Gastbeitrag meiner Frau zu Minimalismus und Zero Waste (4) - Vom Minimalismus zur Genügsamkeit - und warum Marie Kondō nicht unser Vorbild ist

In der ersten Zeit des Ausmistens und Minimierens geschah etwas Eigenartiges - etwas, das mir zeigte, dass mein Herz immer noch am Besitz hing:

Ich verkaufte z.B. ein ganzes Schränklein voll antikem Porzellangeschirr, das ich mir nach und nach in Brockenhäusern zusammengekauft hatte. Das Geschirr war z.T. angeschlagen und es fehlten auch einige Teile. Da ich aber im Hinterkopf hatte, dass wir zwei- bis dreimal im Jahr grössere Familien-Kaffeekränzchen bei uns bewirten, kaufte ich mir dafür ein wunderschönes neues Teegeschirr mit 16 Tellern und 12 Kaffeetassen inklusive Unterteller. D.h., ich gab das weniger Gute, das “nicht Perfekte” weg und kaufte dafür etwas Perfektes, das genau meinen Geschmack traf und auf meine Bedürfnisse zugeschnitten war.

Das ist genau der Punkt, wo ich mit dem Minimalismus nicht mehr übereinstimme. Es besteht die Gefahr, dass die wenigen Dinge, die ich noch besitze, dafür handverlesen und perfekt auf MEINE Bedürfnisse abgestimmt sind und dass dadurch ihre Wichtigkeit für mich noch vergrössert wird.

Es gibt z.B. einige Minimalisten, die sich ein “Tiny House” (ein Mini-Haus in Wohnwagengrösse) bauen lassen. Diese Minihäuser sind meistens bis ins Detail ausgeklügelt und mit sorgfältig ausgewählten Einrichtungsgegenständen bestückt und werden gern vorgeführt. Auch wir haben uns vor zwei Jahren, als unser zweite Stock komplett leergeräumt war und das Haus zu gross schien, ein perfektes kleines Häuschen erträumt, gerade gross genug für unsere wenigen Habseligkeiten. Doch mittlerweile sind wir von dem Gedanken abgekommen. Wenn wir umziehen würden, dann wäre es eher in eine unscheinbare 4-Zimmer-Wohnung.

Deshalb an dieser Stelle eine kleine Gegenüberstellung von der Herangehensweise von Marie Kondō und Bea Johnson.
Marie Kondō ist eine Aufräum-Spezialistin aus Japan, die in den letzten Jahren auf der ganzen Welt als Expertin fürs Ausmisten, Minimieren und Ordnung halten bekannt geworden ist. Wenn ich jemandem gegenüber erwähne, dass wir unser Haus ausgemistet haben, höre ich oft:” Ah, nach der Methode von Marie Kondō? Die kenne ich auch.” Deshalb habe ich mich im Internet ein wenig über ihre Philosophie und Methoden schlau gemacht. Ich kam zum Schluss, dass ihre Einstellung zum Besitz zu einem grossen Teil grundverschieden ist von der unseren und auch von dem, was in Bea Johnsons Buch steht.

Das Einzige, wo ich mit Marie Kondō übereinstimme, ist, dass weniger Gegenstände besser sind. Sie empfiehlt, zwei Drittel des Besitzes auszumisten (das ist natürlich auf unsere westliche Dimension von Besitztümern ausgerichtet). Ich habe bei uns nachgezählt und komme auf etwa 60-70%, die wir von den meisten “Kategorien” weggegeben haben (kleiner Nebeneffekt: das Aufräumen und Ordnung halten wird unglaublich viel einfacher mit wenig Gegenständen! Ja, es gelingt uns erst jetzt, beständig ein ordentliches Haus zu haben).

Die zentrale Frage, die Marie Kondō empfiehlt, sich beim Ausmisten zu stellen, ist: “Does it spark joy?” - Gibt mir der Gegenstand Freude? Wenn ja, behalte ich ihn; wenn nein, kommt er fort - übrigens nicht, ohne sich bei ihm bedankt zu haben, dass er einem gute Dienste geleistet hat.

Zusammengefasst ist die Marie-Kondō-Methode sehr selbst-zentriert (Was will ICH? Was macht MIR Freude?). Man soll sich nur mit Dingen umgeben, die man liebt. Wenn einem etwas nicht mehr gefällt, soll man es sofort weg tun und sich etwas Neues kaufen, das einem gefällt.

Die Liebe zum Besitz wird also sogar noch gefördert. Die Frage nach Umwelt und Konsum wird nicht gestellt. Weiter zu denken als das eigene ICH findet nicht statt.

Ausserdem dringt überall die Philosophie oder der Glaube durch, dass Gegenstände irgendwie lebendig sind, eine Seele haben. Das mutet ein wenig pantheistisch an. Es wird empfohlen, jeden Gegenstand ans Herz zu halten, um zu spüren, ob er einem Freude gibt. Man soll mit den Gegenständen sprechen. Sich bei ihnen bedanken. Einen Altar für schöne Dinge einrichten.

Die krasseste Aussage fand ich in einer Anleitung, wie Kleider versorgt werden sollen: Aufrollen und nebeneinander stellen (statt stapeln). Warum? Damit die Kleidungsstücke atmen und sich vom Druck erholen können. Ernsthaft??

Man kann das natürlich als östliche Kuriosität abtun und darüber lächeln, aber in mir lösen solche Sätze eine starke Abneigung aus. Es widerspricht zutiefst der Weltanschauung, die ich als Christ habe und der Art, wie ich mit meinem Besitz umgehen will - ja, mein Ziel ist, dass mein Herz vom Besitz entwöhnt wird, nicht, dass es sich noch mehr daran hängt!

Bei Bea Johnson hingegen geht es nicht primär um MICH, sondern um die Umwelt. Um etwas Grösseres, etwas ausserhalb von mir selbst. Ihre Aussage ist: Besitz macht nicht glücklich. Besitz sind einfach Dinge, die man zum leben braucht. Auch Bea Johnson fragt beim Ausmisten: “Gefällt mir das?” Aber sie fragt auch: “Könnte ich auch ohne das leben? Brauche ich das wirklich?” (Und wenn ja, wie viele?)

Diese Frage ist in unserem Leben zentral geworden (ja, auch der Teil: und wenn ja, wie viele?).

Unser Ziel ist es, mit möglichst wenig Besitz auszukommen.

Nicht, um krass zu sein (“Ich besitze nur 100 Gegenstände”, “Ich habe nur 33 Kleidungsstücke”), sondern um GENÜGSAM zu sein, die eigenen Ansprüche so klein wie möglich zu halten. Mich mit dem zufrieden zu geben, was ich habe. Auch, wenn es nicht perfekt ist.

Meine Frage ist also nicht (mehr) “Was will ICH?” sondern: “Wie kann ich möglichst anspruchslos leben?”

Wenn wir also Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen. (1. Tim 6,8 NGÜ)

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