Wenn die Predigt langweilig ist

Lasst mich mit einem Bekenntnis anfangen: Es fällt mir oft schwer, einer Predigt zu folgen.

Das hat zwei Gründe. Zum Einen bin ich verwöhnt mit rhetorisch einwandfreien Predigten. Nehmen wir mal Matt Chandler oder Francis Chan. Zwei Männer, mit einer grosser Kommunikations-Begabung. Auch der gewandteste Prediger unserer Gemeinde kann sich nicht mit ihnen messen.

Zum anderen gehöre ich zur Spezies der Theologen. Oder zumindest Möchtegern-Theologen. Ich habe mir über die meisten biblischen Themen eine Meinung gebildet. Durch das Studium der Bibel, Lesen von Kommentaren und Hören von Online-Predigten bin ich zu einem Schluss gekommen, der sich oft nicht mit den Aussagen des Predigers deckt.

In einigen Fällen kommt das daher, dass der Prediger eine evangelistische Natur hat, oder die Einstellung des Hirten, und er das Gewicht nicht auf die Lehre legt. Betrachte ich die Predigt mit meiner theologischen Brille, dann werde ich ganz viele Splitter in seinen Augen entdecken, ja der Prediger wirkt als ein mit Splittern zugedeckter Mann.

Mit diesen zwei Tendenzen fällt bei mir eigentlich jede Predigt durch. Da ich am Karfreitag selbst gepredigt habe, kann ich das hier einfügen: So fallen auch meine Predigten durch bei Hörern mit derselben Einstellung.

Das ist nun eine etwas ernüchternde Betrachtung. Wie soll ich damit umgehen? Soll ich auf Durchzug stellen und die Predigt an mir vorüber gehen lassen? Oder soll ich so tun, als wäre das Problem nicht da, und einen eifrigen Zuhörer mimen?

Interessanterweise wird praktisch nie darüber gesprochen, wie man gewinnbringend einer Predigt zuhören kann. Doch die Bibel ist voll von Versen wie “sei schnell zum Hören und langsam zum Sprechen”. Oder “Wer antwortet, bevor er gehört hat, dem ist es Torheit und Schande” - sie hat also sehr wohl Ansprüche an den Hörenden, nicht nur an den Prediger.

Was mir klar ist: Die Bibel lehnt meine Einstellung ab. Meine Einstellung, dass ich die Predigt vorschnell richte, fällt durch.

In der Apostelgeschichte gibt es das Vorbild der Beröer:

Diese […] nahmen das Wort mit aller Bereitwilligkeit auf; und sie forschten täglich in der Schrift, ob es sich so verhalte. Es wurden deshalb viele von ihnen gläubig, auch nicht wenige der angesehenen griechischen Frauen und Männer. (Apg 17,11-12)

Hier wird noch deutlicher, zu was meine Einstellung führt: Die Beröer wurden gläubig, indem sie bereitwillig zuhörten, wenn ich hingegen mit kritischem Geist mich der Unterweisung der Predigt verweigere, weil ich scheinbar einen guten Grund gefunden habe, dann verpasse ich das Wachsen im Glauben.

Natürlich, es gibt auch schlechte Predigten. Nicht alles, was am Sonntag verkündet wird, ist automatisch Gottes Wort. In fast jedem Brief des Neuen Testaments wird von Irrlehrern gewarnt.

In dieser Sache kann man also auf beide Seiten des Pferdes runterfallen: Ein überaus kritischer Geist verwirft alles, auch Worte, welche die Kraft zum Glauben hätten. Ein überaus zustimmender Geist nimmt alles an, auch die Worte, die mehr vom Zeitgeist zeugen als vom Wort Gottes.

Aber die Beröer waren sich dessen bewusst. Weder lehnen sie voller Vorurteile alles ab (wie etwa die Pharisäer), noch nehmen sie blind alles an.

Im Folgenden werde ich nur auf die Tendenz eingehen, zu viel abzulehnen. Denn das ist die Tendenz, welche ich in meinem Herzen vorfinde. Die Frage ist, wie kann ich der Tendenz entgegenwirken, ohne dabei blind alles anzunehmen?


Vor drei Monaten nahm ich zum Gottesdienst mein Moleskine-Notizbuch mit, um darin Predigt-Notizen aufzuschreiben. Das habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht. Ich kam mir streberhaft vor. Verstohlen blickte ich mich um: Bin ich der Einzige mit Notiz-Buch? Ich sah drei bis vier andere, die mir gleich taten, doch sie waren alle mindestens zehn Jahre älter.

Was war meine Absicht? Ich merke, dass ich besser denken kann, wenn ich meine Eindrücke aufschreibe. Eine Predigt regt allerlei Gedanken an: “Stimmt das wirklich?”, oder “Ah, hier weicht er aber vom Thema ab…”, oder “Das ist spannend, ich würde das gerne zu Hause nachlesen”. Ohne Notizen verfliegen diese Gedanken in Sekundenschnelle. Mit Notizbuch aber kann ich sie festhalten und einen Moment lang weiterspinnen.

Hier ein paar Einsichten aus den letzten drei Monaten “Schreibend denken mit meinem Moleskine-Notizbuch”:

1. Überraschende Wendungen

Manchmal weicht die Predigt plötzlich vom Thema ab. Es scheint nicht mehr um die Stelle zu gehen, sondern um ein anderes Thema. Dann schreibe ich mir auf, wieso ich denke, dass die Predigt nichts mehr mit der Bibelstelle zu tun habe. Dabei werde ich aber oft überführt, da ich merke, dass die Predigt Aspekte der Bibelstelle betrachtet, welche ich bisher ausgelassen habe.

2. Nichts Neues

Ich bin oft darauf aus, etwas Neues zu hören. Falls die Predigt hier nicht punkten kann, dann laufe ich Gefahr, auf Durchzug zu stellen. Mein Hirn wendet in dieser Situation “auto-complete” an: Es scheint zu wissen, was der Prediger die nächsten fünf Minuten erzählen will und schaltet einfach ab. Doch auch Paulus meint: «Euch immer wieder dasselbe zu schreiben, ist mir nicht lästig; euch aber macht es gewiss». Wir brauchen Erinnerungen. Es reicht nicht, dass wir einmal auf den richtigen Weg zurückgeführt werden, denn wir werden ihn immer wieder verlassen und brauchen regelmässig Korrektur.

Was einen guten Prediger ausmacht ist, dass er die “alten Wahrheiten” so vortragen kann, dass sie anregend sind. John Piper redet oft über sein Ringen, neue Wörter zu finden, welche noch nicht verbraucht sind. Bringt ein Prediger “abgedroschene Phrasen”, dann ist es um ein Vielfaches schwieriger, sich vom Gesagten bewegen zu lassen.

Doch auch hier hilft das Notizbuch. Ich schreibe mir etwa den Bibelvers in vollem Wortlaut auf. Oder ich denke schreibend darüber nach, ob das Gesagte in meinem Leben Gestalt angenommen hat.

Und oft wird es nach kurzer Zeit auch wieder spannend, und so kann ich die “Zwischenzeit” mit Notiz-Schreiben überbrücken und verpasse den Anschluss danach nicht.

3. Ich störe mich an einer Aussage

Wie gesagt, ich störe mich oft an einzelnen Sätzen. Dinge, die ich finde, kann man einfach so nicht sagen. Es hilft mir, zu notieren, wieso ich denke, dass die Aussage nicht stimmt. Und dabei versuche ich auch zu sehen, in welchem Kontext der Prediger die Aussage verwendet, und unter welchen Umständen die Aussage stimmen könnte.

Das Herz ist schnell dabei, Belehrung abzuweisen. Es findet schnell eine Entschuldigung, sich nicht ändern zu müssen. Es gibt immer einen Grund, das Gesagte abzulehnen, doch:

Wer die Unterweisung verwirft, verachtet seine Seele, wer aber auf Zurechtweisung hört, erwirbt Verstand. (Spr. 15,32)

Ich versuche mir also zu überlegen, ob ich das Gesagten nur deshalb ablehne, weil ich mich nicht dem Wort Gottes unterstellen will.


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