#Predigten

Lasst mich mit einem Bekenntnis anfangen: Es fällt mir oft schwer, einer Predigt zu folgen.

Das hat zwei Gründe. Zum Einen bin ich verwöhnt mit rhetorisch einwandfreien Predigten. Nehmen wir mal Matt Chandler oder Francis Chan. Zwei Männer, mit einer grosser Kommunikations-Begabung. Auch der gewandteste Prediger unserer Gemeinde kann sich nicht mit ihnen messen.

Zum anderen gehöre ich zur Spezies der Theologen. Oder zumindest Möchtegern-Theologen. Ich habe mir über die meisten biblischen Themen eine Meinung gebildet. Durch das Studium der Bibel, Lesen von Kommentaren und Hören von Online-Predigten bin ich zu einem Schluss gekommen, der sich oft nicht mit den Aussagen des Predigers deckt.

In einigen Fällen kommt das daher, dass der Prediger eine evangelistische Natur hat, oder die Einstellung des Hirten, und er das Gewicht nicht auf die Lehre legt. Betrachte ich die Predigt mit meiner theologischen Brille, dann werde ich ganz viele Splitter in seinen Augen entdecken, ja der Prediger wirkt als ein mit Splittern zugedeckter Mann.

Mit diesen zwei Tendenzen fällt bei mir eigentlich jede Predigt durch. Da ich am Karfreitag selbst gepredigt habe, kann ich das hier einfügen: So fallen auch meine Predigten durch bei Hörern mit derselben Einstellung.

Das ist nun eine etwas ernüchternde Betrachtung. Wie soll ich damit umgehen? Soll ich auf Durchzug stellen und die Predigt an mir vorüber gehen lassen? Oder soll ich so tun, als wäre das Problem nicht da, und einen eifrigen Zuhörer mimen?

Interessanterweise wird praktisch nie darüber gesprochen, wie man gewinnbringend einer Predigt zuhören kann. Doch die Bibel ist voll von Versen wie “sei schnell zum Hören und langsam zum Sprechen”. Oder “Wer antwortet, bevor er gehört hat, dem ist es Torheit und Schande” - sie hat also sehr wohl Ansprüche an den Hörenden, nicht nur an den Prediger.

Was mir klar ist: Die Bibel lehnt meine Einstellung ab. Meine Einstellung, dass ich die Predigt vorschnell richte, fällt durch.

In der Apostelgeschichte gibt es das Vorbild der Beröer:

Diese […] nahmen das Wort mit aller Bereitwilligkeit auf; und sie forschten täglich in der Schrift, ob es sich so verhalte. Es wurden deshalb viele von ihnen gläubig, auch nicht wenige der angesehenen griechischen Frauen und Männer. (Apg 17,11-12)

Hier wird noch deutlicher, zu was meine Einstellung führt: Die Beröer wurden gläubig, indem sie bereitwillig zuhörten, wenn ich hingegen mit kritischem Geist mich der Unterweisung der Predigt verweigere, weil ich scheinbar einen guten Grund gefunden habe, dann verpasse ich das Wachsen im Glauben.

Natürlich, es gibt auch schlechte Predigten. Nicht alles, was am Sonntag verkündet wird, ist automatisch Gottes Wort. In fast jedem Brief des Neuen Testaments wird von Irrlehrern gewarnt.

In dieser Sache kann man also auf beide Seiten des Pferdes runterfallen: Ein überaus kritischer Geist verwirft alles, auch Worte, welche die Kraft zum Glauben hätten. Ein überaus zustimmender Geist nimmt alles an, auch die Worte, die mehr vom Zeitgeist zeugen als vom Wort Gottes.

Aber die Beröer waren sich dessen bewusst. Weder lehnen sie voller Vorurteile alles ab (wie etwa die Pharisäer), noch nehmen sie blind alles an.

Im Folgenden werde ich nur auf die Tendenz eingehen, zu viel abzulehnen. Denn das ist die Tendenz, welche ich in meinem Herzen vorfinde. Die Frage ist, wie kann ich der Tendenz entgegenwirken, ohne dabei blind alles anzunehmen?


Vor drei Monaten nahm ich zum Gottesdienst mein Moleskine-Notizbuch mit, um darin Predigt-Notizen aufzuschreiben. Das habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht. Ich kam mir streberhaft vor. Verstohlen blickte ich mich um: Bin ich der Einzige mit Notiz-Buch? Ich sah drei bis vier andere, die mir gleich taten, doch sie waren alle mindestens zehn Jahre älter.

Was war meine Absicht? Ich merke, dass ich besser denken kann, wenn ich meine Eindrücke aufschreibe. Eine Predigt regt allerlei Gedanken an: “Stimmt das wirklich?”, oder “Ah, hier weicht er aber vom Thema ab…”, oder “Das ist spannend, ich würde das gerne zu Hause nachlesen”. Ohne Notizen verfliegen diese Gedanken in Sekundenschnelle. Mit Notizbuch aber kann ich sie festhalten und einen Moment lang weiterspinnen.

Hier ein paar Einsichten aus den letzten drei Monaten “Schreibend denken mit meinem Moleskine-Notizbuch”:

1. Überraschende Wendungen

Manchmal weicht die Predigt plötzlich vom Thema ab. Es scheint nicht mehr um die Stelle zu gehen, sondern um ein anderes Thema. Dann schreibe ich mir auf, wieso ich denke, dass die Predigt nichts mehr mit der Bibelstelle zu tun habe. Dabei werde ich aber oft überführt, da ich merke, dass die Predigt Aspekte der Bibelstelle betrachtet, welche ich bisher ausgelassen habe.

2. Nichts Neues

Ich bin oft darauf aus, etwas Neues zu hören. Falls die Predigt hier nicht punkten kann, dann laufe ich Gefahr, auf Durchzug zu stellen. Mein Hirn wendet in dieser Situation “auto-complete” an: Es scheint zu wissen, was der Prediger die nächsten fünf Minuten erzählen will und schaltet einfach ab. Doch auch Paulus meint: «Euch immer wieder dasselbe zu schreiben, ist mir nicht lästig; euch aber macht es gewiss». Wir brauchen Erinnerungen. Es reicht nicht, dass wir einmal auf den richtigen Weg zurückgeführt werden, denn wir werden ihn immer wieder verlassen und brauchen regelmässig Korrektur.

Was einen guten Prediger ausmacht ist, dass er die “alten Wahrheiten” so vortragen kann, dass sie anregend sind. John Piper redet oft über sein Ringen, neue Wörter zu finden, welche noch nicht verbraucht sind. Bringt ein Prediger “abgedroschene Phrasen”, dann ist es um ein Vielfaches schwieriger, sich vom Gesagten bewegen zu lassen.

Doch auch hier hilft das Notizbuch. Ich schreibe mir etwa den Bibelvers in vollem Wortlaut auf. Oder ich denke schreibend darüber nach, ob das Gesagte in meinem Leben Gestalt angenommen hat.

Und oft wird es nach kurzer Zeit auch wieder spannend, und so kann ich die “Zwischenzeit” mit Notiz-Schreiben überbrücken und verpasse den Anschluss danach nicht.

3. Ich störe mich an einer Aussage

Wie gesagt, ich störe mich oft an einzelnen Sätzen. Dinge, die ich finde, kann man einfach so nicht sagen. Es hilft mir, zu notieren, wieso ich denke, dass die Aussage nicht stimmt. Und dabei versuche ich auch zu sehen, in welchem Kontext der Prediger die Aussage verwendet, und unter welchen Umständen die Aussage stimmen könnte.

Das Herz ist schnell dabei, Belehrung abzuweisen. Es findet schnell eine Entschuldigung, sich nicht ändern zu müssen. Es gibt immer einen Grund, das Gesagte abzulehnen, doch:

Wer die Unterweisung verwirft, verachtet seine Seele, wer aber auf Zurechtweisung hört, erwirbt Verstand. (Spr. 15,32)

Ich versuche mir also zu überlegen, ob ich das Gesagten nur deshalb ablehne, weil ich mich nicht dem Wort Gottes unterstellen will.


Weiterführende Beiträge:

Wenn es so phänomenale Online-Predigten gibt, wieso sollte ich überhaupt noch meine Lokalgemeinde besuchen?

Die Globalisierung lehrt uns, dass wir als Kunden die Wahl treffen sollen. Wieso soll ich ein schlechteres Produkt wählen, wenn es im gleichen Gestell dieses andere bessere Produkt zu kaufen gibt?

Ebenso in der Wahl der Sonntag-Morgen-Predigt. Wieso soll ich der rhetorisch schwächeren Predigt unserer Lokalgemeinde zuhören, wenn ich im Internet die meines wortgewandten Lieblingsprediger anhören kann - und dies auch noch bequem von zu Hause aus? Diese Frage gewinnt gerade in der Pandemie-Zeit an Relevanz. Schätzungen sagen, dass nach der Pandemie ein Drittel der Gemeinde nicht mehr in den physischen Gottesdienst zurückkehrt. Ob die Schätzung stimmt oder nicht, ich sehe diese Tendenz schon jetzt in unserer Lokalgemeinde bestätigt.

Ich habe mir deswegen schon ein schlechtes Gewissen gemacht, da ich hier auf dem Blog meine Lieblingspredigten vorstellte und befürchtete, dass ich Menschen zum Hören von Online-Predigten und damit zum Fernbleiben vom physischen Gottesdienst aufrief. Mit diesem Beitrag will ich dem entgegenwirken.

Ich kenne das Verlangen, sich abzusetzen. Keiner Gemeinde anzugehören. Gemeinden sind anstrengend, sind Konflikt-Herde und sorgen für Missverständnisse.

In Sprüche 18,1 heisst es:

Wer sich absondert, geht nur seinen eigenen Wünschen nach; er verweigert alles, was heilsam ist. (Spr 18,1)

Auch hier wird der Wunsch zum Absondern bemerkt, es scheint also nicht bloss ein Ding des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu sein. Doch diesem Weg des geringsten Widerstandes fehlt “alles, was heilsam ist”. Inwiefern stimmt dieser Vers in Bezug auf die Gemeinde? Hier drei Gründe, wie ich denke, dass dieser Vers wahr ist in Bezug auf die Lokalgemeinde.

1. Ein Christ ist ein Organ in einem Körper

Das Bild, dass wir Glieder eines Körpers sind, ist in unserer individualistischen Gesellschaft eine Beleidigung. «Wie? Meine Aufgabe besteht darin, Teil eines Ganzes zu sein?».

Rick Warrens Buch “The Purpose Driven Live” hat mich bezüglich Gemeinde sehr herausgefordert, er paraphrasiert Römer 12,4-5 folgendermassen:

Jeder Teil erhält seine Bedeutung vom Körper als Ganzem, nicht umgekehrt. Der Leib, von dem wir sprechen, ist der Körper von Jesus, der aus auserwählten Menschen besteht. Jeder von uns findet seine Bedeutung und Funktion als Teil dieses Leibes. Aber als abgehackter Finger oder abgeschnittener Zeh hätten wir keine Bedeutung, oder?

Dieses Zusammenwirken der Glieder passiert einfach nicht, wenn ich mir meinen Lieblingsprediger anhöre. Es ist schon praktisch unmöglich, wenn die Gottesdienste online gehalten werden (das muss aber derzeit leider so sein), doch sich deshalb emotional von der Gemeinde lösen und denken “mir fehlt eigentlich nichts” gleicht einem Organ, das sich entscheidet, nicht mehr Teil des Körpers zu sein. Es wird schrumpfen und absterben.

Teil der Gemeinde zu sein, ist während der Pandemie natürlich erheblich schwieriger. Bei uns in der Gemeinde haben wir ein Ticketing-System, wo die fünfzig Plätze per “first come, first served” vergeben werden. Die Plätze sind jedes Mal “ausverkauft”, was mich einerseits freut, andererseits aber auch traurig macht, da ich sehe, dass einige gerne physisch präsent sein würden, es aber nicht können.

Beim physischen Gottesdienst wird zudem nach der Predigt die Gemeinschaft aufgelöst. Kein Kaffee. Kein Zusammensitzen. Es können nur noch ein paar Sätze ausgetauscht werden, ehe der Saal geschlossen wird.

Darum, wenn wir physisch anwesend sein können, versuchen wir eine Viertelstunde vor dem Gottesdienst da zu sein, damit wir wenigstens noch ein paar kurze Gespräche mit unseren Geschwistern haben können.

2. Jesus wird sichtbar in der physischen Gemeinde

Was mich bei 1. Korinther 12 überrascht hat:

Denn gleichwie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des einen Leibes aber, obwohl es viele sind, als Leib eins sind, so auch Christus.

Ich dachte immer, dass Jesus bloss der Kopf der Gemeinde ist, aber hier steht, dass Christus die Gemeinde ist. Das heisst, er wird sichtbar in der Gemeinde. Nicht bloss in der Predigt, sondern im Zusammenkommen.

Wie werden andere die Gemeinde Jesu erkennen?

Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. (Joh 13,35)

Die Liebe untereinander passiert ganz einfach nicht, wenn wir uns nicht treffen. Eine Online-Predigt kann wohl die richtige Lehre vermitteln, aber die Liebe, das Erkennungsmerkmal der Jünger, fehlt.

Carl Trueman zum physischen Gottesdienst:

Es macht die Anbetung hier und jetzt auch zur Feier der Gegenwart Christi angesichts seiner Abwesenheit. Tatsächlich ist die Frage, wie der physisch abwesende Christus gegenwärtig sein kann, entscheidend dafür, wie wir den Gottesdienst und seine Elemente verstehen. (Aus “A Protestant Apocalypse?“)

3. Worship wie auch die Predigt sind kein Frontalunterricht

Was bei Online-Predigten gänzlich verloren geht, ist das gemeinsame Unterstellen unter Gottes Wort, das gemeinsame Hände aufheben zur Ehre Gottes.

Sehe ich mir die Predigt von unserer Lokalgemeinde zu Hause an, habe ich noch immer das Gefühl, dass duzende andere gleichzeitig mit mir die Predigt anhören (ich sehe ja die Zahl der Anzahl Viewers).

Doch wenn ich mir meine Lieblingspredigt anhöre, dann fehlt dieser Aspekt völlig. Eine Predigt ist eben kein Frontalunterricht. Die Interaktion mit der Gemeinde ist ein wesentlicher Teil.

Die Predigt ist in gewisser Weise ein Dialog zwischen dem Gott, der sein Volk durch sein Wort mit seiner Gegenwart konfrontiert, und der Antwort des Volkes in Glaube und Reue. Erfordert das die unmittelbare, physische Nähe von Prediger und Volk? Nicht in einem absoluten Sinn […]. Aber unmittelbare körperliche Nähe ist am besten. Es mag schwer zu erklären sein, warum das so ist, so wie es schwer zu erklären sein kann, warum ein Livekonzert oder eine Theateraufführung besser ist als dasselbe im Fernsehen zu sehen, aber es ist dennoch wahr. Ein persönliches Wort wird am besten im Kontext der Begegnung zwischen dem Boten und dem Empfänger überbracht.
(Aus “A Protestant Apocalypse?

Die Gemeinde nach der Pandemie

Zum Schluss: Was wird passieren, wenn die Pandemie zu Ende ist? Wenn wir uns wieder physisch treffen können? Werden wir den Online-Gottesdienst weiter bevorzugen, weil er bequemer ist?

Dazu Trevin Wax:

Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Es ist wahrscheinlich, dass die Coronavirus-Krise, die Gläubige daran gehindert hat, sich zu treffen, dazu beigetragen hat, dass die Menschen - vielleicht stärker als zuvor - die völlige Unzulänglichkeit der Technologie als Ersatz für persönliche Interaktion erkannt haben.

Im besten Fall können soziale Medien und andere digitale Räume wunderbare Initiationsräume sein, die zu wahrer menschlicher Verbindung führen, aber sie können niemals das Zuhause für diese Verbindungen werden; sie werden immer zu kurz kommen und etwas vermissen lassen. Wenn ich mit meiner Frau und meinen Kindern einen FaceTime-Call halte, dann ist das ein wunderbarer Vorteil der Technologie - aber letztendlich macht es mich nur begierig darauf, nach Hause zu kommen und sie wirklich zu umarmen. Das ist digital in seiner besten Form - es steigert unseren Appetit auf das echte, analoge Leben.
(Aus: “Will the Church’s Digital Wave Continue after the Coronavirus?“)

Gestern berichtete ich über die Bekehrungsgeschichte und das Wirken von R.C. Sproul. Heute will ich meine Lieblingspredigt von ihm vorstellen.

Es war 2008 und R.C. Sproul predigte auf der Konferenz “Together for the Gospel”. Er litt seit einiger Zeit an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und hatte daher ständig Atemprobleme. Die Predigt hielt er im Sitzen! Danach lebte er noch weitere neun Jahre bis er 2017 starb.

Wieso ist es einer meiner Lieblingspredigten?

Zum Einen merkt man die Liebe dieses Mannes. Er spricht väterlich zu seinen Zuhörern, in einer liebevollen Art und Weise. Auf seinem Grabstein stehen die Worte “He was a kind man redeemed by a kinder Savior”. Das sind nicht bloss Worte, es war ihm wichtig, liebevoll zu predigen. Auf dem Heimweg nach der Predigt fragte er jeweils seine Frau, ob er in seiner Predigt freundlich war mit der Gemeinde.

Zum anderen bewegt mich, wie Sproul über das Kreuz sprach. Die Botschaft vom Kreuz ist das Zentrum des Christentums. Deshalb wird - zurecht! - viel darüber gepredigt. Die Gefahr ist, dass das Thema langweilig wird, ausgeleiert. Einige Prediger wechseln zu anderen, spannenderen Themen. Sproul bleibt beim Kreuz und schafft es, die Kraft und Herrlichkeit des Kreuzes zu vermitteln.

Seine Predigt dreht sich um das “Fluch-Motiv”. Dabei erklärt er, was mit jemandem passiert, den der Fluch Gottes trifft. Was mit Jesus passiert ist. Und was mit uns geschehen würde, wenn Jesus den Fluch nicht auf sich genommen hätte. Ein Auszug:

Aber es gibt ein Bild, einen Aspekt des Sühnopfers, der in unserer Zeit fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Wir haben vorhin von den Versuchen gehört, ein sanfteres und freundlicheres Evangelium zu predigen, und in unseren Bemühungen, das Werk Christi freundlicher zu vermitteln, fliehen wir vor jeder Erwähnung eines Fluches, den Gott seinem eigenen Sohn auferlegt hat.


Als Vorbereitung für einen weiteren Artikel über Lieblingspredigten, heute ein Beitrag über die Bekehrung und Wirken von R.C. Sproul. Ich wusste bisher noch nicht viel über Sproul. Was ich aber sah, war seine Art zu Predigen und dachte: “Was ist das für ein Mann, der so predigt?”

Um Sprouls Wirken zu verstehen, beginnt man am Besten bei seiner Bekehrung. Bekehrungsgeschichten sind sowieso immer toll - ich liebe es zu sehen, wie Gott in das Leben von Menschen eingreift. Es ist der Moment einer Geburt: Ein neuer, geistlicher Mensch wird geboren, als Baby. Und dieser Mensch wächst dann später heran zur ausgewachsenen Person. Der Kern der Eigenschaften, die Sproul ausmachen, wurde in ihm durch Gottes Hand in der Wiedergeburt gebildet.

Sproul war am Anfang seines Theologiestudiums. Eines Abends, beim Einschlafen, als er sich im Dämmerzustand befand, rief ihn eine leise aber bestimmte Stimme: “Steh auf. Verlasse diesen Raum.”. Es war Mitternacht und Sproul verliess den Raum, überquerte den Campus und betrat die Kapelle:

Die Tür war aus schwerem Eichenholz mit einem gotischen Bogen. Ich schwang sie auf und betrat den Narthex. Die Tür fiel hinter mir mit einem klirrenden Geräusch zu, das von den Steinwänden des Kirchenschiffs widerhallte.

Ich fühlte ein majestätisches Gefühl von Raum, das durch die gewölbten Bögen der Decke noch verstärkt wurde. Sie schienen meine Seele nach oben zu ziehen, es fühlte sich an, als ergriffe mich eine riesige Hand. Langsam und bedächtig bewegte ich mich auf die Stufen des Altarraums zu. Das Geräusch meiner Schuhe auf dem Steinboden rief schreckliche Bilder von deutschen Soldaten hervor, die in Stiefeln mit Hufnägeln über Kopfsteinpflaster marschierten. Jeder Schritt hallte den Mittelgang hinunter, als ich den mit Teppich bedeckten Altarraum erreichte.

Dort sank ich auf die Knie. Ich hatte mein Ziel erreicht. Ich war bereit, die Stimme zu treffen, die mich in meinem Zimmer gerufen hatte. Ich war in einer Haltung des Gebets, aber ich hatte nichts zu sagen. Ich kniete still da und liess zu, dass mich das Gefühl der Gegenwart eines heiligen Gottes erfüllte. Der Schlag meines Herzens war verräterisch, ein Pochen gegen meine Brust. Ein eisiger Schauer begann am unteren Ende meiner Wirbelsäule und kroch meinen Hals hinauf. Furcht überkam mich. Ich kämpfte gegen den Drang an, vor der erahnten Präsenz wegzulaufen. Der Schrecken verging, aber bald folgte eine weitere Welle. Diese Welle war anders. Sie überflutete meine Seele mit unsagbarem Frieden, einem Frieden, der meinem aufgewühlten Geist sofortige Ruhe und Erholung brachte. Auf einmal fühlte ich mich wohl. Ich wollte dort verweilen. Nichts sagen. Nichts tun. Mich in der Gegenwart Gottes wärmen. […]

Dieser Moment war lebensverändernd. Etwas tief in meinem Geist wurde ein für alle Mal geklärt. Von diesem Moment an konnte es kein Zurück mehr geben; der unauslöschliche Abdruck seiner Macht konnte nicht mehr ausgelöscht werden. Ich war allein mit Gott. Einem heiligen Gott. Einem furchterregenden Gott. Einem Gott, der mich in der einen Sekunde mit Schrecken und in der nächsten mit Frieden erfüllen konnte. In dieser Stunde wusste ich, dass ich vom Heiligen Gral gekostet hatte. In mir wurde ein neuer Durst geboren, der in dieser Welt nie ganz gestillt werden konnte. Ich beschloss, mehr zu lernen, diesem Gott nachzuspüren, der in dunklen gotischen Kathedralen lebte und der in mein Schlafgemach eindrang, um mich aus selbstgefälligem Schlummer zu wecken. (Aus “The Holiness of God“)


Der Rest von Sprouls Leben bestand darin, die Heiligkeit Gottes besser zu verstehen und sie bekannt zu machen. Die Heiligkeit Gottes war sein Lebensthema. Zwölf Jahre nach seiner Bekehrung, im Alter von einunddreissig Jahren, begann er, seine Gedanken zu ordnen und trug das Thema in einer Serie von fünf Vorträgen vor. Die Reaktionen waren überwältigend. Also hat er seine Vortragsreihe mehrmals überarbeitet. Aus dem Vortrag und seinem Bestreben, die Heiligkeit Gottes zu verkünden, entstanden die Ligonier Ministries (“the teaching fellowship of R.C.Sproul”).

Die Legacy seines Wirkens scheint beträchtlich. Sproul berichtet:

Unzählige Menschen haben mir gegenüber geäussert, dass das Hören der Serie “ihr Verständnis von Gott komplett revolutioniert hat”. Solche Kommentare berühren mich tief. […] Bill Hybels, Pastor der Willow Creek Community Church in Chicago, erzählte mir, dass er mit seinem Auto am Strassenrand anhalten musste, als er die Serie hörte. Er weinte und konnte nicht mehr fahren. Als John MacArthur es hörte, unterbrach er eine Predigtreihe, um über die Heiligkeit Gottes zu predigen. (Aus “Striking a Chord in the Heart of the Believer“)

Die Art und Weise, wie Sproul über Gott spricht, habe ich bisher bei niemand anderen gesehen. Man merkt bei ihm eine Ehrfurcht vor Gott. Einer seiner Kerntexte ist Jesaja 6, wo Jesaja Gott in seinem heiligen Tempel begegnet und vor im niederfällt. Genauso predigt Sproul: Es scheint, als hätte er die Heiligkeit Gottes gesehen und kann fortan von nichts anderem mehr berichten. Und genauso verhielt es sich ja! Sproul war in der Nacht in den Tempel Gottes gegangen und ihm da begegnet.


Seine Vortragsreihe ist auf Youtube zu sehen: The Holiness of God with R.C. Sproul

Als Timothy Keller 1989 seine Gemeinde in New York gründete, kamen zum Anfang 30 neubekehrte Christen in den Gottesdienst, die meisten davon Singles. Sie brachten ihre Freunde mit und so stand Timothy Keller sonntagmorgens vor 50-60 Neubekehrten und Atheisten. Er überlegte, wie er das angehen soll. Wie gestaltet er eine Predigt, wenn die Hälfte der Zuhörer Christen und die andere Hälfte Nichtchristen sind? Er könnte “seeker-friendly” predigen: auf ihre Probleme eingehen, sozusagen ein praktischer Vortrag, nicht zu viel Theologie, und auf Jesus erst am Schluss der Predigt richtig eingehen. Diesen Weg verwarf er von Anfang an.

Auf der anderen Seite könnte er die Predigt “aus der Bibel heraus” machen, Vers-für-Vers, dabei nicht mit Theologie sparen. Doch das würde Nichtchristen zu sehr ausser acht lassen.

Er entschied sich für eine Art Mittelweg: bibelzentrierte Predigt, aber mit Einschüben wie “ich weiss, viele von euch denken nun…” und “ihr müsst beachten…”. So würde sich auch ein Nichtchrist bei ihm wohlfühlen, würde merken, dass er sich mit ihm beschäftigt und nicht bloss zu Eingeweihten spricht. Er entschied sich dafür, dass er Verständnis zeigen will mit Nichtchristen. Ihnen die Bibel zugänglich machen. Sie zu überzeugen.

So fing er seine Gemeinde an. Atheisten wurden bei seinen Predigten gedanklich angeregt. Nach der Predigt bot er eine Zeit für “Fragen und Antworten” an. Kam jemand regelmässig zu dieser Zeit, dann bot er ihm einen Kurs an über die Glaubhaftigkeit des Christentums. Und, nachdem sie Christen geworden sind, bot er ihnen einen Kurs über “Basis des christlichen Glaubens an. Das Resultat? Innerhalb von vier Jahren wurden 200-300 der Gottesdienstbesucher Christen.

Was mir an Timothy Keller gefällt

Timothy Keller kommt aus der wissenschaftlichen Ecke. Er schaffte es, im säkulären New York eine Gemeinde zu gründen, welche die Fragen des durchschnittlichen New Yorkers beantwortet. Und diese sind wissenschaftlich geprägt: Er behandelt Themen wie “wie passt Evolution und Schöpfung zusammen?” oder “es gibt viele Religionen, wieso soll gerade das Christentum wahr sein?” oder “haben wir mit unserer Technologie Gott nicht überflüssig gemacht?”. Seine Antworten kommen aus vielen ehrlichen Diskussionen mit Nichtchristen. Er hat ihre Argumente angehört und hat sie verstanden. Und er hat darauf gute Antworten gefunden.

Zur Predigt

Nun, was ich von Timothy Keller ausgewählt habe, ist keine Predigt, sondern ein Talk bei Google. Durch Umstände, die mir leider nicht bekannt sind, landete er einen Talk bei Google.

Google. Die Hochburg der Intellektualität. Alles Nerds. Leute mit Uni-Abschluss. Ich kann mich sehr gut mit dieser Kultur und ihre Art zu denken identifizieren. Ich hatte mich vor Jahren bei Google beworben, die Stelle leider aber nicht bekommen. Es scheint mir, als würde Keller in meine Situation hineinsprechen. Seine Gedanken sind für mich sehr relevant, denn sie beantworten auch meine Fragen.

Sein Talk bei Google war apologetisch. Er zeigte, wieso es vernünftig ist, an Gott zu glauben. Und er machte das so meisterlich, dass klar wird: wenn jemand das Christentum einem Atheisten nahe bringen kann, dann ist es Timothy Keller.

John Piper ist der Prediger, der mich am stärksten beeinflusst hat.

Es war 2006. Der Gemeindeverbund, dem ich angehörte, wurde arg durchgeschüttelt und ebenso ging es meinem Glauben. Da stiess ich auf John Pipers Biographie-Predigten. Ich habe bis dahin noch nichts von “Reformed Theology” gehört. Ich wusste auch nicht genau, was an Pipers Predigten anders war. Doch ich wusste eines: So habe ich noch niemanden über Gott sprechen hören: Diese Leidenschaft, diese Scharfsinnigkeit, diese Demut.

Ich hörte mir die Predigten beim Pendeln an. An der Arbeit wartete ich auf den Abend, damit ich endlich wissen kann, wie die Predigt ausgeht.

Die Vorgeschichte

Jedes Jahr nahm sich John Piper eine Biographie vor, und predigte darüber an einer Konferenz. Er nahm stets Leute mit einem “Reformed” Hintergrund: Angefangen bei Jonathan Edwards, Augustinus, Calvin, Spurgeon, Marty Lloyd-Jones, etc. Er beleuchtete zuerst ihr Werdegang und dann die Theologie dahinter: Was hat sie angetrieben? Was war ihre Weltanschauung? John Pipers Agenda: das Evangelium verändert Menschen in einer ausserordentlichen Art und Weise, dieses Evangelium will er erklären, er stellt nicht Menschen in den Fokus, sondern die treibende Kraft dahinter.

Zudem sind die Biographie-Predigten exzellent vorbereitet. Als Vorbereitung las Piper mehrere Biographien durch. Er trug es vor wie wenn Sherlock Holmes einen Fall gelöst hat.

Wieso mir die Predigt gefällt

Von all den Biographien ist mir die Predigt über Charles Simeon am meisten geblieben. Charles Simeon (1759-1836) war ein englischer Prediger. Als er mit dreiundzwanzig in seiner Kirche eingesetzt wurde, widersetzte sich die Kirchgemeinde. Bei seinen Predigten wurden die Kirchtüren geschlossen, sodass die Kirchgänger auf der Strasse bleiben mussten. Später blieben die Türen zwar offen, aber die Kirchbänke wurden abgeschlossen, so dass die Menschen in den Gängen stehen mussten. Klappstühle, welche Simeon aus dem eigenen Sack angeschafft hatte, wurden auf den Hof geworfen. Diese Situation dauerte ganze zehn Jahre, aber Simeon gab nicht auf!

Die ganze Predigt hindurch versuchte ich mir vorzustellen, wie ich eine solche Situation meistern würde. Ich hätte längst aufgegeben. Was trieb den Mann?

Ich will die Lösung nicht vorne weg nehmen. Nur so viel: Ich war tief bewegt. Nach der Predigt wollte ich noch mehr über Charles Simeon erfahren und habe ich mir die Biographie gelesen, die Piper in der Predigt empfahl.

Hier zur Predigt (nur Audio, Englisch):

Am Abend, wenn unsere Kinder im Bett sind, sind wir meist gerädert. Die Arbeit war anstrengend, dann der Abwasch, und dann die Kinder ins Bett motivieren, und dann alle Sorgen anhören, welche ihnen erst dann in den Sinn kommen, wenn Lichterlöschen ist. Sitzen wir endlich auf dem Sofa, fehlt die Energie für etwas “Gescheites”. Bücher lesen liegt nicht mehr drin. Häufig schauen wir uns einen Film an. Aber so ganz jeden Abend schien uns zu häufig. Da fingen wir an, etwa zweimal die Woche eine Predigt zu schauen.

Vielleicht geht es ja auch anderen so. Deshalb will ich über die nächsten Wochen von Predigten berichten, welche mich über die letzten Jahre geprägt haben.

Die Vorgeschichte

Matt Chandler ist Pastor von “Village Church”, eine Gemeinde, die starkes Wachstum erlebt (wächst jährlich um tausend Leute). 2011 hat er in einer “elephant room” Diskussion mit Stephen Furtick diskutiert, ob Predigten vor allem dem Gemeindewachstum oder der Auferbauung von Gläubigen dienen soll.

Die Diskussion verlief friedlich, am Schluss wurden sich Furtick und Chandler einig. Trotzdem blieb nach dem Schauen der Diskussion ein fahler Nachgeschmack zurück, ob nun Furtick dem Publikum nach dem Mund geredet hat.

Furtick leitet die “Elevation Church”, ebenfalls eine Mega-Church. 2012 - ein Jahr nach dem Elephant Room - lädt er Matt Chandler ein, bei einer seiner Konferenzen zu sprechen. Einerseits, weil er Chandler als ein talentierter Prediger ansieht, andererseits mit der Idee, jemanden einzuladen, der nicht die “party line” predigt.

Chandler nimmt die Herausforderung an und predigt so mutig, dass es mir kalt den Rücken runterlief: Er scheut nicht, Missstände in der Elevation Church anzusprechen. Dabei bleibt er aber fair und gleicht eher einem väterlichen Ratgeber als einem Rebell.

Anmerkung: Challies berichtet noch weitere Umstände dieser Predigt. Sein Video ist als Einleitung zur Predigt empfehlenswert.

Wieso mir die Predigt gefällt

In der Predigt geht es um die Frage: wieso hat Gott uns geschaffen? Wieso versorgt er uns?. Will er einfach, dass es uns gut geht? Vordergründig ja. Doch schlussendlich zielt Gott, dass er selber Ehre erhält, denn je mehr er uns versorgt, desto mehr wir uns an ihm erfreuen, desto mehr wird Gott geehrt.

Die stark wachsende Elevation Church zeigt Tendenzen von “seeker friendly” - Predigten, die darauf aus sind, die Bedürfnisse von Besuchern zu erfüllen und dabei nicht den Schritt weiter machen, dass alles zu Gottes Ehre geschehen soll. Ich habe mir ein paar der Predigten von Elevation Church angeschaut und kann bestätigen, dass dies der Fall ist. Genau auf diesen Missstand geht Chandler ein.

Und dies gefällt mir an der Predigt: in den Predigten in unseren Breitengraden fehlt mir oft die Gottzentriertheit, der Schritt, dass es schlussendlich nicht um unser Wohlergehen geht, sondern um Gottes Ehre. Mich fasziniert zu sehen, wie Chandler in seiner Gemeinde konsequent nicht “seeker-friendly” ist und trotzdem einen grossen Wachstum erfährt.

Ausserdem ist Matt Chandler ein exzellenter Prediger. Er präsentiert in kurzer Zeit sehr viel Inhalt und fordert volle Aufmerksamkeit. Meine Frau und ich haben uns daher die Predigt zweimal angehört. Und zum Schluss finde ich ihn auch sehr lustig. Insbesondere der Witz mit der “Karte des Lebens”, da konnte ich mich nicht mehr halten.

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