Seth Godin bloggt seit achtzehn Jahren. Jeden Tag. Als er gefragt wird, was ihn dazu motiviert, sagt er:
Ich blogge nicht jeden Tag, weil ich ein neuer Beitrag parat ist.
Ich blogge jeden Tag, weil es ein Morgen gibt.
Die Idee, dass es ein Morgen gibt, die Vorstellung, dass ich morgen einen Beitrag schreiben werde, fordert mich auf, darüber nachzudenken: Was ist der schlaueste, grösste, grosszügigste Beitrag, den ich der Welt morgen schenken kann?
Das ist meine derzeit beste Erklärung, was tägliches Bloggen für einen Gewinn ausschüttet. Weil die Investitionen sind gross: Der täglicher Zeit-Aufwand, die Unsicherheit, ob der Beitrag gelesen wird, das Sich-Verletzlich-Machen.
Doch es lohnt sich doch! Denn beim Bloggen wird mein Denken ganz neu anregt. Ich spinne angefangene Gedanken weiter, wenn ich weiss, dass ich darüber schreiben werde. Es lässt sich mit Lernen und Lehren vergleichen: Wenn ich etwas gelernt habe, dann hilft es, wenn ich es anderen erkläre. Und oft merke ich erst, wenn ich etwas anderen weitergeben will, dass ich es selbst noch nicht verstanden habe.
Der Segen und Fluch der Unpopularität
Nun zu einem potenziellen Motivations-Killer: Die Popularität der Beiträge. Respektive deren Unpopularität. Vor ein paar Jahren, als ich auf diesem Blog schrieb, habe ich mir jedes Mal die Statistiken angeschaut (Google Analytics): wie viel Leute haben den Beitrag angeklickt, wie lange verweilten sie auf der Seite, etc. Das Problem: Die Zahlen waren so demotivierend, dass ich nach einer gewissen Zeit wieder aufgehört habe zu schreiben.
Als ich im Dezember einen neuen Anlauf nahm, sagte ich mir: »Es ist mir egal, wie viele das lesen. Ich schreibe einfach weiter. Es ist mir egal, wie viele Likes ich auf Facebook oder Twitter bekomme, und es ist mir auch egal, wenn andere Blogger mehr davon bekommen. Ich schreibe einfach weiter.«
Das Elend der digitalen, vernetzten globalen Welt ist, dass man sich immer vergleichen kann, ja gezwungenermassen verglichen wird. Meine Frau fragte mich, ob man denn nicht auf Facebook die Likes abschalten könne. Nein, sagte ich, auf Social Media wird jeder mit jedem verglichen, ob er es will oder nicht. Und ich merke: Gebe ich mich diesem Wettkampf hin, dann lässt die Motivation nach.
Der Rat von Seth Godin:
[Dieses Streben nach Popularität] baut keine Kultur, auf die wir stolz sein würden.
Die Alternative ist zu sagen: Es ist mir egal, wie viele
Leute mir folgen. Meine Aufgabe ist es, etwas zu erschaffen, worauf ich stolz bin.
Die Versuchung beim Bloggen ist das zu schreiben, was populär ist, aber damit würde ich meinem Auftrag untreu. Die Alternative ist, nicht für die grosse Masse zu schreiben, sondern für ein paar wenige.
Seth Godin rät, sich eine Nische zu suchen, ein Thema, das nur eine ganz kleine Zielgruppe betrifft, und dann das Thema nochmals zweimal enger zu machen, bis die Zielgruppe auf zwei bis drei Leute zusammenschrumpft. Natürlich übertreibt er dabei, aber was er meint, ist, dass wir uns mit der Idee anfreunden müssen vom “kleinsten möglichen Publikum”. Das ist etwas gruselig, weil wenn du Millionen Leute hast, die dein Blog lesen und einer davon sagt, er möge deine Beiträge nicht, dann ist es dir egal. Aber wenn einer von deinen drei Lesern dasselbe sagt, dann kümmert es dich. Und genau dann fange die “Magie” an, meint Seth Godin.
Ja, und so ist es nun bei meinem Blog: Ich weiss von einer Handvoll Leute, die ihn mittlerweile lesen. Und ihr seid mir wichtig. Und dass macht die Magie beim Schreiben aus. Weil ihr seid keine blossen Zahlen in der Statistik, aber Leute, die mir auf der Strasse sagen, dass sie den Beitrag gelesen haben oder die mir auch mal eine Frage oder Feedback zurückschreiben, das zählt. Und so kann es auch eine ehrliche Auseinandersetzung geben, und das ist viel motivierender als tolle Statistiken.