Meine Bekehrungsgeschichte in drei Teilen - Teil 1

Beitrag von meiner Frau

Eigentlich sollte man doch - zumindest ungefähr - wissen, wann man Christ wurde. Ich bin aber bis heute zwischen zwei Zeitpunkten hin- und hergerissen, die zwanzig Jahre auseinanderliegen. Ausserdem kommt da noch ein dritter Zeitpunkt ins Spiel, den ich lange als Tag meiner Bekehrung ansah - der Tag, an dem ich mich taufen liess. Doch den betrachte ich heute als am wenigsten wahrscheinlich.

Tönt alles ziemlich kompliziert, oder? Was mich beruhigt, ist aber die Tatsache, dass ich weiss, dass ich jetzt Christ bin - weil ich Jesus liebe und nur noch für Ihn leben will. Und das ist ja eigentlich die Hauptsache. Aber fangen wir von vorne an:

Aufgewachsen bin ich in einem wunderschönen, alten, sehr abgelegenen Flarzhaus, ohne Zentralheizung, (fast) ohne Nachbarn, ohne Fernseher, dafür mit Hund, Katzen, Enten, einer Gans, einem grossen Gemüse- und Obstgarten und einer Mutter, die zu Hause war. Ich kann mir keinen schöneren Ort vorstellen.

Ich war die Mittlere von drei Schwestern, introvertiert, scheu und zurückgezogen. Am liebsten las ich oder spielte Klavier (beides stundenlang). In der Schule hatte ich stets gute Noten, bis auf das Mündliche. Ich getraute mich meist nicht, mich zu melden.

Wir gingen in keine Gemeinde. Meine Mutter war in einer Freikirche aufgewachsen und hatte sich dort auch bekehrt. Später zerrüttete sich diese Gemeinde und meine Mutter war erschüttert über die Tatsache, dass bekennende Christen einander so bekämpfen konnten. Sie ist bis heute nie mehr Teil einer Gemeinde gewesen.

Trotzdem war sie es, die mich mit dem Glauben bekannt machte. Vor dem Essen sangen wir jeweils ein Dankeslied und auch beim ins Bett gehen sangen wir ein Lied oder sie sprach ein Gebet. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was genau sie mir von Gott erzählte, aber ich glaube, sie gab mir die wichtigsten Tatsachen weiter.

Ausserdem waren die meisten meiner Tanten und Onkel mütterlicherseits Christen, und eine Tante schickte uns immer wieder christliche Traktate zu. Wir besassen auch einige Kassetten mit christlichen Hörspielen, die ich mir endlos anhörte (z.B. “Im Schluuchboot ufem Ozean”, “Stammt de Mänsch würklich vom Aff ab?”, “Hamid und Kinza”). Ich liebte sie, denn sie waren spannend und zeigten mir (v.a. durch die wahren Geschichten), wie Gott im Leben der Menschen wirkte und real war. Noch heute erinnere ich mich gerne an sie.

Am Ende mehrerer dieser Kassetten wurde die Frage gestellt, ob der Hörer sich auch schon für Gott entschieden habe? Dann folgte ein Bekehrungs-Gebet, das man nachsprechen konnte. Der Teil, an den ich mich erinnern kann, war in etwa “Jesus, bitte komm in mein Herz”. Dieses Gebet sprach ich nach, denn ich wollte in den Himmel kommen. Das ist der erste mögliche Zeitpunkt meiner Bekehrung, mit etwa 10 Jahren.

Ich glaube auch, dass ich das Gebet wirklich ernst meinte. Interessanterweise schien es aber nicht die geringste Auswirkung zu haben. Nicht, dass man unbedingt sofort etwas merken muss. Aber bei mir veränderte sich überhaupt nichts. So kam es, dass ich unsicher darüber blieb, ob mein Gebet genügt habe. Vielleicht hatte ich es zu wenig ehrlich gemeint? Schliesslich führte das dazu, dass ich immer wieder, v.a. nach dem Hören einer Kassette, Jesus von Neuem bat, in mein Herz zu kommen.

Als ich ein Teenager wurde, abonnierte meine Mutter für mich einen Bibelleseplan, den ich treu las. Dadurch fing ich an, regelmässig in der Bibel zu lesen. Bestimmt lernte ich dadurch vieles über Gott und den christlichen Glauben. Aber irgendetwas fehlte. Im Nachhinein muss ich sagen: Es war die persönliche Beziehung zu Gott, die Liebe zu ihm. Ich fühlte nichts für ihn. Ja, ich konnte mir nicht im Entferntesten vorstellen, dass man ihn kennenlernen konnte. Ich war ein eingeschüchtertes, unsicheres Mädchen, dass zwar etwas über Gott lernte und sich wohl unbewusst auch danach sehnte, von ihm geliebt und angenommen zu sein, das aber keine Vorstellung davon hatte, dass man ihn kennen kann. Deshalb betete ich auch nicht um Nähe zu ihm.

So las ich zwar mit Interesse die Bibelstellen und Kommentare dazu und machte mir endlose Listen mit Geboten und Verboten des christlichen Lebens. Und ich versuchte, alles einzuhalten und richtig zu machen. Aber es war keine Beziehung zu Gott, sondern ein Befolgen von Regeln und Normen aus der Ferne. Die Triebkraft dazu kam nicht aus meiner Liebe zu Gott, sondern aus dem Wunsch, das Richtige zu tun. Ich hatte erkannt, dass die Bibel die Wahrheit ist und dass man ohne Gott in die Hölle kommt, also versuchte ich, nach der Bibel zu leben.

In der Sekundarschule lernte ich ein Mädchen kennen, das sich auch als Christ bezeichnete. Wir wurden Freundinnen und beschlossen, einander im Glauben zu helfen. Sie besuchte die lokale Chrischona-Gemeinde und lud mich zu Gottesdiensten und Jugendtreffen ein. Mir gefielen die Gottesdienste recht gut, aber mit der Jugendgruppe konnte ich gar nichts anfangen. Ich war zu introvertiert und schüchtern. Es kostete mich riesige Überwindung, in eine Gruppe fremder Jugendlicher zu gehen, wo nichts voraussehbar war und man auch noch Gruppenspiele machen musste! Alle schienen Spass zu haben. Das konnte ich nicht nachvollziehen und blieb fortan den Treffen fern. Auch in den Gottesdienst ging ich weniger und weniger, denn meine Freundin hatte schon ihre Kollegen aus der Jugendgruppe und ich fand keinen Anschluss.

Dann kam ich aufs Gymnasium. Dort passierte einiges. Ich fand Freunde und getraute mich (zum ersten Mal!) sogar, mit Jungs zu reden. Ich wurde selbstsicherer und auch kritischer. Durch die Lektüre einiger Bücher und Theaterstücke aus der Zeit der Aufklärung wandte ich mich der Philosophie zu. Kant und Schiller wurden meine Vorbilder. Durch das Theaterstück “Maria Stuart” von Schiller erhielt ich eine Idealvorstellung der inneren Freiheit, die unabhängig ist von den äusseren Umständen (Im Nachhinein muss ich sagen: Diese Freiheit habe ich heute im Glauben endlich gefunden!) Meine eigenen Vorstellungen und die aus der Bibel klafften immer mehr auseinander. Meine Sehnsüchte und Wünsche drehten sich um Freiheit, Unabhängigkeit - und natürlich um Liebe. Schon seit der 1. Klasse war ich krampfhaft und permanent in immer wieder neue Jungs verliebt - allerdings nur von Weitem, denn ich hätte nie den Mut aufgebracht, etwas von meinen Gefühlen zu zeigen.

Gleichzeitig wandte ich mich aber nicht ganz von Gott ab, und nachdem ich erfahren hatte, dass es am Gymnasium eine Bibelgruppe gab, nahm ich dort regelmässig teil. Über diese Bibelgruppe empfand ich widerstreitende Gefühle. Etwas drängte mich, mit Christen im Kontakt zu sein. Gleichzeitig kostete es mich aber grosse Überwindung, Woche für Woche dorthin zu gehen, im Kreis zu sitzen und mit fremden Leuten über persönliche Dinge zu sprechen. Wir machten auch Strasseneinsätze (dabei jonglierte ich…) und sprachen mit Leuten über den Glauben. Aber ich fühlte mich sehr unwohl dabei. Wahrscheinlich merkte ich, dass ich den Menschen nichts Wirkliches über Gott sagen konnte.

Die Mentorin der Gruppe, eine junge, lebensfrohe Studentin, nahm sich schliesslich meiner an und traf sich regelmässig mit mir. In ihrer WG hatten wir super Gespräche über alle Fragen des Lebens. Sie war eine grosse Hilfe, meine erste Mentorin im Glauben.

Hatte ich vorher mehrere Jahre Tierärztin werden wollen, so stellte sich nun immer mehr heraus, dass Sprachen meine grosse Leidenschaft waren. Ich entschloss mich, vergleichende Sprachwissenschaft an der Uni Zürich zu studieren. Meine christlichen Verwandten waren ganz begeistert über diese Entscheidung. “Mit diesem Studium kannst du später mit Wycliffe die Bibel übersetzen!”, sagten sie. Aber ich wich der Antwort aus; Bibelübersetzung war gar nicht auf meinem Radar.

Bevor das Studium anfing, reiste ich für drei Monate in die Slowakei, um die Sprache zu lernen. Auch dort war ich zwischen zwei Welten hin- und hergerissen. Mein Verlangen nach Liebe war gross, und ich lernte einen jungen Mann kennen. Nach meinem Aufenthalt schrieb ich ihm noch ein ganzes Jahr lang Briefe, in der Hoffnung, er liebe mich. Es stellte sich jedoch heraus, dass er einfach ein Frauenheld war, der nur einen kurzen Flirt gesucht hatte. Zum Glück, muss ich im Nachhinein sagen, denn ich wäre wahrscheinlich Hals über Kopf in die Slowakei ausgewandert und hätte jemand geheiratet, dem Gott gleichgültig war.

Aber Gott liess mich auch in der Slowakei nicht los. Ich lernte eine Gruppe junger Amerikaner kennen, die in unserer Stadt einen Missionseinsatz machten. Sie machten mich mit einheimischen Christen bekannt und von da ab besuchte ich regelmässig einen Gottesdienst. Zum ersten Mal sah ich hier etwas, was davon zeugte, dass man zu Gott Liebe empfinden kann. In jedem Gottesdienst gab es Zeiten, in denen laut (von allen gleichzeitig) gebetet wurde und jeden Sonntag gab es einen Aufruf, nach vorne zu gehen und Christ zu werden. Irgendwie berührten mich diese Gefühle für Gott und ich betete jeweils mit.

Als meine Zeit dort zu Ende ging, riet mir eine Frau, mit der ich näher Kontakt hatte, in der Schweiz unbedingt eine Gemeinde zu besuchen. Sie schrieb mir sogar eine Adresse in Zürich heraus. Aber die Überwindung und mein Freiheitsbedürfnis waren zu gross; ich meldete mich nie dort.

Das Studium fing an und nahm mich ganz gefangen. Ich dachte, ich hätte meine Bestimmung gefunden: Sprachen analysieren, so viele Sprachen wie möglich lernen, Feldforschung in fernen Ländern betreiben und nebenher Musik machen. Und natürlich einen Mann finden.

In meinen ersten Semesterferien arbeitete ich für zwei Monate als Kellnerin in einem Restaurant in Zürich. Da geschah es, dass einer meiner Mitarbeiter, ein verheirateter Mann, mir gestand, er habe sich in mich verliebt. Nach all den Jahren unerwiederter Liebe und zerschlagener Hoffnungen konnte ich dem leider nicht widerstehen und wir begannen eine (zum Glück kurze) Beziehung. Ich war einfach zu schwach, um der Versuchung zu widerstehen. Wer weiss, wo ich gelandet wäre, hätte Gott nicht eingegriffen. Aber er war schon unterwegs…

Älterer Beitrag: Lieblingspredigten (4): R.C. Sproul, das Fluch-Motiv Neuerer Beitrag: Meine Bekehrungsgeschichte in drei Teilen - Teil 2

Your browser is out-of-date!

Update your browser to view this website correctly. Update my browser now

×