Chesterton
Orthodoxie

16 Zitate aus Chesterton's Orthodoxie
als Bilderbuch
mit Erklärungen

Philipp Keller

 

 

Erklärung: Die Wissenschaften können wohl die physikalischen Gesetze (Sonne, Mond und Sterne, Blitz und Donner, etc.) erklären, doch was den Menschen tatsächlich bewegt, sind andere Dinge, und auf diese alltäglichen Fragen (z.B. Liebe, Angst, Tod) findet der Materlialist (=Atheist) keine Antwort. Ja, was bringt dann die Wissenschaft, wenn sie nicht mal diese einfachen Dinge erklären, ja nicht mal beschreiben kann?

Bild: Der Sturm auf dem See von Galiläa, Rembrandt, 1633

Der Materialist begreift alles, und was er begreift, scheint das Begreifen gar nicht zu lohnen. Er weiß nichts von den wirklichen Dingen auf Erden, den kämpfenden Völkern oder stolzen Müttern, der ersten Liebe oder der Todesangst auf dem offenen Meer. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Chesterton geht hier auf eine Gegenströmung des Materialismus ein: Der Materialist glaubt nur das, was man "messen" kann. Der rechts beschriebene Skeptiker aber glaubt, dass die Welt nur eine Erfahrung von uns selbst ist und dass wir die Welt in unserem Kopf selbst schaffen können (Immaterialismus), das Resultat ist ein Ichkult, wie wir ihn auch heute noch erleben.

Und dann gibt es den Skeptiker, der die Überzeugung hegt, daß er selbst der Anfang von allem ist. Für ihn sind seine eigenen Freunde Märchengestalten, die er selbst erdichtet hat. Vater und Mutter sind seine eigenen Geschöpfe. Diese schreckliche Phantasterei übt auf den geradezu mystischen Ichkult unserer Tage einen unverkennbaren Reiz aus. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Tolstoi findet alles Handeln böse, Nietzsche alles Handeln gut. Und so werden beide untätig, weil sie keine Entscheidungen fällen können, da sie schlicht nicht beurteilen können welcher Weg nun besser ist:

Beide sind sie ohnmächtig - der eine, weil er nichts festhalten, und der andere, weil er nichts loslassen darf. Der Tolstoische Wille ist gelähmt durch das buddhistische Gefühl, daß jedes beschränkte Handeln böse ist. Aber der Nietzscheaner ist ebenso gelähmt durch seine Ansicht, daß jedes beschränkte Handeln gut istChesterton: Orthodoxie, S. 90

Bild: Footpaths to Hexgreave Park and Kirklington from Southwell Trail, Richard Croft

Tolstoi und Nietzsche stehen am Scheideweg. Der eine haßt alle Wege, während der andere sie alle liebt. Das Ergebnis ist nicht schwer vorherzusehen - sie stehen und stehen am Scheideweg -- Chesterton, Orthodoxie

Zur Erklärung ein weiteres Zitat:

Der heutige Skeptiker stellt alles in Frage, nichts ist mehr tabu. So ist Revolution praktisch nicht mehr möglich, da schon gegen alles mal protestiert wurde Orthodoxie, S. 89

Bild: Ballhausschwur, Französische Revolution, Federzeichnung von JacquesLouis David, 1791

Revolution lässt sich mit dem modernen Menschen praktisch nicht mehr machen. Gegen alles aufbegehrend, hat er das Recht verloren, sich gegen irgend etwas zu erheben. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Die gängige Behauptung ist: »Kinder lieben Märchen, mit zunehmender Reife brauche es aber weniger Märchen und mehr Alltag«. Genau das Gegenteil ist der Fall! Sind Kinder noch klein, begnügen sie sich mit Alltäglichem, sind sie grösser, so lechzen sie nach "Übernatürlichem". Ebenso verkauft sich ein Kinofilm schlecht, wenn er nur alltägliches (wissenschaftliches) zeigt.

Ein siebenjähriges Kind ist begeistert, wenn man ihm erzählt, dass Fritzchen eine Tür aufmachte und einen Drachen erblickte. Ein dreijähriges Kind dagegen ist schon begeistert, wenn man ihm erzählt, Fritzchen habe eine Tür aufgemacht. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Wieder einmal mehr zeigt Chesterton auf, dass unser Leben mehr Ähnlichkeiten mit Märchen hat als mit Dingen, die in Mathematikbüchern stehen, weitere Zitate:

[Wie im Märchen] verhielt es sich auch mit dem Glück des Menschen…: das Glück hing davon ab, daß man etwas nicht tat, was man jederzeit tun konnte und bei dem auch gar nicht ohne weiteres einsichtig war, warum es nicht getan werden durfte. (S. 115)
Ich empfand und empfinde bis heute, daß unser Leben hell strahlt wie der Diamant, aber auch zerbrechlich ist wie eine Fensterscheibe (S. 114)

Bild: Hochzeit des zukünftigen Prinz George V im “The Chapel Royal, St. James's Palace”, 1893

Du kannst fortan in einem Palast aus Gold und Edelsteinen wohnen, wenn du das Wort

Zur Erklärung ein weiteres Zitat:

Polygamie ist ein Mangel an Fähigkeit, das Potential der Sexalität zu realisieren (S. 119)

Bild: Scipio Africanus (~200 v.Chr.), der eine Schwäche für Frauen hatte

Sich zu beklagen, dass man nur einmal heiraten kann, ist so, als beklage man sich, dass man nur einmal geboren wird -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Woher kommt das Universum? Wer hat es da hingestellt? Diese Frage lässt sich unmöglich mit der Welt selbst erklären; Das Raum- und Zeit-System muss von Ausserhalb kommen, oder anders gesagt: es braucht eine Realität ausserhalb unserer Realität.

Wie sieht diese aussere Realität aus? Christen glauben an das Wunder der Schöpfung. Atheisten glauben an eine natürliche Erklärung. Nur ist diese Erklärung schlicht schlechter und “unwahrscheinlicher” (wenn man das in diesem Kontext überhaupt sagen kann) als die wundersame der Christen.

Diese Welt ist nicht aus sich selber erklärbar. Möglich, dass es sich bei unserer Wahrnehmung der Welt um ein Zaubertrick handelt, für den es eine natürliche Erklärung gibt. Aber die Erklärung des Zaubertricks muß besser sein als die natürlichen Erklärungen, die ich bis jetzt vernommen habe. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Chesterton spricht hier über Dogmen, die einzeln für sich genommen grossen Schaden anrichten können. Im Christentum werden aber gegensätzliche Dogmen im “Schach gehalten”:

Das Heidentum glich einer Marmorsäule, es stand aufrecht, weil es symmetrisch gebaut war. Das Christentum gleicht einem riesigen, zerklüfteteen, romantischen Felsblock, der … weil seine enormen Auswüchse einander genau die Waage halten, seit tausend Jahren dort thront… scheinbar zufällige Dinge haben sich ausbalanciert. (S. 192)
Je länger ich [den christlichen Glauben] betrachtete, desto mehr kam es mir vor, als habe er zwar Gesetz und Ordnung geschaffen, aber das Hauptziel dieser Ordnung sei es, Raum zu gewähren, wo alles Gute sich austoben kann.

Der christliche Hirte hütete keine Schafherde, sondern eine Horde Stiere und Tiger, einen Haufen furchterregender Ideale und gefräßiger Dogmen, von denen jedes stark genug war, um zur falschen Religion zu werden und die Erde zu verwüsten. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Chesterton erklärt hier das Paradoxon des Mutes. Weiteres Zitat:

Ein von Feinden umzingelter Soldat kämpft sich nur dann den Weg frei, wenn er neben unbändigem Lebenswillen auch eine seltsame Achtlosigkeit gegenüber dem Sterben beweist. Er darf sich nicht einfach ans Leben klammern, denn dann wäre er ein Feigling und würde nicht davonkommen. Er darf nicht einfach auf den Tod warten, denn dann wäre er ein Selbstmörder und würde nicht davonkommen. Er muß sein Leben wollen, aber in einer Art wütender Gleichgültigkeit.

»Der aber sein Leben verliert, der wird's erhalten« Das ist keine Mystik für Heilige und Helden. Es ist eine Alltagsmaxime für Seeleute und Bergsteiger. Sie könnte in einem Alpenführer oder einem Handbuch stehen. In diesem Paradox steckt das ganze Prinzip der Mutes. -- Chesterton, Orthodoxie

Zur Erklärung ein weiteres Zitat:

Die christliche Ehe ist das große Beispiel für eine reale und unwiderrufliche Konsequenz; und eben deshalb ist sie Hauptgegenstand und Zentrum all unserer romantischen Literatur.

Wenn ich Treue gelobe, muß ich im Fall der Untreue verflucht werden. Sonst macht das Gelübte keinen Spaß -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Ich denke Chesterton spricht zwei Dinge an:

  1. Es ist gar nicht so anstrengend “immer unterwegs zu sein”. Und hip ist es erst noch
  2. Durch das rastlose unterwegs sein erspart man sich inne zu halgten und dann Etwas wirklich sinnvolles zu tun
Weiteres Zitat:
Es ist gang und gäbe geworden, über das rastlose und anstrengende Leben unserer Epoche zu klagen. In Wahrheit aber zeichnet sie sich durch völlige Trägheit und Mattigkeit aus; und gerade dieser realen Trägheit entspringt die scheinbare Hetze.

Durch die Straßen dröhnt der Lärm von Droschken und Automobilen: aber nicht etwa weil die Menschen tätig sind, sondern weil sie nichts tun. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Chesterton behauptet, das Wort “Liberal” sei falsch gewählt. Denn: die Liberalen wollen die möglichen Handlungsweisen Gottes einengen und nicht befreien (=liberalisieren). Zwei weitere Zitate:

Aus irgendeinem unfaßbaren Grund versteht man unter dem »liberalen« Geistlichen immer denjenigen, der die Zahl der Wunder zu verkleinern sucht; nie meint man damit denjenigen, der diese Zahl vergrößern möchte. Chesterton, Orthodoxie, S. 239
Ein Wunder bedeutet nichts als die Freiheit Gottes. Chesterton, Orthodoxie, S. 241

Immer ist es jemand, der sich die Freiheit nimmt, nicht zu glauben, daß Christus Seinem Grab entstiegen ist -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Wohlgemerkt, Chesterton schrieb das 1908! Seine Prophezeiung hat sich Jahrzehnte später bewahrheitet. Chesterton hält fest: Wahrheiten müssen ewig bestehen bleiben. Es kann nicht sein, dass es früher ok war Fleisch zu essen und heute nicht mehr. Wahrheiten dürfen sich nicht an der Zeit anpassen, sondern das Umgekehrte müsse passieren.

Manche idealistischen Vegetarier behaupten, die Zeit sei gekommen, kein Fleisch mehr zu essen; damit sagen sie, daß es irgendwann einmal richtig war, Fleisch zu essen, und deuten an, daß es vielleicht eines Tages auch falsch sein wird, Milch und Eier zu verzehren. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Alles Philosophieren das weit weg bleibt vom Geschehen der Welt ist langweilig. Ein weiteres Zitat:

Im gesamten Christentum geht es immer um den Menschen am Scheideweg. Die weitgespannten und seichten Philosophien - gigantische Synthesen aus allem möglichen Unsinn - reden von Zeitaltern und Evolution und grundlegenden Entwicklungen. In der echten Philosophie geht es um den Augenblick. Schlägt einer diesen Weg oder jenen ein? - das ist das einzige, worüber man nachzudenken hat.
Ich glaube, er spricht hier über Hegel und wettert gegen seine weltfremde Philosophie genauso wie Kierkegaard dies zu seiner Zeit auch getan hat..

In einem spannenden Roman wird der Held zwar nicht von Kannibalen verzehrt; entscheidend für das Entstehen von Spannung ist aber, daß er von Kannibalen verzehrt werden _könnte_. Der Held muß sozusagen ein eßbarer Held sein. -- Chesterton, Orthodoxie

Erklärung: Als Abschluss etwas ganz Eigentümliches über Chesterton: Er versucht auf vielen Ebenen zu überzeugen, er ist ein eigentlicher Romantiker: durch bildhafte Sprache, durch Humor, durch Geschichten, durch Vernunft versucht er das Christentum als die beste Antwort auf die Welt zu entwickeln. Lässt sich das Christentum beweisen? Nein, denn es ist nicht…

diese oder jene vermeintliche Beweisführung, sondern eine riesige Anhäufung kleiner Fakten, die alle dasselbe aussagen… denn gerade … zusammengestückelten Beweise überzeugen das Denken… Gerade weil es sich um verschiedenartige Dinge handelt, bekommt die Tatsache, daß sie alle ein und denselben Schluß nahelegen, besonderes Gewicht.Chesterton, Orthodoxie, S. 267

Von einer Weltanschauung überzeugen lässt man sich nicht durch vier Bücher, sondern durch ein Buch, eine Schlacht, eine Landschaft und einen alten Freund -- Chesterton, Orthodoxie

Ende