Vor gut einem Jahr erwischte mich die liberale Theologie auf falschem Fuss: Der Versuch, die Bibel anhand “ausserbiblischen Texten” zu überprüfen schien fair. Was mich völlig verwirrte war, dass wenn man die Bibel reduziert auf nur das, was auch ausserhalb der Bibel aufgezeichnet wurde, dass sich die Bibel zersetzt und zu einem Märchen verkommt, denn: Fast keine der biblischen Geschichten lässt sich historisch beweisen. In meinem naturwissenschaftlichen Studium lernte ich, dass Theorien dem “Test vieler Experimente” standhalten müssen - sie lassen sich nicht aufgrund nur einer Beobachtung, eines Augenzeuges beweisen. Mein christlicher Glaube stand urplötzlich im luftleeren Raum.
Rettender Strohhalm gesucht! Schaeffer - die grosse Anpassung
Schaeffers Analyse fand ich schlüssig, das Problem war aber, dass dies meine Situation nur noch schlimmer machte. Ich wusste jetzt zwar, dass ich auf der falschen Seite des Kamms tendierte und je mehr ich diesen nagenden Gedanken nachginge, desto schlimmer würde es mit mir werden. Doch eine zufriedenstellende Antwort auf meine Frage bekam ich trotzdem nicht.
Hm, nein! Vielleicht hilft ein deutscher Theologe? Klaus Berger – die Bibelfälscher
Vielleicht entstammen die Fragen ja meinen europäischen Wurzeln und Schaeffer als Amerikaner geht das Thema nicht so an, wie ich mir das wünschte. Daher suchte ich einen Autor im deutschsprachigen Raum, der mir kulturell näher stand. Ich kam auf Klaus Bergers “Die Bibelfälscher“ - eine gelungene Kampfschrift gegen die liberale Theologie, welche gut aufzeigt, wo die liberale Theologie enden kann (z.B. im “Jesus-Seminar”), aber leider die Forderung nach der “Nachprüfbarkeit” der Bibel auch nicht entkräften konnte.
Reicht nicht! Etwas aus Adolf Schlatters Leben..
Im “Timotheus-Magazin“ fand ich dann eine kurze Biografie Adolf Schlatters. Er studierte Theologie in einer Zeit, wo der Liberalismus gerade aufkam, und hatte mit mit den gleichen Fragen zu kämpfen. Erst das kontinuierliche Lesen in der Bibel liess ihn diese Krise überwinden, also fing ich einen Bibelleseplan an, um wenigstens Gott wieder näher zu kommen. Aber die Fragen blieben trotzdem.
Und schliesslich Karl Barth, Überwinder des Liberalismus
Dave Jäggi, hat mir das Bild rechts geschickt und ich dachte “vielleicht hilft mir Barth weiter. Oder er stürzt mich noch tiefer ins Zweifeln. Nunja, versuchen wir’s”. Ich las die 520-seitige Biografie über Barth “Karl Barths Lebenslauf” von Eberhard Busch. Barth hat den Liberalismus zuerst “einverleibt”, hat ihn geglaubt, die Ecken und Enden ausgelotet, und ihn dann widerlegt.
Das Ergebnis des Buchs vorweg: Mit Schaeffer war ich bisher erst imstande den Liberalismus wie einen Aussätzigen zu behandeln: Ich verbannte ihn weit von meiner Stadt, schloss die Tore zu und hoffte, dass er nie mehr den Weg in die Stadt finden würde. Doch ich hatte immer ein mulmiges Gefühl, da der Liberalismus irgendwo da draussen rumgeisterte. Was ist, wenn er eines Tages plötzlich unverhofft in meinem Haus auftaucht? Barth half mir nun, diesen Liberalismus kennenzulernen, seine Absichten und vor allem seine Schwächen aufzudecken, so, dass ich nun vermutlich weiss was zu tun ist, wenn er in meinem Haus auftaucht.
Zugegeben, ich habe nicht alles von Barth verstanden. Er ist nicht wirklich einfach zu verstehen (auch David Jäggi, der schon viel Barth gelesen hat, bezeichnet sich tröstlich als “Karl-Barth-Ein-Wenig-Verstehender”), manchmal bleibt Barth auch absichtlich vage. Wie dem auch sei – ich habe hier mit bestem Wissen und Gewissen die sieben für mich gewichtigsten Argumente gegen den Liberalismus niedergeschrieben.
Update: Ich habe viele Rückmeldungen zu diesem Artikel erhalten. Einige haben verstanden, dass ich auf Barths Linie sei. Das ist sicher nicht der Fall. Es gab aber Einiges aus Barths Lebenslauf, welche ich sehr relevant für die heutigen Glaubensfragen finde. Die untenstehenden Punkte sind also keine “volle Zustimmung zu Barth” sondern sozusagen ein Barth-Cherry-Picking.
Zu Karl Barths Leben: Er wuchs in einem gläubigen, orthodoxen, nicht-liberalen Elternhaus auf. Als er Theologie studierte, wurde er mehr und mehr liberal, bis er um 1920 seinen Weg aus dem Liberalismus herausfand. Er hat den Liberalismus also “einverleibt”:
eines der besten Mittel gegen die liberale und sonstwie üble Theologie besteht darin, sie eimerweise zu sich zu nehmen« (S. 55)
Nach seinem übermässigen Schluck Liberalismus kam Barth zum Schluss:
Freilich, diese Theologie ist »ein einziger Riesenschwindel, möchte man oft zornig schreien. Aber eben, die Einsicht, daß es so […] nicht geht, macht die Lage zwar klar, aber die Frage: Wie dann? nur um so bänger« (S. 164)
Der Rest seines Lebens war eine Suche nach dem “Wie dann?”; eine Suche nach dem Ort, wo die Liberalen falsch abgebogen sind:
1. Falls die Bibel nicht historisch gemeint ist, worauf soll der Glaube sich dann stützen?
Der Liberalismus – sofern ich ihn verstanden habe – funktioniert so: Lassen sich die Geschichten aus der Bibel (Heilungen, Auferstehung, etc.) mit ausserbiblischen Zeugnissen beweisen? Nein. Also ist die Bibel nicht als historisches Dokument zu verstehen, sondern als Beschreibung, was Menschen zu dieser Zeit über Gott geglaubt haben.
Barths Antwort:
an Ostern [ist] Jesus seinen Jüngern gegenüber getreten, und erst so sei ihr Glaube ermöglicht worden (S. 360)
Der Glaube an Gott muss an etwas aufgehängt werden; nämlich an Historischem, Tatsächlichen und nicht an einer Bibel die sich nur als “so haben Leute vor 2000 Jahren geglaubt” versteht. Eine »isolierte Lehre vom Glauben«, meint Barth, funktioniere eben so nicht, denn es fehlt ihm ein »Gegen-Stand eines persönlichen Gegenübers« (S. 464).
2. Ok, die Bibel ist historisch nicht nachweisbar, so what?
Was mich überrascht hat: Barth versucht gar nicht erst, die Bibel historisch nachzuweisen. Er lässt Bultmann et. al. einfach ins Leere laufen. Seine Antwort ist de facto: “So what? Wieso muss sie historisch nachweisbar sein?”. Er schreibt:
»Gibt es denn nicht auch historisch nicht nachweisbare und doch wirkliche Geschehnisse?«
Klar gibt es sie, wir alle erleben sehr relevante Dinge in unserem Leben, die passiert sind, welche wir aber nicht beweisen können. Auch an den Urknall glauben viele, obwohl er historisch nicht belegt ist. Und nun meint Barth, dass der Liberalismus die Bibel …
unter das »moderne Weltbild« stelle und so von vornherein im Blick auf den biblischen Inhalt gebunden und verpflichtet ist (S. 360)
Barth behauptet also nicht, dass die Bibel historisch beweisbar ist, findet aber, dass man dieser Frage nicht viel Bedeutung beimessen sollte.
3. die Strategie des Liberalismus - nämlich dem aufgeklärten Menschen den Glauben näher zu bringen – greift nicht
Eigentlich hätte der Liberalismus ja die Kirchen füllen sollen. Stattdessen sind die reformierten Kirchen nun leer. Barth dazu etwas giftig:
die ›Interesselosigkeit der Allgemeinheit gegen die protestantische Kirche‹ erklärt sich daraus, daß die protestantische Kirche seit ca. 200 Jahren tatsächlich weithin aufgehört hat, interessant zu sein (S. 229)
Barth hatte recht: Was am Anfang wie eine Revolution aussah; nach einer Möglichkeit, dem modernen Menschen endlich den Glauben an Gott nahezubringen, entpuppte sich dann als eine langweilige Geschichte, und das kritisiert Barth, weil…
ich sie viel zu humorlos fand, ferner, weil ich sie gerade für das ›Gespräch‹ mit dem modernen Menschen, auf das man ja damit im Besonderen hinauswollte, nach meinen Erfahrungen … nicht für ein erfolgreiches Instrument halten konnte (S. 401)
Während Barths Lehrtätigkeit flammte das Interesse für Bultmanns Entmythologisierung auf, aber ein paar Jahre später ist das Interesse dann auch wieder abgeflaut. Barth dazu:
ich freue mich besonders, … daß die Aufmerksamkeit der nachrückenden Generation sich von der im letzten Jahrzehnt das Feld allzu sehr beherrschenden Methoden- [Anm: historisch-kritische Auslegung] auf die Sachfragen zu verschieben scheint.
4. der Liberalismus fokussiert sich auf ein System – und verpasst dabei Gott
Was Barth so sympathisch macht: Er entscheidet immer “von Fall zu Fall”. Er ist sozusagen unvorhersehbar. Das kommt daher, dass er sich gegen zu viel Systematik wehrt:
Ein guter Theologe wohnt nicht in einem Gehäuse von Ideen, Prinzipien, Methoden. Er durchschreitet alle solchen Gehäuse, um immer wieder ins Freie zu kommen. (S. 435)
Sein Blick bleibt stets auf Gott und er betreibt gerade so viel Systematik wie nötig, um Gott beschreiben zu können. Seine Kritik: Der Liberalismus hat zum Programm, die Bibel “neu zu verstehen”, ein Raster zu machen, wie man welche Geschichte zu verstehen habe. Barth kritisierte die historisch-kritische Exegese nicht prinzipiell, schien aber immer “von Fall zu Fall” zu entscheiden: er war gegen eine Diskussion rein über die Methode der Auslegung, sondern viel mehr für die Auslegung konkreter Texte. Er meinte:
Hermeneutik ist kein selbstständiger Gesprächsgegenstand, ihr Problem kann nur in unzähligen hermeneutischen Akten – … alle auf den Inhalt der Texte bezogen – angegriffen und beantwortet werden (S. 362)
Statt sich Diskussionen zu widmen, ob die Bibel nun wörtlich gemeint ist oder nicht, hat sich Barth lieber damit auseinandergesetzt, wie Gott ist.
5. Liberalismus denkt vom Menschen aus, wahrer Glaube denkt von Gott aus
Die zentralste Aussage von Barth ist wohl die, dass Gott ›ganz anders‹ ist als wir. Dass wir Gott nicht in eine “Box” stecken und anschreiben können. Dass er die Ursache ist. Diese Gedanken decken sich mit der Bibel: Gott ist Schöpfer des Universums. Er hat Israel aus Ägypten geführt. Es war seine Idee, Jesus auf die Erde zu senden, usw.
Da der Liberalismus annimmt, dass eh nichts wahr ist; dass Menschen sich im Nachhinein die Geschichten überlegt hätten, dreht sich das Ganze und der Mensch wird zur Ursache. Barth dazu:
[Im Liberalismus] war immer schon alles fertig ohne Gott. Gott sollte immer gut genug sein zur Durchführung und Krönung dessen, was die Menschen von sich aus begannen (S. 112)
Was Barth aber anstrebte, ist …
dass Gottes Sache ausschließlich seine eigene Sache ist (S. 112)
Dieses Anliegen hat er seinen Mit-Theologen vorgetragen, zuerst beim Tambacher Vortrag (1919). Und nun kommen wir zu meinem Lieblingszitat aus “Karl Barths Lebenslauf”: Barth war sich wohl bewusst, dass er gerade dabei war, den Liberalismus anzugreifen, er schreibt über seinen eigenen Vortrag:
es ist eine nicht ganz einfache Maschine geworden, vorwärts- und rückwärtslaufend, nach allen Seiten schießend, an offenen und heimlichen Scharnieren keinen Mangel. (S. 123)
Barth bekämpfte diesen eingeschlafenen, von-mir-aus-denkenden Glauben des Liberalismus und macht Mut sich dem “Abenteuer Gott” zu stellen – dem Gott, der so ganz anders, unkontrollierbar ist:
so ist Gott […] die Begrenzung des Menschen; er bringt ihn nicht ins Gleichgewicht, sondern in die Unruhe in die »Krisis« (S. 132)
6. Liberalismus – und auch Fundamentalismus – nehmen der Bibel das letzte Wort weg
Da der Liberalismus schon von vornherein sagt, wie die Bibel zu verstehen ist (nämlich als ein Zeitzeugnis der Menschen und nicht als Gottes Offenbarung), nimmt er der Bibel das letzte Wort weg. Er hört ihr gar nicht zu, wie sie gelesen werden will, sondern schreibt ihr von vornherein vor, wie sie zu verstehen sei. Barth: Beim Lesen der Bibel darf unter keinen Umständen …
die Freiheit des Wortes Gottes … beschränkt werden durch eine Souveränität, die wir an seine Bezeugung schon herantragen, sondern es muß ihm seine Souveränität gelassen werden (S. 483)
Damit kritisiert er auch den Fundamentalismus, insofern er mit der Bibel genau dasselbe macht, sie nämlich von vornherein als “wörtlich inspiriert” betrachtet, bevor er ihr überhaupt richtig zugehört hat.
Barth ist aber weder dafür, dass die Bibel wörtlich inspiriert ist, noch dafür, dass sie stets übertragen zu verstehen ist, sondern er urteilt die Texte Fall für Fall. Er ruft dazu auf, das Wort Gottes ernst zu nehmen, darüber zu meditieren, bis man versteht, wie es gemeint ist:
Die der Theologie gestellte Aufgabe besteht … praktisch im »Nachdenken des vorgesagten und vorbejahten Credo«, [nämlich] im Fragen nach dem Verstehen - unter der Voraussetzung dass es wahr ist - nur eben gefragt wird »inwiefern es wahr ist« (S. 219)
Dazu gehört auch, sich zu überlegen wie es gemeint ist; manchmal ist es wörtlich zu verstehen, manchmal nicht. Das ist anstrengender als die eiserne Überzeugung, dass die Bibel überall wörtlich zu verstehen ist. Hier ist Barth sicher liberaler als die Evangelikalen. Doch wendet man dieses Ringen mit dem Text richtig an, so kann die Bibel davor bewahren, dass sie den Menschen zur Kuriosität verkommt (z.B. beim Festhalten daran, dass die Erde 6000 Jahre alt ist).
Zugegeben, die Gefahr ist, dass diese Methode als Vorwand benutzt wird, um die Bibel so zu lesen wie es gerade der Zeit entspricht, dass man die Bibel an die Gesellschaft anpasst (z.B. bezüglich Sexualität) und behauptet, diese Stellen seien eben gerade nicht wörtlich zu verstehen. Aber auf der anderen Seite kann auch der Fundamentalismus ein guter Vorwand sein, auf seinem Punkt zu verharren und Gott keine Gelegenheit zum Sprechen zu geben.
Mich jedenfalls hat Barth aufgerufen, noch mehr mit Gottes Wort zu ringen. So wie mich der Liberalismus von Gottes Wort abgeschnitten hat, haben Barths Überlegungen mich zur Bibel zurückgerufen.
7. Liberalismus will das Anliegen der Aufklärung erfüllen – und verfehlt das Ziel um Kilometer
Die grösste Ironie der Aufklärung – finde ich – ist Folgendes: Das Ziel der Aufklärung war, durch Anwendung des Verstands herauszufinden, wer wir sind, und woher wir kommen. Dann kam die Wissenschaft und erklärte, dass es nur Materie gebe und damit basta. Und damit war die eigentliche Frage gar nicht beantwortet und noch schlimmer: Es wird behauptet, die Frage sei gar nicht relevant.
Liberalismus, da verstandesgetrieben, läuft in die gleiche Sackgasse, und bemerkt es nicht – weil sie sich stets um ihre historisch-kritische Methode kümmert, Karl Barth meint dazu, er sei …
mitnichten gegen die wissenschaftliche Theologie, aber dagegen, dass sie sich in ihrer modernen Gestalt »von ihrem (zuletzt durch die Reformation deutlich gestellten) Thema entfernt« habe.
Der Glaube an Gott auf der anderen Seite gibt Antwort auf die Fragen “wer sind wir?” und “woher kommen wir?”, aber, er ist unkompatibel zur Wissenschaft.
Nun, diese gegengesetzte Polarität von Glaube und Wissenschaft (wie Öl und Wasser) hat Barth nach dem Studium von Anselm von Canterburys Gottesbeweis geknackt (Barths Buch dazu: Fides quaerens intellectum, das auf meiner Leseliste steht).
Barths Beweisführung geht in etwa so: Die Wissenschaft (und insbesondere die Mathematik) ist gegründet auf Postulaten; das sind Grundannahmen, welche man nicht beweisen kann, die es aber für den ganzen wissenschaftlichen Apparat einfach braucht (Nebenbemerkung: Gödel hat bewiesen, dass man nicht beweisen kann, dass so ein Postulat-System in sich widerspruchsfrei ist).
Das Ärgerliche ist nun, dass sich eben mithilfe dieser Postulate die Grundfragen der Menschheit nicht beantworten lassen. Das heisst, für den Glauben braucht es ganz andere Postulate, und Barth schlägt vor, dass dieses Postulat die “Auferstehung Jesu Christi von den Toten” ist:
[Heinrich Scholz] wollte uns doch so eine Kappe von Wissenschaftlichkeit über den Kopf ziehen – so und so sieht wahre Wissenschaft aus. Dort hieß es ›Vogel friss oder stirb!‹ … Die Wissenschaft der Theologie ist auf die Auferstehung Jesu Christi von den Toten begründet. (S. 220)
Und damit hat Barth das Christentum in eine Wissenschaft verwandelt – und damit das Anliegen der Aufklärung erfüllt: nämlich eine verständliche Erklärung zu haben, wer wir sind, und woher wir kommen. Zugegeben, das ist vielleicht nicht gerade im Buchstaben der Aufklärung, aber zumindest im Geist der Aufklärung.
Und nun zum bewegendsten Zitat, das ich aus seiner Biografie mitnahm:
Unter allen Wissenschaften ist die Theologie die schönste, die den Kopf und das Herz am reichsten bewegende, am nächsten kommend der menschlichen Wirklichkeit und den klarsten Ausblick gebend auf die Wahrheit, nach der alle Wissenschaft fragt (S. 257)
Zu Barths’ Leben: Er hatte trotz starker Meinung viele Freunde
Zum Abschluss noch etwas, was mir an Barths Biografie positiv aufgefallen ist: Barths Fähigkeit mit Menschen umzugehen. Er war sehr meinungsstark und kampflustig, und doch gelang es ihm, die Menschen einfach zu nehmen, wie sie sind, und das hat ihm in jedem Lebensabschnitt viele Freunde beschert. Ein paar Zitate:
Er [Georg Merz] ist für mich eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür, daß die Gemeinschaft zwischen Menschen darin besteht, daß man sich ihre Anziehungskraft gefallen läßt, daß man aus aller Kraft an ihnen rüttelt, daß man sich nicht verwundert, sie im Grunde nicht ändern zu können, und daß man sich dann dennoch und gerade so mit ihnen zusammen ›aufgenommen‹ sein läßt (S. 379)
An einer anderen Stelle:
Bruder Niemöller, mußte das notwendig so gesagt werden? … Langweilig ist es nie um ihn herum, aber oft etwas gefährlich. Und daß es ihm nicht um sich selbst, sondern um die Sache geht, das kann wohl auch dem nicht ganz entgehen, der nur oberflächlich mit ihm in Berührung kommt. Doch ist es nicht immer leicht, die heftig zugreifende, nervöse, gelegentlich herrische Person als Träger dieser Sache gelten zu lassen (S. 246)
Und:
Heinrich Vogel mochte Barth besonders gern: »nicht auch zuletzt auch darum, weil ich mich mit ihm necken darf«, aber natürlich vor allem darum, weil er ein so klarsichtiger Kämpfer war, »der, verhutzelt und aufgeregt wie er ist, einfach immer wieder da ist, seine Arme kreisen läßt wie eine Windmühle und ›Bekenntnis, Bekenntnis!‹ schreit und in seiner Weise tatsächlich ablegt« (S. 262)
Epilog: wieso Schaeffer und Barth wie Katz’ und Hund waren
Trotz all dem Positiven, welche die Lektüre von Barth bietet: Es gibt auch ein paar Schattenseiten. Was mich am meisten gestört hat, ist, dass Barth wenig in seinem unmittelbaren Umfeld gewirkt hat: Die Beziehung zu seiner Frau hat er seinem Studium untergeordnet; so sehr, dass er sich schlussendlich in seine Mitarbeiterin verliebt hatte. Zudem hatte er die Erziehung seiner Kinder vernachlässigt. Zudem ging es ihm recht wenig um den Aufruf zur Bekehrung: Er findet, dass solche Aufrufe – zum Beispiel bei Billy Graham – viel zu konkret seien, sie sollten viel indirekter sein, etc. Ganz allgemein war er mir zu wenig pietistisch, dafür ein grossartiger Denker.
Demgegenüber hat Schaeffer viel mehr direkt gewirkt. Er hat den Menschen viel direkter in ihr Leben hinein gesprochen. Seine Verkündigung war viel mehr “auf den Punkt” als bei Barth, mit der Kehrseite, dass Schaeffer manchmal zu salopp war: Schaeffer und Barth haben sich einmal getroffen und man muss sagen, dass Schaeffer Barth nicht verstanden hat. Er hat ihn in den gleichen Topf geworfen wie die Liberalen, die Barth ja so vehement kritisiert hat.
David Jäggi hat über diese Zusammenkunft ein Buch geschrieben, das sehr aufschlussreich erklärt, was die Agenda dieser zwei Männer war. Kurz: Das Treffen ging nach hinten los, es gab null Verständigung, und Barth war danach nicht mehr bereit, sich nochmals zu treffen.
Obwohl Barth nicht so liberal war, wie Schaeffer es meinte, wäre er gemäss Schaeffers Wasserscheide-Analogie sicher auf der “falschen Seite” gelandet. Doch war Barth angepasst? Hat er sich einfach in die Gesellschaft eingereiht? Genau dies passiere gemäss Schaeffer bei Menschen, welche die Bibel nicht absolut wörtlich nähmen.
Bei Barth passierte dies nicht. Er hat sich im Zweiten Weltkrieg laut gegen den Nationalsozialismus geäussert, wurde aktiv, war federführend in der Bekennenden Kirche in Deutschland, hat Bonhoeffer von England zurück nach Deutschland gebeten. Er hat gerade dazu aufgerufen sich nicht dem Zahn der Zeit anzupassen:
die Not der Kirche … ist die Anpassung … an das gegenwärtig moderne Reden von Schicksal, Autorität, Ordnung usf. (S. 221)
Er hat seine Überzeugung nie verheimlicht, hat dadurch auch überall angeeckt und meinte dann:
wer mich nicht so haben will, der kann mich überhaupt nicht haben. (S. 238)
Noch eine Episode ganz zum Schluss: Als er Professor in Deutschland war, wurde ihm befohlen, vor den Vorlesungen jeweils den Hitlerschwur aufzusagen. Barth war bereit, dies zu tun, mit einem Zusatz:
Dieser von mir vorgeschlagene Zusatz lautete: dem Führer Treue leisten zu können nur, »soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann«. (S. 268)
Natürlich kam er damit nicht durch, und Barth benutzte sein Erscheinen vor dem Richter dazu, diesem die Absurdität dieser Forderung und auch des ganzen totalitären Staates zu zeigen:
Sie, die Richter, sollten nun im Interesse des Staates erklären, daß es mit jener Totalität nichts sei … Wenn sie das nicht tun, … so müßten sie sich klar darüber sein, daß sie damit Hitler zu einem inkarnierten Gott machten [und] gegen das erste Gebot aufs Schwerste verstossen (S. 270)
Kommentare