Es tut mir schrecklich leid für diesen reisserischen Titel! Lasst mich ehrlich sein: Der Artikel wird dem Titel nicht gerecht werden. Doch hätte ich einen komplizierteren Titel gewählt, würden Leute mit kurzer Aufmerksamkeits-Spanne ihn nicht zu Ende lesen. Und genau um die geht es. Oder besser gesagt um mich. Vor fünf Jahren. Im Zug.
Ich war auf dem Weg nach Hause. Ich kam von der Arbeit und hatte meinen Kopf noch voll vom Tag. Wild schwirrten Gedanken herum: Dies ist mir gelungen, da habe ich mich blamiert. Oh, hier habe ich etwas vergessen!
Diese Gedanken wären in Ordnung gewesen, wenn ich gedankenversunken aus dem Fenster gekuckt hätte. Aber ich war gerade beim Lesen eines Buches. Und ich stellte fest, dass meine wild hüpfenden Gedanken es mir gerade verunmöglichen, mich auf das Buch zu konzentrieren.
Das wäre weiter nicht schlimm gewesen, wenn dieser Tag eine Ausnahme gewesen wäre. Aber es war jeden Tag so. Statt zu lesen fuhr ich Gedanken-Achterbahn. Jeden Tag.
Ich war mir sicher, dass das Internet mich zu dem gemacht hat. Als Projektleiter in der IT-Branche werde ich täglich von Mails und Chat-Nachrichten unterbrochen. Und bei der Recherche im Internet hüpfe ich wild von einem Artikel zum nächsten, lese alles nur quer, weil mir zum Lesen des ganzen Dokuments die Zeit fehlt.
Als Vorbereitung für diesen Betrag suchte ich Artikel, welche den Zusammenhang zwischen Internet-Konsum und verkürzter Aufmerksamkeits-Spanne aufzeigen. Ich habe diese Artikel zwar gefunden, aber dafür auch solche, welche diese Theorie widerlegen (ist das Internet nicht ein toller Ort, es findet sich immer ein Autor, eine Studie, welche die eigene Theorie bestätigt!). Also lasse ich hier die Sache mit den Studien aus und betrachte das Internet vorläufig als unschuldig (obwohl ich noch immer von dessen Schuld überzeugt bin!)
Was auch immer die Ursache war, ich wollte wieder dahin kommen, dass ich ein Buch eine halbe Stunde lesen kann, ohne dabei zehnmal auf mein Handy zu kucken oder noch schnell dieses eine Mail zu verschicken, das ich heute vergessen hatte.
Ich habe daraufhin versucht, das Problem mit Meditation zu lösen. Keine Angst, es war keine buddhistische Meditation, sondern waren lediglich Konzentrationsübungen. Es ging darum, während mehreren Minuten an nichts zu denken. So hoffte ich, meine herumjagenden Gedanken zu beruhigen. Doch geholfen hat dies nicht. Abgesehen davon, dass Meditation sehr ich-bezogen ist, brachte das “Nichts-Denken” keine Besserung. Die Gedanken liessen sich so nicht in Zaum halten. Der Effekt war der gleiche, wie wenn ich den Kindern sage, sie sollten endlich ruhig sein und nicht herumzappeln. Nämlich keiner.
Mein Fahrlehrer brachte mir Folgendes bei: Falls ein Hindernis kommt, konzentriere dich nicht aufs Hindernis, sonst fährst du hinein. Konzentriere dich auf den Ausweg und du schaffst es, dem Hindernis auszuweichen. Dieser Lebensweisheit bin ich gefolgt: Ich habe mich davon verabschiedet, die Unkonzentriertheit zu bekämpfen und habe stattdessen versucht, mir Gewohnheiten anzueignen, welche konzentriertes Lesen fördern.
Hier drei Dinge, die mir geholfen haben:
Dreissig Minuten Lesen pro Tag
Ich setzte mir zum Ziel, täglich dreissig Minuten zu lesen. Jeden Abend auf der Heimreise von der Arbeit im Zug. Egal, ob meine Gedanken gerade verrückt spielten, ich las einfach weiter. Auf coach.me habe ich mich “eingeschrieben”, dass ich jeden Tag 30 Minuten lesen werde und konnte danach ein “Häkchen” setzen, als zusätzliche Belohnung.
Auswahl der Lektüre je nach Energielevel
Ich hatte Phasen, wo ich viel Energie hatte zum Lesen, da konnte ich gut auch englische Bücher lesen, oder Sachbücher. Aber ich musste mir eingestehen, dass oft die Energie dazu fehlte. Also fing ich an, Krimis zu lesen von Agatha Christie. Egal, Hauptsache 30 Minuten lesen. Meine Einsicht: je nach Phase ist eine andere Sorte von Buch dran. Es ist wichtig, sich einzugestehen, dass nicht jeden Tag ein englisches Sachbuch drin liegt.
Anpassen der Lesegeschwindigkeit
Manchmal ertappte ich mich dabei, wie ich einen Abschnitt “las”, meine Gedanken aber ganz wo anders waren. Ich las den Abschnitt nochmals, und dasselbe passierte. Was mir dann half, war den Text sehr sehr langsam zu lesen. Pro Wort eine Sekunde. Besonders bei schwierigeren Texten brauche ich diese Anlaufzeit, wo ich sehr sehr langsam lese. Nach ein paar Sätzen schaffe ich es wieder, dem Text zu folgen und kann dann ein schnelleres Lesetempo ansetzen.
Fazit
Durch regelmässige Lesen, einem guten Mix der Lektüre und Anpassen der Lesegeschwindigkeit je nach Text schaffte ich es wieder in Bücher einzutauchen und die hüpfenden Gedanken beruhigten sich.
Im nächsten Beitrag werde ich übers Lesen von Online-Beiträgen schreiben, die wie ich finde, zusätzliche Herausforderungen bergen.