#Bildung

Wie erlange ich Weisheit? Ja, was ist Weisheit überhaupt? Lerne ich es aus Büchern? Kommt sie aus Lebenserfahrung? Wie kommt es, dass einige Menschen mehr Weisheit besitzen als andere?

Das Buch der Sprüche beantwortet genau diese Fragen. Ich habe mich seit gut zwei Monaten mit diesem Bibelbuch auseinandergesetzt und war einigermassen überrascht, was es zum Thema Weisheit zu sagen hat.

Ich stellte mir vor: Wenn ich das Buch der Sprüche nicht kennen würde, wie würde ich Weisheit beschreiben? Wie erlangt man sie? Ich kam dabei auf einige falsche Vorstellungen von Weisheit, die ich in diesem Artikel in “5 Missverständnissen” zusammengefasst habe:

Missverständnis 1: Weisheit ist etwas Elitäres

Wenn ich die Bibel nicht hätte, würde ich sagen: Weisheit ist etwas Elitäres. Es ist etwas, wofür ich hart arbeiten muss, um es zu besitzen. Es ist etwas, was ich horten kann, um danach in wohlwollender Geste andere daran teilhaben zu lassen. Es ist etwas, wodurch ich mich von anderen abheben kann.

Doch das ist nicht die Weisheit, wie die Bibel sie beschreibt. Der Jakobus-Brief im Neuen Testament ist das Gegenstück zum Buch der Sprüche im Alten Testament. Darin wird die elitäre Weisheit, die ich eben erwähnt habe, so beschrieben:

Wenn ihr aber bitteren Neid und Selbstsucht in eurem Herzen habt, so rühmt euch nicht und lügt nicht gegen die Wahrheit! Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern eine irdische, seelische, dämonische. Denn wo Neid und Selbstsucht ist, da ist Unordnung und jede böse Tat. (Jak 3,14-16)

Es gibt also eine Weisheit, die wie Weisheit aussieht, aber sich schlussendlich als “falsche Weisheit” entpuppt! Das macht es natürlich schwierig. Wo “Weisheit” draufsteht, ist nicht unbedingt auch “Weisheit” drin.

Gut sichtbar wird das auch in den beiden Paulus-Briefen an die Gemeinde in Korinth, wo Paulus die christliche Weisheit mit der griechisch geprägten, hochmütigen, wichtigtuerischen Weisheit gegenüberstellt.

Nun, das war nun noch nicht aus dem Buch der Sprüche. Wir kommen aber langsam dahin. Versprochen.

Missverständnis 2: Weisheit erarbeitet man sich im Studierzimmer

Die Weisheit, so dachte ich, wird am ehesten im Studierzimmer erarbeitet. Die Weisheit wäre zu lesen in Büchern über Philosophie, Geschichte, Biografien, etc. Diese Vorstellung bringt meinen Hintergrund ans Licht: Ich studierte in einer Universität und bin daher wohl auch noch mehr dadurch geprägt aus Büchern zu lernen als andere, die eine Berufslehre gemacht haben.

Ich denke, das Missverständnis lässt sich gut durch folgende Tatsache beschreiben: An einigen Universitäten ist dieser Bibelspruch in die Fassade gemeisselt:

Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.

Obwohl hier nicht von Weisheit, sondern von Wahrheit die Rede ist, deckt sich das mit der falschen Vorstellung, die ich vorher beschrieben habe: Weisheit erlangt man durch hartes Arbeiten.

Die Bibelstelle ist aber aus dem Kontext gerissen, davor sagt Jesus:

Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger

Und sofort kehrt sich das Bild: Die Weisheit ist nichts, das man sich zuerst erarbeiten muss. Es ist etwas, das schon da ist, ja, das Jesus auf die Erde gebracht hat und schon offenbart ist. Es ist nicht so, dass ich mich zur Weisheit durchkämpfen muss, sondern dass die Weisheit zu mir kommt. Und nun kommen wir endlich wirklich zum Buch der Sprüche: In den Sprüchen wird die Weisheit personifiziert. Es ist eine Person, die auf der Erde wandelt und spricht, an die man sich wenden kann etc. Es ist naheliegend, dass diese personifizierte Weisheit Jesus selbst ist (z.B. Spr 8,23: «Ich war eingesetzt von Ewigkeit her, vor dem Anfang, vor den Ursprüngen der Erde»).

Und die Weisheit in den Sprüchen ist wie Jesus, als er auf der Erde wandelte: sie stellt sich auf vor den Menschen und verkündigt:

Ruft nicht die Weisheit laut, und lässt nicht die Einsicht ihre Stimme vernehmen? Oben auf den Höhen, draußen auf dem Weg, mitten auf den Plätzen hat sie sich aufgestellt; zur Seite der Tore, am Ausgang der Stadt, beim Eingang der Pforten ruft sie laut: An euch, ihr Männer, ergeht mein Ruf, und meine Stimme an die Menschenkinder!

Gott hat die Weisheit auf die Erde geschickt, dass sie uns besucht. Er hat sie mitten unter den Menschen wohnen lassen! Es ist nicht so, dass wir sie suchen müssten, sondern sie sucht uns. Jesus sagte immer und immer wieder “wer Ohren hat zu hören, der höre” und meinte damit: das Einzige, was wir tun müssen, um Weisheit zu erlangen ist zuzuhören. Und das ist wahrhaftig keine elitäre, universitäre Kunst, sondern erfordert lediglich die Kunst des Zuhörens:

Hört, denn ich habe Vortreffliches zu sagen, und meine Lippen öffnen sich für aufrichtige Rede. (Spr. 8,6)

Oder:

Mein Sohn, achte auf meine Worte, neige dein Ohr zu meinen Reden! (Spr. 4,20)

Missverständnis 3: Weisheit erlangt man mit dem Verstand

Der wohl krasseste Widerspruch zum westlichen Verständnis von Weisheit ist der Fakt, dass die Weisheit in den Sprüchen mit der Furcht des Herrn beginnt:

Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis (Spr 1,7)

Beim Buch Prediger stand diese Wahrheit erst ganz am Schluss. Das lässt den - wie ich denke falschen - Schluss zu, dass es bloss eine Randnotiz, ein Zusatz war. Doch bei den Sprüchen zieht sie sich durch das ganze Buch hindurch. Die Hälfte der Kapitel erwähnen die “Furcht des Herrn” explizit.

In unserer westlichen Kultur verstehen wir Weisheit so, dass sie nur vom Verstand her kommen kann. Mindestens seit der Aufklärung ist der Verstand die Wurzel, woraus die Weisheit wächst (nur die Atheisten glauben nicht an den Verstand, weil er keine Atome hat). Den Verstand infrage zu stellen heisst, das Fundament unseres Lebens infrage zu stellen.

Doch die Sprüche warnen explizit davor, dem eigenen Verstand allzu sehr zu vertrauen:

Vertraue auf den HERRN von ganzem Herzen und verlass dich nicht auf deinen Verstand; erkenne Ihn auf allen deinen Wegen, so wird Er deine Pfade ebnen. Halte dich nicht selbst für weise. (Spr 3,5a)

Wieso ist das so? Weil es eben zwei verschiedene Weisheiten gibt, die weltliche Weisheit und die göttliche Weisheit. Und sie sind schwer voneinander zu unterscheiden. Die Schlange tischte Adam und Eva die weltliche Weisheit auf und sie merkten es nicht. Ebenso wenig können wir die beiden Arten von Weisheit voneinander trennen, es sei denn, wir fangen das Ganze mit der Furcht des Herrn an:

Mancher Weg erscheint dem Menschen richtig, aber sein Ende führt doch zum Tod. (Spr 16,25)

Es ist ja auch logisch, dass wir die Weisheit bei Gott suchen sollen, da er die Welt und ihre Gesetze erschaffen hat. Zudem ist Jesus die personifizierte Weisheit. Er gibt die Weisheit gerne, aber man soll darum bitten. Nochmals aus Jakobus, dem “Buch der Sprüche im Neuen Testament”:

Wenn es aber jemand unter euch an Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott, der allen gern und ohne Vorwurf gibt, so wird sie ihm gegeben werden. (Jak 1,5)

Missverständnis 4: Weisheit hat nichts mit Lebensführung zu tun

Eine weitere falsche Vorstellung, die ich in mir merke, wenn ich das Thema nicht von der Bibel her angehe: Ich betrachte Weisheit als eine Sache für sich. Als losgelöst von meiner Lebensführung. Etwas, was ich erlangen kann einfach durch Nachdenken.

Dass mir die Weisheit versperrt wäre, wenn ich mein Leben verkehrt führe, darauf komme ich gar nicht. Im Gegenteil, es scheint mir im westlichen Denken geradezu sinnvoll, mich auf Experimente und sündige Eskapaden einzulassen, um mehr Lebenserfahrung zu erlangen und so zu mehr Weisheit zu kommen.

In den Sprüchen wird Weisheit aber sehr eng verwoben mit Lebensführung. So eng, dass es fast nicht auseinanderzuhalten ist. Das war für mich das Überraschendste an der Lektüre der Sprüche. Die Furcht des Herrn war mir klar, aber dass Lebensführung so eng mit Weisheit verknüpft ist, war mir nicht bewusst.

Dies kam daher, dass ich “Furcht des Herrn” nicht richtig verstand. Ich verstand darin eher eine betende Haltung. Eine Ehrfurcht vor Gott. Und das ist es auch, aber nicht nur:

Die Furcht des HERRN bedeutet, das Böse zu hassen; Stolz und Übermut, den Weg des Bösen und einen verkehrten Mund hasse ich. (Spr 8,13)

Das Böse, so erklären es die Sprüche immer wieder, verdirbt unser Denken. Sodass wir danach nicht mehr fähig sind, die Weisheit zu erkennen.

Die ersten neun Kapitel der Sprüche sind die Einleitung zu den restlichen Kapiteln. Darin wird die Furcht des Herrn beschrieben, wie die Weisheit auf den Strassen ruft und alle, die sie hören können, Erkenntnis erlangen. Und in diesen neun Kapiteln sind ganze drei Kapitel (Kapitel 5, 6 und 7) darauf verwendet, vor der Unzucht zu warnen. Die Unzucht wird personifiziert von der “fremden Frau”, die auf der Gasse wartet, auf einen unerfahrenen, unzufriedenen Mann, ihn verführt und sein Leben auf eine schiefe Bahn bringt, von der er nicht mehr ins gesunde Leben zurückfindet. In der Geschichte übernimmt die Frau die aktive Rolle der Verführerin. Sie will den Mann vom rechten Weg abbringen und sein Leben zerstören («sie hat viele verwundet und zu Fall gebracht, und gewaltig ist die Zahl derer, die sie getötet hat», Spr 7,26). Damit kann nur der Teufel selbst gemeint sein, und somit steht die Unzucht-Geschichte nur als Beispiel für die Art und Weise, wie der Teufel denen auflauert, die das Leben mal etwas ausprobieren wollen, da sie Gott nicht fürchten und die Konsequenz der Sünde nicht kennen. Sie werden daher Unverständige genannt, da sie nicht verstehen, dass Sünde nicht etwas ist, was man tun kann, sich danach waschen kann und wieder so ist wie zuvor.

Nein, Sünde verdirbt die Sicht auf die Welt, sie macht die Augen dunkel, sodass man die Wahrheit nicht mehr von der Lüge unterscheiden kann, sie verdirbt die Sinne.

Der Zusammenhang von Lebensführung und Weisheit wird zudem ein paar Kapitel vor der Unzucht-Geschichte explizit erwähnt:

Mein Sohn, wenn du meine Worte annimmst und meine Gebote bei dir bewahrst … dann wirst du die Furcht des HERRN verstehen und die Erkenntnis Gottes erlangen … Dann wirst du Gerechtigkeit und Recht verstehen, Aufrichtigkeit und jeden guten Weg. … Wenn die Weisheit in dein Herz kommen wird und die Erkenntnis deiner Seele gefällt, dann wird Besonnenheit dich beschirmen, Einsicht wird dich behüten, um dich zu erretten von dem Weg des Bösen, von dem Menschen, der Verkehrtes spricht. (Spr 2,1+5+9-12

Hier wird klar, dass die Furcht des Herrn, das befolgen der Gebote (=Lebensführung) und das Erlangen von Weisheit zusammen verwoben sind. Klar ist, dass man nicht eines der dreien auslassen kann.

Zudem: Die Kapitel 10-31 besprechen fast nur noch die Lebensführung und machen daher deutlich, dass Weisheit sehr sehr viel mit Lebensführung zu tun hat.

Missverständnis 5: Weisheit erlange ich im Selbststudium

Zum letzten Missverständnis: Als Kind der westlichen Kultur verstehe ich Weisheit als etwas, was ich aus Büchern lerne. Ich verbringe einen beträchtlichen Teil meines Lebens mit Lesen, und das Ziel davon ist das Vermehren der Weisheit.

In den Sprüchen aber ist das Setting ein ganz anderes: Ein Vater spricht zu seinem Sohn und ermahnt ihn, sein Leben weise anzugehen. Die ganze Einleitung (neun Kapitel lang) währt dieses Setting. Und auch danach ist oft die Rede von Ratgebern, von den wahren Freunden, welche auch unangenehmen Rat geben.

In diesem Punkt wurde ich durch die Sprüche am direktesten herausgefordert: Bin ich der Vater, der sich Zeit nimmt, seinen Kindern die Dinge zu erklären, von denen in den Sprüchen die Rede ist? Suche ich Rat bei meinen Eltern, bei Freunden? Höre ich zu, wenn mir jemand Rat gibt? Ich merke, dass mich das herausfordert. Bücher sind viel angenehmer: Ich kann sie zuklappen, wenn sie mir nicht gefallen. Ich kann Unangenehmes überlesen. Doch ein Freund, der mich anspricht, dem muss ich Antwort geben. Das geht unangenehm nahe. Und ja, das Risiko ist grösser, denn ich laufe Gefahr, verletzt zu werden.

Doch ich merke, dass auch Jesus genauso war. Er kam als Rabbi auf die Welt, nicht als Autor. Er ist sozusagen die Inkarnation des Buches der Sprüche. Er kam, um vor Sünde zu warnen, um die Gottesfurcht zu predigen. Er wies die falsche Weisheit der Pharisäer zurecht und predigte in der Bergpredigt, wie die richtige Weisheit aussieht. Und danach hat er die Jünger ausgesandt, damit sie andere Jünger “lehren, zu halten alles, was ich euch befohlen habe”. Er hat sie nicht ausgesandt zum Bücherschreiben, sondern zu ermahnen und zu ermutigen.

Und das, glaubt mir, klingt in meinen Ohren sehr herausfordernd.

Philipp Mickenbeckers Kritik an der Schule und seine romantisch wirkenden Erinnerungen an sein eigenes Lernen im Homeschooling, in der Natur und beim Experimentieren scheinen etwas extrem. Und doch trafen sie bei mir einen Nerv.

Ich bin Informatiker, und als ich zur Schule ging, gab es noch keine Programmierkurse. Ich habe mir das Programmieren selbst beigebracht durchs Lesen von anderen Programmen, Kaufen von Programmierbüchern und gemeinsames Ausprobieren mit Freunden. Daher kann ich Mickenbeckers Ode an selbstmotiviertes, freies, kreatives Lernen sehr unterstreichen. Obwohl ich denke, dass es nicht auf alle Lernbereiche anwendbar ist.


Dies ist ein Zitat aus dem Buch “Meine Real Life Story: Und die Sache mit Gott”, zu dem ich hier eine Zusammenfassung/Rezension geschrieben habe.


Wir haben bis zur vierten Klasse Heimschule gemacht. Bei uns zu Hause, auf einem kleinen ehemaligen Bauernhof. … [Da hatten wir eine] große Werkstatt! Eine alte Scheune, in der unser Vater alles hatte, was man zum Basteln brauchte. Schon von klein auf haben wir ihm zugeschaut und mitgeholfen, gemeinsam an Fahrrädern geschraubt oder Sachen repariert … Damals wurden wohl die Anfänge unserer Selbstbauleidenschaft gelegt. Das machte einfach viel mehr Spaß, als auf der Spielekonsole zu zocken.

Die ersten vier Jahre unserer Schulzeit mussten wir überhaupt nicht zur Schule gehen, sondern wurden von unserer Mutter zu Hause unterrichtet. … In vielen Ländern ist „Homeschooling“ inzwischen ein gängiges Konzept, nur in Deutschland wird das einfach nicht akzeptiert, obwohl man uns jederzeit auf unseren Leistungsstand hätte überprüfen können, der vermutlich besser war als bei den meisten „normalen“ Schülern. In der vierten Klasse haben wir schon mit x und y gerechnet – und das, obwohl wir nur drei oder vier Stunden am Tag Unterricht hatten. Den Rest des Tages konnten wir mit Freunden im “Real Life” verbringen. … Ab der vierten Klasse sind wir dann auf eine „christliche“ Schule gegangen. Der Staat hat uns beziehungsweise unsere Eltern dazu gezwungen.

Eingeführt wurde die Schulpflicht ja eigentlich mal, um ein gewisses Bildungsniveau für alle sicherzustellen. Schöner Gedanke, aber tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, dass es eher darum geht, Kinder zu beschäftigen und mit sinnlosem Wissen vollzustopfen, als sie zum selbstständigen Denken und zur Bildung einer eigenen Meinung anzuregen. … Ich sehe diesen hässlichen grauen Bau immer noch vor mir. … Hier gab es keine Werkstatt, keinen Wald, keinen Raum für Kreativität, keine Freiheit. Stattdessen hunderttausend sinnlose Regeln, die das ohnehin schon langweilige Schülerdasein so eintönig gemacht haben, dass wir uns vorkamen wie im Knast.

Ich konnte nie verstehen, warum wir die Einzigen waren, die dieses System gehasst haben, aber wahrscheinlich konnten nur wir das so sehen, weil wir das Leben ohne Schule kannten. Ohne diesen Zwang, jeden Morgen stundenlang im Klassenzimmer zu sitzen und sich den Unterricht anhören zu müssen, egal, ob man es schon längst verstanden hatte oder nicht. Wahrscheinlich ging es den anderen wie Hühnern, die in ihren Legebatterien groß geworden waren und das Leben da draußen gar nicht kannten. Die nicht wussten, wie viel Freude es macht, kreativ zu sein, zu versuchen, das Unmögliche zu schaffen und selbst neue Lösungswege zu entdecken, anstatt die Lösungswege auswendig zu lernen, die jemand anders entwickelt hat.

Früher hatten wir einfach aus Interesse gelernt. Ich weiß noch, wie unsere Mutter uns das Dividieren beigebracht hatte. Eigentlich hätten wir noch mit ganz kleinen Zahlen rechnen sollen, aber damals hatte uns der Wissensdrang gepackt. Voller Neugier hatten wir weiter gefragt und gelernt, wie man große Zahlen teilen konnte. Für uns war dieses neue Wissen so interessant, dass wir abends den Taschenrechner mit ins Bett schmuggelten. Dann dachten wir uns beliebige Zahlen aus und fingen an, fünf- oder sechsstellige durch dreistellige Zahlen im Kopf zu teilen. Wenn wir das Ergebnis hatten, rechneten wir es mit dem Taschenrechner nach. Das machte einfach Spaß, wir freuten uns auf den Unterricht, wir lernten nie für Noten, nein, denn bei uns gab es überhaupt keine.

In der Schule lernte niemand aus Interesse. Hier lernte man für die Noten im Zeugnis. Man versuchte, seinem Gehirn durch endlose Wiederholungen vorzutäuschen, dass etwas wichtig sei, bis man es endlich wusste. Das Schlimmste war, sich nach einem siebenstündigen Unterrichtstag zu fragen, was man an diesem Tag tatsächlich gelernt hatte. Das war meist wenig. Und wenn man sich dann noch fragte, was man für sein Leben gelernt hatte, blieb so gut wie gar nichts übrig. Das hätte man auch in einer Stunde zu Hause lernen können.

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