Folge 13 von “Lesenswichtig”, einer Liste von christlichen Artikeln, die mich diese Woche bewegt haben.
Losing Our Religion
Russell Moore über die Kirchen-Flucht in den USA. Innerhalb von zwanzig Jahren ist die Zahl von Amerikanern, die sich einer Kirche zugehörig fühlten, von 68% auf 47% gefallen.
Seine These ist überraschend: Er sagt nicht, dass die Kirche Werte predigt, welche der westlichen Welt zuwider ist. Er sagt, dass junge Menschen die Kirche verlassen, weil die Kirche eben diese “schwierigen Lehren” nicht mehr lebt!
Sein Kontext ist ein etwas anderer als unsrer: Er lebt im Bible-Belt wo Christentum mit republikanischer Politik gleichgesetzt wird. Doch ich sehe viele Parallelen zu unserer europäischen Lage. Wohl sind unsere Umstände anders, aber die Tendenz unserer Gemeinden ist ähnlich.
Ein paar Auszüge:
Während ein “Ex-Evangelikaler” in den frühen 1920er Jahren wahrscheinlich deshalb wegging, weil er die Jungfrauengeburt oder die leibliche Auferstehung für überholt und abergläubisch hielt oder weil er moralischen Freidenker attraktiver fand als den “veralteten” strengen Moralkodex seiner Vergangenheit oder weil er den erdrückenden Fesseln einer Heimatgemeinde zugunsten eines autonomen Individualismus entkommen wollte, jetzt sehen wir ein deutlich anderes - und erschütterndes - Modell eines desillusionierten Evangelikalen. Wir sehen jetzt junge Evangelikale, die sich vom Evangelikalismus abwenden, nicht weil sie nicht glauben, was die Kirche lehrt, sondern weil sie glauben, dass die Kirche selbst nicht glaubt, was die Kirche lehrt. Die vorliegende Problematik in dieser Säkularisierung ist nicht Atheismus und Hedonismus, sondern Desillusionierung und Zynismus.
Die Trends der Säkularisierung bedeuten, dass die Menschen die Kirche nicht brauchen, um sich als Amerikaner oder als gute Menschen oder sogar als “spirituell” zu sehen. […] Eine Religion, die Menschen dazu aufruft, sich von der westlichen Moderne abzuwenden, muss glaubwürdig sagen: “Nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach”, und nicht: “Komm mit uns, und wir werden die Liberalen besiegen.” Letzteres kann man auf YouTube tun, und man muss nicht einmal einen Sonntagmorgen aufgeben.
Das Problem ist nun nicht, dass die Menschen denken, die Lebensweise der Kirche sei zu anspruchsvoll, zu moralisch streng, sondern dass sie zu der Ansicht gelangt sind, die Kirche glaube nicht an ihre eigenen moralischen Lehren. Das Problem ist nicht, dass sie die Vorstellung ablehnen, dass Gott irgendjemanden in die Hölle schicken könnte, sondern dass, wenn sie sehen, dass die Kirche verkehrtes Verhalten in ihren Institutionen vertuscht, sie den Beweis haben, dass die Kirche glaubt, Gott würde “unsere Art von Leuten” nicht in die Hölle schicken.
Was ist, wenn Menschen nicht aus der Kirche austreten, weil sie Jesus ablehnen, sondern weil sie die Bibel gelesen haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass die Kirche selbst Jesus ablehnen würde? Das ist eine Krise.
Wir verlieren eine Generation - nicht weil sie weltlich sind, sondern weil sie glauben, dass wir es sind. Was dies erfordert, ist kein Rebranding, sondern eine Umkehr - das heisst, wie die Bibel sagt, eine Kehrtwende. Es sind schon seltsamere Dinge passiert, und das ist gut so, denn wir werden sie brauchen.
Zum Artikel: Losing Our Religion
Ein Buch für die Generation “Glaub an dich selbst!”
Bianca Hopcraft schrieb eine lesenswerte Rezension über das Buch “Enough about me”. Ein paar Auszüge:
Sie stellt fest, dass obwohl uns Frauen in der westlichen Kultur heutzutage mehr Möglichkeiten zur Selbstentfaltung offenstehen als vielen Generationen vor uns, wir nicht glücklicher, sondern sogar deprimierter und dem Burnout näher sind als je zuvor.
Nun fragt man sich: Warum fruchtet es nicht? Warum sind Frauen trotzdem so unglücklich?
Das Problem dieser Slogans ist, dass sie uns vollkommen auf uns selbst werfen. Wir müssen uns nicht nur immer wieder selbst neue Ziele setzen, sondern auch selbst dafür sorgen sie zu erreichen, natürlich aus eigener Kraft. Doch unser Selbst ist begrenzt. Und darum können wir nicht anders als irgendwann erschöpft zusammenzubrechen.
Das eine Problem besteht darin, dass die “Du schaffst es”-Mentalität selbstfokussiert ist und nicht Christus-zentriert. Und dieser Gefahr sind auch Christen ausgesetzt:
Oshman will ebenso gestandene Christen unserer Zeit aufrütteln. Sie zeigt, dass dieses selbstzentrierte Evangelium verschiedene Formen annehmen kann, z.B. „Gott möchte vor allem, dass ich glücklich bin, er würde nie wollen, dass ich leide“ (S. 87) oder „Gott hat mich geschaffen, aber nun bin ich allein dafür verantwortlich, meine Ziele zu erreichen“ (S. 88). Oshman ruft uns dazu auf, die wahre Botschaft der Bibel immer wieder zu verinnerlichen, um solchen „Fälschungen“ nicht auf den Leim zu gehen.
Das andere Problem besteht darin, dass wir es aus eigener Kraft schaffen wollen:
Sie stellt klar: Aus eigener Kraft können wir niemals an Gott dranbleiben. Ja, aus eigener Kraft schaffen wir es noch nicht einmal, das zu wollen. Wir brauchen Gottes Geist dafür. „Gnade brachte uns zum Glauben, Gnade wird uns auch wachsen lassen“ (S. 105). Darum darf ich Gott immer wieder um Hilfe bitten. Was für eine erleichternde Botschaft!
Und nochmals zum Selbstfokus:
Jesus fordert uns tatsächlich dazu auf zu sterben, d.h. unser Selbst aufzugeben, um Sein Leben zu gewinnen (Mk 8,34–35). Und das Umwerfende ist, dass wir genau darin – in diesem Paradoxon – die bleibende Freude erfahren, nach der wir uns so sehnen. Oshman macht deutlich, dass es hierbei keine 0815-Formel gibt, wie dieses Sterben konkret für jeden von uns aussieht. Es gibt verschiedene Dinge, die Gott von uns abverlangen mag. Unverändert bleibt die Zusage, dass wir wahre Freude finden werden, wenn wir Jesus gehorchen (Joh 15,11) und unser Gottesbild dabei wächst.
Zum Artikel: Enough about Me
Bitte bleib
Zum Schluss ein Aufruf von Kristin, der Gemeinde treu zu bleiben. Letzte Woche habe ich ebenfalls dazu aufgerufen, die Lokalgemeinde nicht zu verlassen.
Kristin macht das auf eine sehr poetische und ansprechende Art:
Mein Mann ist Pastor, und an den meisten Sonntagen, nachdem er gepredigt hat und wir nach hinten gehen, um die Leute zu begrüssen, flüstere ich: tolle Botschaft. Und dann drehen wir uns um, um uns mit unserer Gemeinde zu unterhalten, während sie den Gottesdienstsaal verlässt.
Was ich wirklich mit “grossartige Botschaft” meine, ist Folgendes: Deine Worte haben mich heute zutiefst gekränkt. Als du gepredigt hast, wurde mir bewusst, wie oft ich sündige, und dann, als du deine Aussage mit Bibelstellen belegtest, wurde mein Herz durchbohrt. Ich machte mir Notizen und entschuldigte mich bei Gott und bat ihn, mir zu helfen, Busse zu tun, zu gehorchen und mich an ihm zu erfreuen. Als ich meine Sünden bekannte, erweichte Gott mein Herz und öffnete meine Ohren, um seine Wahrheit zu hören. Obwohl ich während dem Gottesdienst besorgt war über dieses und verärgert über jenes, habe ich nun anderthalb Stunden auf dem Operationstisch des grossen Chirurgen verbracht und bin mehr von meiner eigenen Sünde überwältigt als davon, meinen eigenen Willen zu bekommen. Ich habe entdeckt, dass es nur eine Sache gibt, die durch meine Reue zerstört wird, und das ist mein Stolz.
Bitte bleib. Bleib in deiner bibelpredigenden Gemeinde mit unvollkommenen Menschen, unvollkommenen Pastoren und unvollkommenen Lehrern. Bleibe und verpflichte dich, Gottes Wort in deinem Herzen zu verstecken, jeden Tag zu lesen und zu meditieren. Bleibe und tue demütig Busse über deine eigenen Sünden. Bleibe und bete für andere. Bleibe und diene. Bleibe und sprich ein freundliches Wort. Bleibe und konfrontiere eine schwerwiegende Sünde. Bleibe und werde konfrontiert. Bleibe und vergebe.
Bleib und sein die Gemeinde, ohne die Gemeinde zu besitzen, denn die Gemeinde gehört Gott. Bleib und lass dich verändern.
Zum Artikel: Please Stay