Wieso gedeiht Glaube im Gefängnis besser als im Wohlstand?

auf dem dritten Boden ersticken Sorgen, Reichtum und Begierden die Pflanze und sie bleibt kümmerlich

Nach vierzehn Jahren Haft in kommunistischen Gefängnissen wird Richard Wurmbrand freigekauft und flüchtet in das Christentum des Westens. Doch was findet er vor?

Gläubige Christen? (Denn sie können ja gefahrlos die Bibel lesen)
Starke Gemeinden? (Denn in Freiheit können sie ihre Gottesdienste abhalten)
Wachsende Gemeinden? (Denn das Evangelium kann frei und offen verkündigt werden)

Nein, was er vorfindet, sind schwache Gemeinden. Und er wünscht sich sogar zurück in die Untergrundkirche Russlands!

Ich leide im Westen mehr, als ich in kommunistischen Ländern gelitten habe. Mein Leiden besteht vor allem in der Sehnsucht nach der unaussprechlichen Schönheit der unterdrückten Kirche.

Eines seiner Bücher (Gefoltert für Christus) habe ich gelesen, und fand es bizarr, dass der Glaube in unterdrückten Kirchen stärker ist als in Kirchen in freien Ländern. Wieso ist das nur so?

Mir ist das Gleichnis des Sämanns in den Sinn gekommen: Der dritte Boden ist der, wo der Samen unter Dornen fällt und die Pflanze nur zu einer kümmerlichen Gestalt wächst. Die Dornen, erklärt Jesus, sind Sorgen, Reichtum und Begierden. Insbesondere den Reichtum zeichnet unsere Länder aus. Schwer ist’s für einen Reichen ins Reich Gottes zu kommen. Wieder und wieder warnt uns die Bibel vor dem »Betrug des Reichtums«. Doch wie können wir seinem Betrug entgehen? Wie können wir die Dornen wegreissen, um unsere Pflanzen zu vollem Wuchs zu bringen? Müssen wir in ein Land auswandern, wo Christen-Verfolgung herrscht? Wohl kaum. Und doch ist mir nicht recht klar, wie ich mich vor dem Betrug des Reichtums schützen kann.

Und darum geht es mir nicht mal um die Überlegung, wie ich ein „besserer Christ“ sein kann. Es geht mir um die Fülle, die Gott beim vierten Boden verspricht. Was, wenn alle Dornen aus meinem Leben weg sind, die mir das Licht und die Nährstoffe wegnehmen?

Hier ein paar wertvolle Lektionen aus Wurmbrands Buch:

Welt gering achten

Irgendwie ist allen klar, dass Besitz nicht alles ist, dass wir unser Erbe im Himmel haben etc. aber Wurmbrand bringt das auf einen ganz anderen Level. Am meisten (positiv) schockiert hat mich seine Beschreibung, dass in Untergrund-Publikationen Eltern aufgefordert werden…

ihre Kinder zu Begräbnissen mitzunehmen, damit sie früh lernen, über vergängliche Dinge nicht zu jammern (S. 113)

Normalerweise lernen wir als Christen unseren Besitz, unseren Konsum zu drosseln, aber wenn es um andere Bereiche wie Tot, Krankheit, Gefängnis geht, dann hört der “Spass” bald auf. Wurmbrand erzählt in der folgenden Episode, wie sein Sohn zum Glauben gekommen war, nämlich als er gesehen hat, dass seine Mutter den Glauben an Jesus als wertvoller erachtete als Gesundheit und Freiheit:

Nachdem zwei Jahre von der Haftzeit meiner Frau verstrichen waren, erlaubte man ihm (Anm: Mihai, dem Sohn) einen kurzen Besuch. Er kam in das kommunistische Gefängnis und sah seine Mutter hinter Eisengittern. Sie war schmutzig, abgemagert, hatte schrundige Hände und trug die schäbige Sträflingskluft. Er erkannte sie kaum wieder. Ihre ersten Worte waren: “Mihai, glaube an Jesus!” In wilder Wut zerrten die Wachen sie von Mihai weg und führten sie ab. Mihai weinte, als er mit ansah, wie seine Mutter fortgestossen wurde. Dies wurde die Stunde seiner Bekehrung. Wenn jemand unter solchen Umständen Christus noch lieben konnte, dann war Er sicherlich – das erkannte er jetzt – der wahre Erretter. (S. 47)

Furchtloses Bekennen

Mehr als einmal fand ich mich in einer Situation, wo ich dachte: “Sag ich nun etwas oder nicht?“ Und ich wusste: Wenn ich jetzt mein Mund auftue, dann werde ich keinen Applaus ernten.

Bei Wurmbrand stand noch viel mehr auf dem Spiel und er hat seinen Mund aufgetan – konsequent. Am Anfang seines Leidenswegs war eine Konferenz, wo 4’000 Priester, Pastoren und Prediger aus allen Denominationen versammelt waren und sie aufgerufen wurden, der neuen kommunistischen Kirche die Treue zu schwören:

Einer nach dem anderen, ob Bischof oder Pfarrer, erhob sich in unserem Parlament und erklärte öffentlich, daß der Kommunismus und das Christentum in ihren Grundlagen gleich seien und friedlich nebeneinander bestehen könnten. Ein Geistlicher nach dem anderen fand preisende Worte für den Kommunismus und versicherte der neuen Regierung die treue Mitarbeit der Kirche. Meine Frau saß neben mir und sagte zu mir:
“Richard, steh’ auf und wasche diese Schande vom Antlitz Christi! Sie speien ihm ins Gesicht.”
Ich sagte zu meiner Frau: “Wenn ich das tue, verlierst Du Deinen Mann.” Sie erwiderte: “Ich möchte keinen Feigling zum Mann haben.”
Da stand ich auf und sprach zu diesem Kongreß. Ich pries nicht die Mörder der Christen, sondern Christus und Gott und sagte, daß wir zuallererst ihm unsere Treue schulden. Alle Reden auf diesem Kongreß wurden durch den Rundfunk übertragen, und das ganze Land konnte die von der Rednertribüne des kommunistischen Parlaments verkündigte Botschaft von Jesus Christus hören. Später mußte ich dafür bezahlen, aber das war es wert gewesen.

Vater vergib’ ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun

Insgeheim empfand ich den Ausspruch Jesu’ bei seinem Tod (»Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun«), den auch Stephanus bei seiner Steinigung rief, als nicht nachvollziehbar. Wie kann jemand in seinen Todesqualen die Motivation der anderen verstehen? Bei Wurmbrand finde ich Ähnliches vor: Er hat echtes Mitleid mit den Menschen im Kommunismus. Er versteht sie, dies half ihm sogar seine Folterer zu lieben. Sein Glaube überwand die Welt:

Oft fragte ich die Folterer: “Habt ihr tatsächlich kein Mitleid in euren Herzen?”
Gewöhnlich antworteten sie mit einem Zitat von Lenin: “[…] man kann kein Holz spalten, ohne dass Späne fliegen”.
Ich entgegnete: “[… Aber] wenn ein Stück Holz gespalten wird, fühlt es nichts. Hier aber habt ihr es mit menschlichen Wesen zu tun. Jeder Schlag verursacht Schmerzen, und es gibt auch noch Mütter, die weinen.”
Es war alles umsonst. Sie sind Materialisten. Für sie existiert nichts als Materie, und ein Mensch ist für sie wie ein Stück Holz […]. Mit solchem Glauben sinken sie in unvorstellbare Tiefen der Grausamkeit.
[…] Wenn ein Krokodil einen Mensch auffrißt, erregt das mein Mitleid, aber ich kann das Krokodil nicht verdammen. Es ist eben ein Krokodil. Es ist kein moralisches Wesen. Ebenso wenig kann man über die Kommunisten ein moralisches Urteil fällen. Der Kommunismus hat in ihnen jedes moralische Gefühl zerstört.

Die Notwendigkeit eines Lebens ohne Ruhe

Wurmbrand war erfrischend menschlich: nach vierzehn Jahre Kerker war er in der Freiheit und genoss die Ruhe. Und er wollte nun eigentlich in Abgeschiedenheit leben, doch es drängte ihn, wie auch Jeremia, er hatte dann eben doch keine Ruhe. Er ging diesem “Ruf” nach:

Auch ich möchte die Seligkeit meines geistlichen Weinbergs tief verschlossen in meinem Herzen bewahren und nicht in einen solchen Kampf der Geister hineingezogen werden. Wie gern wäre ich irgendwo in Ruhe und Abgeschiedenheit! Aber es ist nicht möglich. Die Gefahr des Atheismus steht vor der Tür. (S. 84)

Nicht vom Glauben ausgehen

Ein Letztes noch: etwas, was ich schon bei Lloyd-Jones gelesen habe: In unseren Gemeinden gehen wir eigentlich stets davon aus, dass die Besucher unserer Gottesdienste glauben, und wenden wir uns in den Predigten “fortgeschrittenen Lehren” zu. Und doch, wenn ich auch mich selbst ansehe: Habe ich nicht so oft Zweifel? Denn hätte ich vollen Glauben, würde mein Leben dann nicht ganz anders aussehen? (Meine eigene Schlussfolgerung: Auch in unseren Gottesdienst hat Apologetik ihren Platz für, ja es besteht sogar Bedarf!)

S. 94: Die Pfarrer hier im Westen setzen gewöhnlich voraus, dass diejenigen, die in die Kirche kommen, von den Wahrheiten des christlichen Glaubens wirklich überzeugt sind, was aber vielfach gar nicht der Fall ist. Man hört selten eine Predigt, die die Wahrheit unseres Glaubens erweist. Hinter dem Eisernen Vorhang jedoch geben Menschen, die es nie gelernt haben, ihren neu gewonnenen Glaubensbrüdern eine feste Grundlage ihres Glaubens.

Über das Buch

Gefoltert für Christus

Das Buch Gefoltert für Christus (168 S) kann ich sehr empfehlen. Die Beschreibungen über die Folterungen sind wohl für den einen oder anderen etwas zu heftig, doch die Herrlichkeit Jesu’ dringt durch das Buch voll durch, ich finde sogar noch mehr als in “The Hiding Place” von Corrie ten Boom. Das Buch ist hier als Download erhältlich.

Hanniel hat hier eine Buchbesprechung publiziert.

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