Dies ist Gastbeitrag Nr. 4 in der Reihe, wo Christen erzählen, wie sie ihr Bibellesen und Beten gestalten. Hier geht’s zur Übersicht
Dave, erzähle kurz über Dich: Wie lange bist Du schon Christ? In welcher christlichen Tradition lebst Du? Was machst Du beruflich? Hast Du Familie?
Ich bin “christlich sozialisiert” aufgewachsen, wie man so schön sagt. Und zwar in einer Freikirche. Ich war 6 Jahre alt, als ich Jesus bewusst in mein Leben eingeladen habe. Das war an einem unspektakulären Abend, im Korridor vor dem Kinderzimmer, zusammen mit meiner Mutter. Sehr schlicht, aber bis heute prägend.
Ganz kurz gesagt würde ich mich als evangelisch bezeichnen. Mit meinen Glaubensansichten habe ich manchmal das Gefühl, zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Den Evangelikalen zu liberal und den Liberalen zu christozentrisch. Darum bin ich von Karl Barth angetan: Er war in grosser Freiheit christozentrisch. Ich schätze es, in Freiheit zu glauben und bin sicher, dass Gott damit wenig Probleme hat. Weil das Hören auf den Heiligen Geist und seine Kraftwirkungen eine grosse Rolle in meinem Leben spielen, würde ich mich als liberal-charismatischen Pietist bezeichnen.
Ich arbeite 50% an einem theologischen Bildungsinstitut, bin mitten in meinem theologischen Masterstudium und stehe zusammen mit einem Team in einer missionalen Gemeindepflanzungs-Arbeit bei Chrischona Schweiz.
Das alles wäre nicht zu schaffen ohne meine liebe Frau, mit der ich seit bald 14 Jahren verheiratet bin. Wir haben drei Kinder im Alter von 3 bis 9 Jahren.
Welches sind die Herausforderungen um Zeit zu finden für das persönliche Gebet/Bibellesen?
Die grösste Herausforderung für mich sind meine unterschiedlichen Tagesrhythmen. Jeder Tag beginnt zu einer anderen Zeit. Zudem bin ich viel unterwegs. Da ist es schwierig, eine fixe Zeit zu finden, um die Spiritualität ganz bewusst zu pflegen.
Nutzt Du einen Bibelleseplan? Wenn ja, welchen?
Nein. Lange Zeit habe ich als Kind den “Guten Start” vom Bibellesebund genutzt. Das war wahrscheinlich gut so. Aber als ich älter wurde, hat es mich genervt, immer nur einige Verse zu lesen und von gewissen Geschichten auch nach Jahren noch nie gehört zu haben. Oder hast du als Kind mal gehört von den beiden Bären, die 42 Kinder aufgefressen haben (2Kön 2,24)?
Als ich das erste Mal ein ganzes Kapitel am Stück las, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich hatte gelernt, die Bibel lese man nicht einfach wie ein normales Buch, sondern lasse Vers für Vers auf sich wirken. Doch als ich mehr zusammenhängend las, wurden mir auch mehr Zusammenhänge klar. Einige Jahre habe ich mich an den Rat von Bonhoeffer an seine Theologiestudierenden gehalten: Jeden Tag ein Kapitel aus dem AT und ein Kapitel aus dem NT zu lesen. Momentan konzentriere ich mich auf die Evangelien und lese dazu meist noch etwas aus den Briefen von Paulus.
Wie teilst Du Gebet und Bibellesen auf?
Aufteilen? Ich weiss nicht, ob ich da von aufteilen reden kann. Ich lese oft betend. Beim Lesen trete ich in die Beziehung zu Gott und nehme mir Zeit nachzudenken, zu meditieren über dem Text, da betet es manchmal ganz von alleine.
Führst Du eine Liste mit Anliegen, für die Du regelmässig betest?
Damit habe ich immer mal wieder begonnen und es dann doch nicht konsequent genutzt. Gebetslisten tragen für mich den Geruch des “Abarbeitens” von Anliegen in sich. Das Gebet konzentriert sich dann sehr darauf, was ich für wichtig halte, was ich Gott zu sagen habe. In diesem Zusammenhang wurde mir Mt 6,7 wichtig. Jesus selber sagt, “plappern” ist ein Kennzeichen der Heiden. Ich bete daher oft das Vater Unser, vorgefasste Gebete, Psalmen. Das lenkt den Blick weg von mir und meinen Problemen, hin zu Gott. Ich denke es ist eine Gratwanderung zwischen frei formulierten Gebeten und Anliegen und dem Fokus weg von mir, hin zum Höchsten.
Wie schaffst Du es, dass deine Zeiten mit Gott “frisch” bleiben und nicht einschlafen?
Lebensverändernd war für mich die Auseinandersetzung mit den verschiedenen geistlichen Stilen (siehe dazu z.B. das Buch von Christian A. Schwarz). Die klassische Stille Zeit mit Gebet und Bibellese ist ja hauptsächlich einem von mehreren Frömmigkeitsstilen zuzuordnen. Wenn man aber eine andere „Antenne” zu Gott hat, wird das schnell zum Stress. Ich denke ich sollte so und so meine Beziehung zu Gott pflegen, aber eigentlich hat mir Gott eine andere Antenne geschenkt.
Ich bin ein „mystisch-sakramentaler Typ”. Mich sprechen Symbole, Liturgien, Gerüche, Farben oder Rituale wie das Wiederholungsgebet an. Als ich mich näher damit auseinandergesetzt habe, wurde die Zeit mit Gott immer spannender. Ich experimentiere gerne mit ganz unterschiedlichen Formen und Zugängen: Bild- oder Text-Meditation, Kerzen, Stille Zeiten im Wald, am nahen Fluss, das Hören auf Gott durch seine Schöpfung (Röm 1,19)…
Manchmal interessiert mich eine Passage oder ein Vers besonders und ich will mehr wissen, dann starte ich die Bibelsoftware Logos und bekomme so ganz viele Hinweise, Bilder, Kommentare. Das wird dann richtig spannend und ich könnte mich darin verlieren.
Das heisst aber keineswegs, dass dies jeden Tag so bei mir läuft. Das Beschriebene ist sozusagen ein Idealzustand. Sehr oft räume ich diesen Zeiten nicht genügend Priorität ein. Ich habe vielleicht 2x in der Woche ausgedehntere Zeiten mit Gott. Es ist dauernd ein Kämpfen um diese Zeiten und sehr oft habe ich auf dieses Ringen keine Lust. Hier will ich der Zeit mit Gott noch grössere Priorität einräumen in meinem Leben. Das ist mein Lernfeld. Weil ich gerne lese, muss ich auch darauf achten, nicht nur Sekundärliteratur über und zur Bibel zu lesen, sondern immer wieder „ad fontes” zu gehen, die Bibel als Primärquelle ernst nehmen und mich neu von ihr faszinieren lassen.
Was ich jeden Tag wenigsten mache: Den Arbeitsweg nutzen und im Zug 1-2 Kapitel aus der Bibel lesen. Die Losungen in den Ursprachen gehören auch immer dazu. Damit ich nicht grad ganz alles vom Griechischen und Hebräischen wieder vergesse… ☺
Was rätst Du jemandem, dem seine Stille Zeit “eingeschlafen” ist?
Ich rate ihm/ihr, sich mit der persönlichen Antenne zu Gott auseinanderzusetzen, mutig andere, unbekannte Formen der Spiritualität auszuprobieren, den eigenen Stil kennenzulernen und gleichzeitig von den Stilen zu lernen, die einem weniger zusagen. Das ist bei mir der sog. „bibelzentrierte Stil”. Die Auseinandersetzung mit diesem Stil ist eine Herausforderung für mich, hilft mir aber, nicht Gegenstände und Symbole statt der Bibel in die Mitte zu stellen.
Ich denke, das Lernen von anderen, das Adaptieren und Ausprobieren ist ein lebenslanger Prozess, der uns formt und die Reise der Nachfolge Jesu interessant macht. Es hilft nicht nur, dass die Zeiten mit Gott neu fruchtbar werden, sondern auch, den trinitarischen Gott von verschiedenen Perspektiven kennenzulernen und dabei sich selber neu zu entdecken.
Dave Jäggi bloggt unter sola-scriptura.ch