Am ersten Arbeitstag dieses Jahrs kam ein Email von unserer Geschäftsleitung. Die Details und Auswirkungen der neuesten Reorganisation wurden darin erklärt. Innerhalb von Minuten wurde mir klar, dass damit gerade meine Arbeit vom letzten Jahr zunichte gemacht wurde. Das Einarbeiten in ein neues Thema. Das Aufbauen eines Teams. Die geleisteten Überstunden zulasten der Familie. Der versprühte Enthusiasmus in die Projekte. Alles dahin. In Theorie sah ich die Vorteile dieser Reorganisation aber in der Praxis merkte ich, dass ich dabei das Bauernopfer wurde.
In diesen Momenten wird für mich der Glaube real. Es gibt keine Vorbereitungs-Zeit, das Unheil trifft zur unerwarteten Stunde. Diese Situation bringt zutage, welcher Glaube in mir steckt. Ob er hält, oder ob ich flüchte, mich verkrieche, Ablenkung suche oder dergleichen. Es ist das läuternde Feuer, welche das goldhaltige Gestein läutert. Kommt Gold raus oder nicht? Meine Überzeugung ist, das Gott diese Momente nicht nur zur Läuterung einsetzt, sondern auch zum Zeugnis. Er will uns zu Vorbildern machen. Denn geduldig leiden, das ist fürwahr eine Seltenheit und lässt Mitmenschen aufmerken.
Ein solches Vorbild ist mir eine christliche Familie, die seit zwölf Jahren im Nahen Osten lebt. Ihre Mission: der Aufbau eines Ausbildungszentrums. Sie nehmen viele Entbehrungen auf sich: ihre Kinder wachsen in einem fremden Land auf ohne normale Schulbildung. Wasser und Strom sind rationiert und gibt es nur zu gewissen Tageszeiten. Sie müssen eine fremde Kultur und Sprache kennenlernen, sind fern von den Eltern, welche in der Schweiz Pflege bräuchten etc.
Nach elf Jahren sah es so aus, als dass das Projekt nicht zustande kommt, weil es durch ein staatliches Vorhaben ersetzt und damit überflüssig wird. Enttäuscht kommt die Familie zum Heimat-Urlaub in die Schweiz. Ohne Perspektive, denn ihr Vorhaben scheint gescheitert. Nachdem sie nach dem Urlaub wieder in den Nahen Osten fahren, wird die Regierung auf ihr Projekt aufmerksam und beginnt es zu fördern. Es wird offiziell als Ausbildungsstätte anerkannt. Die ersten Lehrlinge treffen ein. Die Ausbildung beginnt. Die elf Jahre Arbeit zeigt endlich Früchte. Stolz erzählen sie in Rundbriefen vom positiven Ausgang.
Dann, ein halbes Jahr später kommt Corona. Die Regierung braucht die Räumlichkeiten der Ausbildungstätte. Zunächst ist nicht klar, für wie lange, doch nach ein paar Monaten wird der Familie klar: Die Lehrlinge können ihre begonnene Ausbildung nicht abschliessen. Das Projekt ist auf unbestimmt pausiert.
Wir treffen die Familie auf einem erneuten Heimaturlaub. Ich frage sie, wie es für sie sei, da das Projekt gerade endlich angelaufen ist, es so aussah als würde Gott die lange Zeit segnen, und nach nur einem halben Jahr zu einem abrupten Halt kommt, so als wäre “alles für Nichts” gewesen. Ihre Antwort: Gott weiss, was er macht. Er hat einen Plan. Er zeigt ihnen seinen Plan zwar nicht, aber er zeigt ihnen immer den nächsten Schritt. Sie haben gelernt, sich daran zu genügen.
Das Vertrauen in Gottes weise Führung strahlt aus ihren Gesichtern. Es sind keine frommen Worte, sondern ein ehrliches Vertrauen. Ein Vertrauen darauf, dass sie Teil von Gottes Plan sind, der halt für sie momentan keinen Sinn ergibt, der aber aus Gottes Sicht sehr wohl Sinn macht.
Mir kommt 1. Petrus 4,1-2 in den Sinn:
Da nun Christus für uns im Fleisch gelitten hat, so wappnet auch ihr euch mit derselben Gesinnung; denn wer im Fleisch gelitten hat, der hat mit der Sünde abgeschlossen, um die noch verbleibende Zeit im Fleisch nicht mehr den Lüsten der Menschen zu leben, sondern dem Willen Gottes.
Ihr Beispiel ist ein helles Licht. Wie oft treffe ich auf Menschen, deren Vorhaben gerade gelingt. Ihr Herz scheint aufrichtig und selbstlos. Dann scheitert das Vorhaben und das wahre Herz kommt zum Vorschein: sie werden bitter und zynisch, weil “ihr” Projekt nicht den von ihnen gewünschten Ausgang genommen hat. Sie zeigen mit dem Finger auf Schuldige. Die Schuldigen waren am Anfang ihre Freunde, ihre Mitstreiter, doch durch den Misserfolg wurden sie in ihren Augen zu boykottierenden Verrätern.
Ein anderes Vorbild ist Tim Challies. Für die ihn nicht kennen: Er hat einen populären christlichen Blog. Vor ein paar Monaten starb sein Sohn. Er war 20 Jahre alt und seit ein paar Monaten verlobt. Er starb plötzlich beim Sport. Tim Challies schrieb über den tragischen Tod, wie auch über seine Trauer, sein Ringen mit Gott und seinen Glauben. Es ist schwierig, so etwas auf einem öffentlichen Blog zu tun und fremde Menschen teilhaben zu lassen an einer Tragödie. Und es ist mir auch bewusst, dass einiges was er jetzt schreibt, nur ein paar Wochen nach dem Tod, noch unabgeschlossen ist, dass es noch nicht die Quintessenz ist. Und doch würde ich mir hoffen, ich würde bei einem solch tragischen Moment so reagieren, würde mein Glauben solche Worte hervorbringen:
Es fühlte sich an wie eine Prüfung - eine Prüfung meines Glaubens, eine Prüfung meiner Überzeugungen, eine Prüfung meiner Liebe für Gott.
Haben wir uns nicht alle gefragt, ob unser Glauben einen erschütternden Schlag aushält wie den plötzlichen, unerklärbaren Tod eines Kindes? Ich bestimmt.
In diesem Moment hatte ich die Wahl, ob mein Glauben mich mehr zu Gott treiben wird oder von ihm weg. Ich musste mich entscheiden ob ich mich unterwerfe oder rebelliere.Oft habe ich die Herrlichkeit von Gottes Güte und Souveränität verkündigt, doch das war einfach, da sie sich konstant mit meinen eigenen Wünschen deckten.
In diesem Moment hatte ich die Wahl: würde ich in der Dunkelheit dasselbe verkünden, was ich im Licht zelebrierte? Oder würde ich stattdessen erlauben, dass meine Umstände meinen Glauben umstossen? Ich musste wählen, ob meine Glaubenssätze mich zu Gottes Trost ziehen würden, oder ob sie mich von ihm im Zorn entfremdeten.