#Buchbesprechung

Chesterton: Ketzer – ein Aufruf zum scharfsinnigen Denken

G.K. Chesterton (1874 – 1936) war ein Phänomen. Ich habe noch niemanden gelesen, der so konsequent jeden Gedanken umdreht: Mit einer Leichtigkeit ergreift er Behauptungen, welche eigentlich jeder richtig findet, wendet sie vor und zurück und, was vorher mir vorher logisch erschien, erscheint plötzlich völlig absurd! Und dabei schreibt Chesterton witzig, schlicht und niemals ironisch.

Chesterton war als Jugendlicher Agnostiker, ist dann zum Christentum konvertiert und trat am Schluss seines Lebens der katholischen Kirche bei. Er war wohl ziemlich einseitig begabt. Einige Male hat er auf Reisen seiner Frau telegrafiert mit der Frage, wo er nun eigentlich hinsollte (sie hat dann jeweils geschrieben: “Home!”). Er war ein Denker, ein Tagträumer. Solche Menschen finde ich sympathisch, vielleicht, da mir mein Englischlehrer das Gleiche vorwarf. “Philipp, are you with us?” hat er gefragt, wenn ich mal wieder einem Gedanken nachjagte.

Das Buch “Ketzer: Ein Plädoyer gegen die Gleichgültigkeit” war nun das erste Buch, das ich von ihm las (auf Empfehlung von Hanniel). Ich denke, es wird nicht das Letzte sein. Denn Chesterton greift Denkfehler an, welche sich langsam in die Gesellschaft einschlichen. Was mich eigentlich überraschte: Neun Kapitel widmete er zeitgenössischen Schriftstellern und ihren Denkfehlern. Die Schreiber sind heute allesamt nicht mehr bekannt (jedenfalls mir nicht), aber ihre Denke hat hundert Jahre überlebt - in einigen Fällen haben sie sich sogar noch ausgeweitet und sich zu regelrechten Monstern entwickelt.

Ich habe fünf seiner philosophischen Kunststückchen herausgerissen und gebe ein paar einprägsame Zitate wieder - ich hoffe, dass dem einen oder anderen Leser der Reichtum seiner Gedanken erschließt.

These der Gegner: Ernst ist das Gegenteil von Spaß

Selbstporträt von Chesterton basierend auf dem Slogan 'Drei Acker und eine Kuh'

Chestertons Bücher sind voll von Witz, oftmals subtil. Oft treibt er einen Gedanken der Gegner auf die Spitze, um zu zeigen, wie absurd er ist. Seine Gegner warfen ihm vor, seine Sache nicht ernst zu nehmen. Chestertons Antwort (S. 190):

Aber unbegreiflich ist mir, wie jemand, der sich ernsthaft mit der Gesellschaft befasst, zu der Annahme kommt, er könne die Gedankenlosigkeit unserer Generation mit verkrampften Paradoxa heilen.

Wenn [jemand] denkt, ich meinte nichts ernst, sondern machte nur Spaß, so deshalb, weil [er] denkt, Spaß sei das Gegenteil von Ernst. Spaß ist das Gegenteil von Nicht-Spaß und sonst gar nichts. […] In Wahrheit haben Spaß und Ernst nicht das geringste miteinander zu tun und haben nicht mehr Ähnlichkeit miteinander als Merkmale wie schwarz und dreieckig.

Er vergleicht die Absicht eines Witzes - nämlich zu überraschen - mit der Erwartung an einen Propheten oder Lehrer:

Jedenfalls erwarten wir, wenn wir einem Propheten oder einem Lehrer zuhören, nicht unbedingt Esprit oder Eloquenz, aber immer etwas, was wir nicht erwartet haben.

Was das für mich bedeutet: Niemand wird gerne gelangweilt.
Ich fühle mich herausgefordert das Evangelium nicht “trocken” zu verkündigen, sondern immer wieder neue Formen und Wege zu finden, es zu verkündigen. Einen eigenen Stil zu finden empfinde ich dabei die größte Herausforderung.

These der Gegner: Die Menschheit ist fortschrittlich

Die gängige Ansicht: Die Aufklärung hat eine Alternative geschaffen zum Glauben der Religion: Der Mensch wird immer selbstständiger, es steht ihm immer mehr Wissen zur Verfügung, er entwickelt sich immer weiter. Dabei ist ihm der Glaube an eine Morallehre immer weniger wichtig, wichtiger ist der “gesunde Menschenverstand”; dies ist gleichbedeutend mit einer Freiheit von Dogmen.

Chestertons Antwort (S. 34):

Recht verstanden, hat Fortschritt tatsächlich eine höchst erhabene und legitime Bedeutung. Aber als Gegenbegriff gegen inhaltliche moralische Ideen verstanden, ist das Wort lächerlich. […] Schon der Name »Fortschritt« deutet auf eine Richtung hin; sobald wir an dieser Richtung im Mindesten zu zweifeln beginnen, wird uns im gleichen Maße der Fortschritt zweifelhaft.

Nicht nur ist das Zeitalter mit der geringsten Klarheit darüber, was Fortschritt ist, unser »Zeitalter des Fortschritts«. Mehr noch ist Tatsache, dass die Menschen, die am wenigsten wissen, was Fortschritt ist, die »progressivsten« Menschen in unserem Zeitalter sind.

Ich behaupte also nicht, dass dem Wort »Fortschritt« keine Bedeutung zukommt; ich behaupte nur, dass es ohne Bedeutung bleibt, wenn nicht zuvor die Morallehre feststeht.

In der Tat ist es heutzutage fortschrittlich, einfach immer mehr Moral fallen zu lassen: Tu, was den anderen nicht stört und gut ist. Chesterton an einer anderen Stelle (S. 234)

Lässt [der] ausgefuchste Skeptiker eine Lehre nach der anderen fallen; sieht er sich in Gedanken als Gott, der selbst keinerlei Glauben hat, aber auf alle Religionen hinabblickt - dann sinkt er nach und nach zurück in die Unentschiedenheit der streunenden Tiere und die Bewusstlosigkeit der Gräser. Bäume haben keine Dogmen. Rüben sind extrem weitherzig.

These der Gegner: Massen-Zeitungen sind politisch motiviert

Die gängige Ansicht ist, dass Tageszeitungen mit großer Auflage (besonders Gratiszeitungen) die Bevölkerung “umpolen”, dass sie zu viel Macht hätten, etc.

Chesterton kontert (S. 100):

[Das] wirkliche Gebrechen [der Sensationspresse] besteht nicht darin, dass es über die Stränge schlägt, sondern dass [sie] unerträglich zahm ist. Das ganze Ziel ist es, sich im Rahmen eines gewissen Erwartungshorizontes und einer gewohnten Gemeinplätzigkeit zu halten.

Sprich: Die Presse kann sowieso nur das schreiben, was alle denken, sonst würde sie sich nicht verkaufen. Daher ist das Diktat nicht bei der Zeitung, sondern beim Volk. Also muss man die Gründe der “Volksverführung” nicht bei den Zeitungen suchen, sondern woanders. Denn die Zeitungen haben keinesfalls die Absicht große Revolutionäre zu sein, sondern sind gefangen in der Mittelmäßigkeit: (S. 104)

Jeder noch so kluge Mensch, der damit beginnt, den Erfolg zu verherrlichen, muß in reinem Mittelmaß enden. […] Der Kult um den Erfolg ist der einzige unter allen Kulten, von dem sich mit Fug und Recht sagen läßt, dass seine Anhänger dazu verdammt sind, Sklaven und Feiglinge zu werden.

Was das für mich bedeutet: Ich sehe mir die Tageszeitungen nicht als bestimmende Quelle an, sondern als Spiegel der Gesellschaft, als Zeugnis der “herrschenden Verhältnisse”. Trotzdem geht natürlich von ihnen eine Gefahr aus für uns Christen (insbesondere für meine Kinder), da sie unser Denken infiltriert (Röm 12,2).

These der Gegner: Schlussendlich können wir nur der Vernunft trauen

Die Aufklärung brachte uns das Diktat der Vernunft. Wem sollen wir trauen wenn nicht unserem eigenen logischen Denken? Sogar Christen blieben von diesem Gedankenmodell nicht verschont. Rechts ein Bild von Bill Bright das behauptet, dass dem Glauben selber das Kennen der Fakten (also die Vernunft) vorangehe. Ich kann mich gut erinnern, als mir das jemand in meinen ersten Monaten als Christ gezeigt hat und ich dieses Verständnis jahrelang nicht hinterfragt hatte.

Doch dieser Fokus auf die Vernunft ist im Grunde genommen der Kerngedanken der Heiden, aber das Ziel der Christen ist ganz ein anderer. Chesterton dazu (S. 139/140)

die heidnische Tugenden [sind] vernünftig, die christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe hingegen im Kern denkbar unvernünftig.

Da das Wort »unvernünftig« durchaus mißverstanden werden kann, wäre es vielleicht korrekter zu sagen, dass jede dieser christlichen oder mystischen Tugenden ein Paradox einschließt, während das für die typisch heidnischen oder rationalen Tugenden nicht gilt:

Christliche Nächstenliebe heißt etwas zu verzeihen, was unverzeihlich ist, sonst wäre sie gar nicht erst eine Tugend. Hoffnung heißt hoffen, wenn alles hoffnungslos ist, sonst wäre es keine Tugend. Und Glaube heißt das Unglaubliche glauben, sonst wäre auch er gar keine Tugend. […]

Als gar nicht schick gilt der Glaube, und von allen Seiten wird ihm regelmäßig vorgehalten, er sei ein Paradox.

Und dieser Glaube ist der Welt ein Ärgernis (Paradoxon), weil es sich so gar nicht mit der Vernunft vereinbaren lässt.

In eine ähnliche Kerbe schlägt er, als aufzeigt, dass sich Fortschritt nicht mit selbstständigem Denken vereinbaren lässt. Mir fiel es wie Schuppen vor den Augen, ja klar, das sind ja entgegengesetzte Kräfte! (S. 149):

Ich weiß nicht, was für ein unglaublicher Denkfehler heutige Autoren dazu bringt, die Idee des Fortschritts so beharrlich mit der Idee des selbstständigen Denkens zu verknüpfen. Fortschritt ist unverkennbar das gerade Gegenteil des selbstständigen Denkens. Denn jeder selbstständig und individuell Denkende beginnt ganz von vorn und gelangt aller Voraussicht nach nicht weiter als sein Vater vor ihm.

Was das für mich bedeutet: Ich glaube Vernunft ist wichtig, Gott gebietet uns zum Nachdenken. Aber die Vernunft ist weder der Treiber (der Mensch will von sich aus nicht zum Licht) noch das Ziel (das Ziel ist Glaube, Liebe, Hoffnung), sie ist nur der Mittel zum Zweck.

These der Gegner: Der Sinn des Lebens ist sowieso unklar. Die richtige Antwort darauf ist Skeptizismus

Meine Erfahrung: je intellektueller das Umfeld, desto skeptischer und beißender sind die Witze. Ich habe früher gerne Reddit gelesen, bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte, dass einfach alles zerrissen wird. Der Skeptizismus fing schon zu Chestertons Zeit an sich auszubreiten. Seine Antwort darauf ist eine treffende Beschreibung der Welt des 20/21. Jahrhunderts: (S. 196)

Unser Einspruch gegen den Skeptizismus lautet, dass er dem Leben jede Triebkraft nimmt. Der Materialismus ist keineswegs etwas, das dem Zwang ein Ende macht. Er ist selber der große Zwang.

Und weiter (S. 145):

Der Urfluch aller Geschichte hat uns die Neigung beschert, der Wunder müde zu sein. Sähen wir die Sonne zum ersten Mal, dann wäre sie der furchtbarste und schönste Meteor überhaupt. […] wir neigen dazu, unsere Ansprüche immer höherzuschrauben.

Und weiter (S. 122):

Aber [wenn] gleichermaßen die Furcht, das Staunen und die Fröhlichkeit abgeht, [damit] will ich nichts zu tun haben.

Und nirgends ist das Kind so wahrhaft kindlich, […] dass es alles, selbst die komplizierten Dinge, mit schlichtem Vergnügen gewahrt.

Was das für mich bedeutet: Ich will nicht “sitzen, wo die Spötter sitzen” – denn der Einfluss einer skeptischen, ironischen Atmosphäre wirkt lähmend auf mich und die Familie. Von meinen Kindern kann ich von dieser “Schlichtheit des Herzens” lernen.

Hans-Joachim Maaz: Die narzisstische Gesellschaft. Wie narzisstisch bin ich selbst?

Das Buch “Die narzisstische Gesellschaft” von Hans-Joachim Maaz ist zwar kein christliches Buch, aber die Beschreibung hat mich sofort angesprochen:

Der narzisstische Mensch ist im Kern ein um Anerkennung ringender, stark verunsicherter Mensch. So tut er alles, um die Bestätigung, die er zum Leben braucht, zu erhalten. Diese narzisstische Kompensation bedarf ständig erweiterter Ablenkung durch Konsum, Besitz, Animation und Aktion.

Seit ein paar Monaten bin ich immer wieder über den Begriff “Narzissmus” gestolpert und wollte prüfen, wie es denn bei mir steht. Tief drin schlummerte der Verdacht, dass ich ein Narzisst inmitten von lauter Narzissten bin. Ich wollte wissen: Wie sehr definiere ich mich durch meine Umgebung?

Ja, ich gestand mir ein, dass mir die Traffic-Zahlen meines Blogs (zu) wichtig sind. Und auch, dass ich (allzu sehr) wissen wollte, was andere in der Gemeinde über mich denken. Aber so sind doch alle, nicht? Daher kann es nicht so schlimm sein, oder? Doch! Wenn nämlich der Grossteil meiner Mitmenschen ebenfalls vom Narzissmus befallen ist, und genau das ist Maaz’ Aussage:

Ich spreche auch von der großen Zahl von Menschen, die gut angepasst an die Verhältnisse und Erwartungen ihrer Umwelt relativ unauffällig, eigentlich normal und ganz anständig leben […]. Die Grenzen zwischen «noch normal» und «schon pathologisch» sind fließend, und durch das, was «alle» machen, ist ihre Bewertung verzerrt. So kann die Mehrheit einer Bevölkerung extrem selbstentfremdet und hochpathologisch leben, ohne dass das wahrgenommen wird, weil eben «alle» so sind.

Oha! Das heisst: Die Welt um mich herum ist narzisstisch und verführt mich dazu, auch so zu sein wie sie. Könnte daher “stellt Euch nicht dieser Welt gleich“ für mich heute heissen, aus der Welt des Narzissmus auszubrechen?

Ist das Buch empfehlenswert?

Hans-Joachim Maaz ist Psychotherapeut und hat 34 Jahre Erfahrung mit Neurologie und Psychiatrie. Das Buch ist daher ein “Heimspiel”. Die Beschreibungen, was Narzissmus ist und welche Auswirkungen und Gesichter diese Störung hat, waren sehr aufschlussreich. Bestechend ist auch die Beschreibung der westlichen Welt, die in ihrem Konsum gänzlich in den Mechanismen des Narzissmus gefangen ist.

Das Buch empfand ich aber als zu langfädig; einige Ausführungen kamen mehrmals vor. Ich denke das Buch liesse sich auf die Hälfte reduzieren, ohne an Inhalt einzubüssen. Wer das Buch lesen will, empfehle ich mit dem Epilog zu beginnen (Maaz’ persönliche Geschichte) und dann nur die Kapitel 1, 2, 4, 5, 6, 8, 11, 18, 21, 22, 25 zu lesen.

Was habe ich gelernt?

  • Narzissmus kommt von einem Liebes-Mangel in der Kindheit (Wunde).
  • Narzissmus ist die Verdrängung dieser Wunde, die viele Formen annehmen kann (Geschäftigkeit, ständiger Konsum, social Media ist eine Form davon, Krieg ein anderer): »[…] begünstigt eine Gesellschaft mit aktionistischer, ruheloser Geschäftigkeit und ablenkender Reizüberflutung, um Erkenntnis zu verhindern«.
  • Es gibt zwei Typen von Narzissten:
    • Grössenselbst-Narzissten holen ihren Kick aus dem Lob ihrer Mitmenschen. Das sind die Karrieretypen, welche nur deshalb Karriere machen, um von ihrer Umwelt geachtet zu werden. Es geht ihnen nicht um die Sache, sondern um sich selbst.
    • Grössenklein-Narzissten empfinden sich als Opfer ihrer Umwelt und holen ihre Nahrung dadurch, dass sie von anderen bemitleidet werden. Sie wollen keine Lösungen für ihre Probleme, da sie sonst keinen Grund mehr hätten, um bemitleidet zu werden.
  • Diese beiden Typen funktionieren am Besten in einer Wechselwirkung:
    • Unterhaltungs-Industrie: Der Star (Grössenselbst) lebt durch das Zujubeln der Menge (Grössenklein), die ein Idol brauchen, da ihr eigenes Leben sinnlos ist: »Der Fan meint nicht den Bewunderten, sondern er braucht und benutzt den Anerkannten, um sich selbst mit dessen Erfolgen aufzuwerten«.
    • Paar-Beziehung: Er (Grössenselbst) macht Dinge nur um von ihr (Grössenklein) gelobt zu werden. Beispiel: Helmut+Hannelore Kohl
    • Beide Parteien haben Interesse am Aufrechterhalten dieses Systems, darum wollen beide das System am Leben erhalten (daher glaubt Maaz auch nicht, dass sich die narzisstische Gesellschaft jemals selbst heilen wird, da sie es schlicht nicht will).
  • Ist die Menschheit seit dem 2. Weltkrieg besser geworden? Nein, es wurden nur die Fahnen gewechselt: Hitler (Grössenselbst) wurde vom Volk (Grössenklein) verehrt und Deutschland (Grössenselbst) lebte ihren Narzissmus durch Krieg aus. Seither wird der Narzissmus durch Konsum genährt. »Es darf nur nicht der Strom ausfallen oder der Zugang zu den “Spielen” nicht zu teuer werden, sonst bricht das gesellschaftlich aufgebaute und kollektiv genutzte Abwehrgebäude zusammen, und die Ablenkungsenergie wird sich dann in aller Regel destruktiv austoben«.
  • Unsere Wirtschaft ist ganz auf die “Gier” der Menschen ausgerichtet: die Gier und die Möglichkeit Schulden aufzunehmen ist der Treiber allen Wirtschaftswachstums: »Die Gier ist das narzisstische Symptom der Wachstumssucht, mit der Konsequenz, dass ein anderes Gesellschaftsmodell, das ohne materielles Wachstum auskäme, gar nicht für möglich gehalten wird – ähnlich wie bei Drogensüchtigen, die sich ein abstinentes Leben gar nicht mehr vorstellen können«.
  • Eine Erziehung mit Lob und Tadel fördert den Narzissmus der Kinder (sie tun Dinge nur, um den Eltern zu gefallen).
  • Ein narzisstischer Mensch ist grundsätzlich “willenlos”, denn er orientiert sich nur an seinem Mitmenschen: »Er richtet sich mit seinem Wollen und Nichtwollen nach den Reaktionen anderer und weiß am Ende gar nicht mehr, wer er wirklich ist und was er will«.

Was ich im Buch vermisst habe

  • Maaz eröffnet das Buch mit der griechischen Sage des Narziss, aber es fehlt dann der Schluss, dass das Problem schon immer bestand. Denn Kinder haben die Wunde von ihren Eltern. Aber ihre Eltern haben ihrerseits diese Wunde. Das Problem ist, dass wir alle in eine sündige Welt hineingeboren wurden (Erbsünde).
  • Maaz geht praktisch nicht auf Social Media ein. Er ist auch schon über 60, daher kam er wohl damit nicht wirklich in Kontakt.
  • Ebenfalls hätte ich mir eine etwas tiefere Analyse der Unterhaltungsindustrie (Fernseher, Tageszeitung, Internet) gewünscht.
  • Wenn Lob und Tadel den Narzissmus meiner Kinder und Mitmenschen fördern, wie kann ich ihnen dann Feedback geben?

Ich habe gestern Klaus Bergers Buch “die Bibelfälscher” fertig gelesen. Die ersten 80% des Buchs sind eine “Kritik an der Kritik”: Er kritisiert jene Kritiker, welche an der Echtheit der Bibel zweifeln. Er und seine Frau haben die das Neue Testament auf Deutsch übersetzt und dabei hat er sich intensiv mit dem Text auseinandergesetzt. Das letzte Kapitel war eine Überraschung für mich: Klaus Berger beschreibt, was ihn an der Bibel fasziniert. Er wird plötzlich sehr persönlich, einige Abschnitte sind sogar als Gebet formuliert. Einige Zitate:

Martin Luther wusste, was es heißt, zu beten. Immer wieder hat er die Psalmen gebetet. […] Wenn ich nachts aufwache, tue ich dasselbe. Ich nehme mir meinen Psalter und bete.

Und weiter schreibt er darüber, dass die Bibel oft so schwer zugänglich ist:

Wenn unser Religionslehrer auf dem Gymnasium zornig wurde, schlug er mit seiner Bibel auf das Pult, und zu unserer großen Freude gab das alte Buch unbegrenzt und immer wieder neu Wolken von Staub von sich. Das bestätigte unser Urteil: Wie verstaubt ist die Bibel wirklich! […]
Mit der Bibel ist es wie mit der Wüstenstadt Petra: zunächst nur Staub, Hitze und Sand, die nach Mühsal riechen. Und dann steht man plötzlich in einer Schlucht, an deren Ausgang leuchtend in rosa Sandstein ein völlig erhaltener antiker Tempel aufstrahlt.

Berger tritt sehr stark dafür ein, an die Bibel ohne Ideologien heranzutreten, da man sonst unweigerlich Teile der Bibel auslässt oder sie so verbiegt, bis sie seinem Weltbild entsprechen:

In der Bibel steht beides: »Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Wer nicht sammelt, der verstreut. Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.« Und auch das andere: »Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.« In der Bibel steht beides: »Gott ist die Liebe«, und: »Wer seine Familie und sich selbst nicht hasst, der kann nicht mein Jünger sein.« Es wird auch beides berichtet, dass Jesus sich nicht wehrt und dass er die Händler aus dem Tempel mit Gewalt vertreibt. Es gehört Weisheit dazu, diese Gegensätze zu ertragen. […]

Und wenn man fragt, wer ist Gott, dann muss man so lange auf sein Wort hören oder vor ihm knien, bis er selbst zu sprechen beginnt.

Ein beliebter Angriffspunkt der Bibel ist die Kindheitsgeschichte von Jesus: Eine Volkszählung hätte es nie gegeben, der Kindermord von Herodes wäre sonst nirgends dokumentiert, die Flucht nach Ägypten und die Sterndeuter aus dem Osten seien auch erfunden. Das Argument der Kritiker: die Geschichten seien nachträglich eingefügt worden, damit Jesu’ Leben alle Prophezeiungen im Alten Testament erfülle.

Klaus Berger geht in seinem Buch “die Bibelfälscher” auf alle Argumente ein und argumentiert gekonnt, wieso es nicht abwegig ist, dass sich alles so zugetragen hat.

Die Kindheitsberichte als Legenden zu bezeichnen findet er historisch nicht nachvollziehbar:

Die Kindheitsberichte in Mt und Lk als Legenden zu bezeichnen ist ein Anachronismus, denn Legenden sind erbauliche Tischlesungen in mittelalterlichen Klöstern. Die Zeit Jesu kennt derartige Lesungen nicht, sondern stellt vor die Alternative, etwas entweder für eine Lügengeschichte oder für einen mehr oder weniger gut bezeugten Erfahrungsbericht zu halten.

Weiter kontert er geschickt gegen die Argumente, dass die Evangelien in sich selbst widersprüchlich sind:

Wenn aber der Leser des [Matthäus-]Evangeliums mit der Auskunft »bedient« wird, der Evangelist habe sich auf kürzestem Raum in heillose Widersprüche verstrickt, dann war der Evangelist entweder dumm oder betrügerisch, oder er hatte recht. […] Anders als Juristen lässt man nicht die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Betrugs gelten, sondern man lauert auf die Indizien, um zuzuschlagen. Selbst das geringste Indiz genügt vollauf. Dann ist der Evangelist bereits »erledigt«. Das Verfahren der Forschung erinnert an einen gerade in der Entstehung begriffenen Beruf, der »Plagiatsnachweisführer für Politikerdissertationen«. Das ist kein Sport, wie oft gesagt wird, sondern ein (auch, wie man hört, bezahlter) Job, der deshalb so erfolgreich ist, weil der geringste Verdacht in der Regel genügt, um eine Person zum »Kippen« zu bringen.

Klaus Berger geht in seinem Buch “die Bibelfälscher” auf die historisch-kritische Jesusforschung ein. Diese Forschung hat sich zum Ziel gesetzt, nun mal wirklich herauszufinden, was denn an Jesus wahr ist und was nicht. Doch statt dass dabei etwas Erbauendes herausgekommen ist, ist nur alles in sich zusammengefallen. Am besten beschreibt dies James Pike, als er über sein Theologie-Studium sagte:

Ich erwartete und verlangte nach Brot; aber als ich meinen Abschluss machte, blieb ich mit nichts weiter als einer Handvoll Kieselsteine zurück
(aus “Die große Anpassung” von Francis Schaeffer)

Klaus Bergers Buch befasst sich hauptsächlich mit den Behauptungen der vier Phasen der Jesusforschung. Er geht auf Argumente von Albert Schweitzer, Rudolf Bultmann, John Crossan etc. ein und widerlegt sie gekonnt. Dabei zeigt die Offensichtlichkeit auf, dass diese Forschung in eine Sackgasse geraten ist, weil die Ursprungsfrage falsch gestellt war:

Bedenklich ist das Kriterium, nur bei den Worten Jesu sei der Überlieferung zu trauen, nicht bei den Geschichten. […] Niemand kommt auf die Idee, hier einmal die Methoden selbst zu kritisieren oder zu hinterfragen - oder schlicht zu fragen, ob bei einer solchen Ergebnislage nicht einige Anfragen an die Methode überfällig sind. Nein, ich weigere mich, aufgrund der Hypothese zu den Quellen der Evangelien dann strikt nach der Subtraktionsmethode vorzugehen und alles abzuwerten, was der eine mehr hat als der andere. Das ist nichts weiter als eine zum Selbstläufer gewordene Ideologie. Dazu gehört zum Beispiel die Frage nach dem Wert oder Unwert der Stücke, die Matthäus mehr hat als Markus. Ist das alles wertlos, weil sekundär, weil man davon ausgeht, dass Matthäus sich das alles - natürlich grundlos - ausgedacht habe? […]

Schon Albert Schweitzer hatte die drei großen »Entweder-oder« der Jesusforschung freigelegt, denn das entstehende Jesusbild sei dann »entweder rein geschichtlich oder übernatürlich«. Das Ergebnis sei eine rein geschichtliche Antwort der Forschung.

Die Untersuchung [dieser] geschilderten Probleme hat über mehr als zwei Jahrhunderte hin kein Ergebnis gebracht. Noch nicht einmal im Ansatz wurden konsensfähige Kriterien entwickelt. […] Es könnte daher sein, dass die Frage echt/unecht nicht nur unbeantwortbar, sondern überdies falsch gestellt ist. […] Ich finde es erschreckend, wie eine doch einigermaßen gut bestückte und international wichtige Forschung sich freiwillig in den Bannkreis einer einzigen verfehlten Fragestellung hineinzwingen lässt.

Der extremste Auswuchs dieser Forschung ist wohl das Jesusseminar. Es ist einfach traurig, dass sich Theologen lieber mit solch unsinnigen Themen beschäftigen und dabei Jesus selbst verpassen.

Klaus Berger greift in seinem Buch “die Bibelfälscher” die Auswüchse der Aufklärung scharf an.

Ich hatte vor zwei Monaten ein Gespräch mit einem liberalen Christen, und dabei kamen wir auf das Thema Homosexualität zu sprechen. Ich war überrascht, in welcher Intensität er für die Homosexualität in der Kirche sprach. Ich fragte ihn, was er denn mit Stellen wir Römer 1,27 mache, und der meinte dann, dass sowieso vieles der Bibel nicht stimme.

Ich war irgendwie überrascht. Aber irgendwie doch nicht: Denn wie sonst soll man Modethemen wie Homosexualität mit dem Glauben vereinbaren, als wenn man behauptet, »es stimme ja sowieso alles nicht«.

Ich verstehe ja, dass es herausfordernd ist, entgegen der Auffassung der Mehrheit eine andere Meinung zu haben. Die Versuchung ist groß sich der Mehrheitsmeinung zu unterwerfen und dafür zu behaupten, die Bibel stimme nicht. Klaus Berger meint dazu:

Meine grundsätzliche Anfrage richtet sich vielmehr darauf, ob es stets nur die Texte sind, mit denen etwas nicht in Ordnung ist, wenn Menschen unserer Zeit Schwierigkeiten mit ihnen haben. Es könnte sich ja auch ebenso um Defizite in unserer Wahrnehmung handeln. Dann wäre diese lückenhaft und möglicherweise zu kritisieren, und nicht zuallererst der wehrlose Text.

Man glaubt weithin, gegen diese kritische Anfrage immun zu sein, da man seit den Zeiten der Philosophie Hegel einem unausgesetzten Fortschrittsglauben huldigt. Auch durch die Katastrophen des Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde dieser Glaube nicht berührt. Die Wissenschaftler meinen, unbezweifelbar sei in jedem Falle der Fortschritt der Vernunft, hinter den man nicht zurückfallen dürfe.

Klaus Berger greift in seinem Buch “die Bibelfälscher” die Auswüchse der Aufklärung scharf an. Drei Zitate:

Die historisch-kritische Exegese, die in diesem Buch heftig kritisiert wird, gilt gemeinhin als Kind der Aufklärung. […]

Berger erklärt treffend das Problem der Aufklärung: Es ist die Verehrung der Vernunft ohne jede Grenzen:

Eine kluge Vernunft müsste nämlich ihre Grenzen wahmehmen können, die jedenfalls dann überschritten werden, wenn der einzelne Vernunftbegabte vergisst, dass er auch nur Geschöpf ist.

Er zitiert dazu Gertrud von der Fort, ein Satz den ich etwa dreimal lesen musste denn er widerspricht dem Kern der heutigen Weltanschauung:

»Ich will euer Herz zur Freiheit aufrichten wider alle Sklaven der Vernunft.«

Klaus Berger - die Bibelfälscher. Eine Kritik an der liberalen Bibelauslegung

Klaus Berger hat mit “die Bibelfälscher“ eine Verteidigung gegen eine liberale (“kritische”) Interpretation der Bibel geschrieben. Er schreibt:

War die Antwort meiner Klassenkameraden auf das Christentum noch: »Ich kann es nicht glauben« (bis 1960), so lautet die Antwort heute: »Es stimmt ja sowieso alles nicht«

Systematisch widerlegt er die Einwände der liberalen Theologen, die Bibel stimme ja doch nicht (ich habe bei der Review zur Zürcher-Bibel schon etwas zur historisch-kritischen Methode geschrieben).

Sein Titel ist etwas irreführend. Er klingt als behaupte er, dass die Bibel in der heutigen Form gefälscht sei (was seine Gegner behaupten). Er bezeichnet aber die liberalen Theologen als “Bibelfälscher”: Er wirft ihnen vor, dass sie der Bibel Falschheit vorwerfen und so etwas was richtig ist zum Falschen verdrehen.

In den folgenden Tagen werde ich einige markante Zitate aus dem Buch hier auf dem Blog veröffentlichen. Heute ein Zitat von Berger, wo er gekonnt argumentiert, dass falls die Bibel historisch nicht stimmen würde, dass der Glaube in sich selbst zusammenfällt:

Die Auskunft »War gar nicht«, »Ist gar nicht passiert«, »Ist nur eine Legende« war die häufigste bei der Beschäftigung mit der »biblischen Geschichte«, jenen Ereignissen also, die für die Aussagen des Credo die Basis bilden, denn biblische Religion ist nun einmal eine Religion, die auf Tritt und Schritt am Tropf der Geschichte hängt. Daher scheitern immer wieder alle Versuche, die aus der Bibel eine handliche Philosophie machen wollen und die Einbahnstraßen und Umleitungen der Geschichte scheuen.
Denn wie man es auch dreht und wendet, in irgendeinem Sinne bleibt der Bibelgelehrte immer Historiker. Der Verlust der Historie unter den Füßen brachte zuwege, dass die Theologie in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hin- und hergeworfen war zwischen Sozialismus, Maoismus, Öko-Pazifismus, Feminismus und grundlegender Staatskritik […] sowie diversen Spielarten der Befreiungstheologie. […] Die Verknüpfung von Glaube und Geschichte in der Exegese ist deshalb wichtig, weil dieser Glaube dann auch wieder Wirken, Auswirkungen in der Geschichte verlangt. - Indem aber die Geschichten, welche die Texte je und je erzählten, abgebaut und zerkrümelt wurden, schlichen sich neue Grundgeschichten ein. Im Ergebnis wurden die Leser über die Geschichte getäuscht. Die Basis des Credo wurde je und je umgetauscht, der historische Text nur noch als Allegorie gelesen. Wer zum Beispiel die Geschichte von David, Bethlehem und dem Messias als Davids Sohn nicht hören will, schiebt an dieser Stelle eine andere Geschichte ein, über die er dann an Weihnachten zum Weihnachtsevangelium predigt, nämlich etwa die von proletarischen Bauern, die sich zum vorletzten Aufstand erheben.

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