reihe von intrinsisch motivierten Aktivitäten, die zum Vergnügen und zur Freude an der Freizeitgestaltung durchgeführt werden.

Bei der Durchsicht von Forschungsarbeiten und akademischen Artikeln über das Spielen können die Definitionen ein wenig variieren, aber eine Sache, die immer präsent ist, ist die Idee, dass Spielen freiwillig ist. Spielen ist nicht etwas, das Kindern aufgezwungen wird.

Das klingt schwärmerisch. Romantisch. Und ja, ich frage mich, wie sich das konkret bei unseren zwei Kindern umsetzen liesse. Ich weiss es nicht.

Was ich sehe ist, dass die Schule ein Ort geworden ist, wo die Lehrer davon ausgehen, dass die Schüler nicht freiwillig kommen. Und daher ein ganzes System von Regeln und Strafen geschaffen wurde, um die Schüler “in line” zu halten. Als unser Sohn in die Oberstufe kam, brachte er ein Heft voller Regeln nach Hause. Darin war beschrieben, welche disziplinarische Massnahmen für welche Vergehen gelten.

Das Deutsch-Lernforum auf der anderen Seite - obwohl auch Teil der Schule - ist ein freiwilliger Ort. Da sind nur Kinder, welche Freude an Deutsch haben. Und alleine diese Tatsache schafft eine ganz andere Umgebung. Es ist ein Ort, wo Interesse und Neugier geweckt wird. Wo der Lehrer nicht vorgibt, was die Kinder lernen sollen, sondern sie ihnen die grosse Welt der Sprache zeigt. Wo sie nicht für die Noten lernen, sondern weil sie der Stoff selber fasziniert.

Ja, das ist vielleicht der unfertigste Beitrag, den ich bisher geschrieben habe. Aber es ist ein Thema, das mir einfach keine Ruhe lässt! Und von dem ich hoffe, dass ich ein paar Feedbacks kriege. Denn es kann nicht nur uns so gehen.

Folge 18 von “Lesenswichtig”, einer Liste von christlichen Artikeln, die mich diese Woche bewegt haben.

Diesmal eine Ausgabe mit nur deutschsprachigen Artikeln. Genau genommen nur von Sergej Pauli und Hanniel Strebel. Immer wieder begeistert mich die Art, wie sie Christentum mit dem alltäglichen, normalen Leben verschmelzen. Sergej schafft das, indem er unverblümt aus seinem Leben erzählt. Hanniel durch seine Fähigkeit, unsere säkulare Welt der christlichen gegenüberzustellen.

Genauso verstehe ich den Aufruf, dass wir das Salz der Erde sein sollen: Niemand nimmt pures Salz in den Mund. Die gewünschte Wirkung hat es erst, wenn es mit anderem vermischt wird - nämlich wenn Christus im alltäglichen Leben zum Vorschein kommt.

Ja, aber…

Sergej Pauli beklagt, dass Christen - besonders Prediger - Bibelstellen oft gut gemeint “abfedern” und so deren die Sprengkraft vermindern:

Ich hege schon länger den Verdacht, dass dieses ausgeglichene, angeblich alle Perspektiven berücksichtigendes Sprechen eher etwas ist, dass den englischen Ausdruck “futile” verdient. Kurz: Es ist vergeblich.

Falsche Komplementarität garniert mit rhetorischen Spitzfindigkeiten hat, – um es mal ganz frank und frei zu sagen- , mehr Ähnlichkeit mit Nihilismus als mit Gottesfurcht.

Und dann führt er einige Beispiele auf: Über die Lehre zur Souveränität Gottes:

Wenn man mir auf eine biblische Ausarbeitung zur Vorherbestimmung oder Vorsehung einwendet, dass dies “unseren Missionseifer” unterbinde, dann ist das doch die falsche Reaktion. Die Frage sollte doch dann sein: Was gibt uns mehr Missionseifer? Und die Antwort “weniger über die Souveränität Gottes zu reden”, kann dabei nur als höchst ungenügend gelten.

Oder über den Besitz:

Da ist der Prediger, der die Kanzel besteigt und darüber redet, dass jeder Christ entscheiden muss, ob er Gott oder dem Mammon dienen will. Doch statt auf die tödlichen Gefahren des Geizes und der Gier, die die Wurzel allen Übels ist, einzugehen, begnügt er sich mit Verweisen, dass die Bibel sehr wohl auch reiche Gläubige kenne, ob nun Abraham oder Salomo.
Man zeige mir auch nur einen Zuhörer, dem diese Plattitüden nützen sollen?

Er schliesst damit ab, dass auch ihm oft schwerfällt, das Wort Gottes einfach so stehen zu lassen. Persönlich und bewegend.

Zum Artikel: Ja, aber…

Bedeutet es, dass ich gestresst hetzen muss, um “die Zeit auszukaufen”?

Nochmals ein Artikel von Sergej Pauli. Es geht um das “optimieren” unserer Zeit. Hier habe ich mich extrem wiedererkannt. Vermutlich kommt es auch daher, dass unsere auf Konkurrenz basierende Marktwirtschaft den Vers “kauft die Zeit aus” genau so interpretiert, dass wir entweder alles effizienter oder effektiver machen sollen. Ein paar Auszüge:

Praktisch bedeutet dies natürlich, dass man die Aufgaben nach Relevanz/Bedeutung sortiert und “Kinder hüten” oder “Leibliche Ertüchtigung” findet sich in dieser Hierarchie nur ganz weit unten – sind es ja schließlich nicht “geistliche Werke des Reiches Gottes” – eher nötige, unvermeidbare Pflichten, die von dem wesentlichen “Dienst für Gott”, wie z.B. dem Bloggen, oder in meinem Fall vornehmlich “wichtige Bücher lesen” abhalten. Entsprechend gilt es, diese Zeit als so gering wie möglich zu halten – schließlich muss ich “die Zeit auskaufen”, wenn ich geistlich sein möchte.

Dass ich bereits tief in eine “leistungsorientierten selbstgerechten Effizienzfalle” gefallen war, ist mir nur sehr langsam und zähflüssig aufgegangen.

Eines Abends, nachdem ich besonders “effizient” war, dachte ich, dass ich mir auch “einmal etwas Freizeit” verdient hätte. So schaltete ich einen älteren Krimi an, aber bereits nach zehn Minuten habe ich weggeschaltet, weil mir das “nicht effizient” vor kam und ich “ja etwas Nützlicheres tun könnte”. Ich tat auch “was Nützlicheres”, aber mit einem wirklich unerträglichen Zorn und Hadern. Ich ärgerte mich ungemein über Gott, der mich nur ständig mit Forderungen und Leistungsansprüchen überhäuft. Um im biblischen Vokabular zu bleiben: “So viele Jahre habe ich dir gedient, und du hast mir nie einen Bock gegeben”.

Ein paar weitere Beispiele weiter resümiert Sergej:

Wirklich, das ist hier in wenigen Sätzen niedergeschrieben. Aber das ist ein furchtbarer kaum zu ertragender Sterbeprozess seinen Modellen nicht zu glauben, die so komplett sinnvoll klingen, während gleichzeitig nur eine ganz stille, kaum vernehmbare Stimme etwas davon flüstert, dass man in Christus bedingungslos angenommen ist.

Zum Artikel: Bedeutet es, dass ich gestresst hetzen muss, um “die Zeit auszukaufen”?

Die Seele im Cyberspace und die Veränderung unserer Gewohnheiten

Hanniel Strebel rezensierte das Buch «The Soul in Cyberspace» von Douglas Groothuis. Im Buch wird beschrieben, was sich in unserer Seele durch die neue Technologie verändert.

Am Beispiel Radio (ja, das Buch ist von 1997, also noch vor der Popularität von Internet und Smartphone):

Wenn wir glauben, dass das Anhören einer Predigt – selbst einer sehr guten Predigt – im Radio dasselbe ist wie die Zusammenkunft in unserer örtlichen Gemeinde, um durch die Predigt des Wortes Gottes herausgefordert zu werden, dann täuschen wir uns. Und wenn wir glauben, dass eine weitverbreitete Radioarbeit die Dynamik des zwischenmenschlichen Dialogs – wie wir mit denen weinen, die weinen, und mit denen lachen, die lachen – ersetzen kann, dann sind wir ebenso betrogen. Solche Missverständnisse verdeutlichen die Gefahr des technologischen Ersatzes des Persönlichen. Ein künstliches und unpersönliches Kommunikationsmittel ersetzt die menschliche Interaktion auf eine Weise, die nicht sofort offensichtlich ist. Auf diese Weise wird die persönliche Dimension, die Gott so hoch schätzt, entwertet.

Zum Artikel: Input: Die Seele im Cyberspace und die Veränderung unserer Gewohnheiten

Eine robuste Theologie des Leids

In einer Artikelreihe: «Was ist denn, bitteschön, reformatorische Theologie?» beleuchtet Hanniel Strebel verschiedene Aspekte des Glaubens. Besonders gefallen hat mir die Gegenüberstellung unserer westlichen Schmerz-ausweichen-um-jeden-Preis-Einstellung und der biblischen Lehre des Leids:

Es geht um die Theologie des Leidens. Die Theologie des Kreuzes (theologia crucis) wurde sowohl von Luther wie von Calvin gelehrt. Wer sich mehr damit beschäftigen möchte, dem sei der Psalmenkommentar von Johannes Calvin ans Herz gelegt. Die bewusste Zuwendung zum Leid innerhalb des christlichen Lebens steht im Gegensatz zur Lehre des Säkularismus, der im Westen dominanten Sichtweise, der im Denken und Handeln von Gott entwöhnt ist. Dem Leid zu entfliehen, es zumindest auszublenden oder es zu betäuben ist das Gebot der Zeit. Dies ist verbunden mit dem Anspruch auf eine vollständige und unmittelbare Befriedigung. Im Neuen Testament werden wir eines Besseren belehrt.

Zum Artikel: Zugerüstet in der Herde Gottes

Probleme löst man durch Arbeit und Geld.

Stockt die Karriere? Dann mach eine Weiterbildung.
Bist du zu dick? Dann nimm ab.
Ist dein Auto defekt? Dann lass es reparieren oder kaufe dir ein neues.
Hast du Eheprobleme? Dann gehe in die Paarberatung.

Alles hat seine Antwort entweder in Arbeit oder Geld. Hoch der Fortschritt! Hoch die Entwicklung und der Wohlstand!

In einer solchen Welt wirkt Gebet weltfremd. Aber sowas von. «Beten für die Karriere? Wofür soll denn das gut sein? Für Beziehungen? Ich kenne dieses gute Buch, diese tolle Beratungsstelle. Beten für dein Auto, für deine Diät? Wieso beten, wenn du es auch selber machen kannst? Sei ein Self-Made-Man!».

Der Satz, den Jakobus so beginnt: “Ihr habt nicht, weil…”. Würde der Westen weiterführen mit “Weil du dich zu wenig angestrengt hast.”. Doch Jakobus beendet ihn mit “Weil ihr nicht bittet.”

«Ernsthaft? Gebet? Wieso soll ich beten, wenn ich gut auch selber weiss, wie ich das Problem lösen kann? Lass mich lieber das Gebet auslassen und die Zeit nutzen, das Problem zu lösen!»

Gebet scheint mir dann sinnlos, wenn ich glaube zu wissen, wie ich es angehen soll. Und darin liegt das Problem: Denn mit meinen gut vierzig Lebensjahren dämmert es mir langsam, dass ich bei vielen Problemen die Lösung nicht kenne. Zugegeben, diese Demut ist mir nicht allezeit zuvorderst, aber in ehrlichen Momenten komme ich zu diesem Schluss.

Und genau diese Haltung liegt dem wahren Gebet zugrunde. Wenn ich denn schon weiss was die Lösung ist, wieso soll ich noch beten gehen?

Eine Story aus Paul E. Millers Buch “A Praying Life”: (Ich bin das Buch nun zum zweiten mal nacheinander am lesen. Wer diesen Blog aufmerksam liest merkt, dass ich schon oft über das Buch geschrieben habe und werde das wohl noch einige mal tun).

Paul Miller hat eine autistische Tochter. Eine Zeit lang stand sie jeden Morgen um halb fünf auf und begann in ihrem Zimmer zu laufen (im autistischen Vokabular nennt man das “Perseveration“). Alles Bitten, in ihr Bett zurück zu kehren fruchteten nicht. Die Situation spitzte sich zu, bis Paul sie jeweils angeschrien hat. Obwohl er mit ihr oft gebetet hat, ist es ihm nie in den Sinn gekommen, über dieses Umherlaufen mit ihr zu beten. Warum?

Weil ich die Lösung bereits kannte: “Kim muss aufhören zu laufen. Ich werde ihr sagen, dass sie aufhören soll zu laufen”. Mit anderen Worten: Ich fühlte mich nicht hilflos. Ich wusste, was zu tun war. Ich nenne das die idiotische Einstellung zum Leben. Mit anderen Worten: “Du Idiot, wenn du einfach aufhören würdest…”

Warum geht es so lange, bis wir uns eingestehen, dass wir Gottes Hilfe brauchen? Paul Miller schreibt über sich selber:

Ich bin allergisch gegen Hilflosigkeit. Ich mag sie nicht. Ich will einen Plan, eine Idee oder vielleicht einen Freund, der sich mein Problem anhört. So gehe ich instinktiv an alles heran, weil ich Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten habe. Das gilt sogar für meine Arbeit, Menschen über das Gebet zu unterrichten. Obwohl ich Gebetsseminare leite und eine Studie über Gebet geschrieben habe, kam es mir bis vor einem Jahr nie in den Sinn, systematisch und regelmässig für unseren Gebetsdienst zu beten. Warum nicht? Weil ich nicht hilflos war. Ich könnte unseren Gebetsdienst auch allein bewältigen. Ich habe das nie gesagt oder auch nur gedacht, aber ich habe es gelebt.

Mit der Einsicht, dass er öfter hilflos war, als er sich eingestehen kann, begann Paul Miller vermehrt für seine Kinder zu beten. Er beschreibt das so:

Ich habe siebzehn Jahre gebraucht, um zu erkennen, dass ich meine Kinder nicht ohne Gottes Hilfe erziehen kann. Das war keine grossartige geistliche Erkenntnis, sondern nur eine realistische Beobachtung. Wenn ich nicht jeden Morgen ganz bewusst und nachdenklich für die Mitglieder meiner Familie betete, würden sie sich gegenseitig umbringen. Ich war nicht in der Lage, in ihre Herzen zu gelangen. Ich war verzweifelt.

Er schreibt davon, wie er für seinen Sohn gebetet hat, dass sein Herz demütiger werde. Ein halbes Jahr später kam sein Sohn zu ihm und sagte: «Dad, ich habe in letzter Zeit viel über Demut nachgedacht und darüber, dass sie mir fehlt.» Paul Millers Reaktion darauf:

Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass ich meine Kinder am besten durch Gebet erziehen konnte. Ich begann, weniger mit den Kindern und mehr mit Gott zu sprechen. Das war eigentlich ganz entspannend.

Wie ging es weiter in der Geschichte mit seiner autistischen Tochter? Eines Morgens war sie wieder am Umherlaufen. Paul stand auf und seine Frau fragte, ob er die Tochter nun wieder anschreien würde. Nein, meinte er. Das würde ja seit zehn Jahren nicht funktionieren, er würde mit ihr beten. Seine Frau: “Wie? Seit zehn Jahren? Das waren eher zwanzig!”. Daraufhin…

ging ich hinauf in das Schlafzimmer meiner Tochter, wohl wissend, dass nichts, was ich sagen konnte, sie davon abhalten würde, auf und ab zu laufen. Ich ging leise zu ihrem Bett hinüber, legte meine Hand auf ihre Decke (sie tat so, als schliefe sie) und bat den Heiligen Geist, sie zur Ruhe zu bringen. Gott erhörte unser Gebet. Sie schlief ein und fing an diesem Morgen nicht wieder an, herumzulaufen.

Das Problem war daraufhin noch nicht gelöst. Das Umherlaufen der Tochter war immer noch ein Problem. Nach einiger Zeit von weiterem Gebet sind sie umgezogen, und siehe da, das Umherlaufen der Tochter hörte auf. Es war der Strassenlärm, den sie am Morgen geweckt hatte. Als autistische Person war sie viel empfindlicher auf Lärm. Gott hatte das Gebet erhört, allerdings auf eine unerwartete Art und Weise. Paul Miller erzählt noch von unzähligen anderen Episoden mit seiner Tochter, wo er nicht mehr weiter wusste und Gott dann einen Ausweg schuf.

Die Geschichte von Paul Miller hat mich ermutigt, mir meine Unfähigkeit zuzugestehen. In der Arbeit, aber noch mehr in meiner Familie. Der Ausdruck “ich kann nicht ins Herzen meiner Kinder gelangen” spricht mich sehr an. Mein Sohn wird vierzehn in einem Monat und seine Selbstständigkeit nimmt stets zu. Er beginnt mehr Zeit mit seinen Freunden zu verbringen als mit der Familie. Die Berufswahl steht an. Mit diesen Themen vor Augen kann ich nichts anderes als ins Gebet gehen.

Und so wird das Gebet für mich nicht zur Pflicht, sondern zur Notwendigkeit. Und wendet sich es zum Guten, so steigt in mir Dankbarkeit hoch, und nicht mehr Stolz.

Wir waren in den Sommerferien. 2 Wochen im Zelt auf dem Campingplatz. Diese Art von Ferien ist für mich immer die Möglichkeit, den Alltag hinter mir zu lassen. Kein Computer, (fast) kein Handy, keine Musik, keine News.

Doch da der Tagesablauf total anders war, fiel meine Gebetszeit am Morgen ins Wasser. Sprich ich habe 2 Wochen lang nicht mehr gebetet.

Richtig bewusst wurde mir das aber erst, als ich wieder zu Hause war und ich am ersten Arbeitstag aufstand. Soll ich nun wieder beten gehen? Wirklich Lust habe ich nicht. Doch, was solls, schaden kanns ja auch nicht wirklich.

Und so machte ich mich parat auf meinen ersten Gebetsspaziergang nach den Ferien. Im geistigen Auge laufe ich durch die Kornfelder, spreche mit Gott, rezitiere vielleicht ein bis zwei Bibelverse und komme dann mit fröhlichem Herzen wieder nach Hause. So weit meine Vorstellung vom Gebetsspaziergang.

Was aber tatsächlich passiert ist: Ich spreche Gott an, bete vielleicht ein bis zwei Sätze, und verfalle in ein Grübeln über die Arbeit und die Familie. Gedankenverloren spaziere ich durch die Felder und merke erst auf halben Weg, dass ich ja gar nicht am Beten bin.

Das passiert mir nicht zum ersten Mal, und ist jedes Mal beschämend. Doch ich erinnere mich an das erste Kapitel aus Paul Millers Buch “A Praying Life - Connecting with God in a Distracting World“:

Wir halten etwa fünfzehn Sekunden durch, und dann taucht wie aus dem Nichts die Todoliste des Tages auf und unsere Gedanken schweifen ab. Wir merken es und kehren mit schierer Willenskraft zum Gebet zurück. Ehe wir uns versehen, ist es schon wieder passiert. Statt zu beten, treiben wir in einer verwirrenden Mischung aus Umherschweifen und Grübeln umher. Dann setzen die Schuldgefühle ein. Irgendetwas muss mit mir falsch sein. Andere Christen scheinen diese Probleme mit dem Beten nicht zu haben. Nach fünf Minuten geben wir auf und sagen: “Ich bin nicht gut darin. Ich könnte genauso gut etwas arbeiten”.

Ich finde es immer erfrischend, wenn Christen ehrlich über ihre Schwachheit sprechen. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich diesen Blog schreibe und nicht davor zurückschrecke, Dinge aus meinem Leben zu erzählen, die eben vom “Christlichen Soll” abweichen.

Paul Miller schreibt danach:

Richtig, irgendetwas stimmt nicht mit uns. Unser natürlicher Wunsch zu beten kommt von der Schöpfung. Wir sind nach dem Ebenbild Gottes geschaffen. Unsere Unfähigkeit zu beten kommt vom Sündenfall. Das Böse hat uns verunstaltet. Wir wollen mit Gott sprechen, können es aber nicht. Die Spannung zwischen unserem Wunsch zu beten und unseren stark beschädigten Gebetsantennen, führt zu ständiger Frustration.

Was ich in solchen Situationen immer zu Gott sage ist: “Gott, lehre mich zu beten”. Er war es, der in mir überhaupt den Glauben erschaffen hat, er wird es auch zustande bringen, dass ich in meinem unfähigen Zustand zu einem ehrlichen, erbaulichen Gebet finde.

Und so habe ich wieder angefangen zu beten. Jeden Tag, obwohl es sich nicht danach angefühlt hat. Nach ein paar Tagen hatte ich einen schweren Abend. Es war nach einem anstrengenden Arbeitstag und in der Familie hatten wir Streit. Ein Gedanke meldete sich: “Morgen kannst du das Gebet gut auslassen und es dir mal etwas gut gehen lassen, das musst du jetzt nicht auch noch machen!”. Doch schnell wurde mir klar: Oha, das Gebet ist unbewusst zur Pflichtübung geworden. Ein Todo, das ich auslassen kann, wenn es gerade zu stressig wird. Zum Glück meldete sich Sekunden danach ein ganz anderer Gedanke: “Gerade jetzt brauchst du das Gebet! An der Arbeit läuft es nicht gut, in der Familie ist Streit, wie genau soll sich das verbessern, indem du es dir einmal gut gehen lässt?”.

Es kam mir das Gleichnis des Pharisäers und des Zöllners in der Synagoge in den Sinn wo der eine betete: “wie gut bin ich, Herr, dass ich hier täglich bete” - Genau das hat sich bei mir eingestellt, ich suchte das Gebet, damit ich mich von den anderen abheben kann, damit ich von Gott mehr Segen bekam. Der andere aber betete in der Verzweiflung: Gott, sei mir Sünder gnädig - bei mir: Es läuft nicht gut in Arbeit und Familie. Schau nicht auf meine erbärmlichen Gebete und erhöre mich trotzdem!

Es ist mir bewusst geworden, dass ich meine Gebete als “geistliche Übungen” sah, die nicht viel mit meinem Leben zu tun haben. Denn wenn sie tatsächlich helfen würden, dann hätte ich keinen Reflex sie auszulassen, wenn es mir mal nicht gut geht.

Und zum Schluss wurde mir auch klar, wieso meine Gedanken immer wieder vom Gebet “abwanderten”: weil sie nicht mit meinen wahren Anliegen übereinstimmten. Denn meine Gedanken gingen dahin, wo meine Sorgen waren, doch mit meinem Gebet versuchte eher, Gott zu beeindrucken und fromme Worte hervorzubringen.

Dies beschreibt Paul E. Miller in “A Praying Life” so:

Der einzige Weg, zu Gott zu kommen, ist das Ablegen jeder spirituellen Maske. Dein wahres Ich muss den wahren Gott treffen. Er ist eine Person.

Anstatt Dich darüber zu sorgen, dass deine Gedanken sich nur um dich selber drehen, sprich mit Gott über deine Sorgen. Sag ihm, wo du müde bist. Wenn du nicht damit beginnst, wo du bist, dann wird sich das, wo du bist, durch die Hintertür hineinschleichen. Dein Geist wird dorthin wandern, wo du müde bist.

Wir sind oft so beschäftigt und überwältigt, dass wir, wenn wir uns zum Beten zurückziehen, nicht wissen, wo unser Herz ist. Wir wissen nicht, was uns bedrückt. Also müssen wir uns seltsamerweise vielleicht Sorgen machen, bevor wir beten. Dann werden unsere Gebete einen Sinn haben. Sie werden von unserem wahren Leben handeln.

Und so ging ich am nächsten Morgen doch beten. Und rief zu Gott, er solle sich doch meiner Situation erbarmen. Und das Gebet wurde so viel realer, und schon bald merkte ich die ersten Gebetserhörungen.

Folge 17 von “Lesenswichtig”, einer Liste von christlichen Artikeln, die mich diese Woche bewegt haben.

Wieso sollen wir die Wahrheit in Freundlichkeit aussprechen?

Russell Moore beantwortet die Frage: “Wieso sollen wir die Wahrheit in Freundlichkeit aussprechen?”.

Ich habe diese Woche 2. Kor 2,15 gelesen: «Denn wir sind für Gott ein Wohlgeruch des Christus unter denen, die gerettet werden».

Russell Moores Vier-Minuten-Speech ist ein Plädoyer, dass wir Wahrheit in Liebe aussprechen sollen. Er geht zwar auf den Vers in 2. Korinther nicht ein, aber er scheint in seiner Rede genau diesen Vers zum Leben zu erwecken. Ein Auszug:

Wir sprechen mit Freundlichkeit, nicht weil wir Angst vor unseren Gegnern haben, nicht weil wir Angst vor unseren Feinden haben, sondern weil wir Christus repräsentieren. Wir verkünden, was er uns zu sagen aufgetragen hat, aber wir verkünden es auch so, wie er es sagt. Wir sprechen nicht nur christliche Wahrheiten, sondern wir sprechen sie mit einem christlichen Akzent. Und warum? Weil Menschen ihre Position nicht aufgrund von einem Berg von Argumenten ändern. Menschen ändern ihre Meinung nicht, weil wir sie gedemütigt haben. Die Herzen der Menschen ändern sich, wenn sie dem auferstandenen Christus begegnen, der sie beim Namen ruft.

Amy Carmichaels Beispiel: Treu sein in kleinen Dingen

Josh Howeth schreibt, wieso Amy Carmichael (Irische Missionarin in Indien im zwanzigsten Jahrhundert) für ihn ein Vorbild war.

Der Text sprach mich an, weil ich im Leben oft auf die grossen Sachen hoffe, und kleine Dinge wie das Schreiben dieses Beitrages erscheinen so unwesentlich, und doch merke ich, dass gerade diese kleinen Dinge einen Unterschied machen. Ein Ausschnitt:

[Amy Carmichael] hatte die Fähigkeit, Dinge zu sagen, die bei anderen hängen bleiben würden. Sie sagte Dinge wie:

«Treue in kleinen Dingen ist eine sehr grosse Sache.»

Christen reifen «durch kleine Willensfetzen; kleine Selbstverleugnungen; kleine innere Siege; durch Treue in ganz kleinen Dingen. … Es gibt keine plötzliche Reife. Es gibt nur die Arbeit des Augenblicks.»

«Nichts soll über jemanden gesagt werden, wenn es nicht durch die drei Siebe geht: Ist es wahr? Ist es freundlich? Ist es notwendig?»

Ich bewundere Amy nicht, weil sie eine magnetische Persönlichkeit hatte, oder weil sie grosse Dinge vollbrachte, oder weil sie eine ganze Nation oder Kultur veränderte. (Sie tat nichts von diesen Dingen).
Ich bewundere Amy, weil sie treu war. Sie war bekannt für ihre Treue. Durch das Kommen und Gehen anderer Mitarbeiter (ob durch Tod oder Weggang), blieb sie. Sie liebte andere aufopferungsvoll, teilte die Botschaft von Christus und war ein Licht in der Dunkelheit.

Zum Artikel: Amy Carmichael’s Example of Faithfulness to Christ in the Little Things

Ich liebe es, Teenager zu erziehen!

Unser Sohn ist dreizehn. Ich habe mich gefürchtet von den Teenager-Jahren. Ja, es gibt auch die sehr schwierigen, schmerzlichen Momente, doch unter dem Strich ist dies die beste Zeit der Erziehung.

Es gibt Dinge, die mein Sohn in der Schule lernt, die nicht unserem Glauben entsprechen. Früher musste ich ihm einfach erklären, was wahr und was falsch ist. Heute kann ich ihn fragen: “Wieso denkst du, dass der Lehrer in dieser Sache nicht recht hat?” Oder “Wieso denkst du, dass der Lehrer dies sagt?”. Der Wandel in den Teenagerjahren ist wunderbar. Genau das beschreibt Tim Challies in seinem Artikel, einer “Ode an die Teenagerzeit”. Ein paar Auszüge:

Kinder werden rebellisch und töricht geboren und die ersten Jahre der Erziehung werden damit verbracht, sie zu überzeugen, dass sie gehorchen und weise sein sollen. Das sind wertvolle Jahre und oft lustige Jahre, aber es ist eine Freude zu sehen, wie sie einer anderen Phase der Erziehung weichen. Die Erziehung von Teenagern beinhaltet viel weniger Disziplin und viel mehr Überzeugungsarbeit, viel weniger “Gehorche mir” und viel mehr “Nun, was denkst du?” Ich habe es geliebt, zu sehen, wie die Disziplinierungsphase der Denk- und Argumentationsphase weicht. Ich habe es geliebt zu sehen, wie der auswendig gelernte Gehorsam der nachdenklichen Weisheit weicht.

Eine der grossen Freuden Vater zu sein ist die Feststellung, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung zu einer Beziehung auf Augenhöhe entwickelt. Das entwickelt sich im Laufe der Zeit, aber so richtig los geht es in den Teenagerjahren. Eines Tages siehst du deine Kinder an und erkennst, dass sie nicht mehr nur deine Kinder sind, sondern deine Freunde. Du erkennst, dass du mit diesen Menschen Zeit verbringen würdest, auch wenn sie nicht mit dir verwandt wären. Du erkennst, dass sie zu deiner Beziehung beitragen, dass sie in dein Leben sprechen, dass sie dir auf ihre eigene Art und Weise Charakter und Frömmigkeit vorleben, so wie du ihnen Charakter und Frömmigkeit vorlebst.

Zum Artikel: I Love Parenting Teenagers!

Meine Frau ist für mehrere Wochen verreist. Ich bin alleine mit den Kindern zu Hause. Diese Situation ist oft herausfordernd, ich komme schneller an meine Grenzen und merke meine Abhängigkeit zu Gott umso mehr.

Beim lesen hören von Paul E. Millers Buch “A Praying Life” wurde mir klar, dass genau dieser Mangel die Voraussetzung ist, zu Gott zu kommen. Ein paar Stellen, die mich besonders angeregt haben:

Kleine Kinder verstehen, was Hilflosigkeit bedeutet. Das ist, wo sie am besten sind. Aber als Erwachsene vergessen wir schnell, wie wichtig Hilflosigkeit ist. Ich für meinen Teil bin allergisch gegen Hilflosigkeit. Ich mag sie nicht. Ich will einen Plan, eine Idee, oder vielleicht einen Freund, der sich mein Problem anhört. So gehe ich instinktiv an alles heran, weil ich Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten habe. Das gilt sogar für meine Arbeit, Menschen über das Gebet zu unterrichten. Obwohl ich Gebetsseminare leite und eine Studie über Gebet geschrieben habe, kam es mir bis vor einem Jahr nie in den Sinn, systematisch und regelmässig für unseren Gebetsdienst zu beten. Warum nicht? Weil ich nicht hilflos war. Ich konnte unseren Gebetsdienst allein managen. Ich habe das nie gesagt oder auch nur gedacht, aber ich habe es gelebt. Ironischerweise ist die Hilflosigkeit eines der zentralen Themen in unserem Gebetsseminar. Ich war nicht hilflos gegenüber dem Dienst, Hilflosigkeit zu lehren! So ist das menschliche Herz. Ich fing erst an, regelmäßig über unseren Seminardienst zu beten, als er nicht vorankam - als ich hilflos wurde.

Jemand von Millers Gebetsseminar schreibt:

Ich fange an zu erkennen, dass es einen Unterschied gibt zwischen “Gebete sagen” und ehrlichem Beten. Beides kann äusserlich gleich klingen, aber Ersteres ist zu oft von einem Gefühl der Verpflichtung und Schuld motiviert; wohingegen Letzteres von der Überzeugung motiviert ist, dass ich völlig hilflos bin, das “Leben” allein zu schaffen. Oder im Fall des Betens für andere, dass ich völlig hilflos bin, anderen ohne die Gnade und Kraft Gottes zu helfen.

In der Bibel erleben genau die Hilflosen, Mangel leidenden die Hilfe von Jesus. Er wies gerade die, «die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet» an, zu ihm zu kommen.

Im ganzen Buch Johannes sehen wir Menschen, die wegen ihrer Hilflosigkeit zu Jesus kommen. Die samaritanische Frau hat kein Wasser (Joh 4). Später in demselben Kapitel hat der Sohn des Beamten keine Gesundheit. Der verkrüppelte Mann am Teich von Bethesda hat keine Hilfe, um ins Wasser zu kommen (Joh 5). Die Menschenmenge hat kein Brot (Joh 6). Der blinde Mann hat kein Augenlicht (Joh 9). Und schliesslich hat Lazarus kein Leben (Joh 11).

Wir sagen uns: “Starke Christen beten viel. Wenn ich ein starker Christ wäre, würde ich mehr beten.” Starke Christen beten tatsächlich mehr, aber sie beten mehr, weil sie erkennen, wie schwach sie sind. Sie versuchen nicht, das vor sich selbst zu verbergen. Schwachheit ist der Kanal, der ihnen den Zugang zur Gnade ermöglicht.


Aus Paul E. Millers Buch “A Praying Life: Connecting with God in a Distracting World“. Ich höre mir das Buch gerade als Audiobuch an.

Folge 16 von “Lesenswichtig”, einer Liste von christlichen Artikeln, die mich diese Woche bewegt haben.

Wenn gute Beziehungen schlecht sind: Mutter und Tochter

Ruth Metzger schreibt ungewohnt salopp. Doch das hat seine Gründe. Der Text, den sie beschreibt, ist selbst unbeschönigt. Es geht um die Umstände der Enthauptung Johannes des Täufers: Eine toxische Mutter-Tochter-Beziehung. Ein Ausschnitt:

Wahrscheinlich hatte sie viele Wünsche, aber sie ist eine richtig gute Tochter. So verlässt sie den Raum mit der angeheiterten Männergesellschaft und geht zu ihrer Mutter, um die um Rat zu fragen. Denn Mama und sie, sie haben Ziele im Leben, und Mama hat die nötige Erfahrung, was man braucht, um vorwärtszukommen. Und ja, Mama weiss schon was. Es gibt da so einen frommen Störenfried, der immer darauf herumhacken muss, dass ihre Beziehung zu Herodes auf Ehebruch beruht. Und das Schlimme ist, ihr Mann mag den Kerl irgendwie leiden. Er ist beeindruckt, wenn auch nicht genug, um Konsequenzen zu ziehen – obwohl er in anderen Belangen sogar manchmal auf ihn hört. Er hat diesen unverschämten Propheten zwar ins Gefängnis gesteckt, aber er lässt ihn immer mal wieder rufen, um sich mit ihm zu unterhalten. Dieser bigotte Mahner mit seinen religiösen Moralvorstellungen muss weg, sonst kriegt er Herodes am Ende noch rum.

Zum Artikel: Wenn gute Beziehungen schlecht sind: Mutter und Tochter

Darwins Einfluss auf den Nationalsozialismus

Creation.com hat einen spannenden Artikel darüber, wie Darwins Evolutionstheorie in der “Endlösung” des Naziregimes zum Ausdruck kommt. Anfangs schien die Theorie noch harmlos:

Charles Darwin und seine Anhänger haben gezeigt, wie sich alles Leben auf dem Planeten aus einer einzigen Quelle entwickelt hat. Der Mechanismus, den sie Evolution durch natürliche Auslese nennen, bedeutet Konkurrenz, Aussterben und das Entstehen neuer Lebensformen, ohne dass ein Regisseur oder Dirigent nötig ist.

Die Gedanken von Darwin passten gut zur Devise “Zurück zur Natur”, die in der Romantik sehr populär war:

[Darwin] hat uns zur Natur zurückgebracht, zu ihrem Wunder, zu ihrer Herrlichkeit und zu ihrer Gefahr. Charles Darwins Evolutionstheorie stellt fast alles infrage, was wir über uns selbst zu wissen glaubten: Woher wir kommen, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun, die Ursprünge unserer Moral.

Dann fing die Evolutionslehre damit an, schlechte Früchte hervorzubringen:

Im Jahr 1915 hatte der amerikanische Pazifist und Entomologe Vernon Kellogg Anlass, mit Mitgliedern des deutschen Oberkommandos zu speisen.

Kellogg war entsetzt über das, was er hörte. ‘Das Glaubensbekenntnis der natürlichen Auslese, basierend auf gewalttätigem, konkurrenzbetontem, tödlichem Kampf, ist das Evangelium der deutschen Intellektuellen’, schrieb Kellogg. … Kellogg war schockiert von dieser grotesken darwinistischen Motivation für die deutsche Kriegsmaschine.

Weiter:

Herbert Spencer, ein Verfechter rücksichtsloser, extremer Geschäftstaktiken, prägte den heute berühmten Begriff “survival of the fittest”, um die natürliche Auslese zu beschreiben. “Spencer war der erste, der Darwins Theorie in ein politisches Manifest verwandelte … geh mit [dem Kampf des Lebens], widersetze dich ihm nicht; belohne die Starken und beseitige die Schwachen. Aber er gab Darwins Theorie einen irreführenden Dreh. Darwin schlug vor, dass die Natur die am besten angepassten Individuen begünstigt, nicht unbedingt die stärksten.

Daraus entstand die Eugenik…

Es gibt auch einen informativen Überblick über die Geschichte der Eugenik, beginnend mit ihrem Ideengeber (und Darwins Cousin) Francis Galton, der davon besessen war, die Darwinsche Selektion zu nutzen, um die menschliche Rasse zu verbessern

…die durch Heinrich Himmler im totalen Desaster endete:

Darwins Theorie verlieh dem Kampf um ‘rassische Reinheit’, der für die NS-Philosophie zentral war, den Anschein wissenschaftlicher Seriosität. … Im Jahr 1935 führte Heinrich Himmler, der Führer der SS, ein eugenisches Zuchtprogramm ein, um die arische Rasse zu stärken. Deutsche Offiziere wurden ermutigt, Kinder mit nordischen oder arischen Müttern zu zeugen.

Später begann die Gestapo, Menschen “unreiner Rasse” zusammenzutreiben. Rund 250’000 dieser Männer, Frauen und Kinder schickten die Nazis von 1939 bis 1945 in die Gaskammern, die unter dem Codenamen “Operation T4” liefen.
‘Survival of the fittest’ wurde übersetzt als ‘Mord an den Schwächsten’

Ist es nicht verwunderlich: In der heutigen Zeit der “Social Justice”, wo es darum geht, sozial benachteiligte Gruppen, unterdrückten Rassen, den übervorteilten Frauen, mehr Rechte zu geben, wird gleichzeitig argumentiert, dass das Christentum dabei ein schlechter Einfluss wäre! Das Christentum, das verkündet, man solle nicht auf das eigene Wohl schauen, sondern das des anderen? Das Christentum, das die Kinder zu Jesus kommen lässt? Das Christentum, dessen Begründer uns zu den Menschen im Gefängnis schickt und sagt “was ihr einem dieser geringsten getan habt, das habt ihr mir getan”? Mir will nicht in den Kopf, wie Menschen einerseits die Schwächeren der Welt schützen wollen und gleichzeitig das Christentum verdrängen.

Zum Artikel: The BBC TV series Darwin’s Dangerous Idea

Sophie Scholls Ringen mit Gott

Heute wäre Sophie Scholl hundert Jahre alt geworden. Zum Jubiläum brachte der ERF Auszüge aus dem Buch Einer muss doch anfangen!: Das Leben der Sophie Scholl.

Mir war nicht bekannt, dass Sophie Scholls Handeln christlich motiviert war. Ihr Glaube an Gott scheint nicht nur ein Nebenschauplatz zu sein. Ganz im Gegenteil, ihr Ringen mit Gott brachte sie dazu, ihr Leben hinzugeben für ihre Freunde. Ein Auszug:

Bisweilen aber brauchte sie einfach die Stille, um zu sich zu kommen und zu Gott. Er schien ihr oft so unendlich weit fern. Wie konnte sie zu ihm kommen, konnte sie vor ihn treten? »Ich würde so gerne an Wunder glauben. Ich würde so gern glauben, dass ich durch das Gebet Kraft bekomme. Allein kann ich nichts.« Für einen Moment kniete sie, als evangelische Christin war das für sie ungewohnt, und sie schämte sich… Vielleicht war es auch falsche Scham. Könnte sie den Weg zu Gott erzwingen durch die Sehnsucht oder die Hingabe ihrer Seele? Sie spürte: »Es gehören viele Schritte, viel allerwinzigste Schritte dazu, und es ist ein sehr langer Weg.« – »O, es war doch im Grunde ein Wollen zu Gott.«

Als einzigen Weg sah sie das Gebet, aber ihr zerfielen die Worte. Sie musste um das »Betenkönnen« beten. Es ist die Bitte, die einer der Jünger an Jesus richtete: »Herr, lehre uns beten.« Er ist der einzige »Mensch, der es fertiggebracht« hat, »ganz gerade den Weg zu Gott zu gehen.« Gegen die Gottesferne helfe »nur das Gebet, und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat, und wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Händen fühle.«
In ihrem Ringen mit Gott und ihrer Unruhe begegnete ihr ein Ausspruch des Kirchenvaters Augustin: »Zu dir hin, o Gott, hast du uns erschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.« Sie fand diese Stelle in den Bekenntnissen des Theologen, dessen Texte sie jeden Tag stückweise las.

Auszug aus ihrem Tagebuch:

Mein Gott, ich kann nichts anderes als stammeln zu Dir. Nichts anderes kann ich, als Dir mein Herz hinhalten, dass tausend Wünsche von Dir wegziehen. Da ich so schwach bin, dass ich freiwillig nicht Dir zugekehrt bleiben kann, so zerstöre mir, was mich von Dir wendet, und reiss mich mit Gewalt zu Dir. Denn ich weiss es, dass ich nur bei Dir glücklich bin, ach, wieweit bin ich weg von Dir, und das beste an mir ist noch der Schmerz, den ich darüber empfinde. Doch ich bin so tot und stumpf oft. Hilf mir, einfältig werden, bleibe bei mir, o, wenn ich einmal Vater sagen könnte zu Dir. Doch kann ich Dich kaum mit »DU« anreden. Ich tue es, in ein grosses Unbekanntes hinein, ich weiss ja, dass Du mich annehmen willst, wenn ich aufrichtig bin, und mich hören wirst, wenn ich mich an Dich klammere. Lehre mich beten. Lieber unerträglichen Schmerz als ein empfindungsloses Dahinleben. Lieber brennenden Durst, lieber will ich um Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen beten, als eine Leere zu fühlen, eine Leere, und sie zu fühlen ohne eigentliches Gefühl. Ich möchte mich aufbäumen dagegen.

Ihr Weigern, sich der Leere hinzugeben. Ihre Bereitschaft zum Leiden. Das war es, wieso sie danach mit der “Weissen Rose” Flugblätter verteilte. Sie wusste genau, in welche Gefahr sie sich brachte. Doch sie konnte nicht zusehen, wie das Gedankengut der Nationalsozialisten von der politischen Elite ungefragt aufgenommen und unterstützt wurde.

Sophie Scholl wurde zum Tode verurteilt. Auf dem Weg zu der Hinrichtung sprach sie mit ihrer Mutter. (wundersames Gegenstück zu der im ersten Artikel angetönten toxischen Mutter-Tochter-Beziehung!)

»Nun wirst du also gar nie mehr zur Türe hineinkommen«, sagte die Mutter. »Ach die paar Jährchen, Mutter«, gab Sophie zur Antwort. Dann betonte sie wie Hans, fest und überzeugt, gerade zu triumphierend: »Wir haben alles, alles auf uns genommen.« Und sie fügte hinzu: »Das wird Wellen schlagen.« Dann erinnerte sie die Mutter: »Gelt, Sophie: Jesus.« Und sie antwortete ihr ernst und fest: »Ja, aber du auch.« Dann verliess auch Sophie den Raum und die Mutter sah ihr nach.

Zur Sendung: Lesezeichen XXL: Einer muss doch anfangen! Das Leben der Sophie Scholl

Wie erlange ich Weisheit? Ja, was ist Weisheit überhaupt? Lerne ich es aus Büchern? Kommt sie aus Lebenserfahrung? Wie kommt es, dass einige Menschen mehr Weisheit besitzen als andere?

Das Buch der Sprüche beantwortet genau diese Fragen. Ich habe mich seit gut zwei Monaten mit diesem Bibelbuch auseinandergesetzt und war einigermassen überrascht, was es zum Thema Weisheit zu sagen hat.

Ich stellte mir vor: Wenn ich das Buch der Sprüche nicht kennen würde, wie würde ich Weisheit beschreiben? Wie erlangt man sie? Ich kam dabei auf einige falsche Vorstellungen von Weisheit, die ich in diesem Artikel in “5 Missverständnissen” zusammengefasst habe:

Missverständnis 1: Weisheit ist etwas Elitäres

Wenn ich die Bibel nicht hätte, würde ich sagen: Weisheit ist etwas Elitäres. Es ist etwas, wofür ich hart arbeiten muss, um es zu besitzen. Es ist etwas, was ich horten kann, um danach in wohlwollender Geste andere daran teilhaben zu lassen. Es ist etwas, wodurch ich mich von anderen abheben kann.

Doch das ist nicht die Weisheit, wie die Bibel sie beschreibt. Der Jakobus-Brief im Neuen Testament ist das Gegenstück zum Buch der Sprüche im Alten Testament. Darin wird die elitäre Weisheit, die ich eben erwähnt habe, so beschrieben:

Wenn ihr aber bitteren Neid und Selbstsucht in eurem Herzen habt, so rühmt euch nicht und lügt nicht gegen die Wahrheit! Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, seelische, dämonische. Denn wo Neid und Selbstsucht ist, da ist Unordnung und jede böse Tat. (Jak 3,14-16)

Es gibt also eine Weisheit, die wie Weisheit aussieht, aber sich schlussendlich als “falsche Weisheit” entpuppt! Das macht es natürlich schwierig. Wo “Weisheit” draufsteht, ist nicht unbedingt auch “Weisheit” drin.

Gut sichtbar wird das auch in den beiden Paulus-Briefen an die Gemeinde in Korinth, wo Paulus die christliche Weisheit mit der griechisch geprägten, hochmütigen, wichtigtuerischen Weisheit gegenüberstellt.

Nun, das war nun noch nicht aus dem Buch der Sprüche. Wir kommen aber langsam dahin. Versprochen.

Missverständnis 2: Weisheit erarbeitet man sich im Studierzimmer

Die Weisheit, so dachte ich, wird am ehesten im Studierzimmer erarbeitet. Die Weisheit wäre zu lesen in Büchern über Philosophie, Geschichte, Biografien, etc. Diese Vorstellung bringt meinen Hintergrund ans Licht: Ich studierte in einer Universität und bin daher wohl auch noch mehr dadurch geprägt aus Büchern zu lernen als andere, die eine Berufslehre gemacht haben.

Ich denke, das Missverständnis lässt sich gut durch folgende Tatsache beschreiben: An einigen Universitäten ist dieser Bibelspruch in die Fassade gemeisselt:

Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.

Obwohl hier nicht von Weisheit, sondern von Wahrheit die Rede ist, deckt sich das mit der falschen Vorstellung, die ich vorher beschrieben habe: Weisheit erlangt man durch hartes Arbeiten.

Die Bibelstelle ist aber aus dem Kontext gerissen, davor sagt Jesus:

Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger

Und sofort kehrt sich das Bild: Die Weisheit ist nichts, das man sich zuerst erarbeiten muss. Es ist etwas, das schon da ist, ja, das Jesus auf die Erde gebracht hat und schon offenbart ist. Es ist nicht so, dass ich mich zur Weisheit durchkämpfen muss, sondern dass die Weisheit zu mir kommt. Und nun kommen wir endlich wirklich zum Buch der Sprüche: In den Sprüchen wird die Weisheit personifiziert. Es ist eine Person, die auf der Erde wandelt und spricht, an die man sich wenden kann etc. Es ist naheliegend, dass diese personifizierte Weisheit Jesus selbst ist (z.B. Spr 8,23: «Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, vor dem Anfang, vor den Ursprüngen der Erde»).

Und die Weisheit in den Sprüchen ist wie Jesus, als er auf der Erde wandelte: sie stellt sich auf vor den Menschen und verkündigt:

Ruft nicht die Weisheit laut, und lässt nicht die Einsicht ihre Stimme vernehmen? Oben auf den Höhen, draußen auf dem Weg, mitten auf den Plätzen hat sie sich aufgestellt; zur Seite der Tore, am Ausgang der Stadt, beim Eingang der Pforten ruft sie laut: An euch, ihr Männer, ergeht mein Ruf, und meine Stimme an die Menschenkinder!

Gott hat die Weisheit auf die Erde geschickt, dass sie uns besucht. Er hat sie mitten unter den Menschen wohnen lassen! Es ist nicht so, dass wir sie suchen müssten, sondern sie sucht uns. Jesus sagte immer und immer wieder “wer Ohren hat zu hören, der höre” und meinte damit: das Einzige, was wir tun müssen, um Weisheit zu erlangen ist zuzuhören. Und das ist wahrhaftig keine elitäre, universitäre Kunst, sondern erfordert lediglich die Kunst des Zuhörens:

Hört, denn ich habe Vortreffliches zu sagen, und meine Lippen öffnen sich für aufrichtige Rede. (Spr. 8,6)

Oder:

Mein Sohn, achte auf meine Worte, neige dein Ohr zu meinen Reden! (Spr. 4,20)

Missverständnis 3: Weisheit erlangt man mit dem Verstand

Der wohl krasseste Widerspruch zum westlichen Verständnis von Weisheit ist der Fakt, dass die Weisheit in den Sprüchen mit der Furcht des Herrn beginnt:

Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis (Spr 1,7)

Beim Buch Prediger stand diese Wahrheit erst ganz am Schluss. Das lässt den - wie ich denke falschen - Schluss zu, dass es bloss eine Randnotiz, ein Zusatz war. Doch bei den Sprüchen zieht sie sich durch das ganze Buch hindurch. Die Hälfte der Kapitel erwähnen die “Furcht des Herrn” explizit.

In unserer westlichen Kultur verstehen wir Weisheit so, dass sie nur vom Verstand her kommen kann. Mindestens seit der Aufklärung ist der Verstand die Wurzel, woraus die Weisheit wächst (nur die Atheisten glauben nicht an den Verstand, weil er keine Atome hat). Den Verstand infrage zu stellen heisst, das Fundament unseres Lebens infrage zu stellen.

Doch die Sprüche warnen explizit davor, dem eigenen Verstand allzu sehr zu vertrauen:

Vertraue auf den HERRN von ganzem Herzen und verlass dich nicht auf deinen Verstand; erkenne Ihn auf allen deinen Wegen, so wird Er deine Pfade ebnen. Halte dich nicht selbst für weise. (Spr 3,5a)

Wieso ist das so? Weil es eben zwei verschiedene Weisheiten gibt, die weltliche Weisheit und die göttliche Weisheit. Und sie sind schwer voneinander zu unterscheiden. Die Schlange tischte Adam und Eva die weltliche Weisheit auf und sie merkten es nicht. Ebenso wenig können wir die beiden Arten von Weisheit voneinander trennen, es sei denn, wir fangen das Ganze mit der Furcht des Herrn an:

Mancher Weg erscheint dem Menschen richtig, aber sein Ende führt doch zum Tod. (Spr 16,25)

Es ist ja auch logisch, dass wir die Weisheit bei Gott suchen sollen, da er die Welt und ihre Gesetze erschaffen hat. Zudem ist Jesus die personifizierte Weisheit. Er gibt die Weisheit gerne, aber man soll darum bitten. Nochmals aus Jakobus, dem “Buch der Sprüche im Neuen Testament”:

Wenn es aber jemand unter euch an Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen gern und ohne Vorwurf gibt, so wird sie ihm gegeben werden. (Jak 1,5)

Missverständnis 4: Weisheit hat nichts mit Lebensführung zu tun

Eine weitere falsche Vorstellung, die ich in mir merke, wenn ich das Thema nicht von der Bibel her angehe: Ich betrachte Weisheit als eine Sache für sich. Als losgelöst von meiner Lebensführung. Etwas, was ich erlangen kann einfach durch Nachdenken.

Dass mir die Weisheit versperrt wäre, wenn ich mein Leben verkehrt führe, darauf komme ich gar nicht. Im Gegenteil, es scheint mir im westlichen Denken geradezu sinnvoll, mich auf Experimente und sündige Eskapaden einzulassen, um mehr Lebenserfahrung zu erlangen und so zu mehr Weisheit zu kommen.

In den Sprüchen wird Weisheit aber sehr eng verwoben mit Lebensführung. So eng, dass es fast nicht auseinanderzuhalten ist. Das war für mich das Überraschendste an der Lektüre der Sprüche. Die Furcht des Herrn war mir klar, aber dass Lebensführung so eng mit Weisheit verknüpft ist, war mir nicht bewusst.

Dies kam daher, dass ich “Furcht des Herrn” nicht richtig verstand. Ich verstand darin eher eine betende Haltung. Eine Ehrfurcht vor Gott. Und das ist es auch, aber nicht nur:

Die Furcht des HERRN bedeutet, das Böse zu hassen; Stolz und Übermut, den Weg des Bösen und einen verkehrten Mund hasse ich. (Spr 8,13)

Das Böse, so erklären es die Sprüche immer wieder, verdirbt unser Denken. Sodass wir danach nicht mehr fähig sind, die Weisheit zu erkennen.

Die ersten neun Kapitel der Sprüche sind die Einleitung zu den restlichen Kapiteln. Darin wird die Furcht des Herrn beschrieben, wie die Weisheit auf den Strassen ruft und alle, die sie hören können, Erkenntnis erlangen. Und in diesen neun Kapiteln sind ganze drei Kapitel (Kapitel 5, 6 und 7) darauf verwendet, vor der Unzucht zu warnen. Die Unzucht wird personifiziert von der “fremden Frau”, die auf der Gasse wartet, auf einen unerfahrenen, unzufriedenen Mann, ihn verführt und sein Leben auf eine schiefe Bahn bringt, von der er nicht mehr ins gesunde Leben zurückfindet. In der Geschichte übernimmt die Frau die aktive Rolle der Verführerin. Sie will den Mann vom rechten Weg abbringen und sein Leben zerstören («sie hat viele verwundet und zu Fall gebracht, und gewaltig ist die Zahl derer, die sie getötet hat», Spr 7,26). Damit kann nur der Teufel selbst gemeint sein, und somit steht die Unzucht-Geschichte nur als Beispiel für die Art und Weise, wie der Teufel denen auflauert, die das Leben mal etwas ausprobieren wollen, da sie Gott nicht fürchten und die Konsequenz der Sünde nicht kennen. Sie werden daher Unverständige genannt, da sie nicht verstehen, dass Sünde nicht etwas ist, was man tun kann, sich danach waschen kann und wieder so ist wie zuvor.

Nein, Sünde verdirbt die Sicht auf die Welt, sie macht die Augen dunkel, sodass man die Wahrheit nicht mehr von der Lüge unterscheiden kann, sie verdirbt die Sinne.

Der Zusammenhang von Lebensführung und Weisheit wird zudem ein paar Kapitel vor der Unzucht-Geschichte explizit erwähnt:

Mein Sohn, wenn du meine Worte annimmst und meine Gebote bei dir bewahrst … dann wirst du die Furcht des HERRN verstehen und die Erkenntnis Gottes erlangen … Dann wirst du Gerechtigkeit und Recht verstehen, Aufrichtigkeit und jeden guten Weg. … Wenn die Weisheit in dein Herz kommen wird und die Erkenntnis deiner Seele gefällt, dann wird Besonnenheit dich beschirmen, Einsicht wird dich behüten, um dich zu erretten von dem Weg des Bösen, von dem Menschen, der Verkehrtes spricht. (Spr 2,1+5+9-12

Hier wird klar, dass die Furcht des Herrn, das befolgen der Gebote (=Lebensführung) und das Erlangen von Weisheit zusammen verwoben sind. Klar ist, dass man nicht eines der dreien auslassen kann.

Zudem: Die Kapitel 10-31 besprechen fast nur noch die Lebensführung und machen daher deutlich, dass Weisheit sehr sehr viel mit Lebensführung zu tun hat.

Missverständnis 5: Weisheit erlange ich im Selbststudium

Zum letzten Missverständnis: Als Kind der westlichen Kultur verstehe ich Weisheit als etwas, was ich aus Büchern lerne. Ich verbringe einen beträchtlichen Teil meines Lebens mit Lesen, und das Ziel davon ist das Vermehren der Weisheit.

In den Sprüchen aber ist das Setting ein ganz anderes: Ein Vater spricht zu seinem Sohn und ermahnt ihn, sein Leben weise anzugehen. Die ganze Einleitung (neun Kapitel lang) währt dieses Setting. Und auch danach ist oft die Rede von Ratgebern, von den wahren Freunden, welche auch unangenehmen Rat geben.

In diesem Punkt wurde ich durch die Sprüche am direktesten herausgefordert: Bin ich der Vater, der sich Zeit nimmt, seinen Kindern die Dinge zu erklären, von denen in den Sprüchen die Rede ist? Suche ich Rat bei meinen Eltern, bei Freunden? Höre ich zu, wenn mir jemand Rat gibt? Ich merke, dass mich das herausfordert. Bücher sind viel angenehmer: Ich kann sie zuklappen, wenn sie mir nicht gefallen. Ich kann Unangenehmes überlesen. Doch ein Freund, der mich anspricht, dem muss ich Antwort geben. Das geht unangenehm nahe. Und ja, das Risiko ist grösser, denn ich laufe Gefahr, verletzt zu werden.

Doch ich merke, dass auch Jesus genauso war. Er kam als Rabbi auf die Welt, nicht als Autor. Er ist sozusagen die Inkarnation des Buches der Sprüche. Er kam, um vor Sünde zu warnen, um die Gottesfurcht zu predigen. Er wies die falsche Weisheit der Pharisäer zurecht und predigte in der Bergpredigt, wie die richtige Weisheit aussieht. Und danach hat er die Jünger ausgesandt, damit sie andere Jünger “lehren, zu halten alles, was ich euch befohlen habe”. Er hat sie nicht ausgesandt zum Bücherschreiben, sondern zu ermahnen und zu ermutigen.

Und das, glaubt mir, klingt in meinen Ohren sehr herausfordernd.

Beitrag von meiner Frau Irene

Oh, dass die vergnügungssüchtigen Männer und Frauen der Welt nur die wahre Freude derer schmecken und fühlen könnten, die den wahren Gott kennen und lieben - ein Gut, das die Welt … ihnen nicht geben kann, das aber die ärmsten und bescheidensten Nachfolger Jesu erben und geniessen!
(Aus: John G. Paton: Missionary to the New Hebredes, An Autobiography)

Nachdem mein Mann und ich nun so viele Artikel geschrieben haben über “Die Welt aufgeben”, “Genügsam sein”, “Besitz verkaufen”, “Nicht mehr für sich selber leben”, “Geld spenden, anstatt für sich zu brauchen”, bleibt eine wichtige Frage zu beantworten: Wenn wir so viel aufgeben und die Freude nicht aus Dingen der Welt holen, woher kommt denn unsere Freude?

Denn wenn wir einfach Dinge aufgeben, die uns Freude gemacht haben, ohne etwas Besseres gefunden zu haben, werden wir gesetzlich, lieb- und freudlos. Und nach einer gewissen Zeit werden wir uns mit doppelter Hingabe erneut der Welt zuwenden.

Wenn ich mich recht erinnere, beantworte ich diese Frage eigentlich in jedem Artikel. Ich schreibe darüber, dass Jesus unser Schatz ist, dass Er herrlich ist, dass Er genügt. Ich zitiere Paulus, der sagt, dass Jesus zu kennen etwas unüberbietbar Grosses ist, dass der Gewinn, nachdem er strebt, Christus ist und dass Christus sein Leben ist (alles aus dem Philipperbrief). Aber was heisst das eigentlich genau?

Deshalb finde ich es wichtig, hier einmal einen ganzen Artikel diesem Thema zu widmen. Ich werde also aus meinem Leben erzählen, wie Gott mir seine Liebe zu mir und seine Existenz immer wieder sichtbar und real macht.

Und mein Erleben ist keineswegs nur etwas für Charismatiker oder Pfingstler. Das Erleben von Gottes Nähe und Liebe und das Empfinden von Liebe zu ihm sind Dinge, die absolut essenziell sind. Ja, ich gehe soweit zu sagen, dass man nicht als Christ leben kann, ohne diese Erlebnisse mit Gott zu haben, ohne etwas von ihm wahrzunehmen, das unsere Herzen zu ihm zieht und uns in aller Realität zeigt, dass Christus zu kennen herrlicher ist als alles, was die Welt zu bieten hat. Wie sonst könnten Christen bereit sein, für Jesus zu leiden? Wie sonst könnte jemand im Angesicht des Todes bei Gott bleiben und sich nicht von ihm lossagen? Wie sonst kann jemand Geld, Besitz und Ansehen aufgeben und glücklicher sein als vorher?

In allen Büchern und Geschichten von Missionaren oder anderen Christen, die ihr Leben ganz für Gott gelebt haben, findet man Zeugnisse davon. Es gibt buchstäblich keinen Christen, der sein Leben für Gott hingegeben hat und nicht Gottes Nähe, seine Liebe und seine Versorgung ganz real erlebt. Und ich würde sagen, Paulus ist das beste Beispiel dafür.

Ich habe ja in meiner Bekehrungsgeschichte beschrieben, wie ich Gott viele Jahre versucht hatte zu dienen, ohne etwas in meinem Herzen für ihn zu spüren. Keine Liebe zu ihm und keine Liebe von ihm zu mir. Weiter habe ich beschrieben, wie ich zu ihm geschrien habe, dass ich ihn finden kann. Und wie er mein Gebet erhört hat. Von dem Buch, in dem genau solche Erlebnisse beschrieben waren, von denen ich in diesem Artikel sprechen will.

Gott hat mir also genau das gezeigt: Dass man ihn wahrnehmen kann, dass man seine Liebe spüren kann und tiefe Liebe zu ihm empfinden kann. Natürlich betete ich von da an darum, dass ich diese Liebe auch spüren kann. Und Gott erhörte mein Gebet.

Ich bin der Überzeugung, dass die Fähigkeit, Gottes Herrlichkeit zu erkennen, einem bei der Wiedergeburt geschenkt wird und dass ohne diese Fähigkeit Christsein nicht möglich ist. Ganz ehrlich: Warum würde jemand - noch dazu jemand in unserem reichen Land, der gesund ist und alles im Überfluss hat - sich für Gott entscheiden, wenn er nicht erkannt hat (und damit meine ich: In seinem Herzen gespürt hat), dass Jesus herrlicher ist als alles, was er in der Welt kennt? Dass diese Liebe, die Gott ihm gibt, die beste, reinste und vollkommenste Liebe ist und alles übertrifft, was er in der Welt an Liebe erfahren oder sich danach gesehnt hat?

Ich glaube, dass ich genau deshalb, weil ich Gottes Liebe nicht erfahren hatte, früher immer das Gefühl hatte, ich müsse andere dazu überreden, Christ zu werden. Schliesslich mussten sie so vieles aufgeben, das ich als attraktiv empfand. Denn ich hatte die Realität von Gottes Herrlichkeit nicht erkannt.

Erst diese Erkenntnis, d.h. dieses Erfahren, macht uns fähig, uns Gott ganz hinzugeben. Erst dieses Erfahren macht uns bereit, eigene Wünsche aufzugeben, Unannehmlichkeiten auf uns zu nehmen, in die Mission zu gehen oder sogar für ihn zu sterben.

Also, genug der Theorie.

Ich glaube, wo ich Gottes Gegenwart als Erstes spürte, war im Gebet. Nachdem das vorher nie passiert war, wurde mein Herz plötzlich während des Gebets immer wieder von Gottes Herrlichkeit erfasst. Meist nicht grad am Anfang, aber nach einer Weile. Es ist wie ein Ziehen im Herz, ein Gefühl, dass Gott herrlich ist. Manchmal geschah es auch, dass Gott mich zum Beten drängte. Es überkam mich einfach ein inneres Drängen, wie eine Mischung aus Erkennen von Gottes Herrlichkeit und der Überzeugung, dass ich jetzt für jemand beten soll.

Ein solches Erlebnis ist mir noch sehr gut in Erinnerung. Einige Zeit vorher hatte meine Mutter mir erzählt, dass meine Cousine, die in eine christliche Gemeinde ging, ihren Ehemann verlassen hatte, wegen jemand anderem. Ich war erschüttert über diese Tatsache. Einige Wochen später war ich in der Küche am abwaschen und dachte an nichts Besonderes. Da überkam mich plötzlich ein tiefes Mitgefühl mit meiner Cousine. Ich weinte und betete für sie, dass sie Gottes Herrlichkeit erkennen kann und dass ihre Ehe wieder ganz wird.

Nachdem wir erkannt hatten, dass man Gottes Gegenwart spüren kann, fingen mein Mann und ich an, Anbetungsmusik zu hören und konnten Gott zum ersten Mal mit Liedern anbeten. Wir spürten während des Singens regelmässig Liebe zu Gott. Ja, wir erkannten immer wieder in der Anbetung, dass Gott herrlich und anbetungswürdig ist. Wir trafen uns eine Zeit lang häufig mit einem anderen Paar zur Anbetung und es geschah immer wieder, dass wir gegen Ende eines Liedes einfach weiter improvisierten, mit Worten, die uns in den Sinn kamen. Wir sangen z.B. “Jesus, du bist herrlich” oder “Du bist für unsere Sünden gestorben”. Wenn das Lied fertig war, war es ganz still und wir schauten einander an und spürten, dass Gott da ist.

Etwas “charismatischere” Erlebnisse sind die folgenden zwei:

Mit dem erwähnten Paar beteten wir nicht nur an, wir beteten auch füreinander und bauten Zeiten ein, in denen wir still wurden und “hörten”, ob Gott uns etwas sagte. Ich hörte leider nie etwas (bis heute spricht Gott nicht durch Bilder oder Worte zu mir, zu anderen aber schon). Einmal machten wir einen Versuch: Wir machten Kärtchen mit unseren Namen drauf und hörten nacheinander für alle, allerdings verdeckt, d.h. ohne zu wissen, für wen wir gerade hörten. Ich hörte wieder einmal nichts und musste zudem das Zimmer verlassen, um nach unserem damals etwa eineinhalbjährigen Sohn zu schauen. Ich war bitter enttäuscht. Das Paar musste gehen, bevor ich wieder ins Zimmer kam. Ich fragte meinen Mann: “Und, habt ihr was gehört?” Was war seine Antwort? “Ja, wir haben alle drei etwas für dich gehört - vielmehr gesehen”: Alle drei hatten unabhängig voneinander Bilder gesehen, die mit Frühling zu tun hatten. Jemand ein junges Pflänzlein, jemand sah eine Geige und hörte Vivaldis “Frühling” spielen, jemand sah Pflanzen und eine kleine Schaufel, ausserdem ein üppig blühendes Rapsfeld. Jemandem kam noch die Bibelstelle in den Sinn: “Ich weiss wohl, was ich für Gedanken über euch habe: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.” (Jer. 29,11)

Das passierte in der Anfangszeit, als ich noch sehr unsicher war und viele Zweifel hatte, ob Gott sich mir wirklich zeigt und ob ich wirklich im Glauben wachsen kann. Es war absolut ermutigend! Auch später hat Gott mir (durch andere) noch zweimal gezeigt, dass jetzt der Frühling anfängt bei mir, d.h. dass etwas am Wachsen ist, bzw. dass eine Knospe am Aufgehen ist. Das gab mir sehr viel Hoffnung, dass Gott etwas mit meinem Leben vorhat, auch wenn es nicht so schnell vorwärtsging, wie ich mir das vorstellte.

Das zweite “charismatische” Erlebnis ist ein Traum, den ich vor 12 Jahren hatte. Ich habe immer mal wieder einen Traum, von dem ich ziemlich sicher bin, dass er von Gott ist. Nicht sehr häufig, aber ab und zu.

In diesem Traum geschah Folgendes: Es lag ein Mann in DHL-Uniform auf der Strasse. Er war verletzt. Ich ging zuerst mehrmals an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Dann ging ich zu ihm hin, kniete mich neben ihn und fragte, ob ich ihm helfen könne. Er sagte: Nein, es sei alles gut, er bleibe noch ein wenig liegen, dann gehe er weiter. Aber ich sah, dass er verletzt war und glaubte sogar, Blutspuren an seinem Mund zu sehen.

Da fühlte ich ein unglaubliches Mitleid mit ihm - eher “Mitleidenschaft” - so, wie es bei Jesus einmal beschrieben ist, dass es ihm die Eingeweide umdreht. Es war so stark, wie ich es noch nie erlebt habe. Es kam nicht aus mir selber, es war, wie wenn Gott mir sein Mitleiden mit den Menschen zeigen würde. Ich küsste daraufhin den Mann mehrmals auf die Stirn und flehte ihn an, dass er mich helfen lasse. Aber er lehnte ab. Schliesslich sagte ich voller Inbrunst zu ihm: “Gott segne dein Leben!” und ging.

Dieses Gefühl von Mitleid und Barmherzigkeit hielt den ganzen nächsten Tag an. Es war so stark, dass es alles andere ausblendete. Schliesslich konnte ich nicht anders, als Gott zu sagen: “Hier bin ich, sende mich! Ich will so den Menschen dienen, in dieser Liebe (das ist die Liebe von Jesus!). Ich will von dir benutzt werden, damit Menschen durch diese Liebe geheilt werden.”

Bis heute kommt mir der Traum immer wieder in den Sinn. Ich weiss immer noch nicht die ganze Bedeutung davon (warum war z.B. der Mann nicht an meiner Hilfe interessiert?). Aber der Wunsch, den Menschen mit der Barmherzigkeit Jesu Heilung zu bringen, den Verlorenen (die nicht mal wissen, dass sie verloren sind), das Evangelium zu bringen, ist geblieben und sogar stärker geworden.

Ein anderes Erlebnis geschah, als ich eines Abends im Bett lag und nicht einschlafen konnte. Ich fing an zu beten und Gottes Herrlichkeit kam über mich und ich lag etwa eine Stunde so da in Gottes Gegenwart und betete und genoss seine Nähe. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich mitten in der Nacht aufgewacht bin und wunderbar beten konnte. Gott und ich waren ganz allein zusammen in der stillen Nacht.

Ein anderes Mal (vor etwa eineinhalb Jahren) hatte ich grosse Zweifel, ob wir mit unserem Leben überhaupt vor Gott bestehen können. Unser ganzer Alltag fühlte sich so nichtig an, so umsonst. Ich hatte das Gefühl, nicht vorwärtszukommen.

Am Abend im Bett fühlte ich Gottes Frieden, weil wir in seinem Willen wandeln und nicht mehr für uns selbst leben wollen. Ich sagte Gott mehrmals: “Ich will nur für dich leben und bereit sein, für dich zu sterben.”

In der Nacht hatte ich (seit Langem wieder einmal) einen Traum:

Ich war in einer Schule und der Lehrer sagte die Prüfungsnoten von mehreren Prüfungen von jedem Schüler, während alle im Halbkreis standen und zuhörten.

Ich hatte Angst, eine oder mehrere ungenügende Noten zu haben und nicht zu bestehen. Da las der Lehrer eine Note von mir vor. Es war eine 6 (zum Verständnis für die deutschen Leser: Das ist in der Schweiz die Bestnote!). Ich war erleichtert. Dann kam eine Deutschprüfung und ich hatte die Note 6½ und bei der nächsten Prüfung (Mathematik) ebenfalls 6½! Ich lachte auf - ungläubig - und sagte: “6½ gibt es ja gar nicht!”

Aber beide Prüfungen - ich schaute sie an - waren makellos. Musterprüfungen. Bei der Deutschprüfung war ein rotes Raster, das perfekt ausgefüllt war. Auch die Matheprüfung war sauber und wunderschön geschrieben und ohne auch nur den kleinsten Fehler - halt eben makellos. Die Note 6½ schien die “Makellos-Note” zu sein.

Es war irgendwie klar, dass es meine Prüfung war, aber gleichzeitig war es nicht meine Schrift oder Perfektion - es war wie etwas Neues für mich, das ich noch nicht gesehen hatte.

Ich rief: “Danke Gott, danke, danke!” Und sprang fröhlich herum.

Es ist, wie wenn Gott mir durch diesen Traum sagen würde: Dein Herzenswunsch, nur für mich zu leben, ist angenommen. Er ist in meinen Augen makellos. Er könnte nicht perfekter sein. Ja, Gott sagt zu mir: Du hast die Prüfung bestanden. Zwar eigentlich nicht ich selber, sondern so, wie wenn Jesus die Prüfung geschrieben hätte. So ist es ja auch. Nicht ich bin makellos, sondern ich bin es durch Jesu Tod und Auferstehung. Mein Wunsch, nur noch für Gott zu leben, ist zwar mein grösster Herzenswunsch, aber er kommt nicht von mir, sondern von Gott.

Ist das nicht ein unglaublicher Liebesbeweis von Gott? Es macht meinen Wunsch, nur noch für Ihn zu leben, noch grösser!

Noch ein letztes Erlebnis möchte ich aufschreiben (wenn man mal anfängt, kann man fast nicht mehr aufhören…):

Dieses Erlebnis ist schon einige Jahre her. Ich muss vorausschicken, dass ich zu den Menschen gehöre, die sich viel Sorgen machen und die sich immer mal wieder fragen, ob sie nicht vielleicht eine tödliche Krankheit haben und bald ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Immer wieder habe ich Phasen mit körperlichen Stresssymptomen, und wenn die ein gewisses Mass annehmen, kriege ich schon mal Angst, dass es nicht nur Stresssymptome sind, sondern eine tödliche Krankheit. Je nachdem, ob das Herz betroffen ist oder ich Kopfschmerzen habe, kommen mir dann “Herzinfarkt” oder “Hirntumor” in den Sinn.

Eines Nachts erwachte ich also mit solchen Symptomen. Da überkam mich eine richtige Todesangst. Ich war wie gelähmt davon. Sie füllte alles aus. Ich schrie innerlich zu Gott um Hilfe. Da konnte ich plötzlich der Angst ins Gesicht sehen und sagen: “Also gut. Wenn ich sterbe, dann sterbe ich eben. Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn! Der Tod kann mich nicht trennen von Jesus!”

Da ging die Angst weg. Sie musste weichen. Es war, wie wenn ihr Bann gebrochen würde. Und ich erkannte (fühlte!), dass Jesu Herrlichkeit sogar in Todesangst real ist und stärker ist als die Angst. Das hat meinen Glauben sehr gestärkt!

Die hier erwähnten Geschichten sind nicht mal ein Zehntel von dem, was ich mit Gott erlebt habe. Ich könnte eine ganze zehnteilige Beitragsreihe mit solchen Erlebnissen füllen. Das werde ich zwar nicht tun, aber sie zeigen hoffentlich, dass die Herrlichkeit Jesu für mich absolut real ist und dass seine Liebe erfahrbar ist und nicht einfach eine Theorie, die wir glauben müssen, ohne etwas davon zu spüren.

Und ich hoffe, dass dadurch klar wird, dass wir in Christus wirklich etwas Besseres gefunden haben als die Welt und dass wir Dinge der Welt nur aufzugeben bereit sind, weil wir den Schatz gefunden haben.

Ich schliesse diesen Artikel mit einem weiteren Zitat von John Paton, dessen Leben als Missionar unter Kannibalen oft bedroht war und der gerade in diesen Momenten die Herrlichkeit Gottes am meisten erfuhr:

Ohne dieses beständige Bewusstsein der Gegenwart und Macht meines lieben Herrn und Erlösers hätte mich nichts in der Welt davor bewahren können, den Verstand zu verlieren und elendig zu vergehen. Seine Worte “Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende” wurden mir so real, dass es mich nicht erschreckt hätte, wenn ich Ihn, wie Stephanus, auf die Szene herabblicken sehen hätte. Ich fühlte Seine stützende Kraft … Den engsten und liebsten Eindruck vom Gesicht und Lächeln meines gesegneten Herrn hatte ich in jenen schrecklichen Momenten, als Muskete, Keule oder Speer auf mein Leben gerichtet waren. Oh, welche Glückseligkeit trifft den, der lebt und die Leiden dadurch erträgt, indem er auf den sieht, “der unsichtbar ist”!

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